Ein bunter Mix aus Romanen, Sachbüchern und einer Graphic Novel kann ich für den Monat Juli präsentieren. In einem etwas längeren Text gehe ich der Frage nach, warum es sich gerade jetzt lohnt, Bücher über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu lesen. Cover vom jeweiligen Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Was für ein tolles Sachbuch! Die wahre Geschichte der Wikinger von Neil Price erfüllt mich noch immer mit einer tiefen Wärme und Freude. Ein monumentales, epochemachendes Werk über die Nordmänner und -frauen, in dem man auf viele Fragen (Kriegerinnen? Ja!) eine Antwort bekommt, das alles in wohldurchdachter, nachvollziehbar und verständlich aufbereiteter Form. Das ist ein ganz heißer Kandidat für mein Sachbuch des Jahres!

Noch immer tobt der schreckliche Krieg gegen die Ukraine. Warum sollte man sich jetzt noch einmal mit den ersten Monaten des russischen Angriffs- und Vernichtungskrieges und vor allem mit der Zeit davor befassen? Es dient zur Vergewisserung, wo die Ukraine jetzt steht – im Vergleich zu Ende Juni 2022. Katrin Eigendorfs sehr lesenswertes Buch Putins Krieg lässt nicht nur die ersten Kriegsmonate Revue passieren, es analysiert, liefert (historische) Hintergründe, ordnet ein, erklärt und entlarvt Propaganda und Lügen.

Ein ganz anderer Zugang zu diesem Thema bietet die Graphic Novel Die Reise des Marcel Grob. Sie erzählt die Geschichte eines Elsässers, der im Juni 1944 in die Waffen-SS gepresst wurde und an Kriegsverbrechen beteiligt war. Die Bilder sind auf eine sehr authentische Weise atmosphärisch, die Erzählung ist sehr spannend und – wichtig! – Fiktion. Vor allem aber werden Fragen aufgeworfen, die uns heute im Angesicht von Massakern wie Butscha unweigerlich bedrängen.

Lunapark ist der sechste Roman von Volker Kutscher um den Kriminalkommissar Gereon Rath; und ja – er ist mindestens genauso gut wie die beiden direkten Vorgänger, die sich aus meiner Sicht von dem Auftakttrio abheben. Diesmal wird es verwickelt, brutal gefährlich und das auf eine Weise, dass am Ende Protagonist und Umfeld nicht ohne Beschädigungen davonkommen. Wieder gelingt es Kutscher, ein historisches Ereignis (»Röhm-Putsch«) geschickt zum Teil der Handlung zu machen.

Joachim B. Schmidt ist mit seinem Roman Kalmann ein kleiner Glanzpunkt in der – nun, ja – Krimi-Literatur gelungen. Nicht umsonst ist einmal von Forest Gump die Rede, mit dem Kalmann ein recht bescheidenes Intelligenz-Niveau teilt; allerdings sind seine Gewaltausbrüche heftiger, wenn er in eine Sackgasse gerät, sich überfordert oder hilflos fühlt und Wut als Fluchtkorridor dient. Der Leser folgt ihm sehr unmittelbar, denn Schmidt gibt Kalmann die Rolle des Ich-Erzählers; sehr gelungen! Danke an Horatio-Bücher für die tolle Empfehlung und die schöne Buchbesprechung!

Das Thema von Rote Kreuze ist hoch interessant und bis in die Gegenwart sehr aktuell. Die stalinistische Sowjetunion ist ein brutaler, menschenverachtender Unrechtsstaat gewesen, wie sich an vielen Dinge zeigt. Auch die Behandlung der Kriegsgefangenen während des Zweiten Weltkrieges, wohlgemerkt der eigenen, die von den Deutschen, Rumänen, Bulgaren etc. gefangen genommen wurde. Sasha Filipenko verpackt das in eine gute Geschichte, wobei mir das Schicksal der erzählenden Figur etwas abgeschmackt vorkam. Lesenswert ist das Buch trotzdem. Eine ausführliche Besprechung findet sich hier.

Hedy Lamarr ist eine faszinierende Persönlichkeit. Schönheit und hohe Intelligenz, ein bewegtes Leben voller Brüche, Rückschläge und Erfolge, umflort von Tragik. Trotz einiger Mankos ist Die einzige Frau im Raum* von Marie Benedict lesenswert, wann hat schon eine Film-Diva einen Hochleistungs-Waffentechnologie entwickelt und gleichzeitig die bornierte Engstirnigkeit einer von Männern dominierten Welt entlarvt?

Ein scharfäugiger und -züngiger Beobachter ist Hermann Stresau gewesen, wie sein Tagebuch Von den Nazis trennt mich eine Welt* zeigt. Obschon konservativ in seiner Haltung verweigerte er 1933 den Kotau gegenüber den Nationalsozialisten und verlor seine Anstellung. Wirtschaftlich in dauerhaften Turbulenzen behielt er die Entwicklung im Blick, kommentiert gedankenreich und vor allem zutreffend in seinem Tagebuch. Die Einträge werden immer seltener, je näher der Krieg kommt; dafür immer interessanter, während das erste und zweite Jahr noch sehr von den eigenen Problemen geprägt sind.

Arthur Koestler geht es in seinem Historischen Roman Der Sklavenkrieg* nicht um eine spannende Schilderung des Aufstands unter Spartacus, sondern um die großen Fragen. Etwa: Warum handeln Menschen gegen ihre eigenen Interessen? Um derlei durchzudeklinieren hat er sich dieses Sujet ausgesucht. Sklaven kämpfen für ihre Herren gegen die aufständischen Sklaven – warum? Das alles ist auf sprachlich hohem Niveau erzählt und in eine anspruchsvolle Form gegossen; wer hier das beliebte Spiel um »historische Wirklichkeit« spielt, ist selbst schuld.

Stimmungsvoll und spannend erzählt Kai Meyer seinen Roman Die Bücher, der Junge und die Nacht. Auf drei Zeitebenen entfaltet sich eine verwickelte Geschichte, die tief im Abgrund der deutschen Geschichte ihren Anfang nimmt, und den Leser bzw. Hörer auf eine Reise nimmt, die es in sich hat. Mir persönlich gefällt die Umsetzung des Hörbuchs mit drei Sprechern nicht besonders, ich fühle mich eher gestört durch den ständigen Stimm-Wechsel, der für das Verständnis unnötig ist. Eine ausführliche Buchbesprechung mit vielen zusätzlichen Informationen einschließlich Interview mit dem Autor gibt es bei Kaffeehaussitzer.

*[Rezensionsexemplar, daher Werbung]

Blog-Monat

Auf meinem Blog war es im vergangenen Monat Volker Kutschers Roman Lunapark, der die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, überraschenderweise gefolgt von zwei älteren Besprechungen: Éric Vuillards Tagesordnung und Nicolas Mathieus Wie später ihre Kinder. Was mich sehr freut, ist die Aufmerksamkeit für die Bücher, die sich mit Russlands Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine auseinandersetzen.

Einen recht großen Teil der Bücher habe ich diesmal nicht selbst besprochen, aber versucht, auf andere Blogs zu verweisen. Das werde ich so beibehalten.

Besonders gefreut habe ich mich über die (Neu-)Erscheinung meines ersten Romans Eine neue Welt der Buchreihe Piratenbrüder, zunächst als Taschenbuch. Das neue Cover sieht toll aus und kommt auch sehr gut an. Bald gibt es auch die eBook-Version – und: Band 2 Chatou sowie Band 3 Doppelspiel erscheinen auch in den kommenden Wochen. Cover und Klappentext stehen schon auf der Seite Piratenbrüder.

Bücher: Gegen die Gewöhnung & für die Orientierung

Im zurückliegenden Monat passierte der russländische Angriffskrieg gegen die Ukraine den fünfhundertsten Tag. So ganz stimmt das nicht, denn Krieg führt Russland schon seit 2014 gegen das Nachbarland, was im Westen geflissentlich ignoriert, heruntergespielt und verdrängt wurde (wie der »Frieden« aussah: Serhiy Zhadan, Internat).

Entsprechend aufgeschreckt waren viele im Februar 2022. Bedauerlicherweise ist bei vielen Zeitgenossen recht schnell  das eigentliche Drama in der Ukraine gegenüber hauseigenen und -gemachten Problemen (Gas, Inflation) in den Hintergrund gerückt.

Ungewöhnlich ist das nicht, das Desinteresse an der Ukraine, ja an ganz Ostmitteleuropa ist groß. Menschen lassen nicht gern von ihren Vorurteilen, das bequeme Sofa der eingekochten Meinungen wird ungern verlassen, stattdessen wird verdrängt. Das funktioniert nur mit einem nicht unerheblichen Aufwand, dem man als politisch-historisch geschulter Zeitgenosse staunend folgt.

Nach fünfhundert Tagen Krieg hat bei der überwältigenden Mehrheit obendrein eine Gewöhnung eingesetzt, außer bei den Betroffenen vor Ort in der Ukraine, versteht sich. Das ist normal und durchaus gefährlich. Ermüdung und der Wunsch, der Krieg möge bald aufhören, sind verständlich.

Wie kann man damit umgehen?

Ein Weg ist, die Sozialen Medien einmal zu meiden und sich einige Bücher zu beschaffen, am besten von Ukrainern oder wenigstens von dort lebenden Autoren bzw. Journalisten über die Ukraine, um sich noch einmal zu vergegenwärtigen, worum es eigentlich geht. Statt nur schnelle (manchmal aber sinnvolle) Kurzbeiträge zur Kenntnis zu nehmen, lohnt es sich, tiefgreifende, zusammenhängende Analysen, Erzählungen, Essays oder Berichte zu lesen.

Auf meinem Blog finden sich eine ganze Reihe von Beispielen (Schlagwort Ukraine oder Ukrainelesen), weitere werden folgen, denn ich setze das selbst um, vor allem natürlich aus dem Bedürfnis heraus, zu begreifen. Konkret hilft mir etwa das Buch Putins Krieg von Katrin Eigendorf, noch einmal zu vergegenwärtigen, wo „wir“ vor einem Jahre standen und jetzt stehen – es ist eine Impfung gegen das Gefühl des Stillstands.

Auch für uns gilt: Es ist die Zeit, in der wir leben. Wir müssen sehen, wie wir damit umgehen. Bücher können dabei helfen, denn sie können dabei helfen, eine Orientierung zu gewinnen. Anders als die hektischen, immer widersprüchlichen und von Trollen und Troll-Bots unterwanderten Sozialen Medien ermöglichen sie einen langen Blick auf die Ereignisse und den Weg dahin.