Schriftsteller - Buchblogger

Blogmonat Mai 2024

In jeder Hinsicht ein wirklich guter Lesemonat.

Thomas Willmann hat einen monumentalen Historischen Roman geschaffen, der vor allem durch seine Sprache überwältigt. Der Roman braucht Zeit, der Leser sollte sie ihm gewähren und ganz in diese Welt eintauchen, die so üppig, ausschweifend und sprachmächtig gestaltet ist, dass man aus dem Staunen gar nicht wieder herauskommt. Es geht um das Streben nach Höherem, das selbst (oder auch gerade) die Begabten in die tiefsten Abgründe führt. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Nachahmung des Schöpfungsaktes, das Leben, ein Motiv, das bis in die Gegenwart eine immer wichtigere Rolle spielt und diese zweifelsfrei auch in der Zukunft spielen wird. Der Eiserne Marquis erzählt vom verzweifelten Versuch, sich gegen die Allmacht des Todes zu behaupten, mit all seinen tragischen Folgen.

Ein sehr lesenswerter Klassiker des Spionageromans ist Ein Dandy in Aspik* von Derek Marlowe. Erzählt wird die Geschichte eines Doppelagenten namens Alexander Eberlin, der in Wahrheit Krasnevin heißt. Eberlin arbeitet pro forma für die Briten, seine Aufgabe ist aber, Gegner des sowjetischen Geheimdienstes zu eliminieren. Ein Profikiller, der aber von der Spionage-Ikone James Bond weit entfernt ist, ebenso nicht dem in den 1960er Jahren gängigen Bild des ideologisch geprägten Sowjet-Agenten entsprechen will. Eberlin wird nach Berlin geschickt, um dort nach einem Doppelagenten zu suchen: Krasnevin. Er jagt also sich selbst. Spannend, krautig, rasant und mit viel Witz und Sarkasmus erzählt. 

Auf eine Reise in die Abgründe der Pharma-Industrie begibt man sich bei der Lektüre von Imperium der Schmerzen von Patrick Radden Keefe. Die so genannte Opioid-Krise ist sicher vielen als Schlagwort bekannt, allein die Zahlen, die zu Beginn des Buches genannt werden, offenbaren ihre katastrophalen Ausmaße: mehr als 450.000 Tote hat diese Krise gefordert. Keefe unternimmt eine Fahrt in die Geschichte und erzählt von der Familie Sackler und ihrem Aufstieg, der fest verbunden ist mit Purdue Pharma, dem Hersteller des verhängnisvollen Medikaments. An vielen Stellen bleibt nur fassungsloses Kopfschütteln, etwa bei der Markteinführung des ersten Morphins in Tablettenform in den 1980er Jahren. Bis zum Ende des Buches ändert sich daran nichts, im Gegenteil: der Abgrund wird tiefer und tiefer. Bemerkenswert ist nämlich auch, wie taktisch und strategisch klug sich die Sackler-Familie bis zum Ende gewehrt hat und wie hilfreich das politische und juristische System der USA sind, wenn man reich ist.

Drei Romane habe ich von Stefan Heym gelesen, die bei allen inhaltlichen Unterschieden historisch-politisch ausgerichtet sind. Ich habe die Bücher gern gelesen, trotz der – aus meiner Sicht irritierenden politischen Aktivitäten Heyms nach 1990. Umso erfreuter war ich, dass es eine Graphic Novel gibt, die sich dem Werdegang des Schriftstellers widmet. Die sieben Leben des Stefan Heym von Gerald Richter (Text & Konzeption) und Marian Kretschmer (Illustration) ist nicht nur sehr stimmungsvoll graphisch umgesetzt, sondern informativ und spannend zu lesen. Heym hat alles mitgenommen, was das 20. Jahrhundert zu bieten hatte. Sein Leben ist von heftigen Brüchen durchzogen, der Titel ist absolut gerechtfertigt. Die Geschichte macht auch deutlich, wie ungewöhnlich ruhig es im Deutschland der vergangenen Jahrzehnte doch gewesen ist. Das ist jetzt allerdings vorbei.

Seit vielen Jahrzehnten begleiten mich die Romane von Martin Cruz-Smith, die sich um die fiktive Figur des russischen Ermittlers Arkadi Renko drehen. Den Anfang bildete Gorki Park, das auch großartig verfilmt wurde, und in gewisser Hinsicht auch den besten der Romane darstellt. Da die Sowjetunion zerbrach (und sich die in Gorki Park für mich beim Erstlesen abwegige Furcht eines KGBlers, die Deutschen könnten sich wiedervereinigen, tatsächlich bewahrheitete) und Russland seither mehrere Wandlungen durchlief, blieben die nachfolgenden Romane allesamt sehr interessant (Korruption, Seilschaften, Tschernobyl, Cuba, Putsch, Putin, Oligarchen, politische Apathie); der jüngste, nunmehr zehnte Teil heißt Independence Square und spielt denn auch recht passend in Russland und der Ukraine. Wie immer: Hoffentlich gibt es noch einen. 

Mittlerweile kenne ich einige Bücher von Christian Friedrich Delius, die mir allesamt gefallen haben. Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich bildet keine Ausnahme. Es ist ein Rant in Tagebuchform, verfasst von einem geschassten Zeitungsmann, der seine erzwungene Frei-Zeit in Betrachtungen steckt, die nicht als Blog oder Buch veröffentlich werden, sondern seiner Nichte Lena zugute kommen sollen. Die Aufzeichnungen sind hochpolitisch und haben einen wirtschaftlichen Touch. Ja, so sperrige Begriffe wie »Deflation« werden gebraucht. Überhaupt ist es vorteilhaft, die vergangenen dreißig Jahre aufmerksam durchs Leben gegangen zu sein, dann entfaltet der anhaltend boshafte, sarkastische, ironische, bissige und schön formulierte Rant seinen wunderbar pointierten Charme. Ich bin keineswegs mit allem einverstanden, wäre ja noch schöner! Aber die Mük – die „Meist überschätzte Kanzlerin“ – und anderes Polit-Gekreuch, das hat schon was. „Ab wann darf man von Bananenrepublik sprechen?“ Gute Frage.

Urban Fantasy lese ich als Unterhaltungsliteratur, bestens geeignet für einige entspannte Stunden in einer magisch erweiterten Welt. Es ist weniger Harry Potter als Bartimäus gewesen, der mich für dieses Genre sensibilisiert habe, jenes dschinngewordene Musterexemplar an Bescheidenheit. Allzu häufig verirre ich mich nicht in diese Gefilde, aktuell stibitze ich meinem Sohn gelegentlich ein Exemplar der Alex-Verus-Reihe von Benedict Jacka. Der vierte Teil, Der Wächter von London,  hat mir sehr viel Spaß bereitet, was auch daran liegt, dass es vielschichtig, düster und grenzverwischend zur Sache geht. Die Hauptfigur wird von ihrer Vergangenheit eingeholt, der Versuch, diese abzuschütteln, erweist sich als gescheitert. Jacka kleidet das in eine sehr spannende Jagd-Geschichte, denn an Verus soll blutige Rache geübt werden – für einen Tod, den er mit zu verantworten hat. Alles gut? Die Übersetzung ist bisweilen ein wenig seltsam.

Blog-Gestöber

Die meiste Aufmerksamkeit auf meinem Blog wurde im Mai dem Spionage-Klassiker Ein Dandy in Aspik* von Derek Marlowe zuteil, dicht gefolgt von der Graphic-Novel Die sieben Leben des Stefan Heym* von Gerald Richter und Marian Kretschmer. Auf dem dritten Rang liegt eine ältere Besprechung von Éric Vuillard, Die Tagesordnung.

Bei den Sachbüchern fand meine Buchvorstellung Aus dem Nebel des Krieges, hrsg. von Kateryna Mishenko und Katharina Rabe die meiste Beachtung, auch die Besprechung von Die Sklaverei und die Deutschen*, hrsg. von Jasmin Lörchner und Frank Patalong wurde recht häufig angesteuert. Auch hier rundet eine ältere Besprechung von Christopher Clarks Die Schlafwandler* das Top-Trio ab.

Der Frühling ist noch nicht vorbei, angesichts des Wetters vielleicht nicht einmal richtig begonnen, da liegen schon sehr viele Vorschauen der Verlage für den Herbst vor. Ich habe meine eigene Liste erstellt, anfangs waren es 45 Bücher, angesichts begrenzter Lesezeit habe ich diese auf zwölf zurückgestutzt.

Wer einmal einen ganz individuellen Blick auf die Auswahl von Bloggern werfen will, wird bei Buch-Haltung und Literaturreich fündig. Hier freue ich mich schon auf die Blogbeiträge, da ich kein einziges der dort aufgeführten Bücher selbst lesen werde. Ein Besuch lohnt sich, es sind einige sehr interessante Werke darunter.

Einen Besuch möchte ich auch auf Literaturleuchtet empfehlen und zwar aus zwei Gründen. Einmal findet sich dort eine positive Besprechung von Hernan Diaz, Treue, ein Roman, mit dem ich selbst nicht so viel anzufangen wusste;  zum zweiten wegen des Beitrags zu Salman Rushdies Knife, der zum Nachdenken anregt.

Das eBook kann bereits vorbestellt werden – einfach auf das Bild klicken.

2 Kommentare

  1. Petra

    Dankeschön und viele Grüße !

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