
Wer freut sich nicht über lobende Worte von Testlesern? Doch was, wenn dieses Lob mittelbar Kritik übt? Ein indirekter Fingerzeig auf Schwächen eines Textes ist, den man als solchen anfangs gar nicht bemerkt, berauscht von den positiven Worten?
Testleser sind nicht dafür da, einem Autor Honig ums Maul zu schmieren. Das dürfen sie natürlich und ich lobe auch immer, gleichgültig, ob als Lektor oder Testleser. Doch sollte der Testlesefokus darauf liegen, verbesserungswürdige Textstellen aufzuspüren.
Fingerzeig hinter dem Schleier
Man könnte also denken, indirekte Kritik wäre eine feine Sache. Lob und Fingerzeig in einem. Dummerweise wirkt das Lob wie ein Schleier, der sich über die Missstände legt. In diesem Sinne ist die Überschrift des Blog-Beitrages gemeint: Das Lob verhüllt nur anfänglich, wie ein Gift wirkt es irgendwann eben doch wie Kritik.
Das erlebe ich gerade am eigenen Werk.
Meine Abenteuerreihe ist faktisch fertig. Die Avantgarde-Testleserin hat Band VI gelesen (und zum Teil für dürftig befunden, womit sie recht hat), der vierte Band ist von drei weiteren Testlesern, der dritte von noch einem durchgeforstet worden.
Tenor: Es gefällt uns immer besser.
Schön, nicht wahr? Ja! Die Sonne geht auf, der Größenwahn tätschelt die Schulter und hach – was bin ich doch gut. Erzähle mir keiner, dass ich der einzige wäre, der sich in diesen Momenten so fühlt! Menschen sehnen sich nach Anerkennung und natürlich will jeder Schreibende von seinen Testlesern hören, dass es schon irgendwie genial ist, was man zu Papier gebracht hat.
Besser heißt: Vorher war es schlechter
Doch ist das Lob vergiftet. Denn in dem “besser” steckt nämlich auch der dezente Hinweis, dass die Bände vorher offensichtlich ordentlich Luft nach oben hatten. Sie sind nämlich automatisch “schlechter”, wenn die Teile danach “besser” waren.
Natürlich kann das auch in der Natur einer Buchreihe liegen. Der Leser identifiziert sich mit den Personen, die in jedem Band auftauchen, fühlt sich beim Öffnen eines neuen Teils wie beim Betreten eines bislang unbekannten Zimmers in einem Haus, das mehr und mehr zu seiner Lese-Heimat wird. Das kann alles als “besser” empfunden werden.
In meinem Fall wurde das “besser” zum Glück auch begründet. Ich hätte viele Szenen ausführlicher gestaltet, hieß es. Im Umkehrschluss war das ein Hinweis auf unausgeschöpftes Potenzial in den ersten beiden Bänden; und tatsächlich ist das der Fall. Viele, gerade spannende Stellen, hatte ich in den bisherigen Versionen zu hastig und flüchtig abgehandelt.
Überarbeiten statt überstürzt veröffentlichen
Das habe ich ziemlich spät begriffen. Statt wie geplant den ersten Band der Abenteuerreihe schon auf den Markt gebracht zu haben, überarbeite ich ihn gerade. Aus 180 sind 250 Seiten geworden. Es gab also wirklich noch einiges zu erzählen! Bei Gelegenheit ging es noch einem dicken Logik-Fehler an den Kragen, den kurioserweise kein Testleser bemängelt hatte (vielleicht waren sie einfach zu höflich?).
Und ja: Die Buchreihe wird auch aus anderen Gründen “besser”. Sie löst sich aus der anfänglich auf den Protagonisten fokussieren Perspektive, wird komplexer, düsterer, es kommen mehr und mächtigere Personen ins Spiel, einander überlagernde Interessen, eine verwickelte Liebesgeschichte, ehe alles auf ein gewaltiges Finale hinausläuft.
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