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Der Klang der Macht

Kann man Macht hören? Musik malt Bilder in die Köpfe jener, die sie hören. Das funktioniert ganz wunderbar mit abstrakten Begriffen, wie Macht, Größenwahn, Trauer, Verzweiflung, Glück, Liebe und vielem mehr. Ich möchte hier gern zwei musikalische Stücke vorstellen, die aus meiner Sicht Macht repräsentieren. Eines davon ist für bewegte Bilder komponiert, das andere bezieht sich direkt auf ein berühmtes Bühnenstück des so genannten Shakespeare.

Warum gerade Macht? Es handelt sich um den Kernbegriff dessen, worum sich meine Abenteuerreihe um Joshua und Jeremiah dreht. Die beiden Freunde geraten in eine Auseinandersetzung zweier ehemaliger Kaperfahrer, die zu Todfeinden geworden sind. Dieser persönliche Konflikt ist eng verwoben mit dem Kampf der Großmächte jener Zeit um die globale Vorherrschaft.

Damit ist eine immer wiederkehrende Frage aufgeworfen: Wie kann der Einzelne bestehen, wenn die Mühlsteine der Macht mahlen? Auch der Film und das Bühnenstück berühren diese Frage und geben darauf eine Antwort. Doch hier geht es heute um die musikalische Umsetzung dessen, was man Macht nennt.

Imperial March – Star Wars

Das erste musikalische Stück, das ich mit Macht assoziiere, ist der berühmte Imperial March aus Star Wars. Eine musikalische Ikone der legendären Filmtrilogie, deren Einfluss auf die Filmindustrie gar nicht groß genug eingeschätzt werden kann.

Der Imperial March erinnert nicht umsonst an Militär-Märsche, handelt es sich bei dem Stück um die Untermalung von Szene mit höchst martialischem Charakter. In der Episode IV, der allerersten aus dem Star Wars-Universum, betritt Darth Vader die Szene, untermalt von langsamen, tiefen Tönen, die einen gleichmäßigen, unwiderstehlichen Marschtritt wiedergeben.

Vader steht für Macht. In den Filmen verkörpert er das Imperium und die Kräfte der dunklen Seite der »Macht«, jener Kraft, die das ganze Universum durchzieht und jenen, die sie verstehen und anwenden können, zu ungeheurer Macht verhilft.

Noch prägnanter ist die zweite Szene, aus Teil VI, dem dritten gedrehten Film der Trilogie. Als der Imperator, nicht nur vom Rang über Vader stehend, den neuen, zweiten Todesstern erreicht. Sein Shuttle landet in einem Hangar des riesigen Kampfsterns, ihn erwarten in Reih und Glied angetretene Formationen.

Als sich die Tür zu seinem Schiff öffnet, betreten als erste seine Gardisten den Hangar, in blutiges Rot gekleidet, das sie von den Sturmtruppen und allen anderen Sondereinheiten klar abhebt. Erst dann folgt der Imperator selbst, der in seiner Kluft eher an einen verschrobenen Hohepriester erinnert.

Doch ist er derjenige auf der dunklen, bösen Seite, der von der Macht mit Abstand am wirksamsten Gebrauch machen kann und zugleich die oberste politische und militärische Instanz des Imperiums. Die Parallelen zum Imperium Romanum sind greifbar und sicherlich gewollt, wie auch die imperiale Musik, die alles untermalt. Schneller, fordernder und mit der Wucht eines ganzen Orchesters vorgetragen, kann sich ihrem Eindruck fast niemand entziehen. Macht in Musik gegossen par excellence

Sergej Prokofiev: Romeo & Julia

Das zweite Stück stammt aus der Ballettsuite Romeo & Julia des russischen Komponisten Sergej Prokofiev. Die Geschichte einer verbotenen Liebe ist bekannt und braucht nicht nacherzählt zu werden. Als ich die Suite erstmals gehört habe, war ich wie elektrisiert – die Musik ist unfassbar emotional und schickt den Hörer auch ohne Bühne und Tänzer auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle.

Besonders ein Teil hat es mir seinerzeit schon angetan und das gilt bis heute: Der so genannte Tanz der Ritter, das dreizehnte Stück aus dem ersten Akt des Balletts. Ich stehe offensichtlich nicht allein, wie die recht lange Liste der Adaptionen zeigt, darunter namhafte Rock-Bands wie Deep Purple und Iron Maiden.

Im Original sollte der Teil ganz gezielt eine erhebliche Wucht entfalten, wie die Besetzung zeigt: Ein romantisches Orchester, das den düsteren, fast gewalttätigen, stampfenden und malmenden Charakter der Episode auszudrücken weiß. Ich persönlich mag die langsame Spielweise lieber, weil sie das für mich wesentliche Thema, die Macht, am besten wiedergibt.

Der Tanz der Ritter wird oft auch Montague und Capulet genannt, den ich treffender finde. Die Namen stehen für die verfeindeten Häuser, denen Romeo und Julia angehören. Sie symbolisieren deren Macht und bilden zugleich die Grenze, die von den beiden Liebenden nicht überschritten werden dürfen.

Eine gigantische Schildkröte

Es geht dabei um die Macht an sich, jene uralte, unsterbliche Gewalt, nach der die Menschen am allermeisten streben (laut Galadriel aus der Verfilmung von Tolkiens Fantasy-Roman Der Herr der Ringe).

Ich stelle sie mir wie eine gigantische Schildkröte vor, auf deren Panzer ein in unendliche Höhen aufragender Turm in die Höhe steigt, von dicksten Mauern bewehrt und unbezwingbar. Diese Kreatur stampft im langsamen Takt voran und zermalmt alles und jeden, der sich ihr in den Weg stellt. Auch das von Shakespeare ersonnenen Liebespaar. 

Wenn Joshua und Jeremiah zu ihren Abenteuern aufbrechen, stehen sie auch der Macht an sich entgegen. Sie wird von vielen unterschiedlichen Personen und Orten verkörpert, aber auch abstrakten Dingen wie Warenströmen und Informationen bestimmt. Auch 1732.

Star Wars und Romeo und Julia geben zwei sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage, ob und wie der Einzelne bestehen kann, wenn die Macht heranstampft. Meine Abenteuerreihe gibt auch eine.

Keine Frage der Ehre: Kämpfen bis in den Tod?

»Wir kämpfen bis in den Tod!«

Alexander Preuße: Piratenbrüder – Eine neue Welt

Das Zitat entstammt dem ersten Band meiner Abenteuerreihe um Joshua und Jeremiah. Es ist ein dramatischer Moment, der sich über viele Seiten langsam zugespitzt hat und zu einer heftigen Auseinandersetzung um eine existenzielle Frage führt: Soll man kämpfen oder nicht?

Wie das Drama ausgeht, werde ich hier selbstverständlich verschweigen, es geht mir um etwas anderes.

Schreiben ist ein unbewusster Prozess. Die Gestaltung einer Szene plane ich nie voraus, ich verfolge kein Ziel, schon gar kein programmatisches, um irgendetwas darzulegen oder Leser von meiner Sichtweise zu überzeugen. Das heißt aber nicht, dass Textstellen so etwas enthalten können, im Gegenteil: Unbewusst kann viel Haltung, Meinung und Standpunkt einfließen.

Die Textstelle hat im Rahmen der Korrekturen eine Auseinandersetzung darüber ausgelöst, ob das Verhalten zweier Personen so überspitzt, übertrieben geschildert wird, dass sie lächerlich und unpassend wirken. Darüber war ich einigermaßen verblüfft, denn mir erschien deren Auftreten einfach folgerichtig.

Ich habe aber in einem zweiten Schritt verstanden, dass in dieser Textstelle etwas schlummert, was ich unbewusst hineingeschrieben habe. Die beiden Figuren stehen stellvertretend für eine korrumpierte Form dessen, was man militärische Ehre nennt. Die Textstelle bietet also einen unterschwelligen Hinweis auf meine Haltung dazu.

Korrumpierte Ehre

Am 27. Mai 1941 starben rund zweitausend deutsche Matrosen. Das Schlachtschiff Bismarck wurden von schweren Einheiten der britischen Flotte versenkt, von den Überlebenden konnten einige gerettet werden. Neben den britischen Schiffen nahmen auch ein deutsches U-Boot und ein Hochseetrawler Schiffbrüchige auf.

Der Kapitän des Schlachtschiffes Bismarck, Ernst Lindemann, starb ebenfalls an diesem Tag. Der Militärhistoriker Holger Afflerbach schreibt in einem Artikel der Viertelsjahreshefte für Zeitgeschichte, er habe militärisch salutiert, als er mit seinem Stahlkoloss in den Fluten des Atlantik versank.

Was für ein Bild! Der Kapitän eines Kriegsschiffs lässt selbiges in einer völlig aussichtslosen Situation kämpfend untergehen, reißt damit mehrere tausend Matrosen in den Tod und stirbt selbst in einer heroischen Pose, die auf Nachgeborene eher lächerlich wirkt. Ist ein solches Verhalten wirklich militärische Ehre oder ein spätpubertärer Fiebertraum?

Kämpfen ohne Alternative

Manchmal gibt es keine Alternative. Wenn das Strecken der Waffen einem Selbstmord gleichkommt oder die zu verteidigende Bevölkerung damit einem schrecklichen Schicksal ausgeliefert wird. Sicher – der Kampf geht verloren und damit ist das Schicksal unabwendbar, wenn nicht ein kleines Wunder geschieht; aber dennoch macht man es dem Gegner nicht leicht.

Der Aufstand des Warschauer Ghettos oder ein Jahr später von ganz Warschau gegen die Nazis wäre ein Beispiel. Ein anderes wäre die Verteidigung der Armenier auf dem Berg des Musa Dagh gegen die Türken, die ihnen nach dem Leben trachteten; ihnen kamen in letzter Minute alliierte Schiffe zur Hilfe und retteten die Hoffnungslosen, die den Genozid an ihren Landsleuten überlebten.

Tod trotz Alternative

Im Falle der Bismarck liegt die Sache anders. Hier war das Schicksal des Schiffes besiegelt und der Kapitän sowie seine Offiziere wussten das ganz genau. Sie hatten – anders als die Juden im Ghetto, die Polen in ihrer zertrümmerten Stadt oder die Armenier auf dem Musa Dagh – eine Alternative: Kapitulation.

Kapitän Lindemann hätte seine Männer dem Feind übergeben und vielleicht noch das Schiff versenken können. Wäre das ehrlos gewesen? Er selbst hätte ja an Bord bleiben können, um damit heroisch zu versinken.

Er hat sich anders entschieden. In meinen Augen ein Verbrechen. Nicht ganz untypisch für autoritäre und diktatorische Systeme, bzw. solche, die der Krieg peu á peu in diese Richtung abgleiten lässt. Die Faustregel lautet: Diktaturen scheren sich nicht um Menschenverluste, Demokratien können sich das nicht leisten.

Die beiden Figuren in meinem Roman sind ein Echo dieses aus meiner Sicht korrumpierten Ehrbegriffs. Das mag lächerlich wirken, übertrieben und vielleicht ein wenig unangenehm für den Leser – aber das ist auch gut so.

Erzählfluss statt stehendes Gewässer

George R.R. Martins »Lied von Eis und Feuer« ist ein prominentes Beispiel für die Schwierigkeiten episch angelegter Buchreihen: Der Fantasy-Welterfolg hat sich im dichten Gestrüpp zahlloser Personen und Schauplätze verheddert. Bild Canva.

Im November 2017 hat sich der Blogger Der Wortvogel parallel zum Beginn der sechsten Staffel der überaus erfolgreichen HBO-Serie Game of Thrones zum Thema vertikales Storytelling geäußert. Ich habe einen etwas anders akzentuierten Beitrag von ihm damals in der Süddeutschen Zeitung gelesen und er hat mich sehr lange beschäftigt. Denn: Ich hatte gerade begonnen, selbst eine Buchreihe zu verfassen.

Buchreihen können tückisch sein. George R.R. Martin hat aus meiner Sicht eine großartige Fantasy-Reihe geschrieben, mit leicht abfallender Qualität. Der erste Band (die ersten beiden in der deutschen Ausgabe) gefallen mir jedoch ganz besonders gut. Der strukturelle Ansatz ist jedoch mit Schwierigkeiten verbunden, die Torsten Dewi in seinem allgemeinen Beitrag Kaugummi TV: Das Dilemma des vertikalen Storytellings schön aufgezeigt hat.

Großer Beginn, leicht abfallendes Niveau

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Erzählfluss in Das Lied von Eis und Feuer mehr und mehr zu einem stehenden Gewässer wurde. Die Erzählung verhedderte sich immer mehr im vielbeinigen Gestrüpp zahlloser Figuren und Schauplätze, dabei hätte die Neigung des Autors, seine Charaktere ins Reich des Jenseits zu schicken, durchaus Abhilfe schaffen können. Nicht jedoch, wenn diese teilweise wieder als Untote oder Wiederauferstandene zurückkehren.

Martin sah sich auch gezwungen, die ständig wechselnden Perspektiven in zwei dicke Stränge zu bündeln und auf zwei (in der deutschen Ausgabe vier, also je zwei) Bücher zu verteilen. Das macht alles noch komplizierter, zumal mir beim Lesen recht oft Redundanzen und Muster aufgefallen sind. Die Romanreihe verliert, je weiter sie voranschreitet.

Die Filmserie The Game of Thrones ist ja – gottlob – beendet, wenngleich mit einem grauenerregenden Qualitätseinbruch. Das Buch verharrt seit langem an der gleichen Stelle, obwohl der Autor nach eigenem Bekunden an dem vorletzten Band arbeitet. Sicherlich ist die immense Komplexität ein wesentlicher Faktor für die lange Pause. Das wirft Fragen auf, etwa: Wie lassen sich die vielen offenen Erzählstränge wieder zusammenfügen, um die gesamte Geschichte voranzutreiben?

Wie ein Crescendo in der Musik

Ich bin gespannt. Die Wartezeit habe ich mir damit vertrieben, selbst eine Buchreihe mit etwas mehr als zweitausend Seiten zu verfassen. Auf der Basis des Artikels, der Lektüre und einiger Binge-Watch-Tage in der Welt von Eis und Feuer habe ich irgendwann die Entscheidung getroffen, mit der Erzählung der Abenteuer von Joshua und Jeremiah sehr schmal anzufangen und dann Stück für Stück aufzufächern.

Es kam mir vor allem darauf an, am Ende der siebenteiligen Reihe noch genug Spielraum zu haben, einen effektvollen Showdown zu schaffen, ohne völlig zu überziehen. Das ist mir, denke ich, durchaus gelungen. Alles, was im Schlussband namens Opfergang geschieht, ist rein fiktional, aber nicht undenkbar; und es ist ein grandioses, spannendes Spektakel.

Ich habe eine Anleihe aus der Musik genommen, um die strukturelle Gestaltung der gesamten historischen Abenteuerreihe zu verdeutlichen: ein Crescendo. Wer das zum Beispiel auf dem Klavier erzeugen will, muss keineswegs nur immer lauter spielen – dann brüllt das Klavier am Ende und verursacht Schmerzen.

Piano zu Beginn

Viel wichtiger, ja entscheidend ist: Piano am Anfang. Um ein Crescendo zu erzeugen, muss man unbedingt leise beginnen und – ganz wichtig – nicht linear lauter werden. Im Verlauf sollten kleiner Decrescendi eingebaut werden, Verzögerungen, um den Effekt zu verstärken. Außerdem könnten zu der anfangs einstimmigen Tonfolge weitere Stimmen hinzukommen.

Daher beginnt meine Abenteuerreihe sehr schmal, klein, leise, fokussiert sich auf wenige Personen und Handlungsorte, täuscht manches vor, deutet vieles an und ist keineswegs auf Handlungsspannung oder Action beschränkt. Denn was hilft alles Crescendo, wenn es an der Baisis fehlt, dem Leitmotiv oder Thema? Es wäre ein hohler, langweiliger Effekt.

Piraterie – im Schlagschatten des Krieges

Wie wird man eigentlich Pirat? Folgt man populären Filmen, könnte man den Eindruck haben, Piraten wären einfach da. Oft wird ihre Herkunft gar nicht weiter geklärt, man könnte meinen, sie fielen mehr oder weniger vom Himmel. Manchmal wird der Weg zur Piraterie auch als eine Art Vermächtnis geschildert, wenn etwa Henry Morgan Jack Sparrow mit Kompass und Kapitänsamt beglückt. Oder William Turner in die Fußstapfen seines Vaters tritt, als hätte er genetisch – schicksalsträchtig gar keine andere Wahl.

Wenn man einen Blick auf die Biographien historischer Piraten wirft, wie zum Beispiel eben jenen Henry Morgan, ist eine andere Sache recht augenfällig: Es gibt eine direkte Verbindung zwischen Piraterie und Krieg. Selbstverständlich gab es auch in langen Friedenszeiten Piraterie, doch sorgten Kriege in der Regel für ein massives Ansteigen der Aktivitäten von Piraten.

Piratenrepublik und Goldenes Zeitalter

Es ist kein Zufall, dass die so genannte »Piratenrepublik« von Nassau in den Schlagschatten des ersten wirklich weltumspannenden Krieges fiel: Der Spanische Erbfolgekrieg wurde nicht nur in Europa ausgetragen, sondern auch in der Neuen Welt (gemeinsam mit dem teilweise zeitgleich stattfindenden Großen Nordischen Krieg brannte es in ganz Europa).

Das gleiche gilt für das so genannte »Goldene Zeitalter« der Piraterie, das von Historikern zwischen 1714 und 1722 bzw. 1716 und 1726 verortet wird. Der Große Krieg endete in Europa offiziell 1713, doch in der Neuen Welt ging es munter weiter. Ein Teil der Kaperfahrer, sprich: der von der jeweiligen Krone beauftragten oder zumindest geduldeten Seeräuber bekam das Ende der Kampfhandlungen erst mit großer Zeitverzögerung mit und war keineswegs immer begeistert vom Friedensschluss.

Manche haben einfach auf eigene Rechnung weitergemacht. Warum auch nicht? Die Alternativen waren nicht besonders verlockend. Frieden bedeutete nicht für jeden eine Erleichterung, mit dem Ende der Kampfhandlungen verloren viele Seeleute Anstellung und Einkünfte; manche standen einfach vor dem Nichts und die Aussicht auf Einkünfte durch Raub, für dessen Ausführung sie die nötigen Kompetenzen erworben hatten, bot einen Ausweg.

Grauzonen

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. In Europa mag für einige Jahre Frieden geherrscht haben, in der Neuen Welt jedoch nicht. Die Kaperfahrerei bot eine großartige Möglichkeit, einen verdeckten Krieg zu führen, ohne ihn offen erklären zu müssen. Man konnte seine Feinde schwächen, ohne einen unpopulären Waffengang vom Zaun zu brechen.

Außerdem gab es eine Grauzone. Wer mochte verhindern, dass Kaperfahrer die »falschen« Schiffe auf ihrem Weg nicht einfach auch aufbrachten? Wenn ein englischer Kapitän auf der Suche nach spanischen und französischen Schiffen lange ohne Beute blieb, was aber essentiell für die Loyalität der Mannschaft war, würde er nicht auch ein englisches Handelsschiff überfallen?

Doch die Grauzone reicht noch weiter. Mancher für die Piratenjagd ausgesandte Kapitän konnte der Verlockung des scheinbar schnellen Geldes ebenfalls nicht widerstehen und hat sich entsprechend an friedlichen Kauffahrern vergriffen. Diese verschwommene Grenzlinie zwischen Kapern, Piraterie und Piratenjagd wurde gelegentlich mehrfach überschritten.

Gnade und Blutbad

Letzten Endes haben sich die europäischen Großmächte England, Frankreich, Spanien, die Vereinigten Niederlande und auch Portugal irgendwann aufgerafft und mit dem Piratenproblem gründlich aufgeräumt. Neben der Möglichkeit, der Piraterie abzuschwören und auf friedlichem Wege das blutige Handwerk hinter sich zu lassen, wurde auch zu brutaler Gewalt gegriffen.

Am Ende des »Goldenen Zeitalters« der Piraterie stand ein Blutbad, das entschlossene Vorgehen dämmte das Piratenunheil massiv ein und machte die Seefahrt wieder sicherer. Doch der verdeckte Kaperkrieg war ein viel zu verlockendes Mittel, um darauf zu verzichten, im Grunde herrschte in der Karibik über Jahrzehnte ein kaum bemäntelter Waffengang.  Mit den bekannten Folgen. 

Das ist die Lage, als die Hauptfigur meiner Abenteuerreihe, Joshua, 1732 aus London aufbricht. Er kann eigentlich darauf setzen, dass Piraten kein großes Problem mehr darstellen, zumal sein Schiff, die Sturmvogel, in einem Konvoi fährt, was Überfälle gewöhnlich erheblich erschwert.

Der Aussteiger aus einem kriminellen Milieu

Wer wie ich 1968 geboren und in den siebziger und achtziger Jahren sozialisiert wurde, kennt das Phänomen des sonntäglichen Piraten– und Seefahrerfilms. Ganz unterschiedliche Streifen geistern durch mein löchriges Gedächtnis, vom klamaukischen Roten Korsar über Pippi Langstrumpfs Abenteuer bis hin zu Captain Horatio Hornblower als königlicher Admiral.

Angereichert wurde dieses Fundament durch Polanskis Komödie »Piraten«, die wunderbare Animationsversion von Stevensons Schatzinsel als »Schatzplanet« in ferner Zukunft bis hin zum Zombieschauermärchen um Captain Jack Sparrow.

Vorlagen und Anregungen gab es von dieser Seite eine ganze Menge. Die üblichen Clichés auch – die Frage war nur: Gibt es etwas, das noch nicht erzählt wurde? Zumindest in den Filmen und Büchern, an die ich mich erinnern kann, fehlt ein Motiv, das in anderen Genres außergewöhnlich beliebt ist: der Aussteiger – aus einem kriminellen Milieu.

Demnächst wird es eine Fortsetzung des wunderbaren Action-Klassikers »Heat« geben – in der Kinoversion wollte auch jemand sein Kriminellendasein ablegen; »Narcos« oder »Narcos Mexiko«, »4Blocks«, in den Kartell-Romanen von Don Winslow – überall ist das Motiv eines versuchten Ausstiegs Teil des Geschehens.

Aber Piraten?

»Joshua hatte noch nie gehört, dass ein Pirat von sich aus aufhören wollte, Piraten zu sein. Sie wurden gejagt, gestellt, verurteilt und gehenkt. Aber aussteigen?«

Alexander Preuße: Piratenbrüder – eine neue Welt

Einem meiner Protagonisten geht es ähnlich wie mir: Er hat noch von keinem Piraten gehört, der sein Handwerk freiwillig aufgeben wollte.

Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, mir vor dem Schreiben dieses Motiv ausgesucht zu haben. Ich plotte nicht, sondern schreibe ins Dunkel hinein. Am Anfang eines Satzes kenne ich nicht dessen Ende, oft nicht einmal die Mitte. Letztlich folgte ich einer spontanen Regung, als ich – zu welcher Gelegenheit wird nicht verraten – beschloss, jemanden diesen Pfad verfolgen zu lassen.

Während der Recherche in den vergangenen Jahren ist mir vor Augen geführt worden, wie kompliziert und vielschichte, von Grauzonen und Nebelbänken durchzogen dieses Thema wirklich ist. Hier soll jetzt aber eine andere Figur zu Wort kommen und eine naheliegende Frage stellen:

Und für welchen Piraten gilt das nicht, capitán? Welcher Pirat ist jemals dem Galgen entkommen und hat als gewöhnlicher Bürger seine Reichtümer genießen können?

Alexander Preuße: Piratenbrüder – Opfergang

Die Antwort fällt ernüchternd aus. Ausgerechnet John Avery wird nachgesagt, dass es ihm gelungen sei, in Irland an Land zu gehen und unterzutauchen. Er kann für sich in Anspruch nehmen, den einträglichsten Beutezug unternommen zu haben, begleitet von unsäglichen Torturen, Vergewaltigungen, Überbordwerfen und Aussetzen seiner Opfer, die nicht direkt getötet wurden.

Untertauchen heißt aber, eine Form der Illegalität durch eine andere zu ersetzen. Von bürgerlichem Dasein, wie die Figur mit spanischem Akzent fragt, kann also keine Rede sein. Die Frage ist: Gibt es noch einen anderen Weg?

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