Ein kurzer Roman, der es 2022 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Umschlag Hanser Berlin, Bild mit Canva erstellt.

Wie geht eine Gesellschaft im Allgemeinen und die Medizin im Besonderen mit dem um, was als andersartig, störend, abweichend definiert wird? Man rückt dem beispielsweise chirurgisch zu Leibe, indem man einen simplen Eingriff vornimmt und das Problem beseitigt. Hinterher sind alle glücklich.

Meret arbeitet als Krankenschwester in einer Klinik, auf einer Station, die für Patienten gedacht ist, die mit einem operativen Eingriff von einer solchen Störung befreit werden sollen. Sie fühlt sich als Teil des Fortschritts, wie es scheint, erlaubt es die Medizin dem Patienten, ein gutes Leben zu führen, ganz im Gegensatz zu den grausamen Methoden der Vergangenheit.

Ganz früh deutet sich bereits an, dass Meret in eine Liebesbeziehung zu ihrer Mitbewohnerin Sarah trudelt. Tatsächlich entfernt sich die Erzählung für eine Weile ein gutes Stück von dem, worum es am Anfang geht –  passenderweise, denn diese Distanz ändert erst den Blick auf die simplen Eingriffe und ihre Folgen. Außerdem handelt es sich bei einer gleichgeschlechtlichen Liebe eben auch um eine »Störung« dessen, was in weiten Kreisen als »normal« oder »natürlich« angesehen wird.

In diesen Kreisen wird auch in der wirklichen Welt bis in die Gegenwart darüber schwadroniert, man müsse und könne Homosexualität therapieren. Die Liebesgeschichte zwischen den beiden Frauen ist auf diese Weise fest mit dem Thema verwoben, das die Humanität der Medizin und des Fortschritts aufwirft, und die Frage stellt, ob es den Patienten nach dem kleinen Eingriff wirklich besser geht – oder sie ihrer Umgebung nicht mehr so sehr zur Last fallen durch ihre Andersartigkeit.

Ein simpler Eingriff von Yael Inokai thematisiert diese Motive, berührt außerdem eine ganze Reihe weiterer, etwa Gewalt in Familien, starre gesellschaftliche Verhältnisse und patriarchalische Hierarchien. Gefallen hat mir außerdem die unaufgeregte Sprache von Yael Inokai sowie das Ungefähre, Reduzierte des Romans, der irgendwo, irgendwann handeln kann.

Yael Inokai: Ein simpler Eingriff
Hanser Berlin 2022
HC 192 Seiten
ISBN 978-3-446-27231-6