Ein großer Roman über den so genannten Arabischen Frühling in Ägypten, Al-Aswani hat ein geniales Figurenensemble geschaffen, das die Seiten in dieser Revolution wunderbar abbildet, darunter auch die Instrumentalisierung des Antisemitismus. Cover Hanser Verlag, Bild mit Canva erstellt.
Ob jemand diesen Roman lesen kann, ohne bittere Wut zu empfinden? Jene bebende Wut, die aus dem Gefühl genährt wird, Ungerechtigkeit, Betrug und Verrat zu erleiden? Es mag seltsam erscheinen, wenn ein Leser aus dem – noch – ruhigen, demokratischen Deutschland so fühlt, wo es doch um den »Arabischen Frühling« in der ägyptischen Ausprägung geht.
Doch ist es für mich nur folgerichtig, denn mit dem Flammenmeer an Erhebungen in der arabischen Welt verbanden sich Hoffnungen. Keine allzu großen, zu oft schon war ich ferner Zeitzeuge, wenn irgendwo das Banner der Hoffnung wehte und alsbald in den Dreck fiel; oder gar der Sieg errungen zu sein schien und das Übel wieder aus verborgenen Löchern kroch.
Die Republik der Träumer ist in einem mitreißenden und zugleich oft nüchternen Tonfall verfasst. Alaa Al-Aswani hat äußerst geschickt ein vielfältiges Personenensemble zusammengestellt und in die aufgeheizte Lage vor der Revolution geschickt. Vom Geheimdienstchef über einen Ingenieur und Ex-Sozialisten bis hin zu den Studenten reicht die Palette, fast jeder mit seinen Widersprüchen, Sehnsüchten, Bedürfnissen und den daraus resultierenden Ängsten.
Ein Graben verläuft zwischen Alt und Jung. Die Älteren in diesem Roman sind zumeist etabliert, sei es in einem Leben geprägt von Reichtum und Macht, sei es in saturierter Armut und den Hoffnungen für den Nachwuchs. Die Jüngeren hingegen sind die Triebfeder des Aufruhrs, der Unruhe, oder sie lassen sich davon anstecken und mitreißen. Aber – die Fronten sind durchlässig.
Die Etablierten, vom autoritären Staat Hosni Mubaraks gepuderten Teilhaber an Ägyptens Reichtümern umgibt ein ganzer Strauß an Heuchelei, Bigotterie und Verlogenheit, mit der sie ihre Privilegien verteidigen. Die hilfreichen Lügen, Phrasen und haltlosen Plattitüden werden offen geäußert, Al-Aswani kontrastiert sie geschickt mit den Motiven der Jüngeren; er muss nicht kommentieren, es spricht alles für sich.
Der Leser findet bald seinen Platz in dem Spektakel, das gemächlich in Gang kommt, fast unmerklich hereinbricht und – wie so viele Revolutionen – fast aus dem Nichts zu kommen scheint. Was den Roman zu einem wirklich großen macht, ist die kunstvolle Gestaltung der mächtigen, klugen und geschickt handelnden Revolutionsgegner, was immens unangenehm ist, sich aber wohltuend vom naiven Hollywood-Film oder utopischen Bullerbüs á la Pantopia abhebt.
Jeder weiß, wie „es“ ausgegangen ist, wie der »Arabische Frühling« zermalmt, zerredet und im Nachhinein als naseweiser Revolutionsversuch dargestellt wurde, doch das „Wie“ hat in Die Republik der Träumer eine laute, mitreißende, hochspannende und aufwühlende Stimme erhalten. Apropos Stimme: Ich habe den Roman als Hörbuch gehört, Thorben Kessler liest großartig!
Ganz wunderbar passt dieser Roman zu der Revolution von 1848/49, die sich zum 175. Mal jährt, insbesondere in der europäischen Perspektive. Kein Geringerer als der weltbekannte Historiker Christopher Clark hat in seiner Monographie Frühling der Revolution explizit eine Brücke zum »Arabischen Frühling« geschlagen!
Alaa Al-Aswani: Die Republik der Träumer Aus dem Arabischen von Markus Lemke Hanser Verlag 2021 Fester Einband 464 Seiten ISBN 978-3-446-26749-7
Das wohl wichtigste politische Buch, das ich 2023 gelesen habe. Die Textsammlung bietet eine fabelhafte Möglichkeit, kompetenten Osteuropa-Kennern und vor allem -Bewohnern zuzuhören. Es gibt einen Menge zu lernen, gerade auch für den eigenen Standpunkt, die eigene Weltsicht. Cover edition fotoTAPETA, Bild mit Canva erstellt.
Das ganze Elend westlicher Gesinnungsethik und blinder Russophilie wird am Beitrag von Jens Herlth deutlich, der sich gegen einen pointierten Essay der ukrainischen Schriftstellerin Oksana Sabuschko zu russischer Literatur und Kriegsverbrechen richtet. Slawist Herlth unternimmt einen hilflosen Versuch, zu verteidigen, was nicht zu verteidigen ist.
In dem fabelhaften Sammelband »Alles ist teurer als ukrainisches Leben« gibt es – zum Glück – mehrere weitere Beiträge, die Herlth entschieden widersprechen und widerlegen. Das alles muss hier nicht wiederholt werden, stattdessen seien die Aspekte genannt, die am Beispiel eines Einzelnen zeigen, worauf der gesamte Band abzielt.
Bemerkenswert ist vor allem die Argumentationslinie Herlths, die ungewollt jene blinden Flecken offenbart, mit denen viele westliche Blicke gen Osten behaftet sind. Einmal nur gebraucht Herlth in seiner Replik das Wort »menschenverachtend«. Butscha? Folterlager? Kindesentführungen? Terrorangriffe? Vergewaltigungen? Die genozidale Propaganda des Putin-Regimes?
Keineswegs. Herlth empört sich darüber, dass für russländische Soldaten der Begriff »Ork« verwendet wird und – in den sozialen Medien, also keineswegs offiziell (!) – der Wunsch geäußert wird, die Invasoren mögen Dünger für ukrainische Felder werden. Wäre Slawist Herlth auf der Höhe der Zeit, wüsste er, dass selbst russische Regime- und Kriegskritiker ihr Land als »Mordor« bezeichnen.
Das ist in einer erschütternden Weise erbärmlich und bezeichnend: Herlth argumentiert »als ob«: Als ob Russland keinen Angriffskrieg führen würde; als ob es keinen Unterschied zwischen dem Angreifer und dem Angegriffenen gäbe; als ob die Herabwürdigung von Angriffskriegern gleichwertig mit deren verabscheuungswürdigen Verbrechen an Zivilisten und Kriegsgefangenen wäre.
Der moralische Kompass scheint bei Herlth ein wenig durcheinandergeraten, und wer die Welt so verzerrt betrachtet, gerät recht schnell selbst in Ork-Verdacht. Dabei gäbe es an der scharfen Attacke, die Sabuschko gegen die russische Literatur reitet, einiges zu besprechen, wie die Beiträge von Karlolina Kolpak & Aleksandra Konarzewska sowie Mathew Omolesky zeigen: Man müsste nur offen zuhören, statt schnappatmig zurückzukeifen.
Ukrainische Leben sind weniger wertvoll. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine ethische Wahl. (Kateryna Mishchenko)
Eine der wesentlichen, in diesem Band immer wiederkehrenden Fragen ist: Soll man trotz des russländischen Angriffskrieges noch russische Literatur lesen oder wegen ihrer imperialen DNA boykottieren? Recht einheitlich ist die Ablehnung, gemeinsam mit russländischen Künstlern aufzutreten, auch wenn sich diese gegen Putin aussprechen.
Das sorgt in kultur- und ausgleichsbeflissenen westlichen Kreisen für Naserümpfen, ein gutes Zeichen dafür, dass diese Kreise noch immer nicht begriffen haben. Auf die Frage, ob, was und wie man russische Literatur lesen sollte, gibt es vielfältige Antworten; tatsächlich spricht einiges dafür, vor allem ukrainische Literatur zu lesen, weil sie gut ist und es ein Akt kultureller Dekolonisation sein kann.
Damit ist das Feld bereitet: »Alles ist teurer als ukrainisches Leben« bietet dank der Fülle an Beiträgen eine Menge an Themen und Sichtweisen, über die man nachdenken kann, ja sollte, muss. Da wäre jener von Timothy Snyder, der sich mit der fehlgeleiteten, verheuchelten deutschen Erinnerungskultur auseinandersetzt, welche die Ukraine Hand in Hand mit (Sowjet-)Russland ausblendet.
Man reiste nach Moskau, um dort Absolution (und Erdgas) zu bekommen. (Timothy Snyder)
Noch wichtiger sind aus meiner Sicht jene wütenden, schonungslosen Auslassungen von Szczepan Twardoch, der gleich zweimal zu Wort kommt. Seine Zeilen sind nicht angenehm zu lesen, aber ungeheuer wichtig, denn für die im Westen Geborenen, die in der komfortablen Bequemlichkeit ihrer Wachstums-Demokratie aufgewachsen sind, ist es unangebracht, Osteuropa zu belehren.
Es geschieht dennoch, insbesondere mit Blick auf Russland. Twardoch beschreibt das sehr passend als paternalistisch-herablassend, was bereits vor dem 24. Februar 2022 zu dramatischen Verwerfungen in osteuropäischen Staaten geführt hat. Der Schock über den russländischen Angriffs- und Vernichtungskrieg war dort nicht so groß, weil man sich keinen grotesken Illusionen und Schönrednereien hingegeben hat.
Twardoch ist gnadenlos. Mit Vevre, aber keineswegs blindwütig zieht er in die Schlacht und unternimmt einen Streifzug durch die russländische Gewaltgeschichte. Dabei macht er auch nicht von Säulenheiligen á la Alexander Solschenizyn halt, der im Westen dank seines »Archipel Gulag« einen besonderen Ruf genießt und mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Liebe westeuropäische Intellektuelle: Ihr habe keine Ahnung von Russland. (Szczepan Twardoch)
Für Twardoch verbindet sich die Gräuel von Butscha mit dem Gesicht Solschenizyns und zwar mit dem des jungen Artilleriehauptmanns, der beim Einmarsch in Ostpreußen dabei gewesen war und – als kommandierender Offizier – zwar nicht an den Vergewaltigungen von Zivilistinnen teilnahm, aber diese eben auch nicht unterbunden hat.
Vor diesen »Befreiern« ist die halbwüchsige Großmutter Twardochs geflohen, der Großvater musste im Januar als desertierter Volkssturmler mit ansehen, wie der sowjetische NKWD wahllos Erschießungen vornahm. Davon zieht Twardoch eine Linie zur Gegenwart und stellt die Frage, was nach Putins Abgang geschehen werde. Tauwetter statt Morgethau-Plan, fürchtet er.
Klingt brutal? Wer Witold Jurasz’ Beitrag liest, in dem er schonungslos aufzeigt, wie die Hörigkeit gerade deutscher Eliten gegenüber Russlandmythen Europa zerstört, wird eines Besseren belehrt. Das Kind namens europäische Integration liegt tief im Brunnen und wenn man auf das kommunikative Desaster (!) um die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine schaut, versinkt es Tag für Tag weiter.
[…]eine Politik, deren Tenor von deutschen Politikern bestimmt wird, wie sie jahrelang Nord Stream 2 forcierten und Russlandprognosen trafen, von denen keine einzige eingetreten ist. Die Kompromittierung der deutschen Russlandpolitik ist leider kein Argument für, sondern gegen die vertiefte Integration. (Witold Jurasz)
Jurasz legt den Finger in die Wunde, wenn er die Doppelzüngigkeit und das fehlende Augenmaß von Menschenrechtlern kritisch beleuchtet. Diese übersehen russländische Verbrechen und gestatten Russland Rechte, die man »den Amerikanern niemals zugestanden hätte«. Völlig zurecht weißt er daraufhin, dass US-Journalisten für ihre Berichte über Menschenrechtsverletzungen nicht sterben, russländische von »Unbekannten« ermordet werden.
Aus »Alles ist teurer als ukrainisches Leben« lassen sich spektakuläre Ideen ziehen. Was soll mit der russischen Sprache in der Ukraine geschehen? Zunächst einmal sollte klar sein, dass die Ukraine zweisprachig ist, Gwendoly Sasse hat das »kontextabhängige Bilingualität« genannt. Russisch wird aus dem Alltag nicht komplett verschwinden. Oleksiy Radynski unterbreitet den Vorschlag, sie in Ostukrainisch umzubenennen, was aus unterschiedlichen Gründen eine Menge Charme hat.
Damit verbindet sich eine sehr weitgehende Idee, nämlich die russische Kultur zu dekonstruieren. Radynski meint damit, dass etwa deren »Pantheon« neu gestaltet gehört; statt ihn »Tolstojewski« zu überlassen, sollte man Schriftsteller wie Nikolaj Leskow aufnehmen, der eine ganz andere Perspektive in und aus Russland gibt.
Die russische Sprache gehört uns, wir geben sie Putin nicht her. (Oleksiy Radynski)
»Alles ist teurer als ukrainisches Leben«
Das ist ein schönes Beispiel dafür, auf welch’ eingedampften Niveau im Westen oft Diskussionen geführt werden – die Basis der Argumentation ist dünn, trotzdem werden weitreichende Aussagen getroffen. Dafür gibt es den Begriff des »Westplaining«, der von Aliaksei Kazharski beleuchtet wird. Es ist eben nicht ein geographischer Ausschluss von Meinungen, sondern bezüglich der fachlichen Kompetenz.
Auch in diesem Beitrag geht es differenziert zu, denn Kazharski erweitert »Westplaining« durch »Russosplaining« und »Ukrosplaining«. Der erste Begriff zeigt, wie fatal uninformiertes Urteilen sein kann, denn die russische Sicht vor dem Angriffskrieg projizierte Annahmen und Ideologien auf die Ukraine, wodurch der Blitzkrieg scheiterte.
Klar formulierte Kritik ist zugegebenermaßen unangenehm, doch wann ist es das nicht, wenn einem ein Spiegel vorgehalten wird? Dieser hier hat vielfältige Facetten und ist umso wertvoller. Am Ende nämlich, wenn alle Beiträge gelesen und reflektiert sind, bleibt die Erkenntnis, dass Oksana Sabuschko mit ihrer fulminanten Attacke vielleicht in der Wahl der Worte, doch nicht im Kern ihrer Aussage überzogen hat. Eine Neubewertung des imperialen Russland ist dringend nötig. Bis dahin heißt die Devise: Fack ju, Puschkin.
[Rezensionsexemplar]
»Alles ist teurer als ukrainisches Leben« Aleksandra Konarzewska, Schamma Schahadat, Nina Weller (Hrsg.) edition fotoTAPETA 2023 Broschur 272 Seiten ISBN: 978-3-949262-29-6
Die Hellsichtigkeit des Tagebuchschreibers Stresau ist frappierend, besonders, weil er seine Rückschlüsse auf der Basis von propagandatriefenden Presseberichten gezogen hat. Seine Äußerungen stellen einen Kontrapunkt zu dem dar, was an propagandistischem Getöse bis heute das Bild der Zeit prägt – etwa zur berühmt-berüchtigten Sportpalast-Rede von Joseph Goebbels im Februar 1943. Cover Klett-Cotta, Bild mit Canva erstellt.
Ist es mutig oder töricht, Adolf Hitler in einem Tagebuch als »Oberidioten« zu bezeichnen? Hermann Stresau hat das getan, am 31.01.1944, dem Jahrestag der so genannten »Machtergreifung«. Als ich diese Passage las, war ich froh, dass niemand die Aufzeichnungen vorzeitig in die Finger bekommen hat, das hätte fatale Folgen für Stresau gehabt. Uns Nachgeborenen wäre ein kleiner Schatz entgangen, denn nicht anderes sich die Tagebücher Als lebe man nur unter Vorbehalt.
Der Autor Hermann Stresau eignet sich nicht als Heldenfigur des Widerstands, wie etwa Sophie Scholl oder Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Er ist konservativ, wenn die Rede auf die Rolle der Frau (»Weiber«) kommt, muss der moderne Leser tapfer sein; seine Haltung zur Weimarer Republik ist bestenfalls kühl, mit der Parteiendemokratie kann er so wenig anfangen wie mit linken Schriftstellern und dem Vertrag von Versailles.
Und doch hat er 1933 den Kotau gegenüber dem Regime verweigert, erhebliche wirtschaftliche Einbußen inkauf genommen, um sich eine innere Distanz zu wahren gegenüber dem Nazi-Regime. Das ist die Voraussetzung für seinen scharfen, analytischen und oft hellsichtigen Blick auf die Dinge, die schon seine Tagebücher 1933 – 1939Von den Nazis trennt mich eine Welt auszeichnen. Den Kriegsausbruch 1939 hat er wenigstens befürchtet und doch ist er wie ein Hammerschlag auf ihn niedergegangen.
Morgens müssen wir uns eine Zentnerlast vom Herzen schieben, um aufstehen zu können. Wir erheben uns sonst immer frisch und munter um 6 Uhr, selten später, aber jetzt ist’s das Gegenteil: ein furchtbares Gefühl nach dem Erwachen, ein unbeschreibliches Grauen, ein Alpdruck, man möchte die Welt verfluchen. 05.09.1939
Herrmann Stresau: Als lebe man nur unter Vorbehalt
Das bleibt der Grundtenor während der kommenden fünfeinhalb Jahre, bis das so genannte »Dritte Reich« im Mai 1945 in Schutt und Asche gesunken war und Millionen elendig verreckt, vertrieben oder versehrt waren. Selbst während der Phase, in der die Wehrmacht Sieg an Sieg reihte und auch Stresau mit einer militärischen Eroberung Englands oder der Niederwerfung der UdSSR rechnete, hat er sich von der Siegespropaganda nie anstecken lassen.
Das gehört zu den – ja – Ungeheuerlichkeiten der Tagebucheinträgen. Stresau hat von Anfang an gewusst, dass die USA (»Amerika«) den Ausschlag geben würde und ihm war klar, dass die Entscheidung nicht auf dem Schlachtfeld, sondern danach fallen würde. Frieden gibt es durch Verhandlungen – wohlgemerkt nach der militärischen Entscheidung – und er hat der Reichsführung um Adolf Hitler schlicht und ergreifend die Fähigkeit dazu abgesprochen.
Stresau hat sich von den militärischen Erfolgen beeindrucken, aber nicht blenden lassen; seine Erwartungen an die Wehrmacht waren zu hoch, aber selbst die höchsten Regierungsstellen in England (und den USA) haben es den deutschen Truppen zugetraut, die UdSSR niederzuwerfen und auch deshalb massive Unterstützung geliefert, ohne die die Rote Armee in noch größere Schwierigkeiten geraten wäre. Stresau befand sich also in guter Gesellschaft.
Es ist absolut faszinierend zu lesen, dass jemand derart unabhängig und zutreffende Einschätzungen treffen kann, wenn ihm nur das Propaganda-Geklingel der gleichgeschalteten Presse zur Verfügung steht. Der Schlüssel liegt im Nachdenken über das Geschriebene und Verschwiegene. Wenn berichtet wurde, dass sechzig feindliche Flieger abgeschossen wurden, hat Stresau daraus geschlossen, dass die Zahl der angreifenden Flugzeuge entsprechend hoch sein musste und auf dieser Basis auf die immense, ja übermächtige Leistungsfähigkeit der gegnerischen Wirtschaft rückgeschlossen. Hieß es im Wehrmachtsbericht »planmäßig«, übersetzte er das mit Verlangsamung, Stockung oder Stillstand der Vormarsches.
Lesen allein macht nicht klug, Nachdenken macht klug. Das zeigt sich auch an einer anderen Bemerkung, anlässlich der Feststellung Stresaus, die Zeitungsberichte und Haltung der Zeitgenossen wären unangemessen oberflächlich und unbekümmert. Der Tagebuchschreiber zeigt sich bestürzt darüber, wie Zivilisten begeistert über versenkte Schiffe nach Bombentreffern reden.
Aber wenn man sich da so in Norwegen vorstellt: ein Truppentransporter auf hoher See von schwersten Bombenkalibern getroffen, in Brand geraten, und man denkt an die Scenen, die sich dabei abspielen, und sieht dazu die vergnügten Gesichter auf der Straße – dann merkt man, in welcher Unwirklichkeit der Durchschnittsmensch lebt […], ohne zu spüren, daß dies alles des Teufels ist und vielleicht in einem allgemeinen Grauen enden wird. 30.04.1940
Herrmann Stresau: Als lebe man nur unter Vorbehalt
Der alltäglichen Propaganda begegnet Stresau mit beißendem Spott, insbesondere den wissenschaftlich haarsträubenden, von den Nationalsozialisten zusammenphantasierten Germanenkult nimmt er genüsslich aufs Korn. Er würde gern wissen, warum alle kurze Haare trügen, denn als »alte Germanen müßten wir freien deutschen Männer nicht nur den Hut abnehmen, sondern auch die entsprechenden Locken ums arische Antlitz flattern lassen.«
Doch gibt es noch eine andere Ebene, die Stresaus Tagebücher wertvoll machen. Am 18. Februar 1943 hielt Joseph Goebbels im Sportpalast zu Berlin jene berühmte Rede, in der er die Frage in den Saal rief: »Wollt ihr den totalen Krieg?« Der Saal echote stürmische Begeisterung, man kann es sich auf Youtube heute noch ansehen – die Propaganda (!), die bis heute unser Bild prägt.
Stresau charakterisiert ähnliche Reden als »fiebrig« und konstatiert nüchtern: »Im Volk doch starke Beunruhigung zu bemerken.« Dieser kühle Kontrapunkt ist gar nicht zu überschätzen. Éric Vuillard hat in seiner mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten SchriftDie Tagesordnungnachdrücklich darauf verwiesen, wie sehr die Gegenwart von Propaganda-Bildern aus der NS-Zeit geprägt ist – ein giftiger Nachhall der Vergangenheit. Stresaus klärende Worte bilden eine Art Gegengift dazu.
Ich wünsche nicht, daß wir den Krieg verlieren. Ich wünsche eher, daß wir ihn gewinnen, uns jedenfalls behaupten, und uns unsere verrückt gewordenen Führerbande entledigen. 29.5.43
Herrmann Stresau: Als lebe man nur unter Vorbehalt
Natürlich ist Stresau auch Kind seiner Zeit. Dem Rassenwahn der »Nasolisten« steht er ablehnend gegenüber, die »Rasse« ist für ihn aber eine gewöhnliche Denkkategorie. Man stehe mit Artverwandten (England und Amerika) im Krieg, während die Verbündeten (Italiener, Japaner) einem so fremd wären. Wenn sich Stresau über Juden abfällig äußert, dann nicht wegen der »Rasse«, sondern weil ihm an einer Einzelperson etwas Konkretes missfällt, etwa Stefan Zweigs Essay über Hölderlin.
Der nächste große Schock ist der Überfall auf die Sowjetunion, in mehrfacher Hinsicht. Der »Alpdruck« der sich anbahnenden Niederlage, weil Deutschland »alles über den Kopf wachsen« werde, weicht bis Kriegsende nicht, allen zwischenzeitlichen Erfolgen zum Trotz. Wie betäubt sei man, angesichts des ins Endlose sich dehnenden, den ganzen Erdball umspannenden Krieges, der nicht – wie von Hitler behauptet – 1941 enden werde, sondern »nach 10 Jahren vielleicht.«
Von den Kriegsverbrechen, dem Genozid, dem sich anbahnenden Holocaust und dem drakonischen Gebahren in den besetzen Gebieten weiß Stresau recht früh. Interessant sind seine Quellen. Ein Arzt berichtet ihm von einem Offizier, der wegen »Kopfschmerzen« behandelt werden will. Es stellt sich heraus: Dieser Offizier hat mehr als 800 Zivilisten, Frauen und Kinder erschossen – das halte er nicht mehr aus. Stresau weiß obendrein um den Hunger der ausgeplünderten Gebiete (auch im Westen), um die »renitente« Bevölkerung und die »Widerspenstigkeit der Besiegten« überall.
Die ›Freiheit‹, die wir bringen, wäre ihnen alles andere als erwünscht.« 6.7.41
Herrmann Stresau: Als lebe man nur unter Vorbehalt
Spektakulär sind die Schlussfolgerungen, die Stresau daraus zieht, die wichtigste: Der Krieg ist nicht zu gewinnen. Anders als jene Zeitgenossen, die sich von den militärischen Erfolgen in dieser Zeit haben blenden lassen, wusste der Tagebuchschreiber ganz genau, dass selbst bei einem umfassenden Sieg der Wehrmacht der Krieg noch lange nicht siegreich beendet werden könnte – ein Frieden erschien ihm völlig unmöglich.
Doch selbst die militärischen Aussichten beurteilt er nüchtern. Angesichts der größten Kesselschlacht an der Ostfront mit gewaltigen Verlusten für den Gegner macht er eine einfache Rechnung auf: Die Rote Armee habe vier Millionen Mann verloren, blieben noch sechszehn Millionen, die Industrie wäre hinter dem Ural, und die Versenkung alliierter Handelsschiffe im Nordmeer bedeute eine auf massive materielle Unterstützung für die UdSSR. Mit einem Wort: militärisch sei noch lange nichts gewonnen.
Es ist angesichts der Traumtänzerei in den hohen Stäben von Militär und Verwaltung, der braunen Partei und ihren Organisationen, der Presse und Wirtschaft geradezu bestürzend, wie ein Einzelner auf der Basis kümmerlicher, propagandatriefender Informationen durch kluges Nachdenken realitätsnahe Schlussfolgerungen zieht. Vor allem ist ihm klar, dass ein »Sieg« keineswegs glanzvoll ausfallen würde, im Gegenteil.
Grete und ich waren heute zwei Juden begegnet, mit ›Sternchen‹, und hatten uns schämen müssen. Darauf die Frage: wozu das alles, Kriege, Staaten usw., dieser ganze furchtbare Unsinn, wenn das zu nichts führt als solchen Lumpereien. 19.10.41
Was diesem Krieg zur Zeit eine besondere Note gibt, sind die systematischen Judendeportationen mit dem ausgesprochenen Zweck der Vernichtung der Unglücklichen. 18.11.41
Herrmann Stresau: Als lebe man nur unter Vorbehalt
Nach der Niederlage bei Stalingrad verändert sich alles. Die Stimmung in der Bevölkerung sinkt drastisch, die Versorgungslage wird schlechter, die Vernichtung der deutschen Städte durch den Bombenkrieg schreitet immer schneller voran, während die gesamte Bevölkerung begleitet von fanatischen Worten in den Dienst des längst verlorenen Krieges gepresst wird.
Stresau muss zwangsweise in einer Fabrik arbeiten. Seine Beobachtungen und Betrachtungen sind erhellend, denn auch hier klaffen Propaganda und Wirklichkeit weit auseinander. Die Produktion leidet unter vielerlei Dingen, Chaos, Materialmangel, unqualifizierten Arbeitern, dem Auftreten des Sicherheitspersonals, das die ausländischen Arbeiter drangsaliert, und den ständigen Alarmen, die jede Nachtruhe über Monate und Jahre unmöglich machen.
Man müsse gar keine Sabotage üben, konzediert der Tagebuchautor, das erledige sich ganz von allein. Doch ist Stresau keineswegs zum Spott zumute, er ist innerlich zerrissen zwischen dem Wunsch, das Desaster möge sich noch abwenden lassen und der Einsicht, dass Deutschland und Europa immer weiter in den Abgrund rutschen. Für eine Zukunft nach dem Kriegsende sieht er schwarz, rechnet mit Jahrzehnten bitterer Lebensverhältnisse.
Ein besonderer Wert der Tagebücher liegt darin, dass sie zeigen, wie sehr sich der Krieg in den Alltag hineindrängt, während sich die Menschen bemühen, ihn zu verdrängen. Die Fluchten sind vielfältig, Literatur, Musik, Gespräche, abendliche Runden mit kulturellen Gesprächen, Affären, Alkohol bieten immer wieder eine Möglichkeit, dem alltäglichen Grauen zu entfliehen, ohne ihm zu entkommen.
Manche Schilderung aus den letzten Kriegsmonaten ist haarsträubend, etwa von Göttingen aus den Rauchturm der im März 1945 zerstörten Stadt Hildesheim zu beobachten: eine »riesige Rauchwolke, wie von einem Vulkan«. Nach der Befreiung Tage später folgen peu á peu die Nachrichten von den NS-Gräueltaten, noch nicht von der Massenvernichtung im Osten, sondern aus dem KZ Sachsenhausen. Diese sind so schauerlich, dass selbst ein kluger, aufmerksamer Beobachter wie Hermann Stresau notiert: »Kaum glaublich, aber es muß wahr sein.«
Der erste Satz in Koestlers großem Historischen Roman ist genial, kurz und im wörtlichen wie übertragenen Sinne wunderschön. Cover Elsinor-Verlag, Bild mit Canva erstellt.
Es sind die großen Fragen, die Arthur Koestler in seinem Roman Der Sklavenkrieg stellt. Warum handelt der Mensch gegen seine eigenen Interessen? Zu Beginn der Revolte schließen sich die Sklaven und Entrechteten der Sklavenarmee unter Spartakus an, machen mit ihnen gemeinsame Sache – doch in Capua (ausgerechnet!) stehen die Versklavten bewaffnet auf den Mauern und verteidigen ihre Herren und Besitzer. Warum tun sie das?
Koestlers Roman Der Sklavenkrieg liefert keine mundgerechten Antworten, kein romantisierendes, verschlichtendes Feuerwerk an Plattitüden und Phrasen, wie es in vielen breitenwirksamen historischen Romanen und Hollywood-Filmen gezündet wird. Dabei ist die Handlung, der sich Koestler angenommen hat, unbedingt eine tolle Vorlage für Hollywood, wie die berühmte Verfilmung Spartakus mit Kirk Douglas beweist. Und Der Sklavenkrieg ist vor allem ein Roman, keine philosophische Abhandlung oder Essay.
Mit einer einfachen Erzählung der Ereignisse lässt der Autor den Leser aber nicht davonkommen, ohne der Spannung die Spitze zu nehmen oder gar in historisch-erklärende Langeweile abzugleiten. Natürlich weiß jeder Leser von Beginn an, dass der große Aufstand der Sklaven unter der von Legenden umwobenen Heldenfigur Spartakus am Ende blutig gescheitert ist; wer hat nicht von dem grausamen Schicksal der Überlebenden gehört?
»Es ist kein Vergnügen, von Rom gerettet zu werden.«
Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg
Das Römische Reich ist eine Sklavenhaltergesellschaft gewesen, vor allem Kriegsgefangene und Verschleppte aus bekriegten und eroberten Gebieten fanden sich in Ketten wieder. Die Behandlung der Versklavten war – wie zu jeder anderen Zeit – unterschiedlich, von grausamst Misshandelten und Ausgebeuteten bis hin zum intellektuellen Anhängsel und Erzieher reichte die Bandbreite. Gemeinsam war allen die Unfreiheit und die fürchterliche Bestrafung im Falle einer Flucht oder Teilnahme an einem Aufstand.
Neben einer Unzahl an kleineren Widerstandsaktionen gab es innerhalb weniger Jahrzehnte gleich drei große Erhebungen von Versklavten in Italien respektive Sizilien, die allesamt zu verheerenden Auseinandersetzungen, ja regelrechten Feldzügen und Schlachten führten. Der berühmteste Aufstand ist der des Spartakus, auch gegen ihn mussten kriegsstarke Legionen eingesetzt werden, bis die »Ordnung« wiederhergestellt wurde. Diejenigen, die nicht auf dem Schlachtfeld starben, wurden hingerichtet – so auch in Der Sklavenkrieg.
Koestler schildert das gruselige Schauspiel gekonnt, er lässt einige der Handelnden die Strafe erleiden und den Leser mitleiden; gleichzeitig aber bettet er es ein in die politisch-strategischen Überlegungen und Absichten des Römers Crassus (Carrhae), auf den dieses fürchterliche Schauspiel zurückgeht. Wenig bis gar nichts zählt das einzelne Leben in der überwältigenden Maschinerie der Macht, die aber von den Händen Einzelner gelenkt wird.
Der Sklavenkrieg ist aus der Sicht vieler Zeitgenossen erzählt, Koestler wechselt munter die Perspektive und lässt vor den Augen des Lesers ein vielfältiges Bild entstehen. Die Handelnden verfolgen ihre eigenen Interessen und Absichten, es gibt eine Vielzahl von einander überlagernden Konflikten, selbstverständlich auch innerhalb der immer weiter wachsenden Sklavenarmee, aber auch unter ihren Gegnern.
»Klar und gerade waren nur die Wege der Gewalt.«
Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg
Die aufständische Armee ist alles andere als »gut«, Koestler übergeht nicht das fürchterliche Schicksal, das jene Orte ereilt, die anfangs auf der Route dieses Heerhaufens liegen. Zu den besonderen Szenen gehört jene, in der Bewohner einer dieser Städte trotz der heranwalzenden Gefahr und der sich abzeichnenden inneren Unruhen (die Sklaven der Stadt werden von Aufrührern unterwandert) völlig weltfremd und naiv reagieren und auf grausame Weise mit dem Leben bezahlen.
Die Gegenspieler der Sklavenarmee lernen und passen ihre Strategie an – es kommt zu jener erwähnten gespenstischen Szene, da bewaffnete Sklaven die Mauern einer Stadt gegen ihre heranrückenden Schicksalsgenossen erheben und ihre Herren und Unterdrücker verteidigen! Hier stellt sich die eingangs genannte Frage, weitere drängen sich auf. Warum münden Revolutionen scheinbar zwangsweise in Gewaltorgien? Warum werden sie so einfach usurpiert und zur Etablierung einer Tyrannei genutzt ?
Arthur Koestler hat diesen Roman Mitte der 1930er Jahre begonnen, als Europa von zwei einander abgrundtief hassenden, gleichzeitig aber in gewissen Strukturelementen und vor allem brutalster Menschenverachtung handelnden Regimen unterjocht wurde: dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus. Koestler war Kommunist, später fiel er angesichts der unfassbar brutalen Herrschaft Stalins ab und wendete sich entschieden gegen den real existierenden Kommunismus.
Der Sklavenkrieg kann als ein Echo auf das Zeitgeschehen gelesen werden, er stellt auch eine Auseinandersetzung mit dem dar, was Koestler (deutscher Exilant und entzauberter Kommunist) selbst erlebt. Er ist übrigens nicht der einzige Romancier, der sich in dieser Lage einen historischen Stoff sucht, um sich mit gegenwärtigen Fragen auseinanderzusetzen; Heinrich Mann hat nicht grundlos in den 1930ern sein monumentales Werk um Henri Quatre vollendet.
Ein zentrales Roman-Motiv ist das »Gesetz des Umweges«. Wenn eine Revolution oder ein Aufstand dieses Gesetz missachtet und den direkten Weg wählt, drohen Blutbad und Untergang. Koestler lässt seine aufständischen Sklaven auf einen – fiktiven – Umweg ziehen und eine utopische »Sonnenstadt« gründen; die aber hat mit dem Paradies auf Erden wenig zu tun, man assoziiert eher Cromwells unerbittliche Puritaner und natürlich das Paradies der Arbeitslager, die stalinistische Sowjetunion.
»Aber die Stadt, der Sonnenstaat, blieb allein.«
Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg
Auch der Umweg führt in diesem Fall in den Abgrund. Spartakus verändert sich, wird zum Alleinherrscher, entfremdet sich und regiert mit drakonischer Härte. Wichtiger aber ist, dass jenes Lebensexperiment namens »Sonnenstadt« einerseits ohne Mitstreiter und Nachahmer in der übrigen Welt bleibt, zugleich mit dem Rest dieser Welt verbunden ist; verändert sich die allgemeine Tektonik der Macht, ist auch die »Sonnenstadt« davon betroffen, wie Spartakus und die Seinen schmerzlich erfahren müssen.
Der Sklavenkrieg von Arthur Koestler ist ein überwältigender Roman, der den Leser dank der wendungsreichen Ereignisse und des Tiefgangs der Handlung fesselt, während das Geschehen auf sein tragisches Ende zusteuert. Man schaut in tiefe, dunkle Schluchten und spürt das verlockende Blau, das unerreichbar in der Höhe strahlt, die Verheißung einer besseren Welt. Unten aber steht der Mensch in seiner Widersprüchlichkeit und findet nicht aus seiner Haut heraus.
Der Roman selbst ist in gewisser Hinsicht dem »Gesetz des Umweges« gefolgt, bis er in dieser Form publiziert werden konnte. Das Originalmanuskript galt als verloren, die Veröffentlichung in weitere Sprachen geschah auf der Basis der Übersetzung ins Englische und einer Rückübersetzung ins Deutsche (Die Gladiatoren). Das Originalmanuskript schlummerte derweil in der Sowjetunion unter den misstrauischen Augen des KGB, ehe es nach weiteren Windungen und Wendungen veröffentlicht wurde.
[Rezensionsexemplar]
Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg Elsinor 2021 Hardcover 392 Seiten SBN 978-3-942788-60-1
Hedy Lamarr, geborene Kiesler, ist eine faszinierende Person, deren Spuren die amerikanische Schiftstellerin in ihrem Roman folgt. Cover KiWi, Bild mit Canva erstellt.
Hedy Lamarr ist eine faszinierende Persönlichkeit. Schönheit und hohe Intelligenz, ein bewegtes Leben voller Brüche, Rückschläge und Erfolge, umflort von Tragik – es gibt eine Reihe von Gründen, sie aus dem Schatten treten zu lassen. Vor Jahren habe ich einmal eine Dokumentation gesehen, die den sehr treffenden Titel »Geniale Göttin« trug; entsprechend gespannt war ich darauf, wie die Schriftstellerin Marie Benedict versucht, sich ihr zu nähern.
Der Roman Die einzige Frau im Raum stellte die solitäre Erscheinung Hedy Kieslers, wie die Protagonisten bürgerlich hieß, schön heraus. Als die Handlung einsetzt, ist Hedy Schauspielerin und verkörpert auf der Bühne Elisabeth von Österreich, Sissy. Sie hat bereits einen skandalumwitterten Film (»Ekstase«) gedreht, die Nacktszenen darin werden für Hedy zu einem Problem.
Zunächst erzählt der Roman, wie die schöne, kluge und selbstbewusste Hedy in die Ehe mit einem mächtigen Verehrer hineingerät, der sie mit Übermaß umwirbt und den Eindruck erweckt, er würde sie als Person, ihre Eigenständigkeit respektieren. Ein folgenschwerer Irrtum, wie sich herausstellt, denn die Ehe erweist sich als Falle.
Etwas bemüht wirkt, dass die Heirat auch eine Art Schutzschild gegen mögliche Repressalien sein soll, vor denen sich Hedys Familie wegen ihrer jüdischen Herkunft fürchtet. Das ist durchaus schade, denn gerade die historisch-politischen Hintergründe, mit denen das Leben der Protagonistin wegen der rührigen Tätigkeiten ihres Mannes (Waffenhändler, Mussolini-Vertrauter) verwoben ist, sind sehr interessant.
Richtig in Fahrt kommt Die einzige Frau im Raum, als Hedy in den USA ankommt und ihre Karriere als Schauspielerin fortsetzt. Die Erfahrungen, die sie macht, wirken einerseits wie ein anachronistisches Echo auf MeToo, andererseits entlarven sie die völlige Missachtung von Frauen ihres Formats außerhalb ihres Erscheinungsbildes. Das vorletzte Kapitel lässt wohl jeden Leser mit einer gewissen Fassungslosigkeit zurück.
Kritisch ist allerdings die Wahl der Perspektive, denn trotz der Ich-Erzählhaltung bleibt das Buch recht distanziert. Dagegen ist grundsätzlich überhaupt nichts einzuwenden, wenn eine passende Erzählform gewählt wird; so entsteht gerade im ersten Teil manchmal Eindruck einer formel- und phrasenhaften Oberflächlichkeit. Es ist eine Sache, die Hauptperson von sich behaupten zu lassen, sie wäre stark, eigenständig und klug, eine ganz andere, es zu zeigen – wie es im zweiten Teil auch geschieht.
Trotz dieses Mankos ist Die einzige Frau im Raum lesenswert, wann hat schon eine Film-Diva eine Hochleistungs-Waffentechnologie entwickelt und gleichzeitig die bornierte Engstirnigkeit einer von Männern dominierten Welt entlarvt?
[Rezensionsexemplar]
Marie Benedict: Die einzige Frau im Raum Aus dem Englischen von Marieke Heimburger KiWi-Paperback 2023 Paperback 304 Seiten ISBN: 978-3-462-00492-2
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