Schriftsteller - Buchblogger

Schlagwort: Kurzrezension

Tanja Maljartschuk: Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus

Essays aus den Jahren 2014 bis 2022, die dem Leser die Ukraine unter dem Eindruck der russischen Aggression näherbringen. Cover Kiwi, Bild mit Canva erstellt.

Essays gehören nicht zu meinen Lieblingstexten. Könnte ich behaupten, denn in meinem Bücherregal steht kein einziges Buch mit Essays. Dennoch ist das die Unwahrheit oder sagen wir: die halbe, denn ich lese seit Jahrzehnten mit einiger Regelmäßigkeit Versuche über irgendetwas. Überregionale Tageszeitungen und Wochenblätter haben im Feuilleton, manchmal auch im Wirtschaftsteil essayistische Texte, die ich wirklich gern und oft mit Gewinn lese.

Aber als Buch?

Der Angriffs- und Vernichtungskrieg von Putins Russland gegen die Ukraine hat dieses Land in den Fokus gerückt. Da ich schon seit zwei Jahrzehnten der Meinung bin, dieser Staat gehöre – anders als Russland – zu Europa, in die EU und Nato, und die politische Entwicklung verfolgt habe, lag es nahe, zum Jahrestag des Großangriffs etwas zu lesen. Romane aus der Ukraine kenne ich ein paar, um etwas anderes kennenzulernen, habe ich zu diesem Essay-Band (und einem Kriegs- und Fluchttagebuch) gegriffen.

Frieden ist eine Vorahnung der Katastrophe, nichts mehr.

Tanja Maljartschuk: Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus

Der Essayband versammelt eine Reihe recht kurzer Beiträge aus den Jahren 2014 bis 2022. Sie sind sehr persönlich gehalten und bringen dem Leser die Ukraine und ihre Menschen nahe. Das ist keine besonders angenehme Lektüre, sie ist von Tragik umwittert. Mich erinnert das etwas an Irland und vor allem an Kurdistan, ein Volk, das einfach negiert und umgedeutet wird, um ihm die Berechtigung einer Nation zu nehmen.

Die Essays reichen oft in das zwanzigste Jahrhundert und weiter zurück; Russland hat seit jeher blutige Kriege und Vernichtungsfeldzüge geführt, den unendlichen Grausamkeiten des Holodomor folgte der deutsche Vernichtungskrieg, ein langer Partisanen-Kampf nach 1945 gegen die Sowjets und schließlich eine Republik, die formal unabhängig, strukturell und mental sowjetische war. Wen wundert es, dass die Essays wenig Sonnenlicht bieten?

»Das Schlimmste am Kommunismus war ebendieser Zwang (oder die besten Bedingungen dafür) gewissenlos, ehrlos zu sein. Wer das nicht konnte, büßte schwer.«

Tanja Maljartschuk: Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus

Interessant ist, dass Nahebringen in diesem Fall eine verstärkte Fremdheit bedeutet. Die Lebenswelt und -wirklichkeit, die Maljartschuk in ihren Texten zum Leben erweckt, unterscheidet sich krass von dem, was man im gemütlich-demokratisch-freien Westen erlebt hat. Manche Sätze sind wie ein Beilschlag für antikapitalistische Träumer und (un-)heimliche Schwenker des Sowjetbanners.

Danach geht es weiter – man atmet aus.

Tanja Maljartschuk: Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus
Kiwi 2022
HC 176 Seiten
ISBN: 978-3-462-00462-5

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit

Lesenswerter Roman, inhaltlich nicht in meiner Komfortzone. Cover diogenes, Bild mit Canva erstellt.

Der Autor Benedict Wells ist für mich ein spezieller Fall. Zwei- oder drei Mal habe ich einen Roman von ihm begonnen, einer davon war Becks letzter Sommer, den ich nach wenigen Seiten abgebrochen habe. Der Autor erschien bereits verbrannt. Trotzdem habe ich wegen Empfehlungen von mir geschätzter Blogs weitere Anläufe unternommen – erfolglos.

Der Roman Vom Ende der Einsamkeit ist mir so dringend nahegelegt worden, dass es mir nachgehangen hätte, wäre ich dem nicht nachgekommen. Es hat sich durchaus gelohnt, auch wenn der der Stoff ein gutes Stück außerhalb meiner Komfortzone liegt. Was mir besonders gut gefallen hat, ist der Schreibstil, denn Wells erzählt.

Unaufgeregt lässt er den Ich-Erzähler Jules von seinem Schicksalsweg berichten. Der hat es in sich, es ist eine lange Suche nach sich selbst, bei der er durch ein tiefes Tal gehen muss. Die Unbilden des Internatslebens, eine schier endlose, vergebliche Liebe, Orientierungslosigkeit und Scheintätigkeiten aus Schuldgefühlen, gefolgt von einer viel zu knappen Phase des Glücks – Jules wird vom Leben durch die Mangel gedreht.

Er und seine beiden Geschwister bilden ein Spannungsdreieck, völlig voneinander verschieden und doch einander verbunden, ziehen sie durch ihre Leben, die trotz aller Unterschiede geprägt sind von dem frühen, tragischen Tod ihrer Eltern. Wie ein dunkler Schatten liegt das Ereignis über ihnen, auch wenn er augenscheinlich zu verblassen scheint.

Das Trio schreitet auf sehr unterschiedlichen Wegen durchs Leben und findet immer wieder zueinander. Manche Passagen wirken etwas redundant und lassen den Leser ratlos zurück, einige Motive sind allbekannt und die ganze Geschichte wirkt ab einem gewissen Punkt ein wenig konstruiert, doch darüber kann man getrost und flott hinweglesen.

Da der Roman inhaltlich jenseits meines literarischen Tellerands liegt, verweise ich gern auf weitere Rezensionen: positiv bei Buchhaltung, Zeilentänzer; offenherzig kritisch: Literaturreich.

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit
Taschenbuch 368 Seiten
Diogenes 2018
ISBN: 978-3-257-24444-1

James Baldwin: Von dieser Welt

Der Roman eines »wiederentdeckten« Autors hat mich in die befremdliche Welt ostentativen Glaubens geführt. Er thematisiert abe rauch den endlosen Rassismus in den USA. Cover dtv, Bild mit Canva erstellt.

Mit diesem Roman aus der Feder des jüngst wieder »entdeckten« Autors James Baldwin reist der Leser in das Harlem der 1930er Jahre. Die Hauptfigur, ein kluger, unsicherer Heranwachsender namens John, lebt im Schatten seines sich überaus fromm gebenden, gewalttätigen und die Familie beherrschenden Vaters, mit dem er sich in einem dauerhaften Konflikt befindet.

Baldwins Sprache und Fabulierkunst sind beeindruckend, auch in der deutschen Übersetzung. Bemerkenswert und oft beklemmend sind die Passagen über die Kirche und die ostentativ zu Schau getragene Frömmigkeit, die wie ein zu eng geschnürtes Korsett im Leben der Gläubigen wirkt. Ein menschliches Schwein bleibt auch dann ein Schwein, auch wenn es inbrünstig den Herrn anruft.

Nach einer Bluttat versammeln sich die Familienmitglieder zum Gottesdienst. Baldwin widmet einigen von ihnen einen langen, persönlichen Abschnitt, den er mit »Gebet« überschreibt, Gedanken voller Erinnerungen und Assoziationen. Ihr Weg, den sie zu diesem Moment zurückgelegt haben, wird erzählt. Jeder hat seine Geschichte, die erklärt, woraus die haarsträubenden (Miss-)Handlungen der Mitmenschen, oft begangen im Namen des »Herrn«, herrühren. 

Natürlich spielt auch die Hautfarbe eine Rolle, Rassismus, wie er bis in die Gegenwart nicht wesentlich besser geworden ist, schlägt den Schwarzen entgegen, was wiederum in psychischer und physischer Gewalt gegenüber den eigenen Leuten münden kann. Ein wenig hat mich Von dieser Welt das an Die Farbe Lila erinnert, jene saufenden, hurenden Tunichtgute, die den Druck der weißen Gesellschaft an ihre Frauen und Kinder weitergaben.

Ein lesenswerter Roman, der zum Glück nichts verschweigt, eben auch nicht, wenn die Schwarzen einander als »Nigger« bezeichnen, verhöhnend, verspottend oder einfach nur achtlos hingeworfen. Manche Abschnitte, in denen Baldwin wortmächtig die religiöse Verzückung seiner Protagonisten nachzeichnet, empfand ich schwer erträglich, denn mein beherrschender Gedanke war, dass auf diese Weise fanatische Gotteskrieger geboren werden.

James Baldwin: Von dieser Welt
aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow
dtv 2018
Taschenbuch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-423-43413-3

Steffen Kopetzky: Monschau

Der Roman Monschau spielt im gleichnamigen Ort während einer Pocken-Epidemie Anfang der 1960er Jahre. Vom Cover (Rowohlt) sollte man sich nicht abschrecken lassen, vom Thema auch nicht. Bild mit Canva erstellt.

Zu Beginn ein kleines Geständnis: Fast hätte ich diesen Roman nicht gehört, obwohl ich den Autor ebenso schätze wie den Vortag Johann von Bülows, denn das Cover finde ich einigermaßen schrecklich. Da Monschau auch von einer Epidemie in den frühen 1960er Jahren erzählt, war die Motivation noch einmal getrübt: Corona sei dank.

Dennoch hat Monschau Qualitäten, die den Roman lesenswert machen. Steffen Kopetzky hat die Geschichte eben nicht auf den reinen Umgang mit einer Epidemie beschränkt, sondern fröhlich mäandern lassen. Wie könnte es bei einem Anfang der 1960er Jahre spielenden Roman anders sein – es geht auch um den Zweiten Weltkrieg.

Der Ort Monschau liegt passenderweise nahe des Hürtgenwaldes, der in Kopetzkys Roman Propaganda eine ganz besondere Rolle spielt – mehrere Echos davon grollen auch durch diesen Roman. Aufgegriffen wird aber auch die Rolle großer Konzerne gegenüber Zwangsarbeitern oder die Besatzung Kretas.

Kopetzky berührt eine ganze Reihe von Themen, an manchen Stellen sind es für meinen Geschmack  zu viele. Ein weiterer Kritikpunkt ist die bisweilen etwas zu blumige Sprache, die gemeinsam mit der Vielfalt der Motive hemmend auf den Erzählfluss wirkt und anstrengt.

Positiv bleibt bei mir definitiv die Behandlung einer Epidemie, dem zentralen Thema des Romans – trotz Corona. Vieles entspricht dem, was seit 2020 über die ganze Welt hereingebrochen ist, mit seinen menschlichen Schattenseiten, die Kopetzky gelungen vorführt. Bei mir führte das nicht zum Überdruss, sondern zu einer unterhaltsamen Entlastung.

Steffen Kopetzky: Monschau
Taschenbuch
352 Seiten
Rowohlt
2022
ISBN: 978-3-499-00567-1

Hernan Diaz: Treue

Nicht überzeugend: Hernan Diaz – Treue. Bild mit Canva erstellt, Cover Hanser Berlin.

Eigentlich hat der Roman alle Zutaten, die ihn zu einem für mich interessanten und guten machen könnten. Beeindruckend ist die großartige Sprache, die stilistisch und strukturell gekonnt voneinander abgegrenzten Perspektiven, die Treue von Hernan Diaz ein hohes literarisches Niveau verleihen und für überraschende Wendungen sorgen, schließlich auch die Konstellation und Zeitumstände.

Trotzdem konnte mich der Roman nicht überzeugen. Schon im ersten Teil habe ich mich vom Inhalt immer stärker distanziert und die Erzählung ab einem gewissen Punkt ohne sonderliche Bindung verfolgt. Der wesentliche Grund liegt in der Person des Erfolgsmenschen Rask, der für mein Empfinden kaum mehr als eine Märchenfigur, ein Einhorn ist. Es handelt sich mehr um die Ausgestaltung eines pubertären Fiebertraum börsianischer Höhenflüge als um eine ernstzunehmende Erfolgsgeschichte.

Die fehlende Glaubwürdigkeit für die zentrale Figur hat dem Roman das Fundament entzogen. Was mir auch missfallen hat, ist der Hang zur Dämonisierung von Finanzgeschäften aller Art, die mit dem Roman mittelbar betrieben wird, drittens wirkten manche Passagen etwas arg souffléartig erzählt: zu viel heiße Luft. Das hat mir schon manchen us-amerikanischen Lesestoff vermiest. Die »überraschende« Wendung am Ende habe ich nur noch als albern empfunden.

Da es sich bei meinem um einen sehr individuellen Zugang zu dem Roman handelt, möchte ich der Fairness halber auf deutlich positivere Rückmeldungen verweisen, wie zum Beispiel auf dem Blog Buch-Haltung von Marius Müller.

Hernan Diaz: Treue
aus dem Englischen von Hannes Meyer
416 Seiten
Hanser Berlin
ISBN 978-3-446-27375-7

© 2023 Alexander Preuße

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