Schriftsteller - Buchblogger

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Blogmonat Januar 2025

Tolle Bücher darf ich diesmal vorstellen, drei Romane und vier Sachbücher. Wie immer wird es historisch-politisch, etwa mit Robert Habecks programmatischer Schrift Den Bach rauf. Kurioserweise passt Freiheitsschock frappierend in die aktuelle Umsturz-Zeit. Die Romane haben diesmal den Fokus auf Krimi/Thriller, allerdings mit inhaltlichem Mehr-Wert.

Gehen oder bleiben? Seit ein paar Monaten denke ich immer wieder darüber nach, wie ich mich in den Sozialen Medien »aufstellen« soll. Ganz ohne geht es nicht (mehr), als Schriftsteller und Blogger muss ich hier und da mit dem digitalen Zaunpfahl winken. Aber wie und wo?

Ich vermisse Twitter. Keine andere Plattform ist bislang an den Zwitscher-Dienst herangekommen. Das ist keine Reminiszenz im gegenwärtig so beliebten Spiel, sich etwas zurückzuwünschen, das es nicht gegeben hat. Aber in puncto Reichweite, Bedienbarkeit, Komfort und Vielfalt ist Twitter bislang für mich unerreicht.

Zombie-Twitter nutze ich nur noch einige Zeit passiv, bald werde ich dort mein Konto löschen. Da Mark Zuckerberg den Kotau gekonnt vollzogen hat, stehen auch seine Plattformen zur Disposition. Facebook habe ich bereits gekündigt, Threads nervt und ist vor allem ein Schwarzes Brett für meine Blog-Beiträge.

Bei Instagram sieht die Sache anders aus. Hier bemerke ich eine dramatische Einschränkung der Reichweite beider Accounts und eine  Übersättigung der Nutzer. Mein Eindruck: Es wird geklickt und kaum noch gelesen. Das gilt auch für den Buchblog-Auftritt, doch dort kommt es gelegentlich noch zu Interaktionen. Davon würde ich mich ungern trennen, allerdings möchte ich auf gar keinen Fall mehr Zeit investieren als aktuell. Algorithmus hin, Reichweite her. Man arbeitet immer für Meta mit seinem Kotau-Chef.

Als Werbeplattform für meine Romane erscheint mir Instagram wertlos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf Instagram mehr als eine Handvoll Leser (von mehreren tausend) auf Piratenbrüder aufmerksam geworden ist. Aber auch sonst ist das Interesse verschwindend gering. In erster Konsequenz habe ich meine Aktivitäten zurückgefahren. Wozu der Aufwand?

Die zweite Konsequenz ist, dass ich auf meinem Blog öfter kürzere Beiträge poste. Etwa zu neuer Lektüre oder Lesevorhaben (12für2025 und 4rereads2025), bald auch über meine Schreibaktivitäten, möglicherweise auch einmal etwas Politisches. Vielleicht schaffe ich es irgendwann, einen Newsletter einzurichten. Einstweilen bleibe ich auf BlueSky und Mastodon aktiv. Beide Plattformen haben ihre Tücken und ihren Charme.

Kurzvorstellung der Januar-Bücher

Es ist Wahlkampf in Deutschland. Grund genug, das Buch von Robert Habeck zu lesen. Der Titel Den Bach rauf gibt die Marschroute vor, der Kanzlerkandidat von Bündnis 90/Die Grünen will sich nicht auf das elende Hauen und Stechen einlassen, mit dem die politischen Konkurrenten ihre Kampagnen um die Wählergunst befeuern. Es geht um eine Standortbestimmung und einige daraus folgende Rückschlüsse. Einer davon ist die in der öffentlichen Diskussion faktisch ignorierte Rückständigkeit Deutschlands durch das Verschlafen der digitalen Revolution. Das droht bei der nächsten Welle wieder, was hierzulande durch aberwitzige Diskussionen um Verbrenner und Migration unterzugehen droht. Habeck widmet sich diesem Thema wie vielen anderen, was das Buch zu einer wertvollen Lektüre macht.

Leonardo Padura schickt in seinem Roman Die Durchlässigkeit der Zeit Mario Conde wieder einmal auf eine verworrene und gefährliche Spurensuche. Anlass für den Ex-Polizisten, die Ermittlungen aufzunehmen, ist ein lukrativer Auftrag: Eine Schwarze Madonna ist verschwunden und soll aufgespürt werden. Condes Weg führt ihn in die Abgründe der cubanischen Realität der 2010er Jahre, in der Binnenmigranten unter erbärmlichsten Verhältnissen in Slums vegetieren. Gleichzeitig kehren immer mehr Menschen der Insel den Rücken, auch aus Condes Umfeld, während findige Geschäftemacher versuchen, kleinste Spielräume zu nutzen, um sich hemmungslos zu bereichern. Großartig! 

Ein blutiger Prolog, ein isolierter Polizist in Schwierigkeiten (Alkohol, interne Ermittlungen),  eine Versetzung, Zufallsbekanntschaften, Startschwierigkeiten am unbekannten Einsatz-Ort – soweit, so vertraut. Der Thriller Eisrausch von Roland Müller spaziert in die Handlung hinein, doch wird die Hauptfigur, Ermittler John Kaunak nach Grönland geschickt. Die eisgepanzerte Insel und seine Bewohner sind die heimlichen Stars des Buches. Die Handlung wird durch politischen Motive (chinesische Investitionen, Erderhitzung, Seltene Erden, Indigene), angereichert, die entscheidend dazu beitragen, die Ermittlungen zu einem verwickelten und wendungsreichen Unterfangen zu machen. Die Spannung bleibt bis zum Ende hoch.

Die Franken. Wer? Karl der Große! Der Kaiser, nach dem der Karlspreis verliehen wird. Charlemagne – so steht es in der Wirtschaftszeitschrift The Economist, wenn es um Europa, insbesondere Frankreich und Deutschland geht. Der Schatten, den „die Franken“ geworfen haben, reicht weit. Wer Bernhard Jussens vortreffliches Buch Die Franken liest, bekommt einiges um die Ohren gehauen. „Weg mit den Völkerwanderungskarten!“, heißt es an einer Stelle. Jussen räumt mit eisernem Besen mit überkommenen Gewissheiten auf, die oft nur mehr oder weniger phantasievollen Gedankenflügen und rückwärtsprojiziertem Wunschdenken entsprungen sind. Unbedingt lesen! Danach das herausfordernde Buch Das Geschenk des Orest zur Hand nehmen und sich eine ganz neue Geschichte erzählen lassen.

Aus der Welt der Wikinger schlägt uns dröhnende Stille entgegen. Schriftliche Überlieferungen der Zeitgenossen gibt es nicht, von einigen wortkargen Runensteinen abgesehen. Einige Reisende und Opfer von Wikingern haben sich geäußert, bei ihnen stehen Frauen nicht im Fokus, wie auch nicht in den Jahrhunderte später entstandenen Sagas. Die Archäologie schweigt zu wesentlichen Aspekten und ist schwierig auszulegen. Mit ihrem Buch Walküren* geht Johanna Katrin Fridriksdóttir also ein Wagnis ein, was sich in vielen vorsichtigen Formulierungen niederschlägt, wenn es darum geht, die Handlungsspielräume der Frauen dieser Zeit auszuloten. Keine leichte Lektüre, dafür seriös und in vielerlei Hinsicht bereichernd.

Im siebten Teil der Buchreihe um die Navajo-Police geht es um Grabräuberei. Dieb der Zeit ist eine Umschreibung für einen Kriminellen, der Grabschätze stiehl und zu Geld macht. Wie immer, wenn es um illegale Geschäfte geht, gibt es Gewalt und auch Tote. Joe Leaphorn und Jim Chee nähern sich dem Fall von verschiedenen Seiten an, Tony Hillerman hat seine Erzählung auf originelle Weile mit den jeweils schwierigen Lebenslagen der beiden Polizisten verwoben. Der Fall ist komplex und verwickelt, Leaphorn und Chee geraten mit der Schattenseite der seriösen Archäologie und Anthropologie ins Gehege. Am Ende steht – die Vorfreude auf den nächsten Band.

Während der Lektüre von Freiheitsschock: Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute war ich oft entsetzt, wütend und überrascht. Ich bin Zeitzeuge, wenngleich ich in der Nacht des Mauerfalls auf dem Weg nach Berlin havarierte. Als passionierter Zeitungsleser glaubte ich, über die Vorgänge recht gut informiert zu sein. Irrtum. Nicht der erste und leider auch nicht der letzte, wie mir ab 2014 schmerzlich bewusst wurde. Ein pointiert formuliertes Erklärbuch, angreichert mit persönlichen Facetten aus dem Leben von Autor Ilko-Sascha Kowalczuk, hat mich mit zahlreichen Fehleinschätzungen (erneut) konfrontiert. Toll ist, dass sich das Freiheitsverständnis Kowalczuks mit dem Timothy Snyders überschneidet, schön, Gedanken von Anne-Applebaum bestätigt zu finden. Doch geht Freiheitsschock darüber weit hinaus, allein wegen des Fokus auf Ostdeutschland.

Blog-Gestöber

Die kostbarste aller endlichen Ressourcen im Leben des Menschen ist die Lebenszeit. Sie ist begrenzt. Daraus ergibt sich zwingend die Frage, was man mit seiner gegebenen Zeit anzufangen gedenkt (sagt ja auch Gandalf im Fantasy-Roman The Lord of the Rings). Womit wir beim Thema wären.

Wer jetzt denkt, Fantasy – Uhhh!, sollte seine begrenzte Lebenszeit nicht mit der Lektüre von Romanen aus dem Genre und seinen Subgenres verschwenden. Jeder hat seine ganz speziellen Abneigungen, die vor Zeit-Verschwendung bewahren. In meinem Fall etwa Mystery, Horror und Liebes-Gedöns in jeglicher Ausgestaltung.

Soweit, so einfach. Man lässt einfach die Finger von dem, was man sicher nicht mag – es gibt so viele Bücher in Genres, die dem individuellen Leser zusagen. Was aber, wenn einem ein Buch in die Finger gerät, das trotzdem nicht passen will?  Abbrechen oder bis zum Ende lesen?

Der Frage geht ein Beitrag auf Horatio-Bücher unter dem reichlich spoilernden Titel  Abbruch der Lektüre – „Unsere Zeit auf Erden ist begrenzt“. Das Besondere ist, dass ein Buch betroffen ist, bei dem im Grunde genommen alles passte und eben doch nicht.

Monat für Monat pilgere ich zum Blog Honigdachs von Christoph Brumme. Der deutsche Schriftsteller lebt in der Ukraine und ist dort als Freiwilliger bei der Abwehr des russländischen Angriffskrieges tätig. Wer Innenansichten sucht, wird dort fündig. Denn auch an einem Stillen Morgen gibt es sehr Interessantes – etwa über die Energiegewinnung in der Ukraine.

Blogmonat Dezember 2024

Von den sieben im Dezember 2024 ausgelesenen Büchern haben mir vor allem Rath und Im täglichen Krieg gefallen, die fünf anderen sind samt und sonders lesenswert, wie man den Kurzbesprechungen entnehmen kann. In meinen persönlichen Leseolymp des Jahres hat es aus diesem Monat aber kein Buch geschafft.

Im Dezember ist der Zeitpunkt gekommen, ein Resümee über das ablaufende Jahr zu ziehen. Wieder habe ich meine Lektüre durchgesehen und zehn Bücher ausgewählt, die mir am besten gefallen haben. Diese Auswahl ist nicht nur sehr subjektiv, sie unterstellt eine Klarheit, die gar nicht besteht. Ich hätte ohne Schwierigkeiten auch andere Bücher auswählen können, die es durchaus verdient hätten, in den Leseolymp aufgenommen zu werden.

Auf Instagram habe ich an einer Challenge unter dem Hashtag 12für2024 teilgenommen, mir bezüglich der Regeln einige kleine Freiheiten erlaubt. Statt nur bereits gekaufte Bücher habe ich auch einige Neuerscheinungen aus den Vorschauen aufgenommen. Elf der zwölf ausgesuchten Titel habe ich tatsächlich gelesen, einer ist durchgefallen, weil ich das Buch erst Weihnachten 2024 erhalten habe. Zu spät für die Lektüre der Biographie von Thomas Medicus über Klaus Mann.

Ich freue mich auf jeden einzelnen Band. Los geht es – vermutlich – mit der Biographie zu Klaus Mann.

Für das kommende Jahr habe ich zwölf neue Bücher (12für2025) ausgewählt, darunter auch das Buch von Thomas Medicus. Diesmal habe ich mich auf jene beschränkt, die bereits in den Regalen darauf lauern, endlich herausgenommen und gelesen zu werden. Die Auswahl ist recht bunt, einige der Sachbücher lese ich mit doppeltem Interesse, denn sie dienen auch als Recherche für meine laufenden und kommenden Schreibprojekte.

Wie es mit meiner Schriftstellerei aussieht und im abgelaufenen Jahr aussah, habe ich in einem längeren Beitrag unter dem Titel Auferstehung – Schreibjahr 2024 dargestellt. Wild bewegt war 2024. In einem Satz zusammengefasst: aus der Asche zum Größenwahn und ein Stück zurück.

Verlässlich war nur, dass absolut gar nichts verlässlich ist.

Kurzbesprechung der Dezember-Bücher

Ein Buch über den Kriegsalltag als Mittel gegen das Gefühl von Ohnmacht und Überforderung angesichts eines Krieges? Andrej Kurkow lüftet den Nebel des Krieges und schildert in Im täglichen Krieg das Leben in der vom Krieg überzogenen Ukraine. Wie schon in Tagebuch einer Invasion ist der unaufgeregte, erzählende Stil des Autors der heimliche Star des Buches. Kurkow bleibt sich auch im Krieg selbst treu, er betreibt keine Propaganda, widmet sich auch schwierigen Themen. Wenn es etwa um Verrat und Kollaboration geht verknüpft er das mit Bienen. Diese zum Teil recht wagemutigen Brückenschläge erleichtern es dem Leser, an- und aufzunehmen, was der Krieg mit Menschen und Land anstellt. Es ist keine Verharmlosung des Terrorkriegs Russlands, das Gefühl von Ohnmacht und Überforderung verschwindet auch nicht. Wie könnte es! Aber sie werden auf ein Maß zurückgedrängt, auf dem sie nicht blockieren, sondern das Reflektieren aktivieren. Unbedingt lesen.

Recherchelektüre ist immer mit Überraschungen verbunden. Die Briefe, die Andrea van Dülmen in Frauenleben im 18. Jahrhundert gesammelt hat, bieten einen sehr spannenden, vielfältigen, weil vielstimmigen Zugang zu dem, was Frauen im Zeitalter der Aufklärung zu erdulden hatten. Einige Vor-Urteile werden tatsächlich bestätigt, ja noch übertroffen. Die Herablassung, mit der Männer über Frauen geschrieben und geurteilt haben, sind schauerlich. Die Begründung einer schlechteren Schulausbildung mit irgendwelchen zusammengesponnenen natürlichen Veranlagungen ist hanebüchen. Ausnahmen (»gelehrte Weiber«) gab es, aber die bestätigten wohl eher die Regel. Besonders gut haben mir einige Schreiben gefallen, die komplett aus meinem Erwartungsrahmen gefallen sind. Eine empfehlenswerte Sammlung.

David Grann hat mit seinem Buch Der Untergang der Wager wegen der dramatischen Begebenheiten einige Aufmerksamkeit erregt. Da die Ereignisse nur weniger Jahre nach der Handlung meiner Buchreihe um die Piratenbrüder spielt, hatte ich noch eine weitere Motivation, mich mit dem Schicksal der Wager zu beschäftigen. Der Leser wird in die Abgründe der Seefahrt Mitte des 18. Jahrhunderts eingeführt, Grann schildert schonungslos die grausligen Zustände an Bord eines Segler und führt den Leser in die Details der Seefahrt dieser Zeit ein. Die brutalen Verhältnisse stehen in krassem Gegensatz zu Jack Sparrow und dem Fluch der Karibik. Daraus rührt ein Teil der Spannung, denn für einen Leser des 21. Jahrhunderts ist es beinahe unvorstellbar, dass es überhaupt jemand geschafft hat, dieses Desaster zu überleben.

Gedichte pflegen ein Nischendasein im Literaturbereich. Auch in meinem Buchregal finden sich nicht allzu viele Lyrik-Bände, Trakl, Celan, Kästner, Baudelaire. Das war es auch schon. In der Stadtbibliothek (einem gefährlichen Ort für Menschen mit zu vielen ungelesenen Büchern) bin ich über den Sammelband Hundert Gedichte des Jahrhunderts gestolpert. Die Auswahl der von Marcel-Reich-Ranicki Lyrik wird ergänzt durch kurze Beiträge zu dem jeweiligen Gedicht. Das ist weit entfernt von betreutem Gedichte-Lesen, denn die Autoren sind selbst Literaten und pflegen einen sehr eigenen Zugang zum jeweiligen Poem. Der Leser bekommt also gleich beides: eine schöne Auswahl von Gedichten und einen bunten Strauß an Gedanken dazu. Sehr anregend. Ach, ja: Trakls Grodek. Eine niedergehende Lawine.

Seit rund einhundert Jahren ist unsere Welt unscharf. Was das heißt, werde ich hier nicht erklären, das könnte ich auch nicht. Andere hingegen schon. Etwa Tobias Hürter in seinem Buch Das Zeitalter der Unschärfe, das sich der umstürzenden Veränderung unseres Weltbildes zu Beginn des 20. Jahrhunderts annimmt. Es ist eine atemlose Jagd durch die Untiefen komplexer und sehr abstrakter Ideen, die aber essentiell sind für unsere Gegenwart. Gelegentlich findet sich das damals gewonnene Wissen auch in Romanen wieder, etwa in Der Schlachtenmaler von Arturo Perez-Reverte. Hürter spart auch die parallel exponentiell wachsende Dummheit nicht aus, die in Vernichtungskrieg und Zivilisationsbruch münden. Beide Linien sind nicht zu trennen, die Verstrickung der Physiker darin auch nicht.

„Woke“ gehört zu den Worten, die bei mir reflexartiges Augenrollen auslösen. Nicht etwa im Sinne rechtsreaktionärer Naseweise, sondern weil es einen ähnlichen Charakter hat wie „klassenbewusst“ oder „gerecht“ oder „christlich“. Für derart hehre Konzepte ist der Mensch zu klein. Nach dem 7. Oktober 2023 hat das schmerzlich bestätigt, als Menschen, die sich als „woke“ bezeichneten, den brutalen, enthemmten Terror in ihr „post-koloniales“ Weltbild hineinzwangen und im Blutsumpf des Antisemitismus versanken. Jens Balzer unternimmt den Versuch, diesen „moralischen Bankrott“ nachzuzeichnen, einzuordnen und einen Ansatz vorzuschlagen, wie man After Woke einen Neuanfang machen könnte. Sehr erhellend, für einen misanthropischen Leser wie mich aber auch ein Beleg, dass die großen Ismen immer in einer Art Gulag enden.

Der literarische Schlussstein Rath in der Buchreihe um den Kriminalkommissar Gereon Rath ist großartig. Schon der Prolog zeigt, in welche Richtung die Handlung geht; wir befinden uns im Herbst 1938, der Zivilisationsbruch der Nazis wird spätestens in der Reichspogromnacht am 9. November Realität. Wie schon in Transatlantik ist die eigentliche Reihen-Hauptfigur zu einer Nebenrolle verdonnert – er ist ja tot. Charly übernimmt, deren Ausgestaltung ich aber nicht ganz stimmig finde. Einerseits zu wenig berührt von dem, was andere zerbricht, andererseits zu stark in den Handlungsmustern gefangen, passt sie nicht recht in die ihr zugedachte Rolle. Doch das ist angesichts der Qualitäten des Romans eine Petitesse. Hochspannend und mit einem grandiosen Ende – ein gelungener Abschluss der Buchreihe. Chapeau!

Bloggestöber

Eine sehr interessante Seite ist die Topliste der deutschen Buchblogger auf dem Blog Lesestunden. Dort sind beim Schreiben dieser Zeilen 710 Blogs aufgeführt. Als Blogger kann man natürlich erst einmal schauen, wo das eigene Schätzchen gerade steht und wie sich das Ranking verändert hat. Wie es zur Platzierung kommt, wird auch erklärt – der Wert ermittelt sich aus dem Pagerank des Blogs und der Anzahl der Links, die zum Blog führen.

Es gibt noch ein paar Beiträge über die Sphäre der Buchblogger, etwa über die geographische Verteilung, die bevorzugten Genres, die Vernetzung und wer worüber schreibt. Diese Analyse der Buchblogosphäre ist sehr interessant, ein Besuch lohnt sich. Wer wissen möchte, wie sich das Buch-Bloggen entwickelt hat, wird im Artikel Die Entwicklung des deutschen Buchmarkts und wieso er vor massiven Herausforderungen steht fündig. Dort heißt es:

[…] dann gab es im Jahr 2020 in der Spitze fast 1400 Blogs. Im Jahr 2022 waren es zumindest noch knapp 1000 Blogs. Jetzt, im Jahr 2024, sind wir bei knapp 750 Buchblogs. Seit ihrem Höhepunkt hat sich also die Anzahl deutschsprachiger Buchblogs halbiert.

Lesestunden, 07. August 2024

Die Abwärtstendenz setzt sich also fort, ein paar Monate nach dem Erscheinen des Blog-Beitrages haben offenkundig wieder einige Blogs die Segel gestrichen. Interessant und lesenswert ist auch die Diskussion unter dem Beitrag.

Blogmonat November 2024

Gleich zwei Kandidaten für meine Auswahl »Bücher des Jahres 2024« habe ich im November ausgelesen, Grenzfahrt und Die Achse der Autokraten. Christopher Clarks großartiges Buch über Preußen war ein Genuss, Hillermans Navajo-Police ist eine Bank.

Der Wahlkampf in Deutschland läuft, die arg ins Straucheln geratene, tief gespaltene und in Teilen kurios gebärdende SPD macht sich daran, dass verbliebene Stimmvolk zu umgarnen. Die Pro-Ukraine-Fraktion wurde ausgedünnt und ein Ex-Fossil-Lobbyist exhumiert, der seinen politischen Ruhestand durch fortgesetzte Anbändelei mit einem diktatorischen Verbrecher versüßt hat.

Nach der »Klima-Kanzler«-Groteske von 2021 folgt nun also ein Angstwahlkampf um den »Friedens-Kanzler«. Die Realitäten, so bitter und schmerzlich sie sein mögen, werden durch Nebelwerfen und Sand-in-die-Augen-streuen verwischt, auf dem Rücken der Ukrainer, die sich nun schon fast drei Jahre gegen Russland wehren. Das wird sich bitter rächen. Das hätte es schon einmal, wenn man auf die Friedens-Schwärmer in den 1930er Jahren gehört hätte.

Hitler wollte Krieg. Trotz der bereits begangenen Verbrechen und diktatorischen Maßnahmen, dem Landraub und Bruch von Völkerrecht, der Unterstützung Francos im Spanischen Bürgerkrieg, trotz des Überfalls auf Polen und der unsäglichen Gräueltaten, die selbst deutsche Soldaten erschütterten (Wilm Hosenfeld) gab es im Oktober 1939 in den USA Diskussionen um Waffenlieferungen an England. Kommt bekannt vor? Ein kurzer und prägnanter Beitrag dazu unter dem Titel Stoppt die Waffenlieferungen! auf dem Blog Aisthesis.

Die heutigen Realitäten werden auch von anderen mit recht schonungsloser Offenheit beschrieben. Wer von einem »eingefrorenen Konflikt« salbadert, macht sich zum Propaganda-Knecht. Acht Jahre haben die Menschen im Osten der Ukraine in einem solchen Zustand gelebt, der eben doch ein Krieg war und nichts anderes. Man kann davor die Augen verschließen oder einmal die Betroffenen zur Wort kommen lassen. Internat von Serhij Zhadan schildert einen vor sich hin köchelnden Krieg besonders eindringlich.

Der Krieg würde weitergehen, denn Putin führt nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen den Westen Krieg.  Er wird nicht aufhören. An der Seite des Kreml-Herrschers steht eine ganze Riege von Autokraten, die sich gegenseitig unterstützen. Seit dem 05. November 2024 ist der Schatten der Tyrannei noch ein gutes Stück dunkler geworden, doch auch vorher haben viele Bewohner des Westens keine allzu rühmliche Rolle gespielt. Sie sind Steigbügelhalter geworden, wie Anne Applebaum in ihrem ganz vorzüglichen Buch Die Achse der Autokraten aufzeigt.

Das Buch Applebaums macht auch wenig Hoffnung für den Wahlkampf in Deutschland. Schmutzkampagnen sind sehr wirkungsvoll, in Autokratien wie auch in Demokratien (die vielleicht einmal Autokratie werden wollen). Wir erleben das tagtäglich, die Folgen zeigen sich bereits in den Umfragen. Die Kampagnen werden an Schärfe zunehmen. Leider sind die Gegenmittel schwach, Faktenchecks wirkungslos; wenn die Lüge in der Welt ist, bleibt sie dort.

Hinwegträumen lässt sich das alles nicht. 

Aktuell bin ich noch mit »Verräter« – Piratenbrüder Band 6 beschäftigt, das auf die Zielgerade eingebogen ist. Gedanklich beschäftige ich mich schon mit der Zeit danach. Es wird ein Sequel geben, wie ich es beim Schreiben von »Vinland « – Piratenbrüder Band 4 von Anfang an erwogen hatte. Mehr dazu habe ich in einem Blogbeitrag geschildert.

Kurzbesprechung der November-Bücher

Joe Leaphorn und Jim Chee ermitteln gemeinsam! Tony Hillerman setzt das Aufeinandertreffen der beiden Navajo-Polizisten großartig in Szene, indem er die erste Begegnung in sechsten Teil der Buchreihe um die Navajo-Police  einfach überspringt. Die Begegnung der bis dahin allein ermittelnden Polizisten wird auch überraschend eingeleitet. So viel darf verraten werden, denn gemessen am Rest, den Stunde der Skinwalker zu bieten hat, ist das letztlich eine Petitesse. Die »Skinwalker«, also »Hexer«, sind viel mehr als nur folkloristisches Beiwerk für einen Kriminalfall. Wie schon in den Vorgängerbänden führen die geisterhaften Schrecken direkt hinein in die Suche nach Motiven, erschweren zugleich die Aufklärung der Verbrechen und betreffen einen der beiden Ermittler auch persönlich.

Eduard von Keyserling gilt als vergessener Schriftsteller aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Klaus Modick habe ich es zu verdanken, dass ich gelegentlich eines seiner Werke lese: Der Roman Keyserlings Geheimnis hat mir die Person des Erzählers und sein interessantes künstlerisches Umfeld sowie die bemerkenswerte Herkunft aus einer von der Zeit verschluckten Community (Deutschbalten) nähergebracht. Seine Erzählung Am Südhang liest sich in jeder Hinsicht typisch, ein zum Leutnant beförderter Adeliger kehrt in seiner Heimat aufs Land zurück. Neben der Familie, Erinnerrungen  und dem Sommer erwarten ihn eine von ihm verehrte Frau und ein Duell. Ein kleiner literarischer Genusshappen für zwischendurch.

Mit dem von mir sehr geschätzten Historiker Christopher Clark habe ich mich auf eine lange Reise durch die Geschichte Preußens begeben. Sein umfangreiches Buch Preußen – Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1945 bietet nicht nur in geballter Form zahlreiche Informationen über diesen höchst merkwürdigen Staat, sondern räumt auch mit einer ganzen Reihe von hartnäckigen Mythen auf. Wie schon in Die Schlafwandler und Frühling der Revolution erzählt Clark mit einer erfreulichen Klarheit, ohne gewundenes Gelehrten-Gedröhn. Bei einem derart ausgreifenden Unternehmen muss zwangsweise die nötige Tiefe fehlen, sonst wäre das Buch unlesbar. Doch ist es ein vorzüglicher Schmöker, weil es sich auf das Wesentliche beschränkt und – ganz wichtig – nicht nur auf die Zeit nach 1914 fokussiert bleibt, sondern die lange Entwicklung beschreibt. Clarks zentrale These lautet: Deutschland sei nicht die Vollendung Preußens, sondern sein Verhängnis gewesen.

Was für ein Schatz! Es ist das Jahr 1941, Spätfrühling, Ende Mai oder Anfang Juni. Ein Fluss in Polen trennt Wehrmacht und Rote Armee, rollende Kolonnen zeugen vom dräuenden Unheil des Vernichtungskrieges. Diese Grenze wird von einem Mann in beide Richtungen überschritten, er transportiert Flüchtlinge, Schmuggler und Partisanen. Wechselnde Perspektiven in der Vergangenheit sowie ein Erzähler mit seinem dementen Vater in der Gegenwart machen den Roman Grenzfluss von Andrzej Stasiuk ebenso spannend wie herausfordernd, sprachlich und atmosphärisch brillant. Es erzählt von jenen, die in den Bloodlands zwischen Hammer und Amboss gerieten, aber auch davon, was erinnert wurde und was verschwiegen aus der Zeit des Krieges. Eines meiner »Bücher des Jahres« 2024.

Das zweite Buch von Anne Applebaum in diesem Jahr. Nach Die Verlockung des Autoritären geht es nun um Die Achse der Autokraten. Wieder scheut die Autorin die klare, zugespitzte Sprache nicht, was die Lektüre angenehm eindeutig macht. Sie nennt Ross und Reiter, die Liste der Autokraten und ihrer Helfer in den demokratischen Ländern ist lang. Es ist das Gegenteil eingetreten, was man sich unter Demokraten Anfang der 1990er Jahre ausgemalt hatte. Statt einer globalen Demokratisierungswelle rollt eine autokratische Gegenreformation. Aufstände, Demokratiebewegungen und Modernisierung werden ebenso gnadenlos wie effizient unterdrückt. Warum das so ist und was man dagegen tun könnte und müsste, schildert Applebaum mit schonungsloser Offenheit. Es wird eine Dauerschlacht bergan, nicht erst seit dem 05. November 2024.

Der Dystopie-Roman Born von Kris Brynn enttäuscht. Ein Thriller, wie ihn die Gattungsbezeichnung verspricht, ist Born nicht, die Handlung ist recht dynamisch und wendungsreich, aber der Thrill will sich nicht einstellen. Immerhin ist die Welt, in der Taxifahrerin Nalani unterwegs ist, durchaus interessant angelegt und böte die nötigen inhaltlichen Schwungräder für die Erzählung; sie bleiben ungenutzt. Sehr schön ist das Hologramm auf dem Beifahrersitz gelungen, Fergus sorgt für Komik und groteske Dialoge. Einige andere Figuren wirken gegenüber dem Hologramm eher wie Skizzen, denen man ihre Handlungsweise und Persönlichkeit nicht recht abnehmen möchte. Verschenktes Potenzial.

Blog-Gestöber

Vor einigen Jahrzehnten habe ich ihn gelesen, den Roman Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin. Es wird allerhöchste Zeit, sich das Buch wieder einmal vorzunehmen, das hat mir nicht zuletzt der schöne Beitrag von Julian Zündorf auf seinem Blog lectorinfabula gezeigt. Sein Beitrag Biberkopf in Babylon ist ausgesprochen lesenswert. Zu meiner großen Freude habe ich dort auch einen Text über den Roman Wallenstein gelesen, denn die Abhandlung zu Berlin Alexanderplatz ist Teil eines Leseprojektes zu Döblin. Äußerst anregende Bloglektüre!

Von Virginia Woolfe habe ich noch nichts gelesen, eigentlich eine Schande. Auf einer meiner zahlreichen Lese-Listen steht ein Büchlein von ihr – über das Lesen. Nun hat mit der Blog-Beitrag Mrs. Dalloway auf den gleichnamigen Roman neugierig gemacht. Von den Referenz-Romanen sind mir Ulysses und Berlin Alexanderplatz bekannt, ich mochte beide sehr gern. Das wäre also eine weitere Möglichkeit, eine Lese-Lücke zu schließen. Ob ich mir den Roman im Original zutraue? Eher nicht.

Heilfroh bin ich, dass es so fleißige Bloggerinnen gibt, die über Buchmessen, Preisverleihungen und Lesungen schreiben. Wer etwas über die aktuell Literatur-Nobelpreisträgerin Han Kang und ihre Bücher erfahren möchte, wird bei literaturleuchtet fündig. Bei literaturreich gibt es einen schönen Bericht zur Frankfurter Buchmesse 2024. Ich war noch nie auf einer Buchmesse und bin immer wieder an Eindrücken interessiert.

Blogmonat Oktober 2024

Zwei ebenso interessante wie herausfordernde Erklärwerke unserer Gegenwart, ein brillanter Roman über Stan Laurel (und Oliver »Babe« Hardy), ein großartiger Villain, ein als Roman verkleideter Museumsrundgang sowie gruselige Zustände an europäischen Höfen. Lesemonat Oktober.

Ein unsterbliches Wesen könnte nicht frei sein.

Timothy Snyder: Über Freiheit

Unsterblichkeit als Gefängniszelle. Was für ein Gedanke. Er steht im krassen Gegensatz zu den Bestrebungen, den Tod zu überwinden, wie sie auch in der Literatur immer mal wieder als Motiv auftauchen.

Das Thema Unsterblichkeit ist mir in Romanen mehrfach begegnet, in diversen Genres und auf unterschiedlichem Niveau. Da wäre zum Beispiel der Roman Alle Menschen sind sterblich von Simone de Beauvoir, den man durchaus in Snyders Sinne lesen kann. Der Unsterbliche ist unsterblich unglücklich, es wirkt tatsächlich wie eine Form der Unfreiheit, im Sinne des Zitats von Timothy Snyder. 

In der Weltraum Soap-Opera Perry Rhodan gibt es auch eine Gruppe Unsterblicher, die durch ein spezielles Gerät (Zellaktivator?!) diesen Status erreichen. In zwei (?) Heften wird das Schicksal eines Menschen geschildert, der zufällig an ein solches Gerät kommt und damit eine gnadenlose Hetzjagd auslöst. Unsterblich wird man erst nach einer gewissen Zeit, dann ist das Gerät nur noch von der jeweiligen Person benutzbar. Erst als er freiwillig den Zellaktivator abgibt, endet die Jagd und er ist »befreit«.

Dann wäre da noch die Urban-Fantasy-Reihe um den Magier Alex Verus. Im dritten Teil Der Magier von London versucht sich jemand daran, den Schlüssel zur Unsterblichkeit zu finden. Dabei geht die Person buchstäblich über Leichen und erntet letztlich nur Grauen. Das Schicksal erleiden auch die Protagonisten des historischen Roman Der eiserne Marquis von Thomas Willmann, in dem im 18. Jahrhundert ein Trio versucht, das Geheimnis des Lebens zu entschlüsseln, um den Tod zu überwinden.

Schließlich Tolkien mit seinem faszinierenden Buch Das Silmarillion. Die Elben beneiden die Menschen um ihre Sterblichkeit, das diese als Geschenk von Illuvatar erhalten hätten. Das finde ich bis heute einen spektakulären Gedanken, Snyder hat mit seiner Ansicht das Thema noch einmal bereichert und im Grunde genommen untermauert. Noch ein Grund, sein großartiges Sachbuch zu lesen.

Ein schöner Meilenstein im Oktober: 5.000 eBooks meiner Piratenbrüder wurden mittlerweile gekauft oder via Kindle Unlimited gelesen. Ein toller Moment, ich freue mich sehr, dass die Buchserie um Joshua und Jeremiah so viel Anklang findet.

Kurzbesprechung der Oktober-Bücher

Der fünfte Teil der Kriminal-Roman-Reihe um die Navajo-Police von Tony Hillerman so gut gelungen, dass ich heilfroh bin, gleich zum nächsten greifen zu können. In Gesang an die Geister* wird Officer Jim Chee mit einem merkwürdigen Verbrechen konfrontiert. Ein Mann wird vor einer Münzwäscherei niedergeschossen, der Schütze stirbt später selbst in einem Hogan; kurios, denn bei den Navajo gilt die Unterkunft fortan als Toten-Hogan, in dem ein chindi haust. Der Besitzer war vertraut mit den Gepflogenheiten der Navajo und hätte eigentlich dafür sorgen müssen, dass der Sterbende draußen verscheidet. Das Rätsel steht im Mittelpunkt der Ermittlungen, die Chee aus dem Navajo-Reservat nach Los Angeles führen und wieder zurück. Ein Umweg, aber nicht umsonst. Ganz besonders gefallen hat mir die Gestaltung des Antagonisten, eine authentische Verkörperung des Bösen, ein Vollstrecker, mit persönlicher Geschichte.

Da ist schon der nächste ganz heiße Kandidat für meine Bücher des Jahres 2024. Timothy Snyder hat mit seinem Über Freiheit* ein Werk verfasst, dass ausgehend von zum Teil sehr privaten Erlebnissen einen Bogen zu allgemeinen, menschlichen, politischen und philosophischen Fragen spannt. Das herausfordernde Buch geht der Frage nach, was Freiheit eigentlich ist. Der Begriff wird allzu oft gebraucht, er hat im Alltag mehr den Charakter einer hohlen Formel bekommen, die nach Belieben gebraucht wird. Dem stellt Snyder eine vielschichtige Annäherung entgegen, die dank ihre Gedankentiefe und Vernetzung mit politischen, historischen, aber auch gegenwärtigen Aspekten tatsächlich eine Orientierung in einer zunehmend als überfordernd empfundenen Welt bietet. Wer es liest, kommt gar nicht darum herum, über sich selbst nachzudenken. Daran ändern einzelne Aspekte, die Stirnrunzeln (ausgerechnet Kernfusion als Hoffnungsträger?) hervorrufen, nichts. Im Gegenteil.

Gut einhundert Seiten muss der Leser warten, bis Der Flakon in die Handlung eintritt. Bis dahin schildert der historische Roman von Hans Pleschinski die Irrungen und Wirrungen im von Preußen während des Siebenjährigen Krieges überfallenen Sachsen. Das ist alles sehr anschaulich erzählt, mutet aber ein wenig wie der Besuch eines Museums an, der von einem munteren Erzähler geleitet wird. Der Autor weiß, wovon er spricht, seine Sätze sind voller Esprit und trefflicher Formulierungen, doch würde dem Werk ein wenig mehr Fabulieren guttun. Dabei ist das Thema wirklich sehr interessant, auch überzeugt Pleschinski mit seiner Idee, dem einfältigen preußischen Militärabsolutismus die sächsische Lebensfreude und Vielfalt entgegenzustellen. An der Frage, was wäre im Falle einer Niederlage Preußens in diesem Krieg nicht alles verhindert worden, kommt man gar nicht vorüber. Es spricht auch nichts dagegen, solche Fragen in eine romanhaftere Handlung einzuweben.

Auch zweieinhalb Jahre nach dem Beginn des Vernichtungskrieges, den Russland unter brutaler Missachtung des Völker- und Kriegsrechts führt, und gut zehn Jahr nach der erstmaligen militärischen Intervention Russlands in der Ukraine (Krym, Donbas) herrscht in Deutschland noch immer geopolitische Traumtänzerei in weiten Teilen der Bevölkerung vor. Von politisch interessierten Kreisen wird das begierig aufgegriffen und instrumentalisiert, ohne die geringste Rücksichtnahme auf historische und gegenwärtige Realitäten. Als wäre das Wünschbare auch machbar, wird unbeirrt durch krachendes Scheitern an längst überkommenen Strategien festgehalten. Diese ideologischen Rettungsringe zur Wählergewinnung erweisen sich als dramatische Fehlschlüsse, Augenwischerei, wenn man Herfried Münklers Buch Welt in Aufruhr liest. Das dort zu Lesende ist viel zu komplex, um es hier in wenigen Sätzen auch nur anzureißen, daher belasse ich es dabei, auf die vorzügliche Zweckmäßigkeit des Werks beim Versuch einer außen- und geopolitischen Orientierung.

Schon auf der ersten Seite des Romans Stan von John Connolly gibt es eine Überraschung. Der Stil, den der Autor wählt, um sich dem großen Schauspieler Stan Laurel anzunähern, ist ungewöhnlich. Schlaglichter, oft gebrochen in Syntax und Satzbau, assoziativ, keinesfalls chronologisch angeordnet und doch schön zu lesen. Die Form unterstreicht, dass ein solches Unterfangen immer lückenhaft bleibt. Schon früh wird deutlich, dass ein Buch über Laurel zwangsläufig auch eines über Oliver Hardy ist, der Werdegang des kongenialen Kollegen wird immer wieder angerissen. Charlie Chaplin, Buster Keaton und Harold Lloyd spielen ebenfalls ihre Rolle. Beeindruckend ist Stan durch die schonungslose Darstellung der brutalen Lebenswelt der Bühnendarsteller und des frühen Filmgeschäfts. Da Connolly seinen Roman aus der Rückschau erzählt, lagert auf dem Erzählten von der ersten Seite an die Melancholie des Scheiterns. Großartig.

Man sollte sich von dem Klappentext („Tragische Schicksale hinter prunkvollen Fassaden“) nicht schrecken oder verlocken lassen: Ungeliebte Königin von Helga Thoma ist keine Gedöns-Literatur. Schwungvoll und zielstrebig lässt die Autorin den Leser an verschiedenen Werdegängen königlicher Ehefrauen teilhaben, beginnend bei den Gattinnen Heinrichs VIII. von England, den Gemahlinnen Karls II. Spaniens bis hin zu zu der Ehefrau von Alfons XII. von Spanien. Die Kapitel geben Aufschluss über das Treiben am Hof und wie in den Gespinsten des Zusammenlebens gefochten, gehasst und hintertrieben wurde. Das ist schon sehr interessant, wenn es etwa um Dinge wie vorgetäuschte Schwangerschaften und angebliche Fehlgeburten als Waffen im hofinternen Machtkampf geht. Stammtafeln, Literaturhinweise und ein Register der erwähnten Personen runden das informative Buch ab.

Bloggestöber

Vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine ist mir die Literatur aus dem größten europäischen Land bestenfalls in homöopathischen Dosen bekannt gewesen. Mehr als zwei Romane dürften es nicht gewesen sein, die ich von ukrainischen Schriftstellern (Zhadan und Andruchowytsch) bis zum Februar 2022 gelesen habe. Da Teile der Ukraine einige Zeit zu Österreich-Ungarn gehörten und während der Zeit der Sowjetunion keine Unterschiede gemacht wurden, ist es möglich, dass eigentlich noch jemand  hinzugerechnet werden müsste.

So oder so war es zu wenig, denn die politische Bedeutung der Ukraine war mir bereits vor mehr als zwanzig Jahren bewusst. Wie sehr Deutschland historisch in der Verantwortung gegenüber der Ukraine (sowie Polen, den baltischen Staaten, Belarus), nicht Russlands steht, hat mir Timothy Snyders Bloodlands vor Augen geführt. Bis heute wird das in weiten Teilen der Politik, insbesondere der SPD und CDU schlichtweg ignoriert, genauer gesagt: hinweggelogen. Von den Autoritären in diesem Land gar nicht zu reden.

Seit dem Angriffskrieg von Putins Russland hat sich mein Lesen geändert. Unter dem Schlagwort Ukraine Lesen habe ich schon eine ganze Reihe von Büchern von Ukrainern und über die Ukraine vorgestellt, neben fiktionalen Werken auch Erzählungen, Essays, Tagebücher, Kompendien und Monographien. Aber auch in diesem Segment schlägt der Zeitteufel zu, daher ist 2024 wenig dazugekommen: Märchen aus meinem Luftschutzkeller von OleksijTschupa,  Aus dem Nebel des Krieges von Mishenko / Rabe und Tagebuch einer Invasion  sowie Graue Bienen von Kurkow. Vom bekanntesten Schriftsteller der Ukraine folgt Im täglichen Krieg, der zweite Teil der Tagebücher über den Alltag im Krieg.

Wie gut, dass es auch andere Blogs gibt, die sich mit ukrainischer und osteuropäischer Literatur beschäftigen. Da wäre zum Beispiel Literatur über Osteuropa von Thomas Leurs, der regelmäßig Bücher vorstellt. Auf Zombie-Twitter ist Leurs aktiv und gibt regelmäßig Auskunft über interessante Neuerscheinungen. Auch wenn man davon nur einen Bruchteil selbst lesen kann, sind solche Informationen sinnvoll. Sie zeigen, wie vielgestaltig, kenntnisreich und differenziert über Osteuropa respektive die Ukraine geschrieben wird, fern von allem Geschwurbel der hiesigen Putin-Sprachrohre.

Blogmonat September 2024

Diesmal gab es keine Enttäuschung, dafür zwei ganz heiße Kandidaten für meine Bücher des Jahres 2024. Cover beim jeweiligen Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Der gerade ausklingende Monat September war ein schönes Echo des Sommers. Die Zeit ausgedehnter Hitze-Wanderungen in der Umgebung ist vorüber, die einmalige Erfahrung, die damit verbunden ist, existiert nur noch als Erinnerung und Vorfreude auf das nächste Jahr. Ich kenne tatsächlich keine andere Form des Draußen-Seins mit so viel Raum für ausschweifende Gedanken.

Während der langen Wanderungen habe ich mir vorgenommen, mich auch in meiner alltäglichen Arbeit stärker von einigen Gewohnheiten abzukoppeln, insbesondere vom Konsum der so genannten »Sozialen Medien«. Die Beschäftigung mit den Beiträgen kostet viel Zeit, Aufmerksamkeit und Energie, ohne auch nur entfernt etwas dem Aufwand Angemessenes zurückzugeben.

Ein weiterer Grund für meine wachsende Distanz zu Social Media ist der Tod von Twitter. Die in einen Hass-Zombie verwandelte Plattform war mir in ihrer alten Form die angenehmste, Ersatz gibt es bislang nicht. Threads ist unerträglich, Instagram wegen des Algorithmus nervig, Mastodon seltsam und BlueSky noch nicht so weit, dass es ein Ersatz sein könnte.

Kurz habe ich erwogen, meine Aktivitäten ganz einzustellen, das aber verworfen. So fahre ich zunächst fort, dort über neue Beiträge auf meinem Blog zu informieren. Ab und zu schreibe ich auch einmal etwas oder gebe einen Kommentar ab. Ich nutze Zombie-Twitter noch als Informationsquelle, insbesondere zu Russlands Angriffs- und Vernichtungskrieg, die anderen Plattformen vor allem für Infos zum Thema Literatur.

Anregungen gibt es immer mal wieder, jüngstes Beispiel ist der historische Krimi Schwarzer Oktober von Robert Brack, auf den ich sonst gar nicht aufmerksam geworden wäre. Und da wäre mir schon etwas entgangen. Die Jagd nach Herzchen und Followern mache ich aber nicht mit. Wozu das alles?

Gleich zweimal habe ich im September eskapistische Literatur gelesen, einen Urban– und einen SteampunkFantasy-Roman. Beides war wirklich unterhaltsam, wenn auch nicht gerade hohe Literatur. Das kann man dagegen von Boston Teran und seinem historischen Thriller Gärten der Trauer durchaus behaupten. Eine Entdeckung und ein Top-Kandidat für meine »Bücher des Jahres 2024«. Ebenfalls gefiel mir Der Wintersoldat von David Mason.

Schwere und lohnende Kost sind die Tagebücher von Wilm Hosenfeld, der von 1939 bis Anfang 1945 in Warschau als Besatzungsoffizier der Wehrmacht tätig war. Die Widersprüchlichkeit und Ohnmacht des Menschen in einem totalen Umfeld werden überdeutlich. Polen ist auch Gegenstand eines weiteren Buches, das sich mit den acht Jahren der PiS-Herrschaft beschäftigt und auf ein generelles Dilemma verweist. Die Geisterfahrer von Klaus Bachmann stellt die Frage, ob man einen Staat mit undemokratischen Mittel demokratisieren kann.

Neues gibt es auch aus meiner Schreibstube. Der fünfte Band meiner Piratenbrüder-Buchserie ist am 20. September erschienen. Totenschiff ist ein hochspannender, turbulenter, wendungsreicher Teil geworden, geht es nach meinen Testlesern, auch das beste, was ich bis dahin geschrieben habe. Aktuell sitze ich am sechsten Band mit dem Titel Verräter, den ich für das Lektorat vorbereite. Das letzte große Luftholen vor dem Finale erscheint am 20. September 2025, das eBook kann bereits vorbestellt werden.

Die bisher erschienenen Teile meiner Buchserie um die Piratenbrüder Joshua und Jeremiah. Der sechste Teil erscheint am 20. September 2025.

Kurzbesprechung der September-Bücher

Der historische Agenten-Thriller Gärten der Trauer* von Boston Teran hat viele Facetten. Das Geschehen entwickelt sich schnörkellos mit stark ansteigender Spannung, hoher Dynamik und einer sich immer weiter zuspitzenden Dramatik. Aus den USA wird Special Agent John Lourdes ins Osmanische Reich entsandt, das sich 1915 im Krieg befindet. Lourdes ist auf geheimer Mission, es geht um Öl; auf seinem Weg wird er mit der barbarischen Auslöschung der Armenier konfrontiert und muss eine Entscheidung treffen. Sein Gegenspieler ist der deutsche Rittmeister Bodo Franke, der eine irreguläre Truppe aus Verbrechern führt. Eine dramatische Jagd durch ein Land, in dem ein Genozid verübt wird, mündet in einen apokalyptischen Showdown. Dank der Sprache und der vielfältigen Erzählweise ein wirklich ungewöhnlicher wie großartiger Roman, der erstmals auf Deutsch vorliegt. Eine Entdeckung!

Mit dem Roman Der Wintersoldat zieht der Leser in die blutigen Wirren des Ersten Weltkrieges. Ein junger Österreicher namens Lucius Krzelewski wird aus seinem Medizinstudium herausgerissen und geht als Sanitätsoffizier an die Front. Allein der Weg zu seinem Posten im Feldlazarett ist großartig erzählt, nicht zuletzt durch den bürokratischen Irrsinn, der zum Krieg gehört wie der grollende Donner der Geschütze. Der theoretisch außerordentlich begabte Mediziner in Spe macht eine dramatisch zu nennende Bekanntschaft mit der Realität in den Lazaretten – ohne die helfende Hand der Nonne Magarete wäre er (nebst unzähligen Verwundeten) verloren. Autor Daniel Mason schildert die erbarmungslose Ohnmacht ebenso intensiv wie jene Kampfhandlungen, in die Lucius zufällig gerät. Das Ende des Krieges ist kein Ende, wie Der Wintersoldat eindrücklich zeigt. Ein außergewöhnlicher Roman, der durchaus unterschiedlich wahrgenommen wird. Recht negativ fällt die Einschätzung bei Buch-Haltung aus, positiv dagegen bei Kaffeehaussitzer.

Endlich habe ich das ziemlich voluminöse Werk »Ich versuche jeden zu retten.« Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern gelesen. Wilm Hosenfeld ist eine hochspannende Person. Durchaus affin zur nationalsozialistischen Ideologie, empfänglich für deren Propaganda bis weit hinein in den Krieg, den er zunächst als durchaus gerechtfertigt erachtetet. Gleichzeitig ist er ablehnend gegenüber Antisemitismus und vor allem der grausamen und unmenschlichen Behandlung der polnischen Zivilbevölkerung eingestellt, obendrein schockiert über die Kenntnis vom Holocaust. Hosenfeld ist bekannt durch seine Rettung des polnischen Pianisten Szpilman, doch hat er während seiner Zeit in Warschau mehr Menschen geholfen und wagemutige Handlungen begangen. In den Briefen tritt ein zutiefst widersprüchlicher Mensch dem Leser entgegen, der jedoch seine Empathie gegenüber anderen Menschen bis zuletzt bewahrt hat.

Selten begebe ich mich auf das Feld der Fantasy, eigentlich nie in Gefilde abseits von High Fantasy. Dank eines Buchgeschenks habe ich erstmals einen Fantasy-Roman gelesen, der Drachen und Feuerwaffen, Magie und Technologie in einer Welt vereint. The Waking Fire von Anthony Ryan ist mein zweites Buch des Autors, dessen Lied des Blutes zu den wenigen Fantasy-Schmökern gehört, die mich nicht enttäuscht haben. Also habe ich mich frohgemut auf The Waking Fire eingelassen. Die Lektüre hat Spaß gemacht, trotz der gernretypischen Schwächen und des Settings, mit dem ich nicht allzu viel anzufangen weiß. Die Erzählung ist spannend, abwechslungs- und handlungsreich, viele Torheiten, die man bei anderen Vertretern des Fantasy-Genres findet, vermeidet Ryan. Unterhaltender Eskapismus, zudem eine gute Gelegenheit, einen Schmöker im Original zu lesen.

Ab und zu begebe ich mich ein Stück aus dieser Welt und betreibe literarischen Eskapismus. Ein Weg führt mich in das Genre der Urban Fantasy, deren Handlung merkwürdig oft in London angesiedelt ist. In Benedict Jackas Buchreihe um den Magier Alex Verus geht es auch um Politik, allerdings auf einem eher gestutzten Niveau, um die Handlung langfristig zu motivieren. Das gelingt in den ersten Bänden prächtig, so ist auch Der Meister von London sehr unterhaltsam. Die größte Stärke der Bücher liegt neben der Spannung allerdings in den Antagonismen und Widersprüchlichkeiten der Hauptfigur und seiner Mitstreiter, die auch schon mal zu Gegnern werden. Alles ohne allzu großes Drama, dafür flockig, spannend und wendungsreich erzählt.

Hierzulande geht die Geisterfahrt erst los, in Polen hat man diese – hoffentlich – schon hinter sich: Acht Jahre herrschte die PiS von Jarosław Kaczyński über das große Nachbarland, das in Deutschland bedauerlicherweise oft vernachlässigt wird. Autor Klaus Bachmann widmet sich in dem Buch Die Geisterfahrer der Herrschaft der PiS. Schon auf den ersten zwei, drei Dutzend Seiten wird dem Leser bewusst, wie dünn der demokratische Firnis sein kann. Denn die PiS hat die Macht auch durch gravierende Fehler ihrer Gegner errungen und im Eiltempo die Rechtsstaatlichkeit hinweggefegt. Zugleich wird klar, dass Widerstand oft aus Ecken kommt, die in der Öffentlichkeit und vielen Medien (möglicherweise mangels Kenntnis) gar keine Rolle spielen. Ohne die EU und etwa die Strafzahlungen sowie die hartnäckig fechtenden polnischen Richter wäre die PiS möglicherweise noch immer in Amt und Unwürden. Doch nach ihrem Abgang beginnen die Probleme erst, wie Bachmann zeigt: Demokratisierung mit undemokratischen Mitteln? Ein Dilemma. Sehr lesenswert.

Viel Milieu, wenig Krimi, hochpolitisch und sehr gelungen: So lässt sich der sehr schöne Roman Schwarzer Oktober  von Robert Brack auf den Punkt bringen. Die Handlung führt ins Jahr 1923, in dem Deutschland am Abgrund steht. Klara Schindlers Leben ist geprägt von großer Not, Menschen bringen sich aus Verzweiflung um, hungern und hegen namenlose Wut. Es  bahnt sich etwas an, Klara gerät in den Dunstkreis von Kommunisten, ist in deren orthodoxer Parteihierarchie und -ideologie aber ein Querschläger. Autor Brack lässt seine Hauptfigur Tagebuch führen, dehnt den Rahmen dankenswerterweise und sprengt ihn ganz, als der Aufstand in Barmbek losbricht. Und dann ist da immer noch der Schnitter, der sein tödliches Unwesen treibt.

*Rezensionsexemplar

Blog-Gestöber

Mein Wort des Monats: »Zeugen des Sofas«. Gefunden auf dem Blog von Christoph Brumme, dem deutschen Schriftsteller, der in der Ukraine lebt, und im Gegensatz zu vielen Daheimgebliebenen tatsächlich weiß, wovon er spricht: vom Krieg Russlands gegen das ukrainische Volk. Über den Kriegsbeginn hat er Tagebuch geführt, zum Teil mit beißender Ironie und Sarkasmus. Den hat er sich erhalten, wie das aktuelle Zitat zeigt:

»Ich genieße das Privileg, den Krieg mit eigenen Augen sehen zu können und meine Erkenntnisse und Erfahrungen mit den Erzählungen der Zeugen des Sofas und denen der ausländischen Tagesgäste vergleichen zu können.«

Christoph Brumme

Auf meiner Liste interessanter Bücher stand im Frühjahr auch Daniel Kehlmanns Essay über Leo Perutz. Leo wer? Perutz gilt als vergessener Autor. Als ich vor einigen Jahren seinen Roman Der schwedische Reiter in meiner Stammbuchhandlung erwarb, erfuhr ich, dass Perutz sehr selten gelesen werde. Bis dahin hatte ich den Namen zugegebenermaßen auch noch nie gehört, die Besprechung in einer Tageszeitung hatte mein Interesse geweckt. Und ja, es wäre mir einiges entgangen, denn Perutz ist ein großartiger Erzähler. Der Meister des jüngsten Tages ist so gut, dass sich selbst den Nähe zu Mystery inkauf genommen habe, was ich sonst konsequent meide. Perutz gehört zur Literatur von Weimar, entsprechend findet man auf dem Blog Literaturweimar etwas über ihn. Ob Kehlmanns Essay dem vergessenen Autor ein zweites Leben beschert? Zu wünschen wäre es.

Bei Buch-Haltung bin ich auf einen Beitrag zu einem Buch über Rom aufmerksam geworden. Rom – Stadt fürs Leben lautet der Titel des Werkes von Golo Maurer, der sich aus subjektiver Perspektive über das Leben in der Stadt auslässt. Mich hat das in zweierlei Hinsicht angesprochen. Einmal, weil ein eigener Besuch dort längst überfällig ist, zweitens wegen des Buches Die linke Hand des Papstes von Friedrich Christian Delius. Das habe ich zweimal gelesen, einmal vor Ort, denn um Rom geht es in dem schmalen Bändchen, in dem Delius scharfzüngig den Leser auf Entdeckungstour führt, die natürlich in die Politik ausgreift. Es wird wohl Zeit für eine dritte Lektüre, wieder vor Ort und diesmal mit einem Blog-Beitrag.

Mit Ulla Lenze verbindet ich den tollen Roman Der Empfänger, der mir außerordentlich gut gefallen hat. Ihr Roman Das Wohlbefinden ist thematisch nicht für mich interessant, was mir nicht zuletzt durch die schöne Besprechung bei literaturleuchtet deutlich geworden ist.

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