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Piraterie – im Schlagschatten des Krieges

Wie wird man eigentlich Pirat? Folgt man populären Filmen, könnte man den Eindruck haben, Piraten wären einfach da. Oft wird ihre Herkunft gar nicht weiter geklärt, man könnte meinen, sie fielen mehr oder weniger vom Himmel. Manchmal wird der Weg zur Piraterie auch als eine Art Vermächtnis geschildert, wenn etwa Henry Morgan Jack Sparrow mit Kompass und Kapitänsamt beglückt. Oder William Turner in die Fußstapfen seines Vaters tritt, als hätte er genetisch – schicksalsträchtig gar keine andere Wahl.

Wenn man einen Blick auf die Biographien historischer Piraten wirft, wie zum Beispiel eben jenen Henry Morgan, ist eine andere Sache recht augenfällig: Es gibt eine direkte Verbindung zwischen Piraterie und Krieg. Selbstverständlich gab es auch in langen Friedenszeiten Piraterie, doch sorgten Kriege in der Regel für ein massives Ansteigen der Aktivitäten von Piraten.

Piratenrepublik und Goldenes Zeitalter

Es ist kein Zufall, dass die so genannte »Piratenrepublik« von Nassau in den Schlagschatten des ersten wirklich weltumspannenden Krieges fiel: Der Spanische Erbfolgekrieg wurde nicht nur in Europa ausgetragen, sondern auch in der Neuen Welt (gemeinsam mit dem teilweise zeitgleich stattfindenden Großen Nordischen Krieg brannte es in ganz Europa).

Das gleiche gilt für das so genannte »Goldene Zeitalter« der Piraterie, das von Historikern zwischen 1714 und 1722 bzw. 1716 und 1726 verortet wird. Der Große Krieg endete in Europa offiziell 1713, doch in der Neuen Welt ging es munter weiter. Ein Teil der Kaperfahrer, sprich: der von der jeweiligen Krone beauftragten oder zumindest geduldeten Seeräuber bekam das Ende der Kampfhandlungen erst mit großer Zeitverzögerung mit und war keineswegs immer begeistert vom Friedensschluss.

Manche haben einfach auf eigene Rechnung weitergemacht. Warum auch nicht? Die Alternativen waren nicht besonders verlockend. Frieden bedeutete nicht für jeden eine Erleichterung, mit dem Ende der Kampfhandlungen verloren viele Seeleute Anstellung und Einkünfte; manche standen einfach vor dem Nichts und die Aussicht auf Einkünfte durch Raub, für dessen Ausführung sie die nötigen Kompetenzen erworben hatten, bot einen Ausweg.

Grauzonen

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. In Europa mag für einige Jahre Frieden geherrscht haben, in der Neuen Welt jedoch nicht. Die Kaperfahrerei bot eine großartige Möglichkeit, einen verdeckten Krieg zu führen, ohne ihn offen erklären zu müssen. Man konnte seine Feinde schwächen, ohne einen unpopulären Waffengang vom Zaun zu brechen.

Außerdem gab es eine Grauzone. Wer mochte verhindern, dass Kaperfahrer die »falschen« Schiffe auf ihrem Weg nicht einfach auch aufbrachten? Wenn ein englischer Kapitän auf der Suche nach spanischen und französischen Schiffen lange ohne Beute blieb, was aber essentiell für die Loyalität der Mannschaft war, würde er nicht auch ein englisches Handelsschiff überfallen?

Doch die Grauzone reicht noch weiter. Mancher für die Piratenjagd ausgesandte Kapitän konnte der Verlockung des scheinbar schnellen Geldes ebenfalls nicht widerstehen und hat sich entsprechend an friedlichen Kauffahrern vergriffen. Diese verschwommene Grenzlinie zwischen Kapern, Piraterie und Piratenjagd wurde gelegentlich mehrfach überschritten.

Gnade und Blutbad

Letzten Endes haben sich die europäischen Großmächte England, Frankreich, Spanien, die Vereinigten Niederlande und auch Portugal irgendwann aufgerafft und mit dem Piratenproblem gründlich aufgeräumt. Neben der Möglichkeit, der Piraterie abzuschwören und auf friedlichem Wege das blutige Handwerk hinter sich zu lassen, wurde auch zu brutaler Gewalt gegriffen.

Am Ende des »Goldenen Zeitalters« der Piraterie stand ein Blutbad, das entschlossene Vorgehen dämmte das Piratenunheil massiv ein und machte die Seefahrt wieder sicherer. Doch der verdeckte Kaperkrieg war ein viel zu verlockendes Mittel, um darauf zu verzichten, im Grunde herrschte in der Karibik über Jahrzehnte ein kaum bemäntelter Waffengang.  Mit den bekannten Folgen. 

Das ist die Lage, als die Hauptfigur meiner Abenteuerreihe, Joshua, 1732 aus London aufbricht. Er kann eigentlich darauf setzen, dass Piraten kein großes Problem mehr darstellen, zumal sein Schiff, die Sturmvogel, in einem Konvoi fährt, was Überfälle gewöhnlich erheblich erschwert.

Talent und Thema

Kann Selfpublishing Literatur oder bleiben Verlage eine unerlässliche Vermittlungsinstanz? In beiden Fällen bestehen Zweifel. Eine ergänzende Antwort zu einem anregenden Blogbeitrag.

Literaturblogs bieten das, was Instagram niemals schaffen wird: ausführliche, differenzierte und zum Nachdenken anregende Beiträge. Mit etwas Glück entwickelt sich daraus ein kleiner Meinungsaustausch. In Twitter-Zeiten ist es wohl nötig, darauf zu verweisen, dass das nicht gleichbedeutend mit einem Streit oder gar wutentbranntem Gepöbel ist, sondern es sich um einen respektvollen Austausch handelt.

Zuletzt hat es einen für mich hochspannenden Artikel bei Kaffeehaussitzer zu lesen gegeben, der einen Blick durch die Verlagsbrille auf das Wesen des Selfpublishing bietet (und davon angeregt einen lesenswerten Beitrag von Sören Heim). Dank des zurückhaltenden Duktus, des Eingeständnisses, dass die dynamische Entwicklung des Buchmarktes allgemein und des Selfpublishings besonders, Gesagtes schnell überholen könnte, ist der Text ausgesprochen angenehm zu lesen.

Als Autor in spe, der seine ersten Werke selbst auf den Markt bringen muss, sehe ich überhaupt keinen Grund, beleidigt zu reagieren oder Gatekeeping-Absichten zu wittern. Warum auch? Ich mache die Selbstpubliziererei nolens volens, weil meine Versuche, mich bei Agenturen und Verlagen zu bewerben, fruchtlos geblieben sind. Ich kann also nur eine begrenzte Aussage darüber treffen, ob ich mich als Verlagsautor oder Selbstpublizierer wohler fühlen würde – derzeit kenne ich weder die eine noch die andere Seite.

»[…] vor allem Juan Cerezo, der sich die Mühe gemacht hat, das Buch Wort für Wort durchzusehen, mit einer Intelligenz, einer Hingabe und einer Liebe, die nur noch wenige Verleger besitzen und die wenigsten investieren.«

Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte.

Qualität und Talent als Auswahlkriterium?

Meine Wahrnehmung als Leser, der mittlerweile einige Bücher von Selfpublishern und einige tausend im Verlag erschienene gelesen hat, lässt einige Fragezeichen bei verschiedenen Aussagen über die Qualität von Literatur aufscheinen. Leider garantiert ein Verlag keine Qualität (mehr?), leider erscheinen mir weder Talent noch sprachliches bzw. literarisches Niveau unbedingt ausschlaggebend; eher etwas, das ich als »Vermarktbarkeit« bezeichnen würde.

Das bezieht sich vor allem auf den Urheber des Buches und bestimmte inhaltliche Kriterien, die ich aus meiner Zeit als Schreiberling im Bereich von Aktienmärkten und Startups unter der Rubrik »MeToo«-Produkt kennengelernt habe. Es meint eine Form der Produktanalogie zur Risikovermeidung, Hand in Hand mit inhaltsfreien Vermarktungssternchen am Marketingfirmament. Aus gutem Grund!

Aktienkäufer halten sich für rational und individuell, handeln aber doch mehrheitlich emotional und im Herdentrieb. Autoren und Leser sind durchaus ähnlich. Jeder würde gern eigenständig sein, frei, kritisch denkend und neue Wege beschreitend. Doch überwiegen Angst und Unsicherheit, man sucht Anlehnung – und findet sie in dem, was andere auch schreiben oder kaufen.

»Besonders von der am häufigsten angesprochenen Qualitätssicherung durch Verlage habe ich, der wahrscheinlich 150 bis 200 Bücher im Jahr liest, zumindest noch nicht viel bemerkt.«

Sören Heim, Schriftsteller und Journalist, 4. September 2022

Schönreden?

Natürlich liege ich mit dieser Aussage im Wirkungsbereich des Vorwurfes, ich wollte mein eigenes Scheitern schönreden. Meinetwegen. Doch ändert das etwas am Gehalt meiner Worte? Ich bin ja auch Leser und das, was ich gesagt habe, entspringt Enttäuschungen bei Buchkäufen. Ich habe mich oft gefragt, wie das Machwerk durch ein Lektorat gekommen sein kann.

Wichtig ist mir dabei, dass ich derlei Kritik nur äußern kann, weil ich entsprechende Bücher kenne, die den Anspruch von Qualität erfüllen. Es gibt sie tatsächlich, man kann auf meinem Blog eine ganze Reihe davon finden; auf anderen, guten Literaturblogs hunderte, tausende, die Aussagen á la »alle Verlage machen das Gleiche« als absurden Nonsens entlarven, weil die Vertreter dieser Meinung von ihrem eigenen, suppentellerengen Leseverhalten auf den Markt schließen.

Gerade deswegen entsetzen mich manche Verlagstitel, stoßen mich regelrecht ab. Das fängt schon bei den Covern an, wenn das hundertste Buch eine Frau zeigt, die sich dem Leser über die Schulter blickend zuwendet, während sie irgendetwas entgegenstrebt; oder den römischen Soldaten in Kampfmontur mit blutigem Schwert; oder die Pastellfarbenregale; oder; oder. Und es geht innen weiter – wenn Schreiben wie Malen nach Zahlen sich entlang von Schreibratgebern hangelt und abwegigen Dogmen (show don´t tell) folgt. Bestsellerromane wirken manchmal wie ausgefüllte Formulare.

Mit je einem Fuß in verschiedenen Welten

Ich bin alt genug, um meine Grenzen zu kennen. Daher weiß ich, dass ich als Leser bzw. Buchblogger in der einen und als Schriftsteller in der anderen Welt stehe, auch wenn ich es gern anders hätte. Die Absagen von Agenturen und Verlagen waren nachvollziehbar, auch wenn ich das Buch, das bald veröffentlicht wird, so nirgends vorgestellt habe. Die Version, die ich seinerzeit eingereicht habe, hat mit der finalen glücklicherweise nur noch wenig zu tun.

Und trotzdem: Es ist nicht das, was ich als Leser schätze und statt Schreibratgebern als Leitstern sehe, an dem ich mich als Schriftsteller orientiere. Meines Erachtens kann man gute Literatur nur schreiben, wenn man solche auch liest. Damit ist die wesentliche Frage aufgeworfen: Was ist gute Literatur und wer kann sie schreiben? Kaffeehaussitzer bringt Talent ins Spiel (und zitiert Goethe, der auf den Fleiß verweist). Hier darf ich vehement zustimmen – und einen Gesichtspunkt ergänzen: Thema.

»Das Quäntchen, das einen Text besonders macht, das ihn zu Literatur werden lässt, die berührt, die begeistert und die mitten ins Mark trifft – das ist nach wie vor kein Handwerk, sondern das Talent der Schreibenden.«

Uwe Kalkowski »Kaffeehaussitzer« 27. August 2022

Gute Literatur braucht Talent und Thema

Klaus Mann, der Sohn von Thomas Mann und Neffe von Heinrich Mann, war zweifelsfrei mit Talent gesegnet. Und mit Fleiß, wie der Berg an Schriften zeigt, die er in seinem recht kurzen, wechselhaften, durch Flucht, Exil und heftigen Enttäuschungen nach der Rückkehr gebrochenen Leben im kalten Schatten des berühmten Vaters geschaffen hat. Trotzdem hat es etwas gedauert, bis Mann – aus meiner Sicht! – jene Bücher geschrieben hat, die für mich gute Literatur sind.

Wenn man die Romane Klaus Manns liest, bemerkt man den Bruch recht deutlich. »Symphonie Páthetique« hat bereits ein ganz anderes Niveau als die ersten Romane, »Mephisto« ist noch einmal eine wesentliche Steigerung. Auch jenes autobiographische Werk namens »Der Wendepunkt«, das Mann zunächst auf Englisch schrieb, später auf Deutsch übersetzte, kürzte und erweiterte, spiegelt die Entwicklung wider.

Das liegt vor allem daran, dass Mann endlich ein Thema gefunden hatte: Faschismus und Nationalsozialismus. Der Karriereroman eines Künstlers, der sich den Nazis anbiedert, »Mephisto«, ist aus diesem Grund gute Literatur. Ich würde die Behauptung wagen, dass Klaus Mann ohne sein Thema das ihm gegebene Talent und seinen Fleiß möglicherweise nicht hätte in gute Literatur umwandeln können.

Was ist ein Thema?

Natürlich könnte man behaupten, jeder Roman habe ein Thema. Geschenkt. Themen, von denen ich spreche, sind bitte nicht mit dem zu verwechseln, was in Genre- oder Schlagwortangaben von Büchern steht oder den Marketingtexten bejubelt wird. Themen sind das, was allgemeine Grundlagen des Lebens berührt. »Liebe« ist keines dieser Themen, Liebe im Rahmen spezieller gesellschaftlicher oder familiärer bzw. persönlicher Umstände kann eines sein.

Ein kleines Beispiel: »Stolz und Vorurteil«. Hier geht es um Liebe – auf den ersten Blick. Doch eigentlich steht im Fokus, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Frauen in dieser Zeit einwirken und verschiedene Wege (manche richtig, manche falsch) ebnen oder versperren; die erzählerische Qualität rührt u.a. daraus, dass hier eine ganze Reihe unterschiedlicher Pfade aufgezeigt und in ihren Konsequenzen beleuchtet werden. So entsteht tatsächlich ein Thema, so entsteht Literatur.

Große Literatur hat immer ein Thema, meist mehrere Themen, ineinander verschlungen und verwickelt. Talent zeigt sich auch in der Befähigung, dem eine Struktur zu geben, es in eine Form zu gießen und sprachlich so aufzubereiten, dass daraus eine Erzählung entsteht. Der Autor steht dabei in einer möglicherweise jahrelangen, erbitterten Auseinandersetzung mit seinem Stoff; manchmal scheitert er auch.

Verlag – notwendiger Puffer?

Kann das Selfpublishing oder ist die Verlagsinstanz dazwischen unumgänglich? Tatsächlich bin ich bei meinen noch recht begrenzten Streifzügen durch den Selfpublisher-Bereich auch auf Texte gestoßen, die ein Thema zumindest berühren und – trotz aller anderen Schwächen – einen Schritt Richtung Literatur gemacht hatten. Ein Problem, das Kaffeehaussitzer genannt hat, ist und bleibt: Wie soll man Perlen finden, wenn sie denn irgendwo geschrieben werden?

Wenn ich also oben gesagt habe, dass meine eigenen Schreibversuche sich an dem orientieren, was ich als Leser als gute Literatur wahrnehme, dann meine ich vor allem das: die Erzählung auf dem Fundament eines Themas zu errichten. Ich habe das für meine historische Buchreihe versucht, gehüllt in den Mantel eines Abenteuers. Ob das gelungen ist? Meine Meinung dazu spielt in diesem Falle keine Rolle, denn bei meinen eigenen Texten falle ich als Leser leider aus.

Dieser Beitrag ist angeregt durch die beiden verlinkten Blog-Texte, deren Lektüre ich hier noch einmal ausdrücklich empfehlen möchte.

Seefahrerlatein oder: das Poop-Deck

»William erzählte ihm, dass die Seeleute zu dem Achterdeck boshaft Poop-Deck sagten, weil sich dort der Abort befand und sie so ungestraft zum Ausdruck bringen konnten, was sie von den bevorrechtigten Menschen hielten, die dort ihre Tage müßig verbrachten.«

Alexander Preuße: piratenbrüder – Eine Neue Welt

Als Schriftsteller steht man immer vor der Frage, wie viel man von seinem Wissen in einen Roman hineinschreibt. Wie ein Schatten steht dahinter oft die Frage, was dem Leser gefällt oder eben nicht. Niemand hat darauf eine seriöse Antwort, denn »den Leser« gibt es nicht. Egal, was man schreibt, immer wird es jemanden geben, dem es nicht gefällt.

Das gilt insbesondere für die harten Fakten, die in einem Buch aufgeführt oder weggelassen werden: dem einen Leser ist es zu viel, dem anderen zu wenig und dem dritten genau recht. Eine der wichtigsten Lehren des Schreibens ist, dass man es nicht allen recht machen kann – und besser gar nicht den Versuch unternimmt.

Schon bei der Handvoll Testlesern ist es für mich zu äußerst überraschenden Rückmeldungen gekommen. Man wundere sich über das seefahrerische Fachwissen, das ich in die Romane hätte einfließen lassen; eine ganze Menge Fachbegriffe wären zu erfahren, von denen man nie gehört hätte. Das würde der Handlung ein gutes Stück Authentizität verleihen, ohne zu ermüden.

Meine Befürchtung war eher, dass zu wenig in das Buch eingeflossen sein könnte. Mir ist die Seefahrt völlig fremd, ich bin ein eingefleischtes Landei und werde nie im Leben die Bereitschaft aufbringen, mich in die Details einzufuchsen. Mir persönlich ist das Seefahrerlatein egal und für das, was ich in meiner Abenteuerreihe vermitteln wollte, spielt Fachwissen über die Seefahrt keine Rolle.

Ich habe also einen Pinsel genommen und die Kulissen meines historischen Spiels ein wenig gestaltet. Ein Paar Begriffe wie Bug, Heck, Achterdeck hielt ich für absolute Selbstverständlichkeiten (sind sie nicht), angereichert mit Begriffen wie Wanten oder Krähennest, selten einmal verziert mit dem Namen eines Masts. Macht es für die Handlung einen Unterschied, ob man allgemein »Mast« sagt oder jedem den korrekten Namen gibt (Fock-, Besan- und was weiß ich noch für Masten)? In meiner Abenteuerreihe: nein!

Er schaute nach oben, in das Gewimmel der himmelwärts ragenden Masten. Wie das Netzwerk einer Spinne hingen ungezählte Taue kreuz und quer, Seeleute kletterten darin herum und hantierten an dicken Seilen, Gurten und Segeln.

Die Abenteuer von Joshua und Jeremiah in Übersee und anderswo – Eine neue Welt

Das Zitat aus dem Auftaktband meiner Abenteuerreihe zeigt, worauf es mir ankommt. Man hätte den Anblick sehr viel präziser mit Fachworten schildern können. Stattdessen erzähle ich aus Joshuas Perspektive, der kein Seemann ist (und niemals wird), ihm sind die Fachbegriffe fremd. Was er wahrnimmt, drücke ich mit alltäglichen Wörtern aus, was die Textstelle leichter verständlich und stimmungsvoller macht.

Vor allem aber ist sie nicht spröde, wie es manchmal in Romanen vorkommt, die mit Fachbegriffen überladen sind. Ein Beispiel sind die Horatio Hornblower Romane, von denen ich nur einen einzigen gelesen habe, eben weil sie für meinen Geschmack völlig überfrachtet sind. Wer sich für Segelmanöver interessiert oder en détail nachvollziehen will, wie ein Schiff nach einem bestimmten Manöver reagiert, ist hier richtig. Mich langweilt das. »Der Marsianer« gehört auch zu dieser Kategorie, ich fand die ausführlichen Erläuterungen lästig.

William erzählte ihm, dass die Seeleute zu dem Achterdeck boshaft PoopDeck sagten, weil sich dort der Abort befand und sie so ungestraft zum Ausdruck bringen konnten, was sie von den bevorrechtigten Menschen hielten, die dort ihre Tage müßig verbrachten.

Die Abenteuer von Joshua und Jeremiah in Übersee und anderswo – Eine neue Welt

Bei dem Begriff »Poop-Deck« konnte ich nicht widerstehen, weil sich eine wunderbare Möglichkeit bot, einen mir wichtigen Aspekt auszudrücken. (»Poop« kann für »kacken«, »Scheiß«, »Trottel« stehen). Das Zitat zeigt, wie der Begriff eingeführt wird. Es enthält einen faktischen Teil, nämlich die Bezeichnung des Ortes, an dem sich der Abort befindet, und einen ausgedachten. Ich weiß nicht, ob irgendein Zeitgenossen wirklich diesen Gedanken hegte, fände es aber fast folgerichtig.

Das Leben auf einem Segelschiff war brutal, die Lebensumwelt um 1730 ebenfalls. Sie war geprägt durch immense gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Unterschiede. William gehört zu den Privilegierten, was immer wieder anklingt. Er darf auf das Achterdeck, ohne sich die Erlaubnis zu holen; er weiß um seinen Status und auch darum, wie er von anderen gesehen und aufgenommen wird. Im Grunde genommen macht er sich mit seiner nüchternen Erläuterung ein wenig über sich selbst lustig.

Wer im Internet sucht, wird unter dem Begriff Poop-Deck eher Hinweise auf einen – bestehenden oder erdichteten – lateinischen Ursprung finden, der mit »Hinterschiff« übersetzt werden könnte. Seefahrerlatein – in diesem Fall ausnahmsweise auch anregend für weiterreichende Assoziationen.

Der Aussteiger aus einem kriminellen Milieu

Wer wie ich 1968 geboren und in den siebziger und achtziger Jahren sozialisiert wurde, kennt das Phänomen des sonntäglichen Piraten– und Seefahrerfilms. Ganz unterschiedliche Streifen geistern durch mein löchriges Gedächtnis, vom klamaukischen Roten Korsar über Pippi Langstrumpfs Abenteuer bis hin zu Captain Horatio Hornblower als königlicher Admiral.

Angereichert wurde dieses Fundament durch Polanskis Komödie »Piraten«, die wunderbare Animationsversion von Stevensons Schatzinsel als »Schatzplanet« in ferner Zukunft bis hin zum Zombieschauermärchen um Captain Jack Sparrow.

Vorlagen und Anregungen gab es von dieser Seite eine ganze Menge. Die üblichen Clichés auch – die Frage war nur: Gibt es etwas, das noch nicht erzählt wurde? Zumindest in den Filmen und Büchern, an die ich mich erinnern kann, fehlt ein Motiv, das in anderen Genres außergewöhnlich beliebt ist: der Aussteiger – aus einem kriminellen Milieu.

Demnächst wird es eine Fortsetzung des wunderbaren Action-Klassikers »Heat« geben – in der Kinoversion wollte auch jemand sein Kriminellendasein ablegen; »Narcos« oder »Narcos Mexiko«, »4Blocks«, in den Kartell-Romanen von Don Winslow – überall ist das Motiv eines versuchten Ausstiegs Teil des Geschehens.

Aber Piraten?

»Joshua hatte noch nie gehört, dass ein Pirat von sich aus aufhören wollte, Piraten zu sein. Sie wurden gejagt, gestellt, verurteilt und gehenkt. Aber aussteigen?«

Alexander Preuße: Piratenbrüder – eine neue Welt

Einem meiner Protagonisten geht es ähnlich wie mir: Er hat noch von keinem Piraten gehört, der sein Handwerk freiwillig aufgeben wollte.

Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, mir vor dem Schreiben dieses Motiv ausgesucht zu haben. Ich plotte nicht, sondern schreibe ins Dunkel hinein. Am Anfang eines Satzes kenne ich nicht dessen Ende, oft nicht einmal die Mitte. Letztlich folgte ich einer spontanen Regung, als ich – zu welcher Gelegenheit wird nicht verraten – beschloss, jemanden diesen Pfad verfolgen zu lassen.

Während der Recherche in den vergangenen Jahren ist mir vor Augen geführt worden, wie kompliziert und vielschichte, von Grauzonen und Nebelbänken durchzogen dieses Thema wirklich ist. Hier soll jetzt aber eine andere Figur zu Wort kommen und eine naheliegende Frage stellen:

Und für welchen Piraten gilt das nicht, capitán? Welcher Pirat ist jemals dem Galgen entkommen und hat als gewöhnlicher Bürger seine Reichtümer genießen können?

Alexander Preuße: Piratenbrüder – Opfergang

Die Antwort fällt ernüchternd aus. Ausgerechnet John Avery wird nachgesagt, dass es ihm gelungen sei, in Irland an Land zu gehen und unterzutauchen. Er kann für sich in Anspruch nehmen, den einträglichsten Beutezug unternommen zu haben, begleitet von unsäglichen Torturen, Vergewaltigungen, Überbordwerfen und Aussetzen seiner Opfer, die nicht direkt getötet wurden.

Untertauchen heißt aber, eine Form der Illegalität durch eine andere zu ersetzen. Von bürgerlichem Dasein, wie die Figur mit spanischem Akzent fragt, kann also keine Rede sein. Die Frage ist: Gibt es noch einen anderen Weg?

Am Anfang war – Bornholm

Bornholm 2006. Der Blick aufs Meer. Hier wurden die ersten Zeilen und Kapitel eines Kinderbuches verfasst, aus dem später die sehr viel erwachsenere Abenteuerreihe um Joshua und Jeremiah entstanden ist.

Bei den meisten meiner noch nicht realisierten Schreibprojekte könnte ich nicht sagen, wo und wann ich die Inspiration bekommen habe. Im Falle meiner Abenteuerreihe um Joshua und Jeremiah schon: Bornholm. Im Sommer 2006 haben wir dort mit unserem Nachwuchs Urlaub gemacht, im Norden dieser ganz wundervollen Insel, mit ihrem ungeheuer schönen Wanderweg von Allinge nach Hammershus.

Wir hatten ein Ferienhaus mit Blick aufs Meer. Wenige Monate später stand der Geburtstag meines ältesten Sohnes an, der Bücher geliebt hat. Also kam mir die Idee: Schreib ihm doch ein Büchlein. Piraten standen hoch im Kurs und das große Piratenschiff von Playmobil war als Geschenk geplant. Natürlich auch ein standesgemäß zugerichteter Kuchen!

Da ich einen Laptop mitgenommen hatte, saß ich nach zwei, drei Urlaubstagen abends am Tisch, den Blick hinaus auf die graue Ostsee, und habe mich gefragt: Was könnte man so erleben? Schreiben mit Blick aufs Meer ist eine wundervolle Angelegenheit – noch einmal, 2016, habe ich das in Frankreich, Bretagne, erleben dürfen.

Einige Dinge sind tatsächlich noch immer genau so, wie ich sie damals geschrieben habe. Spurenelemente im ersten und zweiten Band. Die Namen der beiden Hauptfiguren, Joshua und Jeremiah, zum Beispiel; der Name des Schiffs, mit dem Joshua von London aufbricht: Sturmvogel. Jener Seemann, der ihm im Hafen einige Dinge aus seiner eigenen Vergangenheit berichtet.

Und doch hat sich die Geschichte seitdem mit Siebenmeilenstiefeln von ihren Anfängen entfernt. Dazu werde ich in den nächsten Beiträgen etwas schreiben. Hier bleiben wir bei den Anfängen. Und aus diesen rührt der Name »Piratenbrüder« her.

Bornholm 2006. Die Ostsee kann auch Meer.

Beim Geburtstag einige Monate nach dem Bornholm-Urlaub wartete tatsächlich ein kleines, schwarz gebundenes Büchlein mit dem Titel »Piratenbrüder« mit der Auflage 1 auf seinen ersten Leser. Es war ein mitreißendes Erlebnis, es vorzulesen, für alle Beteiligten. Eine Erinnerung, warm wie Kaminfeuer. 

Der zweite Band ist unmittelbar danach entstanden, ehe sich eine mehrjährige Pause anschloss. Irgendwo (ich weiß natürlich ganz genau, wann und wo) im Roman hält Joshua inne und blickt kurz zurück – fassungslos über den Weg, den er bis zu diesem Punkt zurückgelegt hat. Und so geht es mir in diesem Moment auch ein wenig, wenn ich an die sieben Teile der Abenteuerreihe denke.

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