Schriftsteller - Buchblogger

Monat: Oktober 2023 (Seite 1 von 3)

Alaa Al-Aswani: Die Republik der Träumer

Ein großer Roman über den so genannten Arabischen Frühling in Ägypten, Al-Aswani hat ein geniales Figurenensemble geschaffen, das die Seiten in dieser Revolution wunderbar abbildet, darunter auch die Instrumentalisierung des Antisemitismus. Cover Hanser Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Ob jemand diesen Roman lesen kann, ohne bittere Wut zu empfinden? Jene bebende Wut, die aus dem Gefühl genährt wird, Ungerechtigkeit, Betrug und Verrat zu erleiden? Es mag seltsam erscheinen, wenn ein Leser aus dem – noch – ruhigen, demokratischen Deutschland so fühlt, wo es doch um den »Arabischen Frühling« in der ägyptischen Ausprägung geht.

Doch ist es für mich nur folgerichtig, denn mit dem Flammenmeer an Erhebungen in der arabischen Welt verbanden sich Hoffnungen. Keine allzu großen, zu oft schon war ich ferner Zeitzeuge, wenn irgendwo das Banner der Hoffnung wehte und alsbald in den Dreck fiel; oder gar der Sieg errungen zu sein schien und das Übel wieder aus verborgenen Löchern kroch.

Die Republik der Träumer ist in einem mitreißenden und zugleich oft nüchternen Tonfall verfasst. Alaa Al-Aswani hat äußerst geschickt ein vielfältiges Personenensemble zusammengestellt und in die aufgeheizte Lage vor der Revolution geschickt. Vom Geheimdienstchef über einen Ingenieur und Ex-Sozialisten bis hin zu den Studenten reicht die Palette, fast jeder mit seinen Widersprüchen, Sehnsüchten, Bedürfnissen und den daraus resultierenden Ängsten.

Ein Graben verläuft zwischen Alt und Jung. Die Älteren in diesem Roman sind zumeist etabliert, sei es in einem Leben geprägt von Reichtum und Macht, sei es in saturierter Armut und den Hoffnungen für den Nachwuchs. Die Jüngeren hingegen sind die Triebfeder des Aufruhrs, der Unruhe, oder sie lassen sich davon anstecken und mitreißen. Aber – die Fronten sind durchlässig.

Die Etablierten, vom autoritären Staat Hosni Mubaraks gepuderten Teilhaber an Ägyptens Reichtümern umgibt ein ganzer Strauß an Heuchelei, Bigotterie und Verlogenheit, mit der sie ihre Privilegien verteidigen. Die hilfreichen Lügen, Phrasen und haltlosen Plattitüden werden offen geäußert, Al-Aswani kontrastiert sie geschickt mit den Motiven der Jüngeren; er muss nicht kommentieren, es spricht alles für sich.

Der Leser findet bald seinen Platz in dem Spektakel, das gemächlich in Gang kommt, fast unmerklich hereinbricht und – wie so viele Revolutionen – fast aus dem Nichts zu kommen scheint. Was den Roman zu einem wirklich großen macht, ist die kunstvolle Gestaltung der mächtigen, klugen und geschickt handelnden Revolutionsgegner, was immens unangenehm ist, sich aber wohltuend vom naiven Hollywood-Film oder utopischen Bullerbüs á la Pantopia abhebt.

Jeder weiß,  wie „es“ ausgegangen ist, wie der »Arabische Frühling« zermalmt, zerredet und im Nachhinein  als naseweiser Revolutionsversuch dargestellt wurde, doch das „Wie“ hat in Die Republik der Träumer eine laute, mitreißende, hochspannende und aufwühlende Stimme erhalten. Apropos Stimme: Ich habe den Roman als Hörbuch gehört, Thorben Kessler liest großartig!

Ganz wunderbar passt dieser Roman zu der Revolution von 1848/49, die sich zum 175. Mal jährt, insbesondere in der europäischen Perspektive. Kein Geringerer als der weltbekannte Historiker Christopher Clark hat in seiner Monographie Frühling der Revolution explizit eine Brücke zum »Arabischen Frühling« geschlagen!

Alaa Al-Aswani: Die Republik der Träumer
Aus dem Arabischen von Markus Lemke
Hanser Verlag 2021
Fester Einband 464 Seiten
ISBN 978-3-446-26749-7

Post – Korrekturen

Der vierte Teil meiner Abenteuerreihe um die »Piratenbrüder« ist auf zwei Zeitebenen erzählt – eine spielt zur Zeit der Wikinger. Die Korrekturen sind beendet, der Buchsatz steht an. Im März 2024 ist die Veröffentlichung geplant.

In wenigen Tagen geht das Manuskript zu Vinland in den Buchsatz. Die Korrekturen sind beendet, der Staub legt sich und gibt den Blick auf das Schlachtfeld frei. Wie immer begleiten widersprüchliche Gefühle diesen Moment. Erschöpfung. Erleichterung. Befürchtung (Angst? Nein, keine Angst). Freude. Unbehagen. Stolz. Leere.

Wer möchte da nicht gern schriftstellerisch tätig sein, wenn er so reich belohnt wird?

Ich kann nichts mehr ändern, ich will nichts mehr ändern. Die Arbeit der letzten Monate hallt wie ein Echo durch meinen Kopf, mit einer gewissen Fassungslosigkeit schaue ich auf das Manuskript vor dem Lektorat und auf jenes danach. Es ist kein Stein auf dem anderen geblieben.

Der Umfang ist kurioserweise fast gleich geblieben, fast vernachlässigenswert kürzer ist Vinland  geworden. Dabei war der erste Eindruck vor einigen Monaten, dass es zu viele Redundanzen, träge Passagen, Wiederholungen, überflüssige Kapitel ohne erzählenden Wert usw. gibt. Der Fokus würde auf dem Straffen, Kürzen, Streichen und Weglassen liegen, dachte ich.

Diesmal habe ich allerdings die Erfahrung gemacht, dass eine Erzählung länger werden und trotzdem kürzer wirken kann, weil sie kurzweiliger, straffer, zielgerichteter ist. Manche Dinge wirken redundant und langatmig, gerade weil sie nicht auserzählt sind. Eine sehr interessante Erfahrung, die ich tatsächlich gern schon im letzten Jahr gemacht hätte – reines Wegstreichen ist oft keine oder nur die schlechtere Option! 

Was mich wirklich freut, ist das Ende, denn daran habe ich wochenlang herumgewerkelt, bis mir tatsächlich etwas ganz Wunderbares eingefallen ist, das zudem die beiden Zeitebenen des Roman noch einmal miteinander verwoben hat. Es hat tatsächlich funktioniert, den Mittelband einer Heptalogie unter Piraten mit einer abenteuerlichen Geschichte der Wikingerzeit zu verknüpfen.

Was bleibt noch zu tun? Den Anfang noch einmal lesen, ein bisschen hier und da stöbern, vielleicht noch ein paar letzte, kosmetische Details. Und dann: Totenschiff Piratenbrüder Band 5.

Bisher erschienen

Göttinger Literaturherbst 2023

Meine glorreichen Sieben – das sind die Veranstaltungen des Göttinger Literaturherbstes 2023, auf die ich mich am meisten freue. Das Programm ist in diesem Jahr großartig, vielleicht schaue ich mir noch die eine oder andere Sache zusätzlich an, denn – von der ewig-hässlichen Stadthalle (brrr) einmal abgesehen – gibt es viele sehr schöne, atmosphärische Veranstaltungsräume.

Heute beginnt für mich der Göttinger Literaturherbst 2023 mit einer zweifellos großartigen Veranstaltung: Der Historiker Christopher Clark spricht über die Revolution von 1848/49 in Europa – womit das Thema aus seinen nationalen Brutkästen geholt wird. Clark hat ein voluminöses Buch zu dem Thema verfasst, das Frühling der Revolution betitelt ist. Wie in seinen berühmten und diskutierten Die Schlafwandler wird der Leser mit neuen Perspektiven konfrontiert, los geht es mit der Revolution in – nein, nicht Paris – Palermo (nach einem Vorspiel in der Schweiz).

Es ist das einzige historische Sachbuch meines persönlichen Programms, das – wie man sieht – vier Romane, ein historisches und ein naturwissenschaftliches Sachbuch sowie ein Kompendium mit einem sehr persönlichen Zugang zum Thema Schreiben umfasst.

Thematisch geht es historisch-politisch zu. Aufklärung von Angela Steidele ist zum Glück kein Buch über die Abgründe des Sexualkundeunterrichts, sondern führt den Leser ins 18. Jahrhundert, ein Historischer Roman, auf den ich mich sehr freue (danke noch einmal an Marius Müller von Buch-Haltung für die schöne Besprechung).

Andrej Kurkow lässt seine Helden Samson und Nadjeschda durch die blutigen Wirren des »Bürgerkriegs« im Gefolge des Ersten Weltkrieges in Kyjiw (Kiew), Ukraine, taumeln. Dabei ist es ihm in seinem ersten Teil gelungen, die Gewalt anklingen zu lassen, ohne in Voyeurismus zu verfallen; stattdessen wählt er einen plüschigen Ton, was die Ereignisse nicht weniger grausam, aber erträglicher gestaltet. Auf den zweiten Teil bin ich sehr gespannt – den werde ich allerdings erst im Anschluss lesen können.

Der Roman Lichtspiel von Daniel Kehlmann lässt den Leser am bewegten Leben des Regisseurs W.G. Pabst und zahlreichen anderen Zeitgenossen teilhaben. Schon das erste Viertel des Romans zeigt, was Kehlmann gelungen ist: Er hat eine leicht lesbare (laut Wolfgang Herrndorf eine unterschätzte literarische Qualität) und wirksame sowie angemessene Erzählform gefunden, ohne ins Seichte abzugleiten. 

Das lässt sich auch über Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor von Steffen Schroeder sagen, der den Leser in die Zeit führt, zu der das Hitlerreich in den Todeskampf eintrat und sich seine Monstrosität nach dem gescheiterten Attentat Stauffenbergs nur noch durch einen Sieg der alliierten Truppen beenden ließ. Plancks Sohn ist ihm Mahlwerk der Gestapo und SS gefangen, der Tonfall der Erzählung bleibt dabei in einer gewissen Weise lakonisch, sarkastisch, boshaft-heiter.

Bei Lichtspiel und Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor wird ganz nebenbei immer auch deutlich, was Deutschland bzw. die deutschsprachige Welt der 1920er Jahre verloren hat, als das braune Pack die Macht übertragen bekam. Ich weigere mich jedoch, diese Romane als »wichtig« zu bezeichnen, weil sie »uns« etwas für unsere eigene Zeit zu sagen hätten oder eine Warnung bereithielten. »Wir« haben »uns« noch nie davon beeindrucken lassen.

Ralf Rothmann hat mit seiner Theorie des Regens ein Kompendium seiner Notizen aus vielen Jahrzehnten zusammengestellt. Hier werde ich ganz ohne vorherige Lektüre an der Veranstaltung teilnehmen, von Rothmann habe ich noch kein einziges Wort gelesen. Ich bin voller Neugier, auf das Gespräch und darauf, wie es ist, völlig unbedarft zuzuhören.

Schließlich noch eine Form des wissenschaftlichen Eskapismus. Felicitas Mokler hat ein Buch veröffentlich, dessen Titel für sich selbst spricht: Die Evolution des Universums: Vom Urknall bis in die Ewigkeit. Als alter Science Fiction-Leser und Teleskop-Sternegucker (es ist kalt in klaren Herbst- und Winternächten) lasse ich mich gern auf den neuesten Stand der Kosmologie bringen. Wobei – verstehen werde ich sicherlich nicht alles, doch darum geht es gar nicht. Die eigenen Grenzen des Verständnisses kennenzulernen, ist meines Erachtens oft genauso wertvoll, wie das Verstehen selbst.

Amor Towels: Lincoln Highway

Viele lobende Besprechungen, mich hat der Roman nicht überzeugt. Cover Hanser, Bild mit Canva erstellt.

Bei diesem Roman komme ich mir vor wie ein literarischer Geisterfahrer. In so vielen Jahresrückblicken 2022 wurde Lincoln Highway vom Amor Towels als Highlight aufgeführt, Buchblogs, denen ich zahlreiche tolle Anregungen zu verdanken habe, loben ihn.

Mich hat er eher enttäuscht, dabei war ich von Ein Gentleman in Moskau sehr angetan. Die literarischen Zutaten jedenfalls sind gut: Road-Novel, eine Buddy-Gruppe mit divergierenden Zielen und Absichten, ein Strauß unerwarteter Begegnungen und viele Wendungen – alles da, was es braucht.

Zu den großen Mythen der USA gehört die Mobilität, die über ein reines Bewegen hinausgeht; zu den großen Mythen der westlichen Welt gehört seit Homer der Aufbruch, oft genug der von außen erzwungene. So in diesem Fall, denn die Hauptfiguren müssen sich aus dem Staub machen, allerdings aus ganz unterschiedlichen Motiven.

Towles schickt seine Helden auf eine haarsträubende Irrfahrt, mit aberwitzigen Wendungen und wunderbaren Zuspitzungen. Ganz gemächlich entfaltet sich die Geschichte, weitet sich und erreicht eine beträchtliche inhaltliche Tiefe, die an einer ganz wunderbaren Stelle das menschliche Sein an sich beleuchtet.

Doch gibt es für meinen Geschmack durch den Schreibstil und Aufbau einige arge Redundanzen. Der Roman lässt ab der Hälfte stark nach, verliert an Spannung, mehr und mehr Handlungs– und Gesprächsmuster wiederholten sich. Die Verschränkung mit dem Ulysses wirkte zunächst cool, im Verlauf zunehmend konstruiert.

Irgendwo auf diesem Weg bin ich aus dem Zug oder Auto gefallen bzw. über Bord gegangen. Abgebrochen habe ich das Buch aber nicht, zum Glück, denn das Ende ist wiederum sehr gelungen. Gern verweise ich auf ausführlichere und lobende Besprechungen des Buches, denn jeder Leser liest sich selbst auf eine ganz andere Weise in einen Roman hinein: Horatio-Bücher & Kaffeehaussitzer.

Amor Towels: Lincoln Highway
Aus dem Englischen von Susanne Höbel
Hanser Verlag 2022
Gebunden 576 Seiten
ISBN: 978-3-446-27400-6

Auswandern: Höllentage auf See

Bloß nicht das Schiff verpassen, lautet das Motto der Auswanderer, dabei erwartet sie an Bord und vielfach auch in der Neun Welt nichts anderes als die Hölle. Blick ins Buch: Leseprobe.

Auswandern ist eine wild-romantische Sache? Im Film vielleicht. Die Realität sah ein wenig anders aus.

Anfang der 1730er Jahre macht der vierzehnjährige Joshua auf den Weg von London in die englischen Kolonien unliebsame Bekanntschaft mit der Realität. Aus wohlhabendem Hause stammend reist er mit seinem Onkel William in einer eigenen Kabine, die allerdings kaum Komfort bietet. Ein winziges, düsteres Loch mit Hängematten!

Doch das ist nichts verglichen mit dem, was er unter Deck zu sehen (und riechen) bekommt, dort, wo die Passagiere auf engstem Raum zusammengepfercht sind.

Ich habe für in Eine neue Welt, den Auftaktroman zu Piratenbrüder, ein wenig über das Thema recherchiert. Diese Auswanderfahrten müssen höllisch gewesen sein. Es gab sehr viele Tote während der Überfahrt, was im Grunde kein Wunder ist, allein wegen der hygienischen Zustände, von Stürmen, Piratenüberfällen, Mord und Totschlag gar nicht zu reden.

Erreichten die Auswanderer das rettende Ufer der Kolonien, blühte vielen jahrelanger Frondienst, um die Kosten für die Überfahrt zu bezahlen. Interessanterweise bin ich diesem Motiv vor einigen Jahrzehnten in dem Spielfilm Der letzte Mohikaner mit Daniel-Day-Lewis erstmals begegnet.

Da es sich bei Eine neue Welt um eine Abenteuerreihe und kein Sachbuch handelt, sind die Klage über die erbärmlichen Verhältnisse mit in die spannende Handlung eingeflossen: Einer der Passagiere sorgt für Unruhe an Bord, denn er bringt die Vorwürfe offen zur Sprache.

Dieser Konflikt verschärft sich drastisch, als die Sturmvogel arg zerrupft aus einem Unwetter hervorgeht und dann auch noch Schwarze Segel am Horizont erscheinen. Bei der Frage, Kämpfen oder Segelstreichen, steuern Besatzung und Passagiere auf eine Meuterei zu.

Obwohl das so genannte »Goldene Zeitalter der Piraterie« vorüber ist, sind die ruchlosesten noch auf den Meeren unterwegs. (Lust auf einen Blick ins Buch? Leseprobe)

Bisher erschienen:
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