Wenig überraschend ist Das Totenschiff* von B. Traven das Buch, dessen Besprechung im Juni am häufigsten gelesen wurde. Auch für mich ist es das Highlight des Monats gewesen. Charlotte Schuberts Tod der Tribune* wurde am zweithäufigsten angesteuert, für ein dramatisches, aber sperriges Thema aus der Antike nicht selbstverständlich.
Wer sich mit einem gesellschaftskritischen Thema befasst, läuft immer Gefahr, sich davon überwältigen zu lassen. Die Leser meiner Besprechung des Beitrags zu Amsterdam, verlorene Stadt*, wissen, dass und wie es dem Autor Ries Roowaan gelungen ist, die Gefahr zu bannen. Der Artikel wurde am dritthäufigsten angesteuert.
Für das zweite Halbjahr habe ich unter den Neuerscheinungen eine Reihe von Büchern zusammengestellt (siehe Galerie am Ende des Beitrags), die ich unbedingt lesen will. Nun, eigentlich will ich noch viel mehr lesen, doch realistisch betrachtet werde ich mit diesen und dem, was ich als Recherchelektüre zu bewältigen habe, kaum fertig werden. Dazu gesellen sich nämlich noch knapp einhundert ungelesene und mehrere hundert nochmal zu lesende Bücher – weshalb ich auf Buchkauf-Diät bin.
Vor allem habe ich noch einiges selbst zu schreiben. Die beiden Schlussbände meiner Piratenbrüder-Buchreihe stehen an, mit der Überarbeitung von Verräter (es gibt so viele Formen von Verrat!) habe ich bereits begonnen, parallel werkele ich auch ein wenig am Schlussband Opfergang.
Doch überlege ich schon, wie es danach weitergeht. Ein historischer Roman aus der Wikinger-Zeit, der die Geschichte um Eillir, Stígandr und Ryldr aus Vinland – Piratenbrüder Band 4 weiterschreibt? Oder die Fantasy-Buchreihe, für die ich bereits umfangreiche Vorarbeiten erledigt habe? Was folgt als nächstes? Das ist hier die Frage.
Definitiv folgt am 20. September Totenschiff – Piratenbrüder Band 5. Und ja – ich habe ein schönes Zitat aus B. Travens Roman gefunden, das ich meinem eigenen voranstellen kann.
Kurz-Besprechungen der Juni-Bücher
Als einen Kipp-Punkt in der innenpolitischen Entwicklung der römischen Republik bezeichnet die Historikerin Charlotte Schubert den Mord an Tiberius Gracchus im 133 v. Chr. Ihr Buch Der Tod der Tribune* zeichnet die Entwicklung, die zu diesem dramatischen Moment führt, nach und blickt auf die Zeit zwischen und nach dem zwölf Jahre später unter grauenhaften Umständen zu Tode gekommenen Caius Gracchus. Es gibt einige sehr bemerkenswerte Erkenntnisse, etwa die archäologischen Forschungen zur Entwicklung des bäuerlichen Lebens in Italien, die gängige Behauptungen entkräftet. Vor allem gefällt die Einordnung des Geschehens am Schluss des Buches, das deutlich macht, wie die Elite Roms sich durch ihre knallharte Konfrontation mit den Gracchen selbst in eine lang- und mittelfristig höchst problematische Lage gebracht hat.
Kleinod ist so ein schönes Wort. Es trifft ganz wunderbar auf Durch den Nebel* von Jaroslaw Rudiš zu, einem kurzen Bändchen, das eine ganze Menge über das Schreiben und die bereits geschriebenen Bücher des Autors verrät. Die Perspektive ist ungewöhnlich, denn Rudiš in einer ungewöhnlichen Weise eisenbahnaffin. Wenig verwunderlich, wie sehr das Zugfahren in diesem Text im Mittelpunkt steht, ja, der erste Teil sogar aus einem Bahnhofslokal heraus erzählt wird. Reisen auf der Schiene ist für Rudiš nie Zeitverschwendung, daran ändern Verspätungen oder verpasste Anschlusszüge nichts. Die ohnehin gewinnbringende Lektüre wird noch besser, wenn man den Roman Winterbergs letzte Reise kennt. Die Schienen führen eben nicht nur von Ort zu Ort, sondern auch in die Vergangenheit, wenn man weiß, was man sieht. Nach dem Lesen von Durch den Nebel blickt man ein wenig mehr durch, historisch und auch sonst.
Zu den beliebtesten Zielen des internationalen Massentourismus gehört Amsterdam. Wie Ries Roowaan in seinem Roman Amsterdam, verlorene Stadt* auf boshaft-sarkastische, manchmal auch drastische Weise zeigt, hat das für die Ortsansässigen viele negative Folgen. Vor allem der beste Freund der Hauptfigur, Jan Janssen, leidet darunter; nach Corona, das wie eine segensreiche Atempause wirkte, radikalisiert er sich einer bis dahin schwer vorstellbaren Weise. Doch ist das nur der rote Faden durch eine Erzählung, die viel mehr zu bieten hat. Allein der Erzähler Leo mit seiner Lebensweise: In einem musikalischen Kokon folgt er dem Pfad des sexuellen Hedonismus’. Neben Rückblenden und durchaus wehmütig wirkenden Erinnerungen gibt es eine ganze Reihe kluger Beobachtungen, Gesellschaftskritik im Gewand einer bemerkenswert ungewöhnliche Erzählhaltung: Die Hauptfigur ist nämlich bereits tot.
Ein Abenteuerroman mit Tiefgang: So würde ich Das Totenschiff* von B. Traven beschreiben. Einordnen lässt er sich nicht so leicht, schockierend für Literaturbürokraten, schön für den Leser. Spannend ist der Weg, den der amerikanische Seemann Gales zurücklegt, auf jeden Fall. Zunächst irrt er ohne Papiere und zunehmend ohne Hoffnung auf eine Rückkehr in die geordnete Welt durch Westeuropa. Nach gut einem Viertel des Romans geht es auf die »Yorrike«, ein Seelenverkäufer, auf dem hanebüchene Zustände herrschen. Und doch ist es noch lange nicht der Tiefpunkt auf dieser grotesken, wilden, fürchterlichen und leider auch immer noch aktuellen Reise. Das Ende der Handlung zeichnet sich früh ab, doch hat der Autor noch eine unvorhergesehene Wendung als Schlusspunkt gesetzt. Damit ist das Buch noch nicht zu Ende, denn Volker Kutscher hat ein sehr lesenswertes Nachwort beigesteuert.
Der Erste Weltkrieg ist die Urkatastrophe des Zwanzigsten Jahrhunderts. Ein gut vier Jahre währendes Töten, dem Millionen Soldaten und zahllose Zivilisten zum Opfer fielen, der keineswegs in einen tragfähigen Frieden mündete, sondern in eine Zeit voller Bürgerkriege, Unruhen und schließlich einen weit schrecklicheren Krieg. Auf Messers Schneide von Holger Afflerbach zeichnet den Verlauf des Ersten Weltkrieges nach, zeigt die Möglichkeiten und Grenzen der kriegführenden Parteien und welche Entscheidungen sich daraus ergaben. Verloren war der Krieg lange für keine der beiden Seiten, auch nicht für die Mittelmächte, die durchaus ein Unentschieden oder unter besonders günstigen Umständen einen Sieg hätten erringen können. Das ausgewogen argumentierende Buch kommt zu manchem recht überraschend wirkendem Schluss, wenn es sich zum Beispiel mit den Kriegszielen Englands und Frankreichs sowie der USA befasst, die einen Friedensschluss 1917/18 massiv erschwerten, vielleicht sogar unmöglich machten.
Gereon Rath ist die Hauptfigur der Romanreihe von Volker Kutscher. Am Ende des achten Bandes stirbt Rath zum Schein, im neunten tritt er folglich in die Kulissen. Charlotte Rath übernimmt in Berlin, während ihr Ehemann im Verborgenen ein Scheinleben führt. Der Mord an einem SS-Offizier bringt die Handlung ins Rollen, die Ermittlungen verstricken sich mit anderen Handlungsfäden, etwa den Schwierigkeiten, in denen Friedrich (Fritze) Thormann steckt. Die Geschichte ist sehr spannend erzählt, dies- und jenseits des Atlantiks spitzt sich die Lage immer weiter zu, ehe alles in einem dramatischen Finale endet. Das wirkt ein wenig überspannt, was an der Lesefreude aber nichts ändert. Denn wie in den vorangegangenen Romanen ist die Atmosphäre der heimliche Star von Transatlantik*, der nahende Krieg wirft seinen Schatten, was selbst manchen eingefleischten Nazi zum Nachdenken bringt. Doch ein Entkommen ist nicht so einfach, weder dies- noch jenseits des Atlantiks.
Blog-Gestöber
Beim Stöbern auf Blogs stoße ich immer wieder auf sehr interessante Bücher, die ich allzu gern lesen würde. Besonders freue ich mich, wenn eines besprochen wird, das sich selbst auf meiner Liste hatte, aber letztlich streichen musste. Das gilt für Nora Krug, Im Krieg. Petra Reich von Literaturreich hat sich dieser Annäherung an den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine angenommen, die allein wegen der Gegenüberstellung einer ukrainischen und russischen Stimme interessant (und diskussionswürdig) ist. Sehr lesenswerter Beitrag.
Bei Kaffeehaussitzer bin ich durch einen Verweis auf Tage der Toten von Don Winslow »getriggert« worden, wie man so schön sagt. Der Dreiteiler des US-Thriller-Autors befasst sich mit dem Thema »war on drugs«, jenem nicht enden wollenden Krieg gegen die Drogen, der mich seit Jahrzehnten beschäftigt. Diesmal geht es aber um Israel, einen Staat in einer sehr speziellen Lage, umgeben von aggressiv agierenden Todfeinden. Krieg war immer schon ein Katalysator für den Drogenkonsum, beides gehört zusammen, wie man bei Maror von Lavie Tidhar offensichtlich sehen kann.
768 Seiten sind mir einfach zu viel gewesen, sonst hätte ich La Storia von Elsa Morante gern gelesen. So freue ich mich, dass auf Buch-Haltung eine interessante Besprechung zu lesen ist. Der Roman ist zarte fünfzig Jahre alt und – bedauerlicherweise – brandaktuell, zeigt er doch die Abgründe auf, in die totalitäre, namentlich faschistische Gesellschaften steuern.
Ein wenig Stöbern kann man bei Literaturleuchtet und eine kleine, subjektive Buchauswahl für den Herbst kennenlernen, mit erläuternden Worten! So fleißig bin ich nicht, hier nun einige Bücher, auf die ich mich freue (leider gibt es für wenigsten vier weitere Titel noch kein Cover).
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