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Neil Price: Die wahre Geschichte der Wikinger

Ein monumentales Werk über die Welt der Wikinger, die Hingabe des Autors ist auf jeder Seite spürbar. Cover S.Fischer, Bild mit Canva erstellt.

Nach rund vierhundertdreißig Seiten wird im voluminösen Werk von Neil Price jene Frage gestellt, die in den zurückliegenden Jahren eine recht breite Öffentlichkeit beschäftigte: Gab es Kriegerinnen unter den Wikingern? Heraufbeschworen wurde diese Frage nicht zuletzt durch die sehr erfolgreiche Filmserie Vikings, in der eine Figur namens Lagertha unter anderem in diese Rolle schlüpfte.

Da Filme bzw. Serien in der Regel eine sehr viel größere Reichweite haben und entsprechend das Bild von »der« Geschichte stärker prägen als jedes Buch, ist die »starke, eigenständige Wikinger-Frau« zu einem Topos geworden, der eine Menge über die Gegenwart aussagt – aber nicht unbedingt mit der Vergangenheit in Einklang zu bringen ist.

Price spricht von einem Klischee. Die Realität, wie sie in den Quellen nachzuweisen ist, ist profaner, komplizierter und in gewisser Hinsicht zufriedenstellend. Frauen und Männer hatten grob gesagt grundsätzlich zwei sehr verschiedene, durchaus voneinander abgegrenzte Bereiche, die Frau im Haushalt, der Mann außerhalb.

Nun ist »Haushalt« in der Wikinger-Zeit etwas grundsätzlich anderes als Küche und Kinderzimmer (beides gab es nicht) der wohlig-konservativen Heile-Welt-Ideologie; »Haushalt« meint alle Familienmitglieder, Knechte, Sklaven, deren Versorgung, finanzielle Dinge und vieles mehr. Damit ist, so Price, erhebliche Macht verbunden, sehr viele, Frauen mussten (überlebens-)wichtige Entscheidungen treffen.

Die Zweiteilung der Welt spiegelt sich auch in der Kleidung der Wikinger, die überraschenderweise als Saubermänner und -frauen daherkommen, weil sie vergleichsweise viel Wert auf Körperpflege und Äußeres legten. In Männerkleidung sind Frauen so selten geschlüpft, wie sie Männerrollen übernommen haben – aber das kam eben vor. Und es gab tatsächlich Kriegerinnen und damit Frauen, die ganz explizit im Kerngeschäft der Männerwelt tätig waren.

Das ist nur ein – nebensächlicher – Aspekt in dem gewaltigen Werk, das Neil Price geschaffen hat, aber er sagt einiges über die Herangehensweise des Autors. Er schildert die Welt der Wikinger sehr systematisch und klar strukturiert, fängt bei den Grundlagen während der Zeit der Römer an, zu denen die im Norden Europas lebenden Menschen ausgiebige Kontakte pflegten; schildert die Übergangs– und Krisenzeit des sechsten und siebten Jahrhunderts und entwirft ein Erklärmodell, wie und warum sich die spezifische Wikingergesellschaft herausgebildet hat.

Das wirkt alles fundiert und wird bemerkenswert gut und nachvollziehbar dargeboten. In der Mitte des Buches trägt der Leser bereits einen ganzen Sack an interessanten Informationen mit sich herum, wenn es um die Quintessenz der Nordmänner geht: Die bewaffneten Raubzüge und die Expansion. Es würde den Rahmen sprengen, hier auch nur eine Skizze zu liefern, wie und warum sich diese Entwicklung vollzogen hat.

Einhundert Jahre nach Lindisfarne, also schon richtig in der Wikingerzeit, hatten die Skandinavier auf der politischen Landkarte Europa bereits unauslöschliche Spuren hinterlassen.

Neil Price: Die wahre Geschichte der Wikinger

Price ist das Kunststück gelungen, die Betrachtungsweise der Ereignisse um den berühmt-berüchtigten Überfall auf das Kloster Lindisfarne 792 nach Christus, die als Auftakt der Raub- und Plünderzüge gesehen werden, neu einzuordnen und auszulegen. Daran knüpft er die Darstellung und Analyse der verblüffend schnellen Eskalation an, die innerhalb weniger Jahrzehnte zur Wikinger-Herrschaft über fast ganz England führte!

Manche Dinge, die Price aufführt, sind atemberaubend. Die Franken haben sich gegen die Bedrohung durch hohe Geldzahlungen zu schützen versucht. Laut Price sind dabei insgesamt rund 14 Prozent der gesamten Münzprägung des Frankenreiches an die Wikinger geflossen – wohlgemerkt: eines Jahrhunderts! Vierzehn von einhundert Jahre haben die Münzstätten allein für die Zahlungen an die Wikinger gearbeitet!

Hinzu kamen noch unzählige Verluste durch Naturalien, Verschleppte und Zerstörungen, außerdem Kosten für den Festungsbau usw. Für die Wirtschaft des fränkischen Reiches waren die Wikinger eine verheerende Plage. Price lässt auch keinen Zweifel daran, mit welcher Brutalität und Gnadenlosigkeit sie dabei vorgingen, es bleibt keinen Platz für jegliche Form der Verherrlichung oder Stilisierung. Tod, Verderben, Vergewaltigungen, Versklavungen für den eigenen Bedarf und ferne Märkte – die Liste der Schandtaten ist lang.

Die Wikinger waren nicht nur Sklavenhändler – die Entführung, der Verkauf und die Zwangsausbeutung von Menschen waren auch stets ein zentraler Pfeiler ihrer Kultur.

Neil Price: Die wahre Geschichte der Wikinger

Da diesen Schattenseiten eben auch kulturelle Höchstleistungen gegenüberstehen, man denke nur an den Schiffsbau, den mehr oder weniger globalen Handel, die unglaublichen Entdeckungsfahrten usw., bleibt ein im Grunde genommen typisches, sehr menschliches Bild, ein epochemachendes Reich mit seinem umfassenden Einfluss auf die Zeit seiner Existenz.

Vor allem merkt man diesem Buch an, wie sehr der Autor mit dem Thema verhaftet ist. 1408 wurde auf Grönland die letzte christliche Hochzeit gefeiert, die überliefert ist. Zum Jahrestag 2008 ist Neil Price mit anderen dorthin gefahren, um diesen Jahrestag zu begehen, Eindrücke zu sammeln und davon in seinem Buch zu berichten. Bücher können bewegen, wenn das Thema ihre Autoren bewegt. So ist das in diesem monumentalen Werk auf jeder einzelnen Seite.

Trivia: Besonders gern habe ich Price’ Bemerkungen über das Verhältnis von Wikingern und den Piraten des 17. / 18. Jahrhunderts gelesen; meine eigene Arbeit schlägt nämlich auch eine Brücke, nämlich im vierten Teil meiner Abenteuerreihe um die Piratenbrüder. Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen, 1735 und 1010. Der Titel: Vinland.

Neil Price: Die wahre Geschichte der Wikinger
aus dem Englischen von Ursula Blank-Sangmeister
S. FISCHER 2022
Hardcover 768 Seiten
ISBN: 978-3-10-397255-9

Keine Frage der Ehre: Kämpfen bis in den Tod?

»Wir kämpfen bis in den Tod!«

Alexander Preuße: Piratenbrüder – Eine neue Welt

Das Zitat entstammt dem ersten Band meiner Abenteuerreihe um Joshua und Jeremiah. Es ist ein dramatischer Moment, der sich über viele Seiten langsam zugespitzt hat und zu einer heftigen Auseinandersetzung um eine existenzielle Frage führt: Soll man kämpfen oder nicht?

Wie das Drama ausgeht, werde ich hier selbstverständlich verschweigen, es geht mir um etwas anderes.

Schreiben ist ein unbewusster Prozess. Die Gestaltung einer Szene plane ich nie voraus, ich verfolge kein Ziel, schon gar kein programmatisches, um irgendetwas darzulegen oder Leser von meiner Sichtweise zu überzeugen. Das heißt aber nicht, dass Textstellen so etwas enthalten können, im Gegenteil: Unbewusst kann viel Haltung, Meinung und Standpunkt einfließen.

Die Textstelle hat im Rahmen der Korrekturen eine Auseinandersetzung darüber ausgelöst, ob das Verhalten zweier Personen so überspitzt, übertrieben geschildert wird, dass sie lächerlich und unpassend wirken. Darüber war ich einigermaßen verblüfft, denn mir erschien deren Auftreten einfach folgerichtig.

Ich habe aber in einem zweiten Schritt verstanden, dass in dieser Textstelle etwas schlummert, was ich unbewusst hineingeschrieben habe. Die beiden Figuren stehen stellvertretend für eine korrumpierte Form dessen, was man militärische Ehre nennt. Die Textstelle bietet also einen unterschwelligen Hinweis auf meine Haltung dazu.

Korrumpierte Ehre

Am 27. Mai 1941 starben rund zweitausend deutsche Matrosen. Das Schlachtschiff Bismarck wurden von schweren Einheiten der britischen Flotte versenkt, von den Überlebenden konnten einige gerettet werden. Neben den britischen Schiffen nahmen auch ein deutsches U-Boot und ein Hochseetrawler Schiffbrüchige auf.

Der Kapitän des Schlachtschiffes Bismarck, Ernst Lindemann, starb ebenfalls an diesem Tag. Der Militärhistoriker Holger Afflerbach schreibt in einem Artikel der Viertelsjahreshefte für Zeitgeschichte, er habe militärisch salutiert, als er mit seinem Stahlkoloss in den Fluten des Atlantik versank.

Was für ein Bild! Der Kapitän eines Kriegsschiffs lässt selbiges in einer völlig aussichtslosen Situation kämpfend untergehen, reißt damit mehrere tausend Matrosen in den Tod und stirbt selbst in einer heroischen Pose, die auf Nachgeborene eher lächerlich wirkt. Ist ein solches Verhalten wirklich militärische Ehre oder ein spätpubertärer Fiebertraum?

Kämpfen ohne Alternative

Manchmal gibt es keine Alternative. Wenn das Strecken der Waffen einem Selbstmord gleichkommt oder die zu verteidigende Bevölkerung damit einem schrecklichen Schicksal ausgeliefert wird. Sicher – der Kampf geht verloren und damit ist das Schicksal unabwendbar, wenn nicht ein kleines Wunder geschieht; aber dennoch macht man es dem Gegner nicht leicht.

Der Aufstand des Warschauer Ghettos oder ein Jahr später von ganz Warschau gegen die Nazis wäre ein Beispiel. Ein anderes wäre die Verteidigung der Armenier auf dem Berg des Musa Dagh gegen die Türken, die ihnen nach dem Leben trachteten; ihnen kamen in letzter Minute alliierte Schiffe zur Hilfe und retteten die Hoffnungslosen, die den Genozid an ihren Landsleuten überlebten.

Tod trotz Alternative

Im Falle der Bismarck liegt die Sache anders. Hier war das Schicksal des Schiffes besiegelt und der Kapitän sowie seine Offiziere wussten das ganz genau. Sie hatten – anders als die Juden im Ghetto, die Polen in ihrer zertrümmerten Stadt oder die Armenier auf dem Musa Dagh – eine Alternative: Kapitulation.

Kapitän Lindemann hätte seine Männer dem Feind übergeben und vielleicht noch das Schiff versenken können. Wäre das ehrlos gewesen? Er selbst hätte ja an Bord bleiben können, um damit heroisch zu versinken.

Er hat sich anders entschieden. In meinen Augen ein Verbrechen. Nicht ganz untypisch für autoritäre und diktatorische Systeme, bzw. solche, die der Krieg peu á peu in diese Richtung abgleiten lässt. Die Faustregel lautet: Diktaturen scheren sich nicht um Menschenverluste, Demokratien können sich das nicht leisten.

Die beiden Figuren in meinem Roman sind ein Echo dieses aus meiner Sicht korrumpierten Ehrbegriffs. Das mag lächerlich wirken, übertrieben und vielleicht ein wenig unangenehm für den Leser – aber das ist auch gut so.

Verdeckter Krieg

Zu den spannendsten Erkenntnissen während meiner Recherche gehörte jene, dass in der Karibik über Jahre hinweg ein unerklärter Krieg zwischen den Großmächten schwelte. Kaperfahrten und Piraterie gehörte mit dazu.

Während meiner Recherche für meine Abenteuerreihe bin ich auf eine interessante Sichtweise gestoßen. Sinngemäß hieß es, dass in Europa zwar nach Beendigung des Spanischen Erfolgekrieges Frieden herrschte, in der Karibik jedoch fortlaufend militärische Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten ausgetragen wurden. Kern dieser Aktivitäten waren Kaperfahrten, aber auch Schmuggel und Zollkontrollen.

Möglicherweise spielten die Sklavenaufstände auch eine Rolle, wenn ich auch keinen Beleg dafür gefunden habe. Für meine Romanreihe habe ich mir jedoch die Freiheit genommen, diese als Teil des unterschwelligen Krieges zu betrachten. Was läge näher, als über provozierte und heimlich unterstützte Aufstände den Gegner empfindlich zu treffen?

Verdeckter Krieg

Aus meiner Sicht war das alles nichts anderes als ein verdeckter Krieg, wie ihn Putins Russland seit vielen Jahren führt. Damals wie heute wird er auf verschiedenen Ebenen ausgetragen, in der Ukraine über Jahre hinweg durch einen als »Bürgerkrieg« zwischen angeblichen »Separatisten« und den Ukrainern verbrämten Angriff; die eingefrorenen, aber nicht gelösten Kriege in Georgien, Moldau, flankiert von destabilisierenden Maßnahmen gegenüber den westlichen Demokratien.

Der Vorzug des verdeckten Krieges liegt darin, dass man offiziell gar keinen Krieg führt. Wer die letzten Jahre Revue passieren lässt, wird unschwer feststellen, wie wirkungsvoll dieses Mittel ist. Politik geht ungern unbequeme Wege (Sanktionen, Waffenlieferungen etc.) und lässt sich allzu oft von den verheißungsvollen Honigtöpfen wie billigem Gas verlocken.

Offene Kriege sind ein ungeheures Risiko, weil sie unglaublich teuer sind, nicht leicht beendet werden können und am Ende zumindest auf wirtschaftlicher Ebene alle verlieren. Von der Verelendung der Bevölkerung durch Nebeneffekte (Teuerung, Seuchen, Verwundete, entlassene Soldaten) einmal ganz abgesehen. Außerdem kann man militärisch unterliegen.

Vorteile und Nachteile

Ganz anders der verdeckte Krieg, der nicht begonnen wird und gleichfalls nicht beendet werden muss. Außerdem unterhält er eine gewisse Kriegsinfrastruktur. Als in den 1720er Jahren ein kurzer Krieg zwischen England und Spanien aufflammte, viel kleiner und letztlich folgenloser als der große um die spanische Erbfolge, konnte in der Karibik rasch operiert werden, wenn auch ohne Fortune.

Ein Nachteil dieser Art der Kriegführung besteht darin, dass sich die Kämpfenden von der Leine lösen und ihren Kampf auf eigene Rechnung weiterführen. Damals waren die Grenzen zwischen Kaperfahrern, Piraten und Piratenjägern (!) fließend; die Folgen für die zivile Schifffahrt, auch des eigenen Landes, verheerend.

Prägend für die Abenteuerreihe

Alle genannten Aspekte spielen für meine Romanreihe eine zentrale Rolle. Meine Protagonisten, Joshua und Jeremiah, werden in eine Auseinandersetzung zweier ehemaliger Kaperfahrer hineingezogen, die jedoch eng mit dem globalen Machtkampf zwischen England und Spanien (und Frankreich) verknüpft ist.

Damit bot sich die Möglichkeit, die Romanreihe wachsen zu lassen. Während der Fokus in den ersten Teilen noch stark auf der persönlichen und individuellen Ebene liegt, erweitert sich dieser von Band zu Band und wird immer stärker mit dem verflochten, was das Zeitalter geprägt hat: Piraterie, Verdeckter Krieg, globaler Machtkampf, Sklaverei, Handel mit Genussmitteln (Zucker, Tabak, Kaffee).

Erzählfluss statt stehendes Gewässer

George R.R. Martins »Lied von Eis und Feuer« ist ein prominentes Beispiel für die Schwierigkeiten episch angelegter Buchreihen: Der Fantasy-Welterfolg hat sich im dichten Gestrüpp zahlloser Personen und Schauplätze verheddert. Bild Canva.

Im November 2017 hat sich der Blogger Der Wortvogel parallel zum Beginn der sechsten Staffel der überaus erfolgreichen HBO-Serie Game of Thrones zum Thema vertikales Storytelling geäußert. Ich habe einen etwas anders akzentuierten Beitrag von ihm damals in der Süddeutschen Zeitung gelesen und er hat mich sehr lange beschäftigt. Denn: Ich hatte gerade begonnen, selbst eine Buchreihe zu verfassen.

Buchreihen können tückisch sein. George R.R. Martin hat aus meiner Sicht eine großartige Fantasy-Reihe geschrieben, mit leicht abfallender Qualität. Der erste Band (die ersten beiden in der deutschen Ausgabe) gefallen mir jedoch ganz besonders gut. Der strukturelle Ansatz ist jedoch mit Schwierigkeiten verbunden, die Torsten Dewi in seinem allgemeinen Beitrag Kaugummi TV: Das Dilemma des vertikalen Storytellings schön aufgezeigt hat.

Großer Beginn, leicht abfallendes Niveau

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Erzählfluss in Das Lied von Eis und Feuer mehr und mehr zu einem stehenden Gewässer wurde. Die Erzählung verhedderte sich immer mehr im vielbeinigen Gestrüpp zahlloser Figuren und Schauplätze, dabei hätte die Neigung des Autors, seine Charaktere ins Reich des Jenseits zu schicken, durchaus Abhilfe schaffen können. Nicht jedoch, wenn diese teilweise wieder als Untote oder Wiederauferstandene zurückkehren.

Martin sah sich auch gezwungen, die ständig wechselnden Perspektiven in zwei dicke Stränge zu bündeln und auf zwei (in der deutschen Ausgabe vier, also je zwei) Bücher zu verteilen. Das macht alles noch komplizierter, zumal mir beim Lesen recht oft Redundanzen und Muster aufgefallen sind. Die Romanreihe verliert, je weiter sie voranschreitet.

Die Filmserie The Game of Thrones ist ja – gottlob – beendet, wenngleich mit einem grauenerregenden Qualitätseinbruch. Das Buch verharrt seit langem an der gleichen Stelle, obwohl der Autor nach eigenem Bekunden an dem vorletzten Band arbeitet. Sicherlich ist die immense Komplexität ein wesentlicher Faktor für die lange Pause. Das wirft Fragen auf, etwa: Wie lassen sich die vielen offenen Erzählstränge wieder zusammenfügen, um die gesamte Geschichte voranzutreiben?

Wie ein Crescendo in der Musik

Ich bin gespannt. Die Wartezeit habe ich mir damit vertrieben, selbst eine Buchreihe mit etwas mehr als zweitausend Seiten zu verfassen. Auf der Basis des Artikels, der Lektüre und einiger Binge-Watch-Tage in der Welt von Eis und Feuer habe ich irgendwann die Entscheidung getroffen, mit der Erzählung der Abenteuer von Joshua und Jeremiah sehr schmal anzufangen und dann Stück für Stück aufzufächern.

Es kam mir vor allem darauf an, am Ende der siebenteiligen Reihe noch genug Spielraum zu haben, einen effektvollen Showdown zu schaffen, ohne völlig zu überziehen. Das ist mir, denke ich, durchaus gelungen. Alles, was im Schlussband namens Opfergang geschieht, ist rein fiktional, aber nicht undenkbar; und es ist ein grandioses, spannendes Spektakel.

Ich habe eine Anleihe aus der Musik genommen, um die strukturelle Gestaltung der gesamten historischen Abenteuerreihe zu verdeutlichen: ein Crescendo. Wer das zum Beispiel auf dem Klavier erzeugen will, muss keineswegs nur immer lauter spielen – dann brüllt das Klavier am Ende und verursacht Schmerzen.

Piano zu Beginn

Viel wichtiger, ja entscheidend ist: Piano am Anfang. Um ein Crescendo zu erzeugen, muss man unbedingt leise beginnen und – ganz wichtig – nicht linear lauter werden. Im Verlauf sollten kleiner Decrescendi eingebaut werden, Verzögerungen, um den Effekt zu verstärken. Außerdem könnten zu der anfangs einstimmigen Tonfolge weitere Stimmen hinzukommen.

Daher beginnt meine Abenteuerreihe sehr schmal, klein, leise, fokussiert sich auf wenige Personen und Handlungsorte, täuscht manches vor, deutet vieles an und ist keineswegs auf Handlungsspannung oder Action beschränkt. Denn was hilft alles Crescendo, wenn es an der Baisis fehlt, dem Leitmotiv oder Thema? Es wäre ein hohler, langweiliger Effekt.

Piraterie – im Schlagschatten des Krieges

Wie wird man eigentlich Pirat? Folgt man populären Filmen, könnte man den Eindruck haben, Piraten wären einfach da. Oft wird ihre Herkunft gar nicht weiter geklärt, man könnte meinen, sie fielen mehr oder weniger vom Himmel. Manchmal wird der Weg zur Piraterie auch als eine Art Vermächtnis geschildert, wenn etwa Henry Morgan Jack Sparrow mit Kompass und Kapitänsamt beglückt. Oder William Turner in die Fußstapfen seines Vaters tritt, als hätte er genetisch – schicksalsträchtig gar keine andere Wahl.

Wenn man einen Blick auf die Biographien historischer Piraten wirft, wie zum Beispiel eben jenen Henry Morgan, ist eine andere Sache recht augenfällig: Es gibt eine direkte Verbindung zwischen Piraterie und Krieg. Selbstverständlich gab es auch in langen Friedenszeiten Piraterie, doch sorgten Kriege in der Regel für ein massives Ansteigen der Aktivitäten von Piraten.

Piratenrepublik und Goldenes Zeitalter

Es ist kein Zufall, dass die so genannte »Piratenrepublik« von Nassau in den Schlagschatten des ersten wirklich weltumspannenden Krieges fiel: Der Spanische Erbfolgekrieg wurde nicht nur in Europa ausgetragen, sondern auch in der Neuen Welt (gemeinsam mit dem teilweise zeitgleich stattfindenden Großen Nordischen Krieg brannte es in ganz Europa).

Das gleiche gilt für das so genannte »Goldene Zeitalter« der Piraterie, das von Historikern zwischen 1714 und 1722 bzw. 1716 und 1726 verortet wird. Der Große Krieg endete in Europa offiziell 1713, doch in der Neuen Welt ging es munter weiter. Ein Teil der Kaperfahrer, sprich: der von der jeweiligen Krone beauftragten oder zumindest geduldeten Seeräuber bekam das Ende der Kampfhandlungen erst mit großer Zeitverzögerung mit und war keineswegs immer begeistert vom Friedensschluss.

Manche haben einfach auf eigene Rechnung weitergemacht. Warum auch nicht? Die Alternativen waren nicht besonders verlockend. Frieden bedeutete nicht für jeden eine Erleichterung, mit dem Ende der Kampfhandlungen verloren viele Seeleute Anstellung und Einkünfte; manche standen einfach vor dem Nichts und die Aussicht auf Einkünfte durch Raub, für dessen Ausführung sie die nötigen Kompetenzen erworben hatten, bot einen Ausweg.

Grauzonen

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. In Europa mag für einige Jahre Frieden geherrscht haben, in der Neuen Welt jedoch nicht. Die Kaperfahrerei bot eine großartige Möglichkeit, einen verdeckten Krieg zu führen, ohne ihn offen erklären zu müssen. Man konnte seine Feinde schwächen, ohne einen unpopulären Waffengang vom Zaun zu brechen.

Außerdem gab es eine Grauzone. Wer mochte verhindern, dass Kaperfahrer die »falschen« Schiffe auf ihrem Weg nicht einfach auch aufbrachten? Wenn ein englischer Kapitän auf der Suche nach spanischen und französischen Schiffen lange ohne Beute blieb, was aber essentiell für die Loyalität der Mannschaft war, würde er nicht auch ein englisches Handelsschiff überfallen?

Doch die Grauzone reicht noch weiter. Mancher für die Piratenjagd ausgesandte Kapitän konnte der Verlockung des scheinbar schnellen Geldes ebenfalls nicht widerstehen und hat sich entsprechend an friedlichen Kauffahrern vergriffen. Diese verschwommene Grenzlinie zwischen Kapern, Piraterie und Piratenjagd wurde gelegentlich mehrfach überschritten.

Gnade und Blutbad

Letzten Endes haben sich die europäischen Großmächte England, Frankreich, Spanien, die Vereinigten Niederlande und auch Portugal irgendwann aufgerafft und mit dem Piratenproblem gründlich aufgeräumt. Neben der Möglichkeit, der Piraterie abzuschwören und auf friedlichem Wege das blutige Handwerk hinter sich zu lassen, wurde auch zu brutaler Gewalt gegriffen.

Am Ende des »Goldenen Zeitalters« der Piraterie stand ein Blutbad, das entschlossene Vorgehen dämmte das Piratenunheil massiv ein und machte die Seefahrt wieder sicherer. Doch der verdeckte Kaperkrieg war ein viel zu verlockendes Mittel, um darauf zu verzichten, im Grunde herrschte in der Karibik über Jahrzehnte ein kaum bemäntelter Waffengang.  Mit den bekannten Folgen. 

Das ist die Lage, als die Hauptfigur meiner Abenteuerreihe, Joshua, 1732 aus London aufbricht. Er kann eigentlich darauf setzen, dass Piraten kein großes Problem mehr darstellen, zumal sein Schiff, die Sturmvogel, in einem Konvoi fährt, was Überfälle gewöhnlich erheblich erschwert.

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