Schriftsteller - Buchblogger

Kategorie: Blogmonat (Seite 4 von 7)

Blogmonat April 2024

Ein klares Highlight gab es in diesem Monat, doch sind alle hier vorgestellten Bücher absolut lesenswert. Cover beim jeweiligen Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Was für ein schöner Zufall! Parallel zu Marseille 1940* von Uwe Wittstock habe ich Die Nacht von Lissabon von Erich Maria Remarque gehört. Der Roman bildet eine großartige Ergänzung zum Sachbuch, denn er erzählt von jenen Fliehenden, die nicht auf irgendwelchen Listen standen, nicht zu den promienten Künstlern gehörten, die gerettet werden sollten. Frappierend, wie dramatisch die Wege sind, die von den Protagonisten bis ins gelobte Land USA bewältigt werden müssen, wie sehr es nötig, ja zwingend ist, den Pfad des Rechts zu verlassen, zu lügen, bluffen, tricksen und vor allem von Glück und der Macht des Zufalls begünstigt zu werden. Das alles reicht nicht, um am Ende in ein glückliches Leben einzuziehen, weder in Lissabon noch jenseits des Atlantiks. Absolut lesenswert!

In Deutschland nimmt das Gejammer um Kriegsmüdigkeit im Jahr drei nach dem umfassenden Angriff der russischen Armee auf die Ukraine immer mehr zu, politisch wird geredet und auf Wahlergebnisse geschielt, die Vertreter der alten und allzu bekannten Muster einer gescheiterten Ostpolitik kriechen wieder aus ihren Schlupflöchern hervor, getrieben von der Sehnsucht nach eine Zeit, die nur wegen intensiven Wegsehens als gut erinnert wird. Es ist nötig, sich zu vergewissern, worum es eigentlich geht. Aus dem Nebel des Krieges (hrsg. von Kateryna Mishenko, Katharina Rabe) liefert das durch viele sehr gute und hilfreiche Beiträge, etwa von jenen (Binnen-)Flüchtlingen, die 2022 zum zweiten Mal nach 2014 fliehen mussten. Der Krieg währt für die Ukrainer bereits zehn Jahre, sie benötigen massive militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung und keinen »germanozentrischen Provinzialismus, der Ohne-mich-deutsche-Michel, der sich heraushält, wenn es hart zugeht«, wie Karl Schlögel es formuliert. Recht hat er.

Nach Uwe Wittstocks Februar 33 geht es nun ins dramatische Jahr 1940. Der Krieg ist seit einigen Monaten von einer Drohung zur Realität geworden, doch was ab Mai des Jahres über Frankreich hereinbricht, hätte kaum jemand vorhergesehen. Die Wehrmacht zermalmt die französische (niederländische und belgische) Armee einschließlich des britischen Expeditionskorps’  innerhalb weniger Wochen. Millionen Menschen werden zur Flucht getrieben, darunter zahllose Deutsche, für die es bereits die zweite, dritte oder vierte Flucht ist. Es geht um Leben und Tod, Gestapo und SS lauern auf ihre Chance. Wittstock schildert in Marseille 1940* haarsträubende Fluchtgeschichten recht bekannter Kreativer in diesem Jahr, denen eine – mir völlig unbekannte – amerikanische Organisation rettend unter die Arme greift. Ein großartiges Buch!

Einen Ausflug in den Mittleren Westen der USA unternimmt der Leser mit Das Band, das uns hält von Kent Haruf. Der Roman erzählt in der Retrospektive die Geschichte zweier Farmerfamilien in Holt, einer fiktionalen Siedlung im Bundesstaat Colorado. Im Mittelpunkt steht Edith Goodnough, die zu Beginn des Romans im Krankenhaus liegt. Der Ich-Erzähler berichtet von ihrem Leben am Gängelband, das sie nie losgelassen und mit einer ganzen Reihe von Tragödien und erbarmungswürdigen Lebensumständen geschurigelt hat. Der Roman ist über weite Strecken unterhaltsam, in manchen Passagen übertreibt es Haruf allerdings mit der Vorbereitung der nächsten „überraschenden“ Katastrophe, hier hätte eine Raffung gut getan. Das Ende finde ich allerdings sehr gelungen.

Das große Wort »Nie wieder!« ist seit Jahrzehnten entkernt und zu einer hohlen Phrase heruntergekommen. Nicht erst die desaströse Kommunikation vieler deutscher Politiker und »Intellektueller« um den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine seit Februar 2022 ist dafür verantwortlich; der Sündenfall geschah in den 1990er Jahren auf dem Balkan, als ein brutal mordendes und schändendes serbisches Kriegsvolk über Bosnien herfiel. Der Westen sah zu, Europa und Deutschland, die UN verweigerten die nötige militärische Hilfe. Was das für die Menschen vor Ort bedeutete, hat Tijan Sila in Radio Sarajewo geschildert, eine fiktionalisierte Erinnerung an selbst Erlebtes. Neben der Kriegszeit wirft der Leser einen Blick in die Lebenswelt, die noch einige sehr archaische Züge trägt. In Europa! In den 1990er Jahren!

Der Holocaust blockiert manchmal die klare Sicht auf andere historische Schandtaten, die von Deutschen begangen wurden. Der Zivilisationsbruch lässt Vieles schrumpfen, was in anderen Nationen (u.a. weil sie viel früher Nation waren) umstritten ist. Kolonialismus etwa, einschließlich genozidaler Kriege, aber auch Sklaverei. Deutsche hatten ihre Finger tief im brutalen Geschäft des Menschenhandels. Eine ganze Reihe von Facetten wird in den vielfältigen Beiträgen zu Die Sklaverei und die Deutschen* von Jasmin Lörchner und Frank Patalong aufgegriffen, der Leser dieses Buches wird mit dem Thema sicher oftmals erstmalig konfrontiert. Umso wichtiger, dass es mit diesem Buch die Möglichkeit dazu gibt.

Die Ballade vom Abendland ist der Schwanengesang des Alten Europa, der französische Autor Éric Vuillard befasst sich mit dem Weg in den Ersten Weltkrieg und dem Gemetzel selbst. Wie gewohnt geht es meinungs- und ausdrucksstark zur Sache, oft assoziativ und forciert, dann aber wieder unterbrochen von Passagen, die wie Slow-Motion wirken. Etwas bedauerlich ist, dass Vuillard hinter dem zurückfällt, was Christopher Clark in seinem Werk Die Schlafwandler auf die historiographische Tagesordnung gesetzt hat. Manches in der Ballade klingt daher ein wenig atonal, wenn es um die Serben und den Kriegsschuld-Komplex geht. Doch das Wesentliche bleibt: jene vernichtende Gewalt der Urkatastrophe Europas.

Wer keinen Humor hat, sollte besser nicht zu Der kleine Grenzverkehr von Erich Kästner greifen. Hier wird ein Schelmenstück erzählt, das mindestens mit einem Augenzwinkern zu lesen ist. Kästner nutzt weidlich die Möglichkeiten der Sprache zu lustigen, sarkastischen und manchmal auch ein wenig boshaften Bemerkungen. Die ganze Geschichte hat einen so federleichten Kern, dass man getrost die Suche danach unterlassen kann; es ist ein Spiel auf der Bühne Salzburgs, das Kästner selbst als großes Theater schildert. Die Geschichte spielt 1937, als Österreich noch unabhängig war, daher ist die Hauptfigur wegen Devisenvorgaben gezwungen, in Deutschland zu nächtigen und per kleinem Grenzverkehr nach Salzburg zu pendeln.

Blog-Gestöber

Der Blick in die Blog-Statistik führt immer wieder zu Überraschungen. Wenig verwunderlich ist, dass meine Besprechung von J.R.R. Tolkiens The Lord of the Rings die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ebensowenig das Interesse an dem Beitrag zu Uwe Wittstock, Marseille 1940. Verblüffend jedoch, dass zwei recht betagte Beiträge ebenfalls ganz oben stehen: Mohamed Mbougar Sarr, Die geheimste Erinnerung der Menschen und Érich Vuillard, Die Tagesordnung wurden verblüffend oft angesteuert.  Warum? Mir ist das ehrlich gesagt rätselhaft.

Erfreulich ist, dass die Seiten über meine eigene Schreiberei, insbesondere mein jüngst veröffentlichtes Buch Vinland – Piratenbrüder Band 4 und das nächste, Totenschiff – Piratenbrüder Band 5, von den Besuchern meines Blogs oft angesteuert wurden. Vinland hatte einen erfreulichen Start, die Vorbestellungen zeigen, dass es einer Reihe von Lesern gut gefallen hat. Totenschiff ist fertig für den Buchsatz, wie es aussieht, klappt es mit der Veröffentlichung am 20. September 2024.

Im vergangenen Jahr habe ich einen schönen historischen Venedig-Krimi von David Hewson gelesen, nach Der Garten der Engel gibt es in diesem Jahr Die Medici-Morde, wieder ein Krimi aus der Lagunen-Stadt; das Buch hat Marius Müller von Buch-Haltung besprochen. Auf seinem Blog gibt es noch etwas Interessantes zu entdecken: Western gehören nun gar nicht zu meinen bevorzugten Genres (habe ich jemals einen gelesen?), aber Elmore Leonards Letztes Gefecht am Saber River klingt wirklich interessant.

Bald ist es wieder soweit: Mückenalarm! Bei Elementares Lesen gibt eine knappe Besprechung zu einem Büchlein über die kleinen Plagegeister: Günther Wessel, Mücken. Und nein – ich werde jetzt nicht kalauern, wozu man das Buch bei der Outdoor-Lektüre möglicherweise noch benutzen könnte.

Bei Literaturleuchtet wird die Hörbuchversion von Uwe Wittstocks Marseille 1940 besprochen, die sich sehr viel stärker mit Varian Fry befasst, als ich es in meinem Beitrag getan habe. Das stellt eine gute Ergänzung dar, außerdem gibt es noch zwei weitere Leseempfehlungen, Modicks Sunset mochte ich sehr. Und der Sprecher Julian Mehne trägt mir gerade Imperium der Schmerzen gekonnt vor.

Es wird düster und sehr spannend im fünften Teil meiner Abenteuerreihe.

Blogmonat März 2024

Eine schöne Auswahl interessanter Buchtitel, darunter eines der ganz großen Werke: The Lord of the Rings, aber auch die beiden Sachbücher über die Wolfszeit und Mendels Buch über die Israel-Debatte in Deutschland sind großartig.

Das erste Mal habe ich Der Herr der Ringe vor mehr als vierzig Jahren gelesen, seitdem immer wieder. Einmal sogar laut vorgelesen, ein Weihnachtsgeschenk, das zwischen Weihnachten und dem Beginn des nächsten Jahres eingelöst wurde. Eine ganz wundervolle Zeit in Mittelerde. Jetzt also das erste Mal auf Englisch, der Originalsprache. Wieder Weihnachten, diesmal lag eine Prachtausgabe in vier Bänden unter dem Baum:  J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings & The Hobbit. Ich habe mir Zeit gelassen, nicht nur der Sprache wegen, sondern um die lange, epische Reise zu genießen. Es könnte ja das letzte Mal gewesen sein, dass ich diese antrete.

In Deutschland wird viel über Israel geredet und wenig von der Sache, dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern verstanden. Die beiden Kontrahenten sind sich laut Meron Mendel  ausgerechnet in ihrem Spott über die 85 Millionen Nahost-Experten in Deutschland einig (wenn die wüssten!). Die Debatte hierzulande ist geprägt von bisweilen hanebüchenen Haltungen, hinter denen sich handfeste Eigeninteressen, Ideologien und empathielose Distanz gegenüber den Bedingungen des ewigen Konfliktes vor Ort verbergen.  Gern wird das Thema instrumentalisiert, um Stimmung zu machen – erfolgreich, wie die Zeit nach dem 07. Oktober 2023 gezeigt hat.  Über Israel reden ist ein vorzügliches Buch, um danach vielleicht einfach mal die Klappe zu halten. 

Was für ein vorzüglicher Thriller! Fünf Winter von James Kestrel ist aber noch viel mehr, da er unmittelbar vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour 1941 einsetzt. Ein brutaler Mord will aufgeklärt werden, der ermittelnde Polizist geht den blutigen Spuren nach, er muss dazu Honululu verlassen und wird in die Sturmflut des Krieges hineingezogen. Kestrel hat das alles ganz wunderbar zusammengestrickt, viele Wendungen, die sehr gut motiviert und erklärt werden, machen die Lektüre zu einem sehr spannenden und unterhaltendem Erlebnis; auch das Hörbuch ist in dieser Hinsicht großartig. Da der Roman vielfach besprochen wurde, spare ich mir eine ausführliche Vorstellung und verweise gern auf Kaffeehaussitzer und Buch-Haltung.

Es ist ein Wagnis, einen Literatur-Klassiker in ein neues Gewand zu hüllen. So ein Vorhaben kann gehörig schiefgehen. Gelungen ist es Joachim B. Schmidt mit Tell, aus dem der Autor einen spannenden, kurzweiligen sowie sprachlich und formal originellen Roman geformt hat. Eine verwickelte Handlung wird aus ständig wechselnden Perspektiven in kurzen Abschnitten erzählt, die Sprache ist karg, reduziert und verzichtet auf Ornamente und Kommentare. Die Charaktere sind bemerkenswert geformt, Gessler ist meine Lieblingsfigur: lamoryant, zweiflerisch, entscheidungsschwach – ein Alptraum von einem Anführer. Nur auf das Schlusskapitel hätte ich gern verzichtet. Ausführlich besprochen bei lesefieber.

Und noch ein Klassiker im neuen Gewand, der längst zu einem Klassiker geworden ist: Die neuen Leiden des jungen W. von Ulrich Plenzdorf. Bald fünfzig Jahre ist das Büchlein alt, mich hat es erstmals in der Schule ereilt, auch im 21. Jahrhundert werden Schüler damit noch behelligt. Dabei ist es eine ganz wunderbare Lektüre, die Hörbuchumsetzung großartig. Sie bringt dem Hörer die besondere literarische Gestalt der Leiden von Edgar Wibeau nahe, dem nachgeborenen Hugenotten, der an dem leidet und stirbt, was schon Goethes Werther in den Selbstmord trieb.

Einige Mühe hat mir der Roman Inmitten der Nacht von Rumaan Alam bereitet. Eigentlich ist das Thema recht interessant: Eine Katastrophe sucht die westliche Zivilisation heim, sechs Personen erleben das in einer abgeschiedenen Häuslichkeit. Lange ist unklar, ob etwas geschehen ist, das über einen kurzen Blackout hinausgeht. Ein Kammerspiel, das sich in seinem eigenen Irrgarten verläuft. Soufflé-Literatur, wie ich manche amerikanischen Bücher empfinde, wenn viel zu viele Wort um wenig Inhalt verloren werden. Irgendwann aber schlägt der Horror der Situation durch, leider viel zu spät.

Der Wolfszeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges widmet sich Harald Jähner in seinem gleichnamigen Buch, das ich im Wechsel gehört und gelesen habe. Parallel dazu ist mir der Fotoband Wolfszeit: Ein Jahrzehnt in Bildern. 1945 – 1955 in die Hände gefallen, mit tollen Bildern und Texten. Das lässt sich auch für das Buch sagen, das sich der »Niemandszeit« zwischen 1945 und 1949 widmet, in der es an der nötigen institutionellen Fokussierung fehlte: keine Regierung, keine adäquate Forschung durch immer noch nationalgeschichtlich orientierte Historiographie. Diese Lücke schließt Jähner auf beeindruckende Weise.

Blog-Gestöber

Ein Klassiker hat im März die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen: John Mair, Es gibt keine Wiederkehr, hat die meisten Zugriffe erhalten. Meron Mendels Über Israel reden konnte sich den zweiten Platz sichern, gefolgt von Volker Kutscher, Olympia, dem achten und drittletzten Teil seiner Buchreihe um Gereon Rath.

In diesem immer noch recht jungen Jahr ist schon abzusehen, dass mir die Lesezeit fehlt. Der Grund ist die Arbeit an meinen aktuellen Schreibprojekten. Im März ist mein vierter Roman (Vinland) erschienen, er hat einen sehr erfreulichen Start hingelegt; im September folgt der fünfte (Totenschiff), der gerade das Lektorat hinter sich gebracht hat und jetzt im Korrektorat ist.

Zugleich sinkt die Zahl meiner Besprechungen, was nicht weiter dramatisch ist, denn erstens habe ich schon eine ganze Reihe lesenswerter Bücher vorgestellt, zweitens gibt es ja noch viele andere interessante Blogs, auf denen ich regelmäßig stöbere. Einige sind in der Seitenleiste aufgeführt.

Interessant fand ich die Besprechung von Helena Janeczek, Das Mädchen mit der Leica auf dem Blog von buchliebhaberin. Gerda Taro war eine enge Freundin und Geliebte des weltberühmten (Kriegs-)Fotographen Robert Capa, sie ist während des Spanischen Bürgerkrieges gestorben. Die Umsetzung von Janeczek in ihrem Roman klingt vielversprechend.

Ich suche nicht nur literarische Blogs auf, sondern auch solche mit anderen Themen. Bei Christoph Brumme gibt es beides, er hat eine Reihe von Büchern geschrieben und äußert sich zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit sehr deutlichen Worten. Denn: Er lebt seit vielen Jahren in der Ukraine und hat den Beginn des Angriffs in einem Tagebuch Im Schatten des Krieges geschildert. In diesem Artikel (Die Unschuldigen mit den blutigen Händen) setzt sich Brumme mit den weltfremden Phantasien deutscher Politiker und Intellektueller auseinander. Es ist immer gut, den Betroffenen zuzuhören und nicht jenen, die ihre Hände in Unschuld waschen.

Petitessen – Farbschnitt

Wer in den so genannten Sozialen Medien unterwegs ist, wird bisweilen über kuriose Debatten stolpern, die meistens im Zustand großer Erregung geführt werden. Ich bin zuletzt einer besonders absurden Diskussion über den Weg gelaufen, zu der ich eine Kleinigkeit beizutragen hätte: Farbschnitt.

Halt! Wir reden nicht über Russland Angriffskrieg gegen die Ukraine, die rückgratlose Unterstützung vieler Länder im Westen, die galoppierende Klimakatastrophe oder die Frage, ob Heisenbergs Unschärfe Auswirkungen auf die Literatur hat und wenn ja: welche, sondern über bunte Buchschnitte?

Ja. Das tun wir.

Eine Autorin hat in einem Beitrag bei Threads davon berichtet, dass ihr auf der Buchmesse in Leipzig Leser eröffnet hätten, prinzipiell keine Bücher ohne Farbschnitt zu kaufen. Der aufgemotzte Buchschnitt, so die Leser (darf man das dann eigentlich noch so unbedarft sagen?), wäre wichtiger als der Inhalt.

Die Frage, ob nun »keiner« mehr ein Buch ohne den farbigen Killefit kaufen würde oder nicht, beherrscht die Foren. eBook-Leser dürfen sich mal einen Moment marginalisiert fühlen, sie werden es hoffentlich verkraften. Mir als Autor ist das gleichgültig. Wer meine Bücher nicht kaufen mag, aus welchem Grund auch immer, soll es selbstverständlich lassen.

Als bloggender Leser finde ich eine andere Frage interessant: Was sagt das eigentlich über das Lesen aus? Im Grunde genommen passt das Phänomen doch recht gut zur sich verbreitenden KI-Literatur, nicht wahr? Wenn der Inhalt zweitrangig ist, spielt es doch keine Rolle, wer oder was die Buchstaben zwischen den hübschen Buchdeckeln und dem schönen Farbschnitt aneinander gereiht hat.

Wie ich lernen durfte, ist es durchaus üblich, Bücher mit dem Buchschnitt nach außen ins Regal zu stellen. Damit verschwinden Buchrücken, Autor und Titel (eventuell Untertitel) rücken buchstäblich ins zweite Glied. Ich war davon sehr überrascht, musste mir aber sagen lassen, dass man auf Instagram jede Menge Regale betrachten kann, die so gestaltet sind. Wieder was gelernt.

Im ersten Moment habe ich gedacht, ich hätte noch nie ein Buch mit farbigem Buchschnitt gelesen; da Erinnerung und Wirklichkeit oft ein wenig auseinanderklaffen, habe ich doch noch einen kleinen Rundgang durch mein Regal unternommen und tatsächlich zwei Bücher gefunden, die einen farbigen Buchschnitt aufweisen. Hübscher macht sie das ehrlich gesagt nicht, aber der Inhalt macht das Manko weg, insbesondere bei Café Berlin von Harold Nebenzahl.

Und ich habe wirklich einmal einen Roman mit Farbschnitt gelesen, den ich nicht nur inhaltlich, sondern tatsächlich auch durch sein Äußeres richtig »cool« fand: Don Winslow, Kings of Cool. Schwarzes Cover, tiefschwarzer Buchschnitt. Ich habe ihn aus der Stadtbibliothek ausgeliehen und nach der Lektüre überlegt, ihn zu kaufen. (Habe ich letztlich nicht.)

Es wäre also vermessen, zu behaupten, ich wäre nicht empfänglich für schöne Bücher. Ganz im Gegenteil! Zu Weihnachten habe ich eine Luxus-Ausgabe von J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings geschenkt bekommen. Ich bin jedes Mal ganz hingerissen, wenn ich die – mittlerweile gelesene – Ausgabe im Regal neben dem giftgrünen deutschen Dreiteiler stehen sehe.

Doch ist bei mir die Reihenfolge anders, als bei den Farbschnitt-Freunden: Ich würde ein schönes Buch nur dann kaufen, wenn mir der Inhalt gefällt. Der Roman, das Erzählte ist und bleibt das einzig Interessante, der einzige Faktor, der mein Urteil beeinflusst. Äußerlichkeiten wie das Cover sind durchaus wichtig, um meine Aufmerksamkeit oder mein Interesse zu wecken, die Kauf- oder Leseentscheidung fällt aber ausschließlich anhand von inhaltlichen Kriterien. Thema. Klappentext. Leseprobe. Ganz bestimmt aber nicht durch den Farbschnitt.

Garantiert frei von Farbschnitten!
(einfach auf das Cover klicken)

Blogmonat Februar 2024

Acht Bücher haben es in meinen Blogmonat Februar 2024 geschafft, darunter Fall, Bombe, Fall, das mit ziemlicher Sicherheit auf meiner Jahresbestenliste landen wird. Wieder gibt es vielfältige Themen und Formen, von den vier Romanen ist einer jedoch enttäuschend, ausgerechnet von Kurkow, der mit seinem großartigen Tagebuch gleich noch einmal vertreten ist.

Auch im achten Teil der historischen Kriminalreihe um Gereon Rath wird der Leser hervorragend unterhalten. Olympia ist ungeheuer spannend, Volker Kutscher gelingt es, die missliche Lage, in der sich der Protagonist am Ende des Vorgängerbandes befindet, auf die Spitze zu treiben. Mehr als drei Jahre nach der Machtergreifung endet das ewige Lavieren Raths, aber auch Charly und Fritze müssen feststellen, dass sie auf gewohnte Weise nicht weiterkommen. Der Schatten des Nazi-Regimes wird immer finsterer, die propagandistisch ausgeschlachteten Olympischen Spiele sind nur eine zeitlich begrenzte Lücke in der schwarzen Wolkendecke.

Mit Tagebuch einer Invasion setze ich die Lektüre über den Krieg Russlands gegen die Ukraine im Spiegel von Tagebüchern, Berichten und Essays fort. Andrej Kurkow ist einer der bekanntesten Autoren des Landes, er sieht sich als ethnischen Russen, der auf Russisch schreibt. Der Krieg ist in mehrfacher Hinsicht ein tiefer Einschnitt in sein Leben, Flucht aus Kyjiw, Schreibblockade bei fiktionaler Literatur, verschärfte Beschämung wegen des Russischen. Die Beiträge beleuchten das und viele andere Aspekte in einer Weise, dass der Krieg näher rückt, dessen Auswirkungen spürbar werden, auch wenn man im sicheren Deutschland sitzt.

Ein klarer Befehl: Überlebende von torpedierten Schiffen dürfen nicht an Bord eines U-Bootes genommen oder abgeschleppt werden. Es ist Krieg und Teil des Krieges ist das Töten von Menschen, oft auf brutale Weise. Der Roman Comandante bringt einen italienischen U-Boot-Kommandanten in die Lage, in der er eine Entscheidung treffen muss; er hilft den Schiffbrüchigen, trotz des Befehls, wegen eines höheren See-Rechts. Der spannend und aus ungewöhnlich vielen Perspektiven erzählte Roman von Edoardo de Angelis und Sandro Veronesi nimmt sich des Themas mit Blick auf die Gegenwart an und lässt den Leser nachdenklich zurück.

Ein Augenöffner ist das Buch von Anne Applebaum für mich gewesen. Die Verlockung des Autoritären  befasst sich mit der Entwicklung von Polen, Ungarn, England und den USA in den zurückliegenden 25 Jahren, Abstecher nach Spanien, Frankreich und Italien runden den Streifzug ab. Es geht um grundlegende Fragen, woher der Drang nach autoritären Regierungsformen, die Mechaniken, die sie begünstigen, und natürlich auch, ob ein Ende der Demokratie vermeidbar ist. Deutschland spielt keine Rolle, als Leser kann man selbst die Frage stellen, ob und was übertragbar ist. Eine sehr wichtige Lektüre! Unbedingt empfehlenswert.

Physik! Wer jetzt meint, Reißaus nehmen zu müssen, bitte sehr. Ich habe Die Stunde der Physiker von Ernst Peter Fischer mit großem Gewinn gelesen. Nein, liebe Studienräte, ich habe nicht alles verstanden, schon gar nicht so weit, dass ich es wiedergeben könnte. Doch deswegen greife ich auch nicht zu solchen Büchern, sondern weil ich gern wissen möchte, wo meine Verständnisgrenzen liegen und einen Eindruck gewissen möchte, wie es jenseits davon aussieht. Was ich noch in der Schule gelernt habe, ist 19. Jahrhundert, Atommodelle, die zwischen 1922 und 1932 ersetzt wurden. Faszinierend die Gleichzeitigkeit von genialer Wissenschaft á la Planck, Bohr, Einstein, Heisenberg und dem populistischen Geschwurbel von Oswald Spengler.

Der zweite Teil der Romanreihe um Samson aus dem Kyjiw des Jahres 1919 ist leider nicht so gut gewesen, wie der Auftakt. Samson und das gestohlene Herz habe erwartungsfroh begonnen, war meine Leselust doch nicht zuletzt durch eine Lesung mit Autor Andrej Kurkow geweckt worden, doch nach wirklich gutem Beginn zerfaserte die Handlung auf eine seltsame Weise. Sie geriet krautig, die anfängliche Erzähllinie verblasste und das Geschehen mäanderte mehr, als es voranschritt. Gern hätte ich hier Positives geschrieben, mochte ich Samson und Nadjeschda doch gern. So bleibt die Hoffnung auf den dritten Teil.

Lohnt sich eine genaue Analyse der Rhetorik, derer sich die Rechten, insbesondere der AfD bedienen? Um die genau geplante Wirkung der Reden zu durchschauen, ist Was heißt hier »wir«? von Heinrich Detering hervorragend geeignet. Damit wird man niemanden erreichen, der bereits in den Fängen des braunen Gesindels ist, aber alle anderen werden mit dem nötigen sprachlichen Rüstzeug versehen, wie gefährlich es ist, dass Vertreter der Rechten allzu oft die Öffentlich-Rechtlichen Medien als Plattform nutzen können, um ihr Gift unwidersprochen oder hinterfragt zu verbreiten.

Ein Kleinod im besten Sinne ist Fall, Bombe, Fall von Gerit Kouwenaar. Die Novelle, die bereits 1950 erschienen ist, spielt im Jahr 1940 und schildert wie der siebzehnjährige Karel den Schritt der Niederlande in den Krieg vollzieht. Die Verschränkung zwischen Coming of Age und dem dräuenden Schrecken des deutschen Überfalls ist großartig. Nirgendwo sonst habe ich das Niemandsland zwischen Frieden und Krieg, wenn der eine verschwunden, der andere noch nicht angekommen ist, was alles zutiefst unwirklich erscheinen lässt, so atmosphärisch gelungen beschrieben gesehen. Ein Kandidat für das »Buch des Jahres 2024«.

Blog-Gestöber

Im Februar war meine Besprechung des Romans Comandante* von Edoardo De Angelis und Sandro Veronesi am stärksten nachgefragt. Wunderbar, denn das Thema ist aktuell und die Hauptfigur mit ihrem Kriegerethos ungewöhnlich. Kurios ist, dass mit Die wahre Geschichte der Wikinger von Neil Price ein Sachbuch auf dem zweiten Platz gelandet ist, das ich schon vor einigen Monaten besprochen habe. Es gehört zu meinen beiden Favoriten des Jahres 2023, also ist das kein Grund für Traurigkeit.

Ein Grund für das Interesse ist sicher, dass dieses monumentale Werk über die Nordmänner in einigen Artikeln über mein nächstes Buch Vinland – Piratenbrüder Band 4 erwähnt wird, die ebenfalls oft angesteuert wurden. Price hat noch einige Dinge zu meinem Roman beigetragen, auf den letzten Drücker (Walhalla-Sessrumnir), aber vor allem einen Grundgedanken fundamentiert: Zwischen Wikingern und Piraten gab es Berühungspunkte und Gemeinsamkeiten.

Trotzdem ist es ein Wagnis gewesen, einen Roman auf zwei Zeitebenen zu schreiben, ein Spaziergang im Wald hat letztlich die Entscheidung gebracht. Es handelt sich immerhin um den Mittelband einer Heptalogie um die Piratenbrüder Joshua und Jeremiah, bricht mit der Erzählstruktur und beeinflusst damit den folgenden Band, Totenschiff –  Piratenbrüder Band 5, mit dem wieder auf eine Zeitebene zurückgekehrt wird. Der würde sich ohne die besondere Erzählstruktur von Teil 4 anders lesen.

Vinland erscheint am 20. März 2024.

Ein Wikingerschatz? Im »Blue Cove« zu Charles Town ist man sich einig: Der Fremde mit dem zerstörten Gesicht spinnt Seemannsgarn. Doch ahnt niemand, dass 700 Jahre zuvor ein junger Nordmann auf einem Fass steht, einen Strick um den Hals und den Tod vor Augen. Und so beginnt es …

Auf dem dritten Rang in der Lesergunst liegt die Besprechung eines Sachbuches zu einem Thema, das mir sehr am Herzen liegt: Anne Applebaums Die Verlockung des Autoritären. Die Autorin geht der Frage nach, warum so viele Menschen antidemokratischen Trommlern hinterherlaufen, wie es dazu kommen konnte, dass nach dem Sieg über die menschverachtende Sowjetunion 1990 die Demokratie nicht weiter auf dem Vormarsch war, sondern immer mehr autoritäre Regime sich etablieren konnten. Die Antworten sind wenig erfreulich.

Leseförderung

Zwischen 2012 und 2022 ist die Zahl der Buchkäufer in Deutschland um elf Millionen auf 26 Millionen gefallen. Das ist eine dramatische Entwicklung. Die Lektüre von Büchern hat unbestreitbare Vorzüge für den Lesenden, nicht nur im Gegensatz zum flüchtigen Hinwegfliegen von Mini-Beiträgen in den Sozialen Medien. Entsprechend schauerlich sind die Zahlen.

Immer wieder wird auf  die Notwendigkeit der Leseförderung hingewiesen. Marius Müller (Buch-Haltung) hat in einem Beitrag die Idee einer Bücher- und Bildungsnation propagiert und eine ganze Reihe interessanter und wohl hilfreicher Vorstellungen zum Thema Leseförderung unterbreitet. Und ja: Bildung hängt von der Sozialen Herkunft ab, die Chancen, die sich daraus ergeben, auch.

Mir käme es nie in den Sinn, derlei infrage zu stellen. Leseförderung zum Erwerb von Kernkompetenzen ist zentral. Die Realitäten in der Schule sehen allerdings anders aus. 300 Seiten recht großzügig bedrucktes Lesewerk ist schon viel zu viel – für die Schüler und auch für die Portemonnaies der Eltern. Zehn Euro pro Buch ist das Maximum (kostenlos wäre besser)! Flatscreen-TV, Smartphone, Fernreise usw. müssen ja auch bezahlt werden.

Damit wären wir wieder bei der Herkunft. Wie sollte Schule gegen das vorgelebte Wertemodell des Elternhauses ankommen? Wie gegen die Algorithmen der großen Plattformen (und Streaming-Dienste)? Die sprechen das Belohnungssystem des Menschen gezielt an, sie leben von der Aufmerksamkeit, melken die Menschen regelrecht  und entziehen ihnen das Kostbarste, was sie haben: Zeit. 

Ein Buch kann da nicht mithalten, selbst mit dem quietschigsten Farbschnitt nicht, denn gelesen werden muss ja trotzdem. Das ist zunächst einmal bis zum Erwerb von Lesekompetenz nichts, was das Belohnungssystem anspricht.

Selbst wenn das Kind aus einem lese- und förderfreudigen Haushalt kommt, gibt es keine Garantie, dass es klappt. Aus nächster Nähe konnte ich beobachten, wie aus einem Lesemonster ein konsequenter Buch-Abstinenzler wurde. Dafür brauchte es nur wenige Wochen, Bücher und Lesen sind seitdem unrettbar verloren.

Mir liegt es völlig fern, aus diesem Beispiel auf die Gesamtheit zu schließen und  etwa das Konzept oder den Sinn von Leseförderung infrage zu stellen. Leseförderung ist und bleibt wichtig und sollte massiv unterstützt werden. Sie hat nur mit mächtigen, ja überlegenen Gegnern zu kämpfen, die gar kein Interesse daran haben, dass es mehr Leser gibt.

Im Grunde genommen müsste Leseförderung mit eine Regulierung der Nutzung von SoMe-Plattformen usw. einhergehen, sonst wird das Fördern wie Heizen bei geöffnetem Fenster im Winter sein. 

Blogmonat Januar 2024

Mein Monatshiglight ist eindeutig Tyll von Daniel Kehlmann, doch sind auch die übrigen sehr lesenswert. Ein Buch fehlt auf dem Bild, das mit Canva erstellt wurde.

Apokalypse im Dreißigjährigen Krieg. Die Kapitel, in denen Daniel Kehlmann die Verwüstungen schildert, die der nicht enden wollende Krieg angerichtet hat, sind von schauriger Schönheit. In diesem blutigen Strudel aus Tod, Dreck und Hunger kämpft Tyll Uhlenspiegel um ein Leben, dabei ist er keineswegs der einzige Narr, denn das Prädikat verdiente auch Friedrich V., der so genannte „Winterkönig“, ein Herrscher ohne Land und Leben. Die Lebenspfade beider überschneiden sich, Kehlmann nutzt die Perspektive geschickt aus, um den närrischen Irrsinn menschlichen Handelns auszubreiten. Ein großartiger Roman.

Mit dem Roman Das Meer der Illusionen endet das Havanna-Quartett des kubanischen Autors Leonardo Padura um den Polizisten und verkappten Schriftsteller Mario Conde. Es ist der beste der vier Bände, aus meiner Wahrnehmung heraus steigert sich der Autor von Teil zu Teil. Der Roman ist Literatur im Gewand eines Krimis, es geht – wie auch bei den drei anderen Teilen – um sehr viel mehr als die Lösung eines Mordfalles, Padura nutzt das Genre, um die Lebenswirklichkeit auf der Insel zu beschreiben. Die Qualität des Romans ist hoch, seine Figuren lebendig, lebenswirklich und authentisch, es gibt eine Reihe von Zumutungen, auch stilistischer Natur.

Mit der Graphic Novel Die drei Leben der Hannah Arendt von Ken Krimstein  unternimmt der Leser eine Reise durch das Leben der Essayistin, Autorin und Philosophin. Die Stationen ihres Daseins sind geprägt von dramatischen Ereignissen, wie der Flucht aus Marseille vor den kollaborierenden französischen Sicherheitskräften, doch ist das Buch noch sehr viel mehr: Es macht deutlich, mit welchen Fragen sich Arendt beschäftigt hat, was ihre originellen und singulären Antworten an Gegenwind (Shit-Storms) ausgelöst haben und dass es durchaus sinnvoll ist, von ihr einmal einen Text zu lesen.

Was für eine Provokation! Bernhard Jussen unternimmt mit seinem so harmlos klingenden Buch Das Geschenk des Orest* einen Frontalangriff auf die bisherigen Deutungskonventionen der Zeit, die als „Mittelalter“ geläufig ist; ebenso kehrt der Autor die bisherige Materialauswahl um und stellt Medien in den Mittelpunkt seiner Arbeit, die bislang bestenfalls als Bestätigung der gängigen Schriftquellen verwendet wurden. Das stellt den Leser vor eine Herausforderung, allerdings eine lohnenswerte, denn ihm eröffnet sich ein völlig neuer Blick auf die Geschichte zwischen 525 und 1535.

Großen Spaß hat mir das Hören des Sachbuches Die beste aller möglichen Welten von Michael Kempe gemacht, in dem dieser einige Stationen und viele Denkwege des Gelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz nachzeichnet. Allein die Frage, wie viele Welten es eigentlich gibt, ist auf eine originelle Weise beantwortet und wie die allermeisten anderen Aspekte im Buch anregend zum Nachdenken. Nebenbei erfährt der Leser / Hörer eine Menge über die Zeit und das Leben eines Denkers im Europa des Absolutismus und der Gelehrtenrepublik.

Die Textsammlung Krieg und Frieden. Ein Tagebuch lässt Autorinnen und Autoren aus mehreren europäischen Staaten zum Thema Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu Wort kommen. Die sind nun bald zwei Jahre alt, haben aber oft nicht oder nur wenig an Aktualität verloren. Vor allem lassen sie Menschen zu Wort kommen, deren Stimmen im gewöhnlichen Mediengetöse schlichtweg untergehen. Manche der Beiträge kann man nur mit einem Stirnrunzeln lesen, sie sind aus der Situation heraus verfasst und entsprechend wertvoll.

Robert Musils kurze Schrift Über die Dummheit versucht, sich dem Thema auf intellektuelle Weise zu nähern. Letztlich bleibt offen, was Dummheit eigentlich Dummheit ist, immerhin gelingt Musil eine Abgrenzung zu anderen Phänomenen. Besonders interessant fand ich die Aufteilung in eine schlichte und hohe Dummheit, wobei letztere die wesentlich gefährlichere Variante darstellt. Allerdings ist mit Blick auf die Macht der so genannten Sozialen Medien fraglich, ob man das noch stehen lassen kann.

Warum klingen Science Fiction-Romane manchmal ein wenig wie Gebrauchsanleitungen? Statt für Toaster eben für Raumschiffe, Landefähren, Raumanzüge oder irgendwelche technischen Dinge, die während der Handlung in irgendeiner Weise eine Rolle spielen, zum Beispiel repariert werden müssen. So ist das im Falle von Enceladus von Brandon Q. Morris, einem Roman über eine Mission im Sonnensystem zum gleichnamigen Mond. Die Personen sind mäßig ausgestaltet, die Interaktionen lassen oft zu wünschen übrig, die Auswahl der Crew geschieht in der Realität hoffentlich auf professionellere Weise. Ein Lesevergnügen im Rahmen einer vorabendlichen Wissenschaftssendung.

Blog Gestöber

Zum Jahresauftakt erfreute sich der Kriminalroman von Leonardo Padura mit dem Titel Das Meer der Illusionen der größten Aufmerksamkeit auf meinem Blog, gefolgt von den Graphic-Novels Die drei Leben der Hannah Arendt von Ken Krimstein und Wannsee von Fabrice le Hénanff.

In allen Blogbeiträgen verlinke ich bestimmte Begriffe, vor allem Buchtitel, mit anderen Artikeln. Wenn ich auf anderen Blog stöbere, folge ich fast immer derartigen Links, oft mit Gewinn: So habe ich Angela Steidele, Aufklärung überhaupt erst entdeckt. Das Link-Folgen hat aber Nachteile, wenn ein recht stattlicher Bücherstapel noch auf die Lektüre wartet. Für diese Fälle gibt es aber die berühmt-berüchtigte »Liste«, auf die alles landet, was interessant klingt, aber nie gelesen werden kann, weil die Zeit fehlt.

Neu auf dem Blog sind auch zwei Beiträge aus meiner Schreibwerkstatt: Schatten im Nebel befasst sich mit dem Thema des Aberglaubens unter Seefahrern, die Meeresungeheuer, Schiffsfriedhöfe und Geisterschiffe für bare Münze nahmen. Der Beitrag Kreative Faulheit – nun, der Titel spricht eigentlich für sich.

Im Januar habe ich weniger gelesen, als gewöhnlich, was an The Lord of the Rings und Vinland bzw. Totenschiff liegt. Tolkiens monumentales Epos schmökere ich erstmals im Original, was seine Zeit kostet, meine nicht ganz so umfangreichen Bücher lese ich auch: den Probedruck zu Vinland und das Lektorats-Manuskript von Totenschiff.

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung? In Piratenkreisen ist das nicht so einfach. Vinland – Piratenbrüder Band 4 erscheint im März 2024.

Ältere Beiträge überarbeiten oder nicht?

Im vergangenen Jahr habe ich eine ausgezeichnete Biographie über den Schriftsteller Wolfgang Herrndorf gelesen. Bekannt geworden ist er einmal durch seine Road-Novel Tschick, aber auch durch seinen tragischen Tod: Unheilbar erkrankt an einem Glioblastom hat Herrndorf seinem Leben selbst ein Ende gesetzt.

Vor Erscheinen der Biographie habe ich zwei Buchbesprechungen auf meinem Blog veröffentlicht. Eine zu seinem hervorragenden und nicht einfach zugänglichen Roman Sand, außerdem über In Plüschgewittern, einem Roman aus den frühen Nullerjahren dieses Jahrtausends.

Erwartungsgemäß wirft die Biographie ein neues Licht auf die Romane von Herrndorf, was auch meine Buchbesprechungen betrifft. So ist mir zum Beispiel nicht klar gewesen, dass In Plüschgewittern nicht nur neu aufgelegt, sondern auch erheblich überarbeitet worden ist.

Mein Leseansatz ist nach wie vor vertretbar, würde so aber nach der Lektüre der Biographie nicht mehr in die Buchvorstellung einfließen. Das gilt mit Abstrichen auch für Sand, dort ist die Angelegenheit aber komplizierter, denn das Buch bietet für unterschiedliche Deutungsansätze erheblichen Spielraum.

Seit der Lektüre der Biographie überlege ich immer wieder, ob ich die Beiträge einfach so lassen, mit einer Anmerkung versehen oder gar überarbeiten soll. Bislang habe ich mich dafür entschieden, nichts zu ändern – die Texte gehören auch zu der Zeit, in der sie verfasst wurden.

Jüngst ist mir das wieder passiert; ein Buch, das sich mit Quantenphysik befasst, hat einen Hinweis darauf geliefert, dass die »Unschärferelation« von Heisenberg eine eher unglückliche Begriffswahl ist, um das Phänomen zu beschreiben; »Unbestimmtheit« wäre passender, denn ganz offenkundig geht das weit über das hinaus, was oft als »Unschärfe« beschrieben wird.

In dem Roman Der Schlachtenmaler wird an einer Stelle explizit auf die Quantenphysik Bezug genommen – ich habe das in meiner Buchbesprechung mit einfließen lassen und auf den oft gebrauchten Begriff der »Unschärfe« bezogen. Jetzt muss ich feststellen, dass »Unbestimmtheit« tatsächlich ein durchaus interessanter, weitergehender Ansatz ist, der die Interpretation durchaus beeinflussen könnte.

Hier stellt sich nun abermals die Frage, ob die Buchbesprechung so bleiben kann oder verändert bzw. ergänzt werden sollte.

Blogmonat Dezember 2023

Von neun Büchern im Dezember waren sieben sehr lesenswert, eines sogar ein echtes Highligt, das es fast in die Top-Ten 2023 geschafft hätte; zwei Enttäuschungen gab es allerdings auch. Cover beim jeweiligen Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Wenn man den siebten Band einer Buchreihe aufschlägt und ein Gefühl der Heimkehr aufkommt, in ein Haus, das so wohlvertraut und (!) etwas verändert, fremd, neu wirkt, dann ist man wohl gefangen. So geht es mir mit Marlow von Volker Kutscher: Teil sieben seiner Reihe um Ober(!)kommissar Gereon Rath macht einfach Spaß, die Erzählung läuft sich nicht tot, weil Personen und Konstellationen Veränderungen durchlaufen, außerdem wird wieder ein historisches Großereignis in die Handlung integriert: der Nürnberger Parteitag 1935. Rassengesetze als Stichwort. Vor allem aber gerät das Leben des Gereon Rath endgültig ins Rutschen.

Azteken? Was auf den ersten Blick wie eskapistische Lektüreabschweifung wirkt, ist brandaktuell. Die Tendenz, Menschen zu bestimmten Zeiten auf ihre Rolle als Opfer zu reduzieren, ist und bleibt ungebrochen. Das hat auch Vorteile – kann man sich etwa herausnehmen, für sie das Wort zu ergreifen. Auch die Azteken werden in diese Rolle gedrängt, als indigenes Volk, das von den Spaniern ausgelöscht wurde. Die Wirklichkeit ist vielfältiger, vor Cortés & Co. haben die Azteken das gemacht, was alle Menschen immer und überall machten: um die Macht gekämpft. Dabei wiesen sie alle Zeichen einer Hochkultur auf, die das Pech hatte, auf eine sehr viel weiterentwickelte Kultur zu treffen. Fünfte Sonne* von Camilla Townsend ist ein großartiges Buch voller überraschender Facetten!

John Mair hat nur ein einziges Buch geschrieben und das hat es in sich. Der Thriller Es gibt keine Wiederkehr ist ein wilder Ritt durch eine politische Verschwörung, in die ein Unbeteiligter durch einen großen Zufall verwickelt wird. Die Hauptfigur Desmond Thane ist das Besondere an diesem Roman, denn es handelt sich um einen sprunghaft, völlig unberechenbar agierenden Menschen, der seine Umwelt – und den Leser – immer wieder überrascht. Die Verschwörung, mit der er konfrontiert wird, erinnert ein wenig an die frühen Bond-Filme, Thane hingegen ist ein absoluter Anti-Held.

Immer mal wieder lese oder schaue ich etwas, das man dem Genre Endzeit zuordnen könnte. Die Straße von Cormac McCarthy gehört dazu, aber auch Outbreak, Terminator, Twelve Monkeys. Naheliegend also, einen Blick in den Essay von Ingo Reuter über Weltuntergänge zu werfen, in dem sich der Autor dem Phänomen nähert.  Mir hat die Lektüre gefallen, ich habe einige sehr anregende Gedanken gefunden, außerdem drei Lesetipps.

Was mich an Bournville* von Jonathan Coe angesprochen hat, kann ich rückblickend nicht mehr so genau sagen; ich denke, ein britischer Blick auf britische Befindlichkeiten in einem leichtfüßig, ironischen Tonfall, mit Spott, einer Prise schwarzem Humor, etwas nebeltrüber Melancholie und ein wenig Politik. Das ist genau das, was der Roman leider viel zu selten liefert, dabei böten sich vielfache Möglichkeiten. Doch die Idee, die Geschichte in sieben Ereignissen zu erzählen, engt den erzählerischen Spielraum zu sehr ein.

Die Grundanlage von Die Blaue Liste aus der Feder von Wolfgang Schorlau ist gar nicht so schlecht. Haurtfigur Dengler, ehemals BKA, nun Privatermittler, erlebt seinen Start in der neuen Rolle durch einen verwickelten Fall, der ihn in die Zeit der Deutschen Wiedervereinigung und der hoch umstrittenen Treuhand führt. Das Verschwörungsraunen nehme ich als würzige Prise gern in Kauf, doch mit dem Showdown und dem plötzlich Hard-Boiled-Detective Dengler mochte ich mich nicht anfreunden. Das Finale wirkt wie ein Nietzsche-Aufkleber auf einem Opel Manta.

Eine wundervolle, stimmungsvoll illustrierte Weihnachtsgeschichte hat Jaroslav Rudis gemeinsam mit Jaromír 99 geschaffen. Um die in Prag herumstreifende Hauptfigur sammelt sich eine kleine Truppe merkwürdiger Zeitgenossen, die gemeinsam einige Zeit die Straßen, Plätze und Kneipen unsicher machen. Es gibt viele Begegnungen, Weihnachten in Prag* lebt und atmet die Wärme, die man nur in der winterlichen Kälte empfinden kann. Es spricht nichts dagegen, das Büchlein auch nach Weihnachten zu lesen; oder im nächsten Jahr, vielleicht als kleines Ritual an Heiligabend.

Mit dem Sachbuch Die Ukraine und wir von Sabine Adler setze ich meine lockere Lesereihe Ukraine Lesen fort. Die Autorin nimmt nüchtern, sachlich, aber unerbittlich und detailliert das Versagen Deutschlands und seiner politischen Eliten in der Ukraine- und Russlandpolitik auseinander. Insbesondere die SPD, aber auch Teile der CDU unter Merkel und Teile von Wirtschaft, FDP und ehemaligen Stasi-Mitarbeitern zeichnen verantwortlich für das Desaster, das trotz aller Bekundungen den  brutalen Angriffs- und Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine begünstigte.

Briefe aus dem Krieg* von Ernst Jandl eröffnet eine neue Rubrik auf meinem Blog, denn Briefe als Format spielten bislang keine Rolle. Das schmale Bändchen mit einer Reihe, meist sehr knapper Schreiben Jandls an seinen Vater, zeigt einen Menschen, der versucht, den Fronteinsatz durch augenscheinliche Konformität hinauszögert; das Einreihen ist verbunden mit dem Versuch, Grenzen auszuloten, was Jandl durchaus hätte Standgericht einbrocken können. Darüber und andere Zusammenhänge informiert ein einleitendes Vorwort und eine Chronik.

Blog-Monat Dezember

Im Dezember war es etwas ruhiger auf meinem Blog, wie alle anderen war ich mit Weihnachten und vielen unvollendeten Dingen beschäftigt, zwar habe ich fleißig Buchbesprechungen und Kurzrezensionen geschrieben, im Backend meines Blogs ist ein kleiner Stau entstanden. Entsprechend sind im Dezember die Besprechungen von Büchern am häufigsten aufgerufen worden, die ich schon früher geschrieben habe.

Das Kompendium »Alles ist teurer als ukrainisches Leben« ist wieder Spitzenreiter, dicht gefolgt von dem Roman Aufklärung von Angela Steidele und dem ebenso monumentalen wie grandiosen Werk Frühling der Revolution von Christopher Clark. Viel Aufmerksamkeit hat auch mein Beitrag Sonnenaufgang erhalten, der sich mit einem Zitat von Lichtenberg befasst, dass ich meinem Erstling Eine neue Welt vorangestellt habe.

Was ich nicht gemacht habe, ist einen Ausblick auf das, was die Verlage in ihren Vorschauen für das Frühjahr 2024 zeigen. Dazu fehlte mir die Zeit, allerdings ist meine Auswahl bislang auch recht überschaubar – was mich keineswegs traurig stimmt, denn so bleibt mehr Zeit für andere Bücher, die ich bereits gelesen habe und unbedingt vorstellen möchte.

Gern weise ich aber auf fleißige Buchblogger hin, die sich mit den Vorschauen befasst und eine Sammlung von Büchern erstellt haben, die sie interessant finden – einfach dem Link folgen und schmökern. 

Blick in die Verlagsvorschauen – bei Literaturreich
Vorschaufieber Frühjahr 2024 – bei Buch-Haltung

Neben selbst gekauften Büchern und Rezensionsexemplaren nutze ich Bibliotheken als Quelle für Lektüren. Daher bin ich sofort aufmerksam geworden, als ich auf den Text Bibliotheken im Kreuzfeuer stieß, der sehr lesens- und bedenkenswert ist. 2023 ist das Jahr gewesen, in dem sich die Bücherverbrennung durch die Nazis zum 90. Mal nähert – eine besonders drastische Form der Zensur, mit dessen (Un-)Wesen sich Marius Müller auseinandersetzt.

Fack ju, Pushkin!

Soll man russische Literatur lesen?

Nö.

Das wäre die kurze Antwort. Eine etwas längere würde ein „aber“ einfügen, denn tatsächlich gibt es schon russische Literatur, die aktuell lesenswert ist. Ein Buch habe ich in diesem Jahr gelesen und besprochen, das Tagebuch vom Ende der Welt, das eine seltene, von Propaganda kaum getrübte Innenansicht aus dem Russland des Vernichtungskrieges gibt.

Das gehört zu den Ausnahmen, denn das Tagebuch macht dem Leser im Westen eines klar: Es ist nicht nur Putins Krieg, der in der Ukraine, gegen die Ukrainer und den gesamten demokratischen Westen geführt wird. Große Teile der Bevölkerung stehen hinter diesem völlig enthemmten Kriegstreiben. Die Folgerungen daraus sind unbequem – eine davon: Russland muss verlieren. Es geht nicht nur um eine militärische Niederlage in der Ukraine, Russland führt seit vielen Jahren einen verdeckten Krieg auf verschiedenen Ebenen.

Ein wichtiger Schritt in die Richtung ist meines Erachtens, dass man sich endlich mit dem Nicht-Russland befasst und Literatur aus der Ukraine und anderen Staaten Osteuropas liest. Die ist übrigens manchmal auch „russisch“, weil es Ukrainer gibt, die auf Russisch schreiben. Andrej Kurkow zum Beispiel. Der Autor aus Kyjiw hat bei einer Lesung anlässlich des Göttinger Literaturherbst einige interessante Dinge zum Gebrauch des Russischen gesagt – wer Russisch in der Ukraine spricht ist keineswegs pro-russisch oder gar Russe, wie viele Schlichtgestalten im Westen glauben.

Ukraine verstehen wäre angesichts solcher Missverständnisse Grund genug, ukrainische Literatur statt russischer zu lesen. Die Zeit ist das knappste aller Güter, diese Ressource zu verteilen zwingt zu Entscheidungen – lese ich Dostojewski, Tolstoi, Puschkin oder  Zhadan, Kurkow, Maljartschuk? Oder noch besser ein Kompendium, in dem zahllose Autoren der Ukraine und Osteuropas zu Wort kommen; außerdem jene, die das Land oft bereisen, auch in Kriegszeiten, und darüber berichten?

In solchen Kompendien wird die Frage übrigens diskutiert und man erhält eine ganze Reihe von Antworten darauf, wie man mit der russische Literatur umgehen könnte. Die Sensibilisierung dafür, dass russische Klassiker keineswegs harmlos, sondern Ausdruck eines imperialen Anspruchs und einer Überlegenheit der Russen und ihrer Kultur sind, ist wesentlich. Auch Säulenheilige wie Solschenizyn geraten dabei unter die Räder.

Gerade als Deutscher mit Blick auf die alptraumartigen Abgründe der NS-Zeit ist es mir wichtig, den Betroffenen zuzuhören. Der angeblich vergangenheitsbewältigende Blick richtet sich allzu sehr auf Moskau, was ja auch sehr viel bequemer (und mit Blick auf Rapallo und den Hitler-Stalin-Pakt eine Art historischer Gewohnheit) ist, als sich auf verschiedene Sichtweisen einzulassen. Ganz nebenbei kommt das auch bei dem nach Einfachheit und Bequemlichkeit lechzenden Wahl-Publikum besser an.

Tatsächlich steht bei mir noch ein wenig russländische Literatur im Regal – allerdings ist die ukrainische mittlerweile vorbeigezogen. Und das ist auch gut so, denn das Fanboy-Geheul um die angeblich überwältigende Hochkultur russländischer Literaten lässt mich müde lächeln. Ist das so? Gibt es in der englisch-, spanisch-, französisch-, deutschsprachigen oder jenen vielen kleineren Sprachräumen wirklich nichts Vergleichbares?

Niemand muss russische Literatur lesen, auch wenn man nicht ukrainische (polnische, belarusische, lettische, litauische, estnische, moldawische, georgische, ukrainische usw.) Bücher lesen möchte, gibt es genug anderes. Wer es tut, entscheidet sich bewusst dafür, mitten im Vernichtungskrieg gegen die Ukraine und den demokratischen Westen. Man kann das machen, wer wäre ich, das jemandem zu untersagen. Ich aber lasse von allem an russischer Literatur die Finger, bis diese entputinisiert ist, lautet das Motto: Fack ju, Pushkin!

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