
Die erste Hälfte des Jahres 2025 ist überstanden, nicht viel, gemessen daran, was uns noch bevorsteht. Doch richte ich meinen Blick erst einmal zurück auf meine Lektüre und Schreiberei in diesem Jahr. Gibt es schon Kandidaten für die Bestenliste im Dezember? Ja, da sind einige unter den bislang gelesenen Büchern. Nicht alle habe ich besprochen, dafür fehlen mir aktuell Zeit und Lust.
Romane
Leo Perutz: Nachts unter der steinernen Brücke
Walter Kempowski: Alles umsonst
Steffen Kopetzky: Grand Tour
Philipp K. Dick: Das Orakel vom Berge
Erzählungen
Warlan Schalamow: Kolyma
Sachbuch
Thomas Medicus: Klaus Mann

Bis Jahresende werden noch einige Titel hinzukommen, ganz sicher der brillante historische Roman Der Gott der Barbaren von Stephan Thome, den ich gerade beende. Er gehört mit zu den besten Büchern des Genres, die ich kenne. Die wechselnden Perspektiven gehen mit den Stilvariationen Hand in Hand, eine ganz wunderbare Möglichkeit, sich dem historischen Gegenstand anzunähern. Der hat es in sich: Ein War on Drugs ganz anderer Art, denn die Briten wollen die Chinesen zwingen, Opium einzuführen.
Im zweiten Halbjahr erscheinen zudem noch viele sehr interessante neue Bücher, meine Liste potenzieller Rezensionexemplare umfasst mehr als fünfzig. Aus Zeitmangel werde ich aber maximal zehn davon wahrnehmen, der Fokus im zweiten Halbjahr steht auf dem Schreiben. Der Schlussband Opfergang meiner Piratenbrüder muss beendet werden, der Spin-Off-Band mit der Fortsetzung der Geschichte der Vinland-Fahrer um Stígandr, Eillir und Ryldr will vorbereitet sein.
Obendrein werde ich noch einige Bücher im Rahmen des Buchclubs auf Bluesky lesen. Aktuell beschäftigen wir uns mit T.C. Boyle, BlueSkies (wie passend), die Lektüre macht Spaß. Mit anderen gemeinsam lesen und sich austauschen, ist eine schöne Abwechslung. Jeder liest anders, nimmt andere Dinge wahr und wertet sie auf eine eigene Weise.
Kurzbesprechung der Juni-Bücher
Die Frage, welche Farbe die Haut Kleopatras, der ptolemäischen Königin Ägyptens hatte, ist »schlicht nicht zu beantworten«. Nach der Lektüre von Ann-Cathrin Harders’ Buch über Kleopatra* ist klar, dass diese Frage bedeutungslos ist. Sie verschwindet hinter einem komplexen, durch die vor allem römische Überlieferung stark verzerrten Bild, durch das eine intelligente, machtbewusst agierende, strategisch und taktisch kluge Herrscherin schimmert. Kleopatra hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten agiert und bestaunenswerte Erfolge erzielt. Man denke nur an das Schicksal der vielen Königreiche, Herrschaften und Machthaber nach dem Sieg Roms über Hannibal. Besonders gut hat mir die Deutung ihrer Beziehungen zu Caesar und Antonius als »Arbeitspaar« gefallen, was sexuelle oder von Liebe gespeiste Bindungen keineswegs ausschließt. Leider ruht dieses lückenhafte Bild unter einem Gebirge an Fantasie-Erzählungen in der Rezeption, grotesken Zerrbildern mit unhistorischen Absichten. Dazu gehört auch der Streit um die Hautfarbe.
Jener Frühling, in dem gestorben wird, liegt nun gut 80 Jahre in der Vergangenheit. Ralf Rothmanns Roman führt den Leser mitten hinein in die letzten Monate des »Dritten Reichs«, jene aberwitzige, apokalyptische Selbstvernichtung im Angesicht der unabwendbaren Niederlage. Im Frühling sterben erzählt auf nüchterne, distanzierte Weise von zwei befreundeten jungen Männern, Walter und Friedrich, die in den Strudel des Untergangs hineingezogen werden. Kaum ausgebildet und an die Front in Ungarn geworfen, hinein in jene gnadenlose Menschenmühle, werden sie Zeugen von barbarischen Grausamkeiten der Kriegshandlung, von der die Zivilbevölkerung nicht verschont bleibt. Es ist nicht die dramatische Zuspitzung des Romans, bei der einer der beiden nach einem Desertionsversuch einer standgerichtlichen Erschießung entgegensieht und im Peloton sein Freund steht, die dessen Qualität ausmacht. Beeindruckend ist vor allem das Gefühl, wie sehr der Einzelne in einem totalitären System schutz- und rechtlos enthemmter Gewalt ausgesetzt ist, ohne etwas ändern zu können.
Mehr als zehn voluminöse Bände stehen in meinem Regal, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg befassen. Bislang kenne ich nur den zweiten Band, jetzt habe ich mich mit dem vorletzten befasst: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg – Band 10/1: Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 – Die militärische Niederwerfung der Wehrmacht. Es passt zeitlich zum achtzigsten Jahrestag des Untergangs, obendrein ist der umfassende Landkrieg durch Putins Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine in die Gegenwart zurückgekehrt. Die letzten Kriegsmonate waren eine apokalyptische und gespenstisch irreale Zeit, die Wehrmacht führte einen Krieg »fünf nach zwölf«, wie es treffend heißt. Unvorstellbaren Verlusten stand eine irrwitzige Scheinwelt gegenüber, die keineswegs auf Hitler in seinem Bunker beschränkte, sondern für weite Kreise festzustellen ist. Die Darstellung ist umfassend und ausgewogen, manchmal ein wenig trocken, wenn es um schwierige, faktisch nicht vollständig zu beantwortende Fragen wie die Zahl der in die Sowjetunion deportierten deutschen Zivilisten geht. Keine leichte Kost, aber hilfreich.
Was, wenn Hitlers Reich den Zweiten Weltkrieg nicht verloren hätte, sondern mit Japan die gesamte Welt beherrschte? Diesen ebenso faszinierenden wie erschreckenden Gedanken haben schon einige Romanciers aufgegriffen, keiner von den mir bekannten ist dabei so weit gegangen wie Philip K. Dick. Das Orakel vom Berge heißt im Original The man in the High Castle, ein martialischerer Titel, weshalb er wohl auch die Verfilmung des Romans betitelt. Das Buch setzt weniger auf Action, ist auf eine untergründige Weise spannend, die wenig mit einem Thriller á la Vaterland (Harris) oder Feindesland (Sansom) gemein hat. Es geht um tiefgreifende Fragen, etwa die nach dem Bösen und wie man damit umgeht, wenn vielleicht das Böse eher geeignet erscheint, das eigene Überleben zu gewährleisten. Wie steht es mit dem Einzelnen in einem totalitären Regime, das der Inbegriff des Lebensverachtenden ist und bewiesen hat, Massenmorde in unvorstellbarem Ausmaß durchzuführen? Mich hat das alles geradezu begeistert. Ein ganz wunderbarer Roman, der nicht mein letzter von Philip K. Dick gewesen sein wird.
Wieder einmal habe ich das Vergnügen gehabt, eine großartige Graphic Novel zu lesen. Die letzte Einstellung* von Isabel Kreitz führt mitten hinein in die so genannte »Innere Emigration« während des »Dritten Reichs«. Heinz Hoffmann, Schriftsteller und Journalist der Weimarer Zeit, bleibt nach 1933 in Hitlerdeutschland, erhält Berufs- und Publikationsverbot. Bis 1944 sitzt er im Goldenen Käfig, dann zerstört eine Bombe seine Wohnung und vernichtet seinen Besitz. Er kriecht bei seiner ehemaligen Geliebten Erika Harms unter, die bei der UfA tätig ist. Im Irrsinn des untergehenden Reichs wird nicht nur bis fünf nach zwölf gekämpft, sondern auch gedreht. Filmen ist auch ein Versuch, sich durch die Apokalypse der Vernichtung hindurchzumogeln. Der innerlich emigrierte Hoffmann gerät in Gewissensnöte, als sich durch die zupackende und realistisch agierende Erika die Möglichkeit ergibt, an einem »kriegswichtigen« Durchhaltefilm mitzuwirken. Schön, dass die Graphic Novel über das Kriegsende hinaus erzählt und ganz richtig die »Stunde Null« auch im Film als Märchen entlarvt. Das Nachwort ist sehr informativ, ebenso das Glossar, denn außer den beiden Hauptfiguren sind viele andere reale Personen in der Handlung verwoben.
Wie die Zukunft aussehen wird, weiß niemand. Sie ist offen, glaubt man manchen Wissenschaftlern, aber an bestimmte Pfade gebunden, deren Grenzen die Entwicklung wenig wahrscheinlich überschreiten würde. Trotzdem gibt es eine Menge Literatur, die sich der Zeit widmet, die noch bevorsteht. Mal im Stile einer Utopie, mal einer Dystopie, oft auch als (technologische) Space Opera. Assaf Gavron beschäftigt sich in den zwei Erzählungen des Bandes Everybody be Cool* mit einer Welt, die mehrere Jahrzehnte in der Zukunft liegt. Eine Reihe von heute drängenden Problemen sind gelöst, utopische Ideen im Stile eines Grundeinkommens realisiert. Doch erleben die Protagonisten der Erzählungen kein utopisches Bullerbü, sondern müssen feststellen, dass der Mensch allem sozialen, technologischem und politischem Fortschritt zum Trotz im Kern der gleiche geblieben ist. Autor Gavron legt den Finger in offene Wunden, denn bei jeder Entwicklung gibt es Verlierer, die sich wehren, Unzufriedene oder auch einfach Unglückliche. Die beiden Erzählungen sind daher lesenswert, wobei die titelgebende aus meiner Sicht literarisch hochwertiger ist als die längere mit dem Titel Zement.
Der Begriff »Vietnamkrieg« dürfte vertraut sein und vor allem mit dem US-amerikanischen Engagement im fernöstlichen Land verbunden werden. Doch ist das nur der zweite oder dritte Vietnam-Krieg, nach dem Ende der japanischen Besatzung versuchte Frankreich, seine Kolonie »Indochina« wiederherzustellen. Zu diesem kolonialen Gebilde gehörte auch Vietnam. In diesem Krieg, der 1954 nach der verheerenden Niederlage der Franzosen bei Dien Bien Phu endete, starben mehr als zweieinhalbtausend Deutsche. Sie kämpften in den Reihen der französischen Fremdenlegion, die traditionell immer viele Deutsche in ihren Reihen hatte. In Indochina waren es wenigstens 40 Prozent der Legionäre, eher wesentlich mehr. Das Buch L´ennemi util von Pierre Thoumelin beleuchtet auf umfassende und ausgewogene Weise den Indochina-Einsatz der Deutschen, die zum Teil aus den Reihen von Wehrmacht, Luftwaffe, Marine und in sehr geringem Umfang Waffen-SS stammten. Hierzulande ein Nischenthema, ist ein ehemaliger Wehrmachtssoldat im preisgekrönten Roman Die französische Kunst des Krieges von Alexis Jenni präsent.
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