Neun Bücher, darunter vier Sachbücher. Cover beim Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Für 2023 habe ich mir vorgenommen, mehr Sachbücher zu lesen und auf meinem Blog vorzustellen. Im Februar sind es vier gewesen, alle mit ganz unterschiedlichen Themen, außerdem bedienen sie verschiedene Formen: Historiographie, Tagebuch und Essay. Gemeinsam ist ihnen, dass sie mir ausnehmend gut gefallen haben.

Anlässlich des Jahrestages von Putins Angriffs- und Vernichtungskrieg wollte ich gern etwas lesen, das von den Betroffenen selbst kommt. Die Essays von Tanja Maljartschuk, Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus, reichen weiter zurück und machen deutlich, dass seit 2014 ein nur mühsam verdeckter Eroberungskrieg Russlands im Osten der Ukraine herrschte. Dagegen setzt Als ich im Krieg erwachte von Julia Solska am Tag vor dem Angriff ein und lässt den Leser hautnah miterleben, wie eine ohnehin fragile, aber friedlich empfundene Welt aus den Fugen gerät. 

Wer der Meinung ist, wir in Deutschland hätten Krise, kann dies auch historisch auf den Prüfstand stellen. Vor einhundert Jahren donnerte ein perfekter Sturm über Deutschland, wie man anhand des wunderbaren Buches von Volker Ullrich, Deutschland 1923, nachvollziehen kann. Noch weiter zurück reicht Die Flamme der Freiheit* von Jörg Bong, das die missratene Revolution in Deutschland im Jahr 1848 mit großem demokratischen Engagement beleuchtet. Beide Bücher sind im Stil sehr unterschiedlich, aber jedes auf seine Weise toll geschrieben und eine klare Leseempfehlung.

Romane

Unter den Romanen ist Der Magier im Kreml* von Giuliano da Empoli mein erklärter Favorit. Der Leser blickt hinter die Kulissen, aber nicht auf eine reißerische Weise, sondern in Gestalt einer schillernden Figur namens Baranow, der als »Putins Rasputin« oder eben jener Magiebegabte mit Zugang zum Ohr des Zaren gilt. Eine hochklassige Lektüre, so zeitgemäß, wie es kaum besser geht. 

Der Kriminalroman Tanzplatz der Toten* von Tony Hillerman hat mich auf den ersten Blick neugierig gemacht. Die Navajo-Police in Gestalt von Ermittler Joe Leaphorn – was für ein vielversprechendes Setting, das die Erwartungen rundum erfüllt hat. Ich freue mich sehr auf die weiteren Bände der Reihe.

Eine ganz andere Form der Neugier hat mich auf Ein simpler Eingriff von Yael Inokai gebracht, das es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 geschafft hatte. Mir haben der Stil und die Herangehensweise gefallen, insbesondere das vielfach kritisierte Abweichen von dem eigentlichen Thema – was meines Erachtens eine gute Entscheidung gewesen ist.

Dagegen hat mich eine dringende Empfehlung auf Das Labyrinth von London von Benedict Jacka aufmerksam gemacht, der ich gern gefolgt bin. Urban Fantasy ist eine wunderbare Methode des Eskapismus, auch wenn mehr oder weniger alle Romane, die ich aus diesem Segment bislang gelesen habe, in London spielen. So auch dieser, mit einer originell gestalteten Hauptfigur.

Ganz und gar ungewöhnlich ist der Roman Der Mann im roten Rock von Julian Barnes. Eine Besprechung habe ich mir verkniffen, nicht etwa, weil ich das Hör-Buch nicht gemocht hätte; mir hat es außergewöhnlich gut gefallen, inbesondere der Vortrag durch Frank Arnold. Allein das Nachwort … dieser Roman mäandert durch das ausgehende 19. Jahrhundert und ist weitgehend handlungsfrei. Dafür ungeheuer atmosphärisch und sprachlich brillant.

Was kommt?

Der Monat März ist noch jung, doch schon habe ich das erste Buch gelesen: Der Übermensch* von John Buchan. Ein Klassiker des Spionage- und Polit-Thrillers, der mir sehr gut gefallen hat. Er ist in der gleichen Reihe erschienen, wie Die große Uhr* von Kenneth Fearing, das Buch, das in diesem Jahr mit großem Abstand das meiste Interesse auf meinem Blog hervorgerufen hat. Den dritten Band der Reihe habe ich mir mittlerweile selbst gekauft, den lese ich im Sommer. Ich mag Klassiker dieser Art und hoffe, es folgen weitere Bände.

Der März 1933 markiert das Ende der Weimarer Republik; was läge näher, als neunzig Jahre später den Roman Märzgefallene von Volker Kutscher zu lesen? Der fünfte Band der Reihe um Gereon Rath beginnt noch düsterer als etwa Die Akte Vaterland, was angesichts der Ereignisse um den Reichstagsbrand und Hitlers Ernennung zum Reichskanzler kein Wunder ist. Die Schlägertrupps der SA sind Hilfspolizei und nutzen das zum Quälen politischer Gegner.

Das nächste Thema, mit dem ich mich beschäftigen werde, ist der politische Mord. Das ist und bleibt ein aktuelles Thema, wie die schändliche Mordtat im Tiergarten beweist, doch geht es um zwei historische Attentate: Zunächst das von Georg Elser 1939 auf Adolf Hitler und das auf Walther Rathenau 1922. Das eine hätte welthistorische Bedeutung gehabt und alles verändert; das andere hatte eine verheerende Wirkung auf Deutschland, denn Rathenaus Tod leitete das Krisenjahr 1923 ein.

Dein Gesicht morgen – ein dickes Brett

Seit Jahresanfang lese ich den Roman Dein Gesicht morgen von Javier Marías. Voraussichtlich werde ich noch einige Wochen mit dem Buch beschäftigt sein, denn es kommt auf stolze 1.600 Seiten. Die Taschenbuchausgabe umfasst nämlich alle drei Teile, in denen der Roman ursprünglich veröffentlicht wurde. Es gilt als das Opus Magnum des im Vorjahr verstorbenen Autors.

Dein Gesicht morgen ist ein dickes Brett. Das bezieht sich keineswegs nur auf den Umfang, obwohl der schon ausreichen würde für diese Zuschreibung. Der Inhalt ist äußerst ungewöhnlich. Auf den mehr als eintausend Seiten, die ich bisher gelesen habe, geschieht nicht allzu viel – im Sinne einer wirklichen Handlung; dafür nimmt der Leser an einer unglaublichen Vielfalt an Gedanken und Assoziationen teil.

Ich habe mich schon gewundert, wie vage und luftig der Klappentext gehalten ist. Das ist kein Wunder, denn das, was geschieht, ließe sich in wenigen Sätzen zusammenfassen; doch um eine Handlung geht es Marías nicht, eher um das Handeln und seine Wurzeln, seine Verflechtungen in der Zeit, sowohl der Vergangenheit als auch Gegenwart. Marías verknüpft auf manchmal atemberaubende Weise Motive.

An einer Stelle im Roman verschlägt es den Ich-Erzähler auf eine Damentoilette, er sucht jemanden, den er nicht findet. Das ist die Handlung von mehr als einhundert Seiten. Beim Untersuchen der – besetzten – Damentoilette wandern die Gedanken des Erzählers von dem möglicherweise aufgehübschten Gesicht einer Frau zu Reinhold Heydrich und dem tödlichen Attentat auf diesen im Jahr 1942. Das Bindeglied: Botox. Botulinum Toxin. Tödliches Gift und Faltenhemmer.

Schon auf den ersten Seiten ist klar, dass man hier keinen luftig leichten Pageturner zur Hand nimmt. Der Roman ist ein komplexes Gebilde, am ehesten erinnert er mich an einen breiten Strom, der sich gemächlich dem Meer entgegenwälzt, während ihm aus unzähligen größeren, kleineren und unsichtbaren Zuflüssen neues Wasser zugeführt wird.

Ich lese den Roman, als würde ich in der Mitte auf dem Rücken liegend mich mit der Strömung treiben lassen und voller Staunen beobachten, was vorüberzieht. Die Entscheidung, Dein Gesicht morgen ganz behutsam zu schmökern, mal zehn, mal zwanzig Seiten, immer sehr aufmerksam und ganz langsam, war die richtige. Alles andere wäre Verschwendung. Und so ist dieses dicke Brett tatsächlich ein Genuss.

Bloggestöber

Heute nur ein kleiner Tipp: Der Blog des in der Ukraine lebenden Schriftstellers Christoph Brumme, der die ukrainische und damit die richtige Seite des Krieges zur Wort kommen lässt. Es ist aus meiner Sicht absolut notwendig, sich die Perspektive der Betroffenen anzueignen und nicht der bequemen Sofapazifisten in Deutschland, denen es bestenfalls um ihren Seelenfrieden, zumeist aber um antidemokratische, proputinistische und antiamerikanische Präferenzen geht.

*[Rezensionsexemplar, daher Werbung]