Eine schöne Auswahl interessanter Buchtitel, darunter eines der ganz großen Werke: The Lord of the Rings, aber auch die beiden Sachbücher über die Wolfszeit und Mendels Buch über die Israel-Debatte in Deutschland sind großartig.

Das erste Mal habe ich Der Herr der Ringe vor mehr als vierzig Jahren gelesen, seitdem immer wieder. Einmal sogar laut vorgelesen, ein Weihnachtsgeschenk, das zwischen Weihnachten und dem Beginn des nächsten Jahres eingelöst wurde. Eine ganz wundervolle Zeit in Mittelerde. Jetzt also das erste Mal auf Englisch, der Originalsprache. Wieder Weihnachten, diesmal lag eine Prachtausgabe in vier Bänden unter dem Baum:  J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings & The Hobbit. Ich habe mir Zeit gelassen, nicht nur der Sprache wegen, sondern um die lange, epische Reise zu genießen. Es könnte ja das letzte Mal gewesen sein, dass ich diese antrete.

In Deutschland wird viel über Israel geredet und wenig von der Sache, dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern verstanden. Die beiden Kontrahenten sind sich laut Meron Mendel  ausgerechnet in ihrem Spott über die 85 Millionen Nahost-Experten in Deutschland einig (wenn die wüssten!). Die Debatte hierzulande ist geprägt von bisweilen hanebüchenen Haltungen, hinter denen sich handfeste Eigeninteressen, Ideologien und empathielose Distanz gegenüber den Bedingungen des ewigen Konfliktes vor Ort verbergen.  Gern wird das Thema instrumentalisiert, um Stimmung zu machen – erfolgreich, wie die Zeit nach dem 07. Oktober 2023 gezeigt hat.  Über Israel reden ist ein vorzügliches Buch, um danach vielleicht einfach mal die Klappe zu halten. 

Was für ein vorzüglicher Thriller! Fünf Winter von James Kestrel ist aber noch viel mehr, da er unmittelbar vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour 1941 einsetzt. Ein brutaler Mord will aufgeklärt werden, der ermittelnde Polizist geht den blutigen Spuren nach, er muss dazu Honululu verlassen und wird in die Sturmflut des Krieges hineingezogen. Kestrel hat das alles ganz wunderbar zusammengestrickt, viele Wendungen, die sehr gut motiviert und erklärt werden, machen die Lektüre zu einem sehr spannenden und unterhaltendem Erlebnis; auch das Hörbuch ist in dieser Hinsicht großartig. Da der Roman vielfach besprochen wurde, spare ich mir eine ausführliche Vorstellung und verweise gern auf Kaffeehaussitzer und Buch-Haltung.

Es ist ein Wagnis, einen Literatur-Klassiker in ein neues Gewand zu hüllen. So ein Vorhaben kann gehörig schiefgehen. Gelungen ist es Joachim B. Schmidt mit Tell, aus dem der Autor einen spannenden, kurzweiligen sowie sprachlich und formal originellen Roman geformt hat. Eine verwickelte Handlung wird aus ständig wechselnden Perspektiven in kurzen Abschnitten erzählt, die Sprache ist karg, reduziert und verzichtet auf Ornamente und Kommentare. Die Charaktere sind bemerkenswert geformt, Gessler ist meine Lieblingsfigur: lamoryant, zweiflerisch, entscheidungsschwach – ein Alptraum von einem Anführer. Nur auf das Schlusskapitel hätte ich gern verzichtet. Ausführlich besprochen bei lesefieber.

Und noch ein Klassiker im neuen Gewand, der längst zu einem Klassiker geworden ist: Die neuen Leiden des jungen W. von Ulrich Plenzdorf. Bald fünfzig Jahre ist das Büchlein alt, mich hat es erstmals in der Schule ereilt, auch im 21. Jahrhundert werden Schüler damit noch behelligt. Dabei ist es eine ganz wunderbare Lektüre, die Hörbuchumsetzung großartig. Sie bringt dem Hörer die besondere literarische Gestalt der Leiden von Edgar Wibeau nahe, dem nachgeborenen Hugenotten, der an dem leidet und stirbt, was schon Goethes Werther in den Selbstmord trieb.

Einige Mühe hat mir der Roman Inmitten der Nacht von Rumaan Alam bereitet. Eigentlich ist das Thema recht interessant: Eine Katastrophe sucht die westliche Zivilisation heim, sechs Personen erleben das in einer abgeschiedenen Häuslichkeit. Lange ist unklar, ob etwas geschehen ist, das über einen kurzen Blackout hinausgeht. Ein Kammerspiel, das sich in seinem eigenen Irrgarten verläuft. Soufflé-Literatur, wie ich manche amerikanischen Bücher empfinde, wenn viel zu viele Wort um wenig Inhalt verloren werden. Irgendwann aber schlägt der Horror der Situation durch, leider viel zu spät.

Der Wolfszeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges widmet sich Harald Jähner in seinem gleichnamigen Buch, das ich im Wechsel gehört und gelesen habe. Parallel dazu ist mir der Fotoband Wolfszeit: Ein Jahrzehnt in Bildern. 1945 – 1955 in die Hände gefallen, mit tollen Bildern und Texten. Das lässt sich auch für das Buch sagen, das sich der »Niemandszeit« zwischen 1945 und 1949 widmet, in der es an der nötigen institutionellen Fokussierung fehlte: keine Regierung, keine adäquate Forschung durch immer noch nationalgeschichtlich orientierte Historiographie. Diese Lücke schließt Jähner auf beeindruckende Weise.

Blog-Gestöber

Ein Klassiker hat im März die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen: John Mair, Es gibt keine Wiederkehr, hat die meisten Zugriffe erhalten. Meron Mendels Über Israel reden konnte sich den zweiten Platz sichern, gefolgt von Volker Kutscher, Olympia, dem achten und drittletzten Teil seiner Buchreihe um Gereon Rath.

In diesem immer noch recht jungen Jahr ist schon abzusehen, dass mir die Lesezeit fehlt. Der Grund ist die Arbeit an meinen aktuellen Schreibprojekten. Im März ist mein vierter Roman (Vinland) erschienen, er hat einen sehr erfreulichen Start hingelegt; im September folgt der fünfte (Totenschiff), der gerade das Lektorat hinter sich gebracht hat und jetzt im Korrektorat ist.

Zugleich sinkt die Zahl meiner Besprechungen, was nicht weiter dramatisch ist, denn erstens habe ich schon eine ganze Reihe lesenswerter Bücher vorgestellt, zweitens gibt es ja noch viele andere interessante Blogs, auf denen ich regelmäßig stöbere. Einige sind in der Seitenleiste aufgeführt.

Interessant fand ich die Besprechung von Helena Janeczek, Das Mädchen mit der Leica auf dem Blog von buchliebhaberin. Gerda Taro war eine enge Freundin und Geliebte des weltberühmten (Kriegs-)Fotographen Robert Capa, sie ist während des Spanischen Bürgerkrieges gestorben. Die Umsetzung von Janeczek in ihrem Roman klingt vielversprechend.

Ich suche nicht nur literarische Blogs auf, sondern auch solche mit anderen Themen. Bei Christoph Brumme gibt es beides, er hat eine Reihe von Büchern geschrieben und äußert sich zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit sehr deutlichen Worten. Denn: Er lebt seit vielen Jahren in der Ukraine und hat den Beginn des Angriffs in einem Tagebuch Im Schatten des Krieges geschildert. In diesem Artikel (Die Unschuldigen mit den blutigen Händen) setzt sich Brumme mit den weltfremden Phantasien deutscher Politiker und Intellektueller auseinander. Es ist immer gut, den Betroffenen zuzuhören und nicht jenen, die ihre Hände in Unschuld waschen.

Petitessen – Farbschnitt

Wer in den so genannten Sozialen Medien unterwegs ist, wird bisweilen über kuriose Debatten stolpern, die meistens im Zustand großer Erregung geführt werden. Ich bin zuletzt einer besonders absurden Diskussion über den Weg gelaufen, zu der ich eine Kleinigkeit beizutragen hätte: Farbschnitt.

Halt! Wir reden nicht über Russland Angriffskrieg gegen die Ukraine, die rückgratlose Unterstützung vieler Länder im Westen, die galoppierende Klimakatastrophe oder die Frage, ob Heisenbergs Unschärfe Auswirkungen auf die Literatur hat und wenn ja: welche, sondern über bunte Buchschnitte?

Ja. Das tun wir.

Eine Autorin hat in einem Beitrag bei Threads davon berichtet, dass ihr auf der Buchmesse in Leipzig Leser eröffnet hätten, prinzipiell keine Bücher ohne Farbschnitt zu kaufen. Der aufgemotzte Buchschnitt, so die Leser (darf man das dann eigentlich noch so unbedarft sagen?), wäre wichtiger als der Inhalt.

Die Frage, ob nun »keiner« mehr ein Buch ohne den farbigen Killefit kaufen würde oder nicht, beherrscht die Foren. eBook-Leser dürfen sich mal einen Moment marginalisiert fühlen, sie werden es hoffentlich verkraften. Mir als Autor ist das gleichgültig. Wer meine Bücher nicht kaufen mag, aus welchem Grund auch immer, soll es selbstverständlich lassen.

Als bloggender Leser finde ich eine andere Frage interessant: Was sagt das eigentlich über das Lesen aus? Im Grunde genommen passt das Phänomen doch recht gut zur sich verbreitenden KI-Literatur, nicht wahr? Wenn der Inhalt zweitrangig ist, spielt es doch keine Rolle, wer oder was die Buchstaben zwischen den hübschen Buchdeckeln und dem schönen Farbschnitt aneinander gereiht hat.

Wie ich lernen durfte, ist es durchaus üblich, Bücher mit dem Buchschnitt nach außen ins Regal zu stellen. Damit verschwinden Buchrücken, Autor und Titel (eventuell Untertitel) rücken buchstäblich ins zweite Glied. Ich war davon sehr überrascht, musste mir aber sagen lassen, dass man auf Instagram jede Menge Regale betrachten kann, die so gestaltet sind. Wieder was gelernt.

Im ersten Moment habe ich gedacht, ich hätte noch nie ein Buch mit farbigem Buchschnitt gelesen; da Erinnerung und Wirklichkeit oft ein wenig auseinanderklaffen, habe ich doch noch einen kleinen Rundgang durch mein Regal unternommen und tatsächlich zwei Bücher gefunden, die einen farbigen Buchschnitt aufweisen. Hübscher macht sie das ehrlich gesagt nicht, aber der Inhalt macht das Manko weg, insbesondere bei Café Berlin von Harold Nebenzahl.

Und ich habe wirklich einmal einen Roman mit Farbschnitt gelesen, den ich nicht nur inhaltlich, sondern tatsächlich auch durch sein Äußeres richtig »cool« fand: Don Winslow, Kings of Cool. Schwarzes Cover, tiefschwarzer Buchschnitt. Ich habe ihn aus der Stadtbibliothek ausgeliehen und nach der Lektüre überlegt, ihn zu kaufen. (Habe ich letztlich nicht.)

Es wäre also vermessen, zu behaupten, ich wäre nicht empfänglich für schöne Bücher. Ganz im Gegenteil! Zu Weihnachten habe ich eine Luxus-Ausgabe von J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings geschenkt bekommen. Ich bin jedes Mal ganz hingerissen, wenn ich die – mittlerweile gelesene – Ausgabe im Regal neben dem giftgrünen deutschen Dreiteiler stehen sehe.

Doch ist bei mir die Reihenfolge anders, als bei den Farbschnitt-Freunden: Ich würde ein schönes Buch nur dann kaufen, wenn mir der Inhalt gefällt. Der Roman, das Erzählte ist und bleibt das einzig Interessante, der einzige Faktor, der mein Urteil beeinflusst. Äußerlichkeiten wie das Cover sind durchaus wichtig, um meine Aufmerksamkeit oder mein Interesse zu wecken, die Kauf- oder Leseentscheidung fällt aber ausschließlich anhand von inhaltlichen Kriterien. Thema. Klappentext. Leseprobe. Ganz bestimmt aber nicht durch den Farbschnitt.

Garantiert frei von Farbschnitten!
(einfach auf das Cover klicken)