Nicht überzeugend: Hernan Diaz – Treue. Bild mit Canva erstellt, Cover Hanser Berlin.

Eigentlich hat der Roman alle Zutaten, die ihn zu einem für mich interessanten und guten machen könnten. Beeindruckend ist die großartige Sprache, die stilistisch und strukturell gekonnt voneinander abgegrenzten Perspektiven, die Treue von Hernan Diaz ein hohes literarisches Niveau verleihen und für überraschende Wendungen sorgen, schließlich auch die Konstellation und Zeitumstände.

Trotzdem konnte mich der Roman nicht überzeugen. Schon im ersten Teil habe ich mich vom Inhalt immer stärker distanziert und die Erzählung ab einem gewissen Punkt ohne sonderliche Bindung verfolgt. Der wesentliche Grund liegt in der Person des Erfolgsmenschen Rask, der für mein Empfinden kaum mehr als eine Märchenfigur, ein Einhorn ist. Es handelt sich mehr um die Ausgestaltung eines pubertären Fiebertraum börsianischer Höhenflüge als um eine ernstzunehmende Erfolgsgeschichte.

Die fehlende Glaubwürdigkeit für die zentrale Figur hat dem Roman das Fundament entzogen. Was mir auch missfallen hat, ist der Hang zur Dämonisierung von Finanzgeschäften aller Art, die mit dem Roman mittelbar betrieben wird, drittens wirkten manche Passagen etwas arg souffléartig erzählt: zu viel heiße Luft. Das hat mir schon manchen us-amerikanischen Lesestoff vermiest. Die »überraschende« Wendung am Ende habe ich nur noch als albern empfunden.

Da es sich bei meinem um einen sehr individuellen Zugang zu dem Roman handelt, möchte ich der Fairness halber auf deutlich positivere Rückmeldungen verweisen, wie zum Beispiel auf dem Blog Buch-Haltung von Marius Müller.

Hernan Diaz: Treue
aus dem Englischen von Hannes Meyer
416 Seiten
Hanser Berlin
ISBN 978-3-446-27375-7