Neun gute Bücher und eine Enttäuschung: Der März war ein prima Lesemonat mit einer sehr breiten Mischung an Themen und Formen. Cover jeweiliger Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Die Welt wird weiter

Der dritte Monat in diesem Jahr hat eine ganze Reihe von tollen Leseerlebnissen gebracht. Ganz besonders hat mich das schmale Büchlein von Maxi Znak gefreut: Der aus Belarus stammende Jurist schmort als politischer Häftling im Gefängnis und hat auf Zetteln Impressionen über das Leben im Knast verfasst. 100 dieser außer Landes geschmuggelten Texte sind als Zekamerone zusammengefasst; man kann es am Stück oder in kleinen Abschnitten lesen – es ist immer eine Bereicherung.

Gleich zwei Sachbücher befassen sich mit der umfassenden Rechtsverschwörung gegen die Weimarer Republik in den Jahren 1922 / 23. Der Mord an Walther Rathenau*, dem Martin Sabrow kenntnisreich und detailliert nachgeht, gehört in diesen Bereich, wie auch der Hitler-Putsch* vom 08/09. November 1923, der eben keineswegs nur Hitlers Putsch war. Wolfgang Niess bringt dem Leser diesen Umsturzversuch und die Folgen näher. In beiden Fällen habe ich mein bisheriges Bild der frühen Weimarer Republik korrigieren müssen – dafür ein großes Lob.

Eine für mich persönlich ganz wichtige historische Figur ist Johann Georg Elser. Seine Bombe hätte Adolf Hitler am 08. November 1939 beinahe getötet, ein Zufall hat den so genannten Führer des Dritten Reiches gerettet. Elser ist in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung, auch unter den Widerständlern. Wolfgang Benz hat ihm mit Allein gegen Hitler* ein kleines Denkmal gesetzt, das ich unbedingt weiterempfehlen möchte.

Volker Kutschers historischer Kriminalroman Märzgefallene spielt einige Jahre vor Elsers Attentat. Der heimliche Star des großartigen Romans ist die Atmosphäre, ob Reichstagsbrand oder Bücherverbrennung: Kutscher fängt die Szenerie wunderbar ein und macht sie zum wichtigen Teil der Handlung. Der beste seiner Gereon Rath-Romane bis dato. 

Drei ganz unterschiedliche Romane meiner Märzlektüre haben mir besonders gut gefallen. Éric Vuillards Ein ehrenvoller Abgang*,  führt den Leser in die Abgründe des Indochina-Krieges und stellt insbesondere die wirtschaftlichen Interessen und die Lage der Menschen vor Ort einander gegenüber. Wie immer ist seine Erzählhaltung von Empörung geprägt.

Aus der Ukraine kommt der Roman Samson und Nadjeschda von Andrej Kurkow, der den Leser mitnimmt in das Jahr 1919, als in Kyjiw der Bürgerkrieg tobt und die Hauptfigur versucht, sich als Ermittler durchzuschlagen. Ganz anderes verhält es sich mit Der Übermensch* von John Buchan, dem Klassiker des Spionage- und Polit-Thrillers aus dem Jahr 1913. Er nimmt verblüffend viel vorweg, was moderne Bücher des Genres auszeichnet. Beide Bücher fand ich zudem reichlich spannend.

»Fahrtwind« von Klaus Modick ist eine moderne Taugenichts-Version, eine nette, unterhaltsame und zum Teil atemberaubend gut formulierte Erzählung. »Der Mann im roten Rock« ein ganz bemerkenswerter Roman über einen Arzt namens Samuel Pozzi, aber vor allem über die Zeit vor der Jahrhundertwende, die so genannte Belle Epoque. Auch hier ist die Sprache der heimliche Star des Buches, Handlung sollte man keine erwarten, Barnes hat ein Zeitportrait geschrieben.

Enttäuscht war ich letztlich von Der Wal und das Ende der Welt von John Ironmonger. Die Liste meiner abgebrochenen Bücher hat sich wieder um ein Exemplar erhöht, diesmal handelt es sich um Franzobel, Einsteins Hirn. Das habe ich nach wenigen Minuten zur Seite gelegt, mir hat der flapsige Tonfall nicht behagt. Mag sein, dass ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal einen Anlauf wage.

Blog-Monat

Mit erheblichem Abstand ist der Roman von Éric Vuillard, Ein ehrenvoller Abgang*, der am häufigsten angesteuerte Beitrag auf meinem Blog im März gewesen. Das gibt mir die Gelegenheit, auf seinen vorzüglichen Roman Die Tagesordnung zu verweisen, die ich ebenfalls besprochen habe; dafür ist Vuillard mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet worden.

Unter den Sachbüchern stand Die Flamme der Freiheit* von Jörg Bong ganz oben in der Lesergunst, was mich sehr freut, denn die Revolution von 1848 kommt hierzulande meist etwas zu kurz weg.

Lese-Freiheit

In den letzten zwölf Monaten habe ich  viele Bücher weggeworfen. Zunächst einmal sind alle Werke von Putin-Schwurblern aller Art in die Papiertonne gewandert, bei Gelegenheit habe ich noch einmal genauer geschaut, wer dieses unsägliche Brieflein an Bundeskanzler Scholz zusammen mit der Medienunternehmerin Schwarzer und der Putin-Propagandistin Wagenknecht unterzeichnet hat. Antiamerikanisches Gebrabbel (bitte: das meint nicht sachliche Kritik an den USA), Corona-Leugner, Verschwörungsschwafler – alles raus aus den Regalen.

Mir ist in diesem Zusammenhang eines wichtig: Wenn ich ein Buch oder einen Autor (aus welchen Gründen auch immer) verwerfe, heißt das noch lange nicht, dass ich die Leser dieses Buches bzw. Autors ebenfalls verwerfen – geschweige denn offen angehen würde. Leider ist das mittlerweile Usus, selbst bei harmlosen Romanen.

Auf Instagram habe ich – einigermaßen konsterniert – vor Monaten die Entschuldigung einer Bloggerin gegenüber ihren Followern gelesen, die halb verschämt ankündigte, Harry Potter lesen zu wollen. Das allein ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, handelt es sich bei Rowlings Welterfolg nicht um Hetzschriften vom Kaliber eines „Mein Kampf“ oder Alexander Dugins nationalbolschewistischen Träumen eines eurasischen Imperiums.

Ein weiterer Satz hat mich allerdings fassungslos zurückgelassen. Sie wolle niemandem wehtun durch ihre Buchauswahl. Was für eine Formulierung!  Wie kann man sich einreden lassen, man könnte jemand anderem Schmerzen durch die eigene Lektüre zufügen? 

Diese Entschuldigung war ganz eindeutig von Furcht getrieben, Furcht vor einem Mob, der über sie herfällt, weil sie es wagt, ein Buch von Rowling zu lesen. Offensichtlich wird brachialer Druck ausgeübt, um anderen die eigene Weltsicht aufzuzwingen. Die so genannten Sozialen Medien bieten einen wunderbaren Tummelplatz für digitale Barbarenhorden, die sich zusammenrotten, um Andersdenkende mit Pech, Schwefel und Feuer zu überziehen.

Mir ist das ekelhaft.

Ich würde niemals anderen vorschreiben, was sie zu lesen haben und was nicht, oder sie deswegen angreifen. Um den Bogen zum Anfang dieses Textes zu bekommen: Die Bücher habe ich aus bestimmten Gründen weggeworfen, trotzdem akzeptiere ich, wenn andere diese Bücher lesen und darüber offen und positiv auf Instagram usw. sprechen.

Für mich ist das ein ganz wesentlicher Teil einer offenen Gesellschaft. Für mich ist es auch ein Zeichen, wo die Feinde einer offenen Gesellschaft zu suchen sind. Wer was aus seinen privaten Regalen verbannt und aus welchen Gründen, ist Teil der Freiheit, wie eben auch die Akzeptanz dem gegenüber, was andere lesen und was nicht.

*[Rezensionsexemplar, daher Werbung]