Adolf Eichmann in Jerusalem vor Gericht. Das Bild, das der ehemalige Angehörige der SS abgibt, unterscheidet sich sehr von der Person, die mir in Romanen bzw. Graphic Novels begegnet ist.
Das Foto zeigt Eichmann in Jerusalem vor Gericht. Das ist jener Eichmann, von dem Hannah Arendt berichtet, jene Gestalt, die in der Regel mit der »Banalität des Bösen« in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich wirkt Eichmann eher wie ein Staubsaugervertreter oder Handelsreisender in Sachen Versicherung.
Ganz anders bei Guez, der über Eichmann (aus der Sicht von Josef Mengele) im argentinischen Exil berichtet. Ein Star, der Autogramme gibt und großsprecherisch auftritt, seinen »Rang« im so genannten »Dritten Reich« wie eine Monstranz vor sich herträgt und von einem Comeback in einem »Vierten Reich« schwadroniert. Mit dem Bild, das die »Banalität des Bösen« assoziiert, passt das nicht mehr ganz zusammen.
Das gilt noch mehr für jenen Eichmann, der bei Pflüger in Richie Girl dem Leser entgegentritt. Der Autor hat in einem Nachwort zu seinem Roman die Gestaltung dieser Figur noch einmal aufgegriffen und explizit auf Ahrendt verwiesen: Von deren Vorstellung wollte er »seinen« Eichmann abheben. Das ist gelungen, Pflügers Eichmann ist eine dämonische, selbstsichere und eiskalte Figur.
Bei der Lektüre von Thomas Meyers biographischem Abriss über Hannah Arendtmusste ich wieder daran denken, wie unterschiedlich die Sicht auf einen Menschen sein kann. Im Falle Arendt hat ihr spezifischer Zugang zu dramatisch zu nennender Kritik und Anfeindungen geführt. Die Aufregung von damals glüht bis in die Gegenwart nach.
Wieder eine hübsche Lese-Mischung, wobei diesmal ein klarer Schwerpunkt auf Rom liegt. Hier liest mein Recherche-Auge mit. Klarer Top-Titel ist Alles umsonst von Walter Kempowski, der eigentlich in den Februar gehört. Cover beim jeweiligen Verlag, Bild mit Canva erstellt.
Vor rund einem Jahr war ich mir sicher, dass ich mir zwölf Monate später wünschen würde, die Zeit wäre stehengeblieben. Das war kein Versuch, die Zukunft zu lesen, mich wichtig zu machen oder irgendjemanden zu frustrieren, es war eher Ausdruck einer pessimistischen Hilflosigkeit. Die vorsichtige Formulierung ist meiner damaligen Hoffnung geschuldet, die US-Demokraten würden es irgendwie schaffen, Trump zu verhindern.
Naiv, rückblickend betrachtet. Eine weitere Fehleinschätzung war die FDP, ich dachte, die Herrschaften kleben wenigstens so lange an ihren Sesseln, wie es geht – um den konstruktiven Kräften der Ampel Zeit zu verschaffen. Weder hätte ich Lindner die Courage zugetraut, den Sprung ins Dunkle zu wagen, noch die grandiose Idee, das mit einem politischen Sprengstoffgurt um den Bauch zu tun.
Nun ist die Welt düsterer geworden. Was mich besonders betroffen macht, ist die Wiederholung von Fehlern. Ich meine damit die immer und immer wieder auftretende Neigung, Äußerungen von Trump, Putin & Co. so auszulegen, dass sie in den eigenen Referenzrahmen passen. Wenn der US-Präsident sagt, Europa wäre ein Gegner, dann meint er das. Auf eine andere Weise als Putin, doch mit kaum weniger schwerwiegenden Konsequenzen.
Ich bin verblüfft, wenn Leute das Gehabe von Trump, den Mullahs und Kim als »Irrsinn« brandmarken. Das ist eine Einbahnstraßen-Sicht, wie bei Putin vor 2022, 2014, 2008 und auch in Zukunft. Ich habe weiter oben nicht umsonst auf Christian Lindner verwiesen, von außen betrachtet war es auch »Irrsinn«, die Koalition zu sprengen und die eigene Partei in den Abgrund zu reißen – trotzdem hat er diesen »Irrsinn« mit Hilfe vieler einflussreicher Parteimitglieder durchgezogen.
Aus meiner Sicht braucht man sich über den wirtschaftlichen Absturz der USA nicht sonderlich zu freuen, denn der wird – vermutlich – für Trump keine unmittelbaren Folgen haben. Sündenböcke (Europa, Migranten) lassen sich leicht finden, Erfolge auf Kosten anderer (Ukraine, Osteuropa, Grönland, Panama) phantasieren und damit ist das Instrumentarium der Autoritären noch lange nicht ausgeschöpft. Die Macht der Desinformation ist gigantisch, Timothy Snyder hat in Über Freiheit geschildert, dass er schon vor knapp zehn Jahren erstaunt registrierte, wie gut russische Propaganda in den USA funktioniert.
Was kann man tun? Nun, zum Beispiel die Ukraine unterstützen. Lesen, was Ukrainer schreiben. Spenden. Private Spenden sind wichtig, auch wenn sie sich gegenüber dem, was Staaten zahlen, gering ausnehmen. Bei näherem Hinblicken sieht es anders aus. 5,30 Euro pro Kopf und Monat beträgt der Gegenwert der deutschen Unterstützung – das kann man als Einzelner locker übertreffen. Um etwas zu bewegen, müssen nicht alle mitmachen, aber jeder einzelne zählt.
Kurzvorstellung der März-Bücher
Im letzten Blogmonat vergessen, daher jetzt rasch nachgetragen: Alles umsonst von Walter Kempowski führt den Leser in den Januar 1945 nach Ostpreußen. Die Rote Armee steht zum Sturm bereit, doch im Gut Georgenhof nahe der (erdachten) Kleinstadt Mitkau lebt man, als ob nichts wäre. Die Personen sind in Unwirklichkeiten versponnen, dabei kann man das dräuende Unheil kaum übersehen. Kriegsgefangene, verschleppte Zivilisten leben und arbeiten auf dem Hof und in der Umgebung, es gibt Andeutungen über die grausamen Verbrechen im Osten, Luftangriffe, an die Front rollende Panzer, handfeste Warnungen. Die Zeichen sind leicht zu deuten, doch reagieren die Bewohner viel zu spät, zu zögerlich und geraten in den Mahlstrom des Untergangs. Ich konnte gar nicht anders, als zu überlegen, ob sich dahinter nicht eine allgemeingültige menschliche Verhaltensweise verbirgt. Ein ganz großer Roman, der erste meines Lesevorhabens Wiedergelesen – 4für2025.
Wer ermordete Julius Caesar? Die Frage lässt sich recht leicht beantworten, die Namen der Männer, die den Diktator mit zahlreichen Messerstichen töteten, sind bekannt. Einige darunter sind berühmt, etwa Brutus, der Vorgang ist zahllos in Dramen (Shakespeare), Romanen (Robert Harris) und anderen fiktionalen Werken behandelt worden. Wozu also noch ein Buch über die Mordsache Caesar? Autor Michael Sommer hat gute Gründe, sich dem Fall anzunehmen, denn die eigentliche Frage ist doch die nach den Motiven der Mörder. Wann und warum wurde der weitreichende Entschluss gefasst, Caesar zu töten? Die Spurensuche führt tief in die römische Geschichte, sie enthüllt für uns recht fremde Gegebenheiten der römischen Politik, in der Herkunft, Namen, Abstammung und Ruhm eine so immense Bedeutung hatten und schildert anhand von ausgewählten Personen die Werdegänge der späten Republik. Der Leser bekommt ganz nebenbei einen Eindruck, wie schwerwiegend die Abkehr von einem bestimmenden Politik- und Gesellschaftsstil sein kann.
Mit Schreibratgebern stehe ich auf Kriegsfuß. Zu groß finde ich die Gefahr, dass kreatives Schreiben zu regelkonformen Tippen verkommt, einer Art Malen nach Zahlen; schlimmstenfalls auch noch auf Marktkonformität getrimmt. Im Zentrum meines Schreib-Interesses steht das Thema, das mich so beschäftigt, dass ich mich damit schreibend auseinandersetzen möchte. Daher interessieren mich Bücher wie Becoming a Writer von Dorothea Brande, auf die Hilary Mantel in einem Interview aufmerksam gemacht hat. Es ist ein Ratgeber, der sich jedoch mit der Person des Autors befasst und – wenn man so will – vor der Beschäftigung mit Schreibtechniken und vielleicht auch Schreibkursen gelesen werden sollte. Es geht nämlich um das Wichtigste im Leben eines „Writers“, nämlich einer zu sein, wie einer zu leben und zu arbeiten. Sie betont die Eigenverantwortlichkeit des Schriftstellers, von der ihn niemand befreien kann, weder Lektor noch Testleser noch Schreibratgeber.
Eine Menge Erstaunliches hält Faramerz Dabhoiwala in seinem Buch Lust und Freiheit für den Leser bereit. Der Fokus liegt auf England, vor allem dreht es sich um das 17. und 18. Jahrhundert. Der Wandel im Verhältnis zur Sexualität ist verblüffend, eine Disruption würde man heute sagen. Nicht zu unrecht verwendet Dabhoiwala den Begriff Revolution. Ausgehend vom Mittelalter und der Frühen Neuzeit mit ihren Versuchen, ein sexuelles Moral-Regime zu errichten, beschreibt das Buch, wie die Betrachtungsweisen peu á peu aufweichen und einer neuen Haltung Platz machen. Es sind kuriose, zum Teil erschreckende Befunde, die aus den ausführlich zitierten Quellen sprechen. Frauen mussten eine Menge schauerlicher Dinge erdulden, die errungene Freiheit galt vor allem für (sozial höhergestellte) Männer. Wie die Französische Revolution und die von 1848 wurde ein Teil der Gesellschaft vom Streben nach Freiheit ausgeschlossen, die verheerende Doppelmoral schuf erbarmungswürdige Zustände und abenteuerliche Versuche der Abhilfe.
Ein mäandernder Streifzug durch die Lebenswelt der Römer, wie sie in Geschichtsbüchern oft nur am Rande erwähnt wird. Michael Sommer bringt Licht ins Dunkel des Dark Rome, ein Unterfangen, das sich glücklicherweise nicht darin erschöpft, durch Schlüssellöcher die intimen Sphären des (außer-)ehelichen Lebens auszuspähen. Apropos Schlüssel: Wohlhabende Römer stellten ihren Reichtum durch Ringe mit Schlüsseln daran zur Schau. Neben solchen Details geht es aber auch um Grundsätzliches, etwa die Notwendigkeit, legitime Nachkommen in die Welt zu setzen. Das galt vor allem für die Oberschicht, keusches Verhalten der Frauen war von zentraler Bedeutung. Die Sittenstrenge lockerte sich, je weiter die gesellschaftliche Leiter hinabgestiegen wurde, doch auch dort war die Not groß, wenn ungewollt Kinder gezeugt wurden. Dark Rome ist ein Kaleidoskop der widersprüchlichen Vielfalt römischen (Alltags-)Lebens.
Die Gedichte von Paul Celan kann man mit verständnislosem Staunen lesen und wiederlesen, sich daran abarbeiten, assoziierend nachdenken. Oder aber man greift zu einer Ausgabe, die neben den Poemen erhellendes Material bereithält. Die Todesfuge und andere Gedichte ordnet eine Auswahl von Celans Gedichten ein, erläutert Textpassagen und einzelne Wörter und unternimmt erste Schritte Richtung Interpretation. Naturgemäß ist dieser Teil wesentlich umfangreicher als die Lyrik. Der Leser wird zudem über Celans Leben informiert, außerdem ist eine recht lange Rede des Dichters anlässlich der Verleihung des Büchner-Preises abgedruckt. Das ist ein wenig wie bei einer Kunstflugschau, bei der man dem kurvenden Kreisen in luftigen Höhen staunend zuschaut und unwillkürlich die Frage stellt, ob die Schwerkraft vielleicht doch nicht allgegenwärtig ist.
Die Pflanze im Schnabel der Friedenstaube ist kein Zufall. Ausgerechnet Cannabis soll der DDR die dringend benötigten Devisen verschaffen, bezahlt vom Klassenfeind aus dem Westen, gehandelt in einer Art Grauzone an Grenzübergängen. Die Idee, im besten Gewissen zum Vorteil der DDR und des sozialistischen Bruderlandes Afghanistan erdacht, entwickelt ungeahnte Dynamik (und Gelächter beim Leser), eine Drogen-Flut droht aus dem Osten in den Westen Deutschlands zu schwappen. Alles ist so wundervoll harmlos, lustig, grotesk erzählt, unter diesem Deckmantel herrlich subversiv. Die Figuren entlarven den verlogenen DDR-Sozialismus (und nebenbei auch die Bigotterie im Westen – Milliarden-Kredit!) und brechen aus den verkrusteten Strukturen aus. Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste* von Jakob Hein ist ein Schelmenroman im besten Sinne. Chapeau!
Wie lebten und wie starben die Leute von Pompeji? Diesen Fragen geht das Kompendium Die letzten Tage von Pompeji* von Martin Pfaffenzeller und Eva-Maria Schnurr (Hg.) in vielen kurzen Beiträgen nach. Klar ist, dass die Umstände der Katastrophe apokalyptisch waren: Bimssteinregen, der die Gassen überflutete und Dächer zum Einsturz brachte; heiße Aschewolken; eine Glutlawine. Die Stadt, die davon betroffen war, platzte förmlich aus allen Nähten. Die sozialen Verhältnisse waren von dramatischen Unterschieden geprägt, Superreiche hier, prekäre Massen dort. Die Vielfalt der Lebensumstände, die Fremdheit von Alltagsdingen wie Thermen, öffentlichen Bedürfnisanstalten, Betrug beim Zocken, Krawallen, Heilkunst, Saufkunst, Kochkunst spiegelt sich in der Vielfalt der Beiträge dieses sehr informativen und leicht zugänglichen Buches. Besonders gefallen hat mir, wie die Aussagekraft archäologischer Funde kritisch unter die Lupe genommen wird.
*Rezensionsexemplar
Blog-Gestöber
Manchmal komme ich mir vor wie in einem Irrenhaus. Es geht dabei keineswegs nur um Trump & Co., nein, es reicht ein Blick zur Sueddeutschen Zeitung, wo Heribert Prantl nach mehr als drei Jahren vollumfänglicher Invasion und Vernichtungskrieg noch immer Täter-Opfer-Umkehr betreibt und fern der Wirklichkeit von einer Feindschaft gegenüber Russland schwadroniert. Die hartnäckige Verweigerung der Realitäten reicht weit hinein die deutsche Gesellschaft, was in der Ukraine, dem angegriffenen, zerstörten, erpressten, halbherzig unterstützte, aber immer noch tapfer verteidigenden Land mit Kopfschütteln quittiert wird. Auf den Punkt bringt es zuverlässig Christoph Brumme mit seinen Beiträgen auf seinem Blog Honigdachs.
Die zehn Bücher, die mir im Jahr 2024 am besten gefallen haben. So viele Überraschungen! Nur Tolkien stand von Anfang an als Teil dieser Auswahl fest.
Bei einem Buch war ich mir sicher, dass es in die Auswahl der besten zehn für das Jahr 2024 kommen würde: The Lord of the Rings von J.R.R. Tolkien. Erstmals habe ich die englische Original-Version gelesen, die unglaublich schöne Prachtausgabe lag 2023 unter dem Weihnachtsbaum. Was für ein großartiger Fantasy-Roman! Auf Englisch ist das Leseerlebnis besonders intensiv.
Alle anderen Bücher sind Überraschungen. McCarthys phänomenale Dystopie Die Straße habe ich noch einmal gelesen, weil mir rein zufällig die brillante Umsetzung als Graphic Novel (Die Strasse)*in die Finger gefallen ist. Da konnte ich gar nicht anders, als auch den Roman wiederzulesen und beide parallel auf dem Blog vorstellen.
Shogun von James Clavell war auch so ein Zufall – die sehr gelungene Verfilmung hat mich dazu angeregt, endlich einmal den Roman zur Kenntnis zu nehmen. Bei Traven war es die Neuausgabe, noch ein Buch, das ich immer schon einmal lesen wollte und endlich gelesen habe.
Natürlich schwingt auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine in meiner Lektüre mit, zwei Sachbücher (Applebaum, Snyder) beziehen sich direkt darauf, Afflerbachs brillante Analyse des Ersten Weltkrieges liefert eine Menge Anschauungsmaterial, insbesondere jenen, die sich über Verhandlungen Gedanken machen.
Stasiuk und Teran sind zwei großartige Neuentdeckungen, Fall Bombe Fall von Kouwenaar ein ganz besonderes Kleinod.
Holger Afflerbach: Auf Messers Schneide Geschichte ist immer (!) offen, das gilt auch für Kriege; erst im Nachhinein schien der Erste Weltkrieg für die Mittelmächte von Anfang an verloren
Anne Applebaum: Die Achse der Autokraten* Die Kooperation unter den Autokraten ist wesentlich für deren Stärke, wenn sie von demokratischen Kräften herausgefordert werden
James Clavell: Shogun Wahrhaftig ein epischer Schmöker!
Gerrit Kouwenaar: Fall Bombe Fall* Coming of Age unter dem Eindruck des hereinbrechenden Überfalls der Wehrmacht auf die Niederlande 1940, atmosphärisch sensationell umgesetzt
Cormac McCarthy: Die Straße Die verstörende Dystopie war auch während der zweiten Lektüre für mich schwer erträglich, atmosphärisch dicht und unendlich dunkel
Timothy Snyder: Über Freiheit* Der Begriff der Freiheit ist in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter ausgehöhlt und missbraucht worden, Snyder füllt ihn mit Sinn und neuem Leben
Andrzej Stasiuk: Grenzfahrt Die Wochen vor dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion aus der Sicher derjenigen, die zwischen Hammer und Amboss geraten waren
Boston Teran: Gärten der Trauer* Eine spektakuläre Agenten-Mission in den Alptraum des Genozids an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich
J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings Die Lektüre der englischen Originalversion war ein Hochgenuss, das Fantasy-Epos ist und bleibt das beste, das ich aus dem Genre kenne
B.Traven: Das Totenschiff* Eine abenteuerliche Reise in die Abgründe eines Gestrandeten im Maschinenraum des globalen Kapitalismus
Ich bin sehr gespannt, was das Lesejahr 2025 bringen wird. Die Vorschauen für das Frühjahr haben einige interessante Bücher auf meine Leseliste gespült, unter den ungelesenen Büchern in meinen Regalen wartet noch das eine oder andere Schätzchen und dann gibt es noch die vielen Dutzend bereits gelesener Prachtexemplare!
Diesmal war ich beim Göttinger Literaturherbst per Digital-Ticket und nicht live dabei. Ich habe daher recht viele Veranstaltungen angeschaut und einige interessante Bücher kennengelernt. Bild mit Canva erstellt.
In diesem Jahr habe ich nicht wie 2023 im Vorfeld Karten für die Lesungen des Göttinger Literaturherbstes 2024 gekauft. Ich dachte, ich würde für jene, die mich interessieren, kurz vorher noch welche bekommen können. Das wäre in den meisten Fällen wohl auch so gewesen, doch leider war ich verhindert und konnte keine einzige Veranstaltung vor Ort besuchen.
Es gibt zum Glück das Digital-Ticket. Mit dem kann man bequem vom Sofa die Lesungen auf dem TV anschauen. Das ist kein Ersatz, die Atmosphäre vor Ort, insbesondere in der Aula am Wilhelmsplatz, dem Alten Rathaus oder dem Deutschen Theater, ist nicht zu ersetzen. Der große Vorteil des Online-Tickets ist jedoch, dass man tatsächlich alle Lesungen hören kann, die man hören will.
Nur zwei der vorgestellten Bücher kannte ich bereits, Die Welt in Aufruhr von Herfried Münkler sowie Herrndorf von Tobias Rüther.
Die Lesung der Biographie des viel zu früh gestorbenen und von mir sehr geschätzten Schriftstellers Wolfgang Herrndorf war mein persönliches Highlight: Gemeinsam mit Anneke Kim Sarnau las Autor Tobias Rüther aus der Biographie und den Werken Herrndorfs vor. Ein Wechselgesang durch Leben und Werk, der auf eine eindringliche Weise nahegeht. Sand und In Plüschgewittern habe ich ja schon vorgestellt, nun wird bald einmal Zeit für Tschick.
Sehr gelehrt ist das Buch Die Welt in Aufruhr von Herfried Münkler, es hält für den Leser Zumutungen bereit, wenn ausführliche Ausflüge in Geschichte und Ideenwelten unternommen werden. Nicht immer gelingt der Weg zurück in die Gegenwart, wie beispielsweise bei den Vorstellungen Machiavellis, die eine Blaupause für die EU sein könnten (laut Münkler). Aber: Nach der Lektüre ist klar, dass jene, die beispielsweise gern das Wort „komplex“ im Munde führen, um sich gegen Waffenlieferungen auszusprechen, oft genau das Gegenteil meinen, eine völlig unstatthafte Verschlichtung.
Besonders interessant war die Veranstaltung zu Muslimisch-jüdisches Abendbrot mit Meron Mendel und Saab-Nur Cheema. Mendel, von dem ich das sehr erhellendeÜber Israel reden vorgestellt habe, und Cheema sind ein interreligiöses Paar, wie man so schön sagt. Ihr Buch enthält jene Kolumnen, die sie für die FAZ verfassen. Wer das liest, spürt der zeitgeschichtlichen Entwicklung nach, den Bruch mit dem 07. Oktober eingeschlossen. Gemessen an der überwältigenden Monstrosität werden Dinge wie „Mikroaggressionen“ zu Petitessen. Die Einschätzung hat der Moderatorin sichtlich nicht geschmeckt – ein Augenblick, der ein großes Drama unserer Zeit offenbart.
Ein wenig holprig habe ich die Lesung von Anne Weber zu ihrem Roman Bannmeilen empfunden. Das Buch hingegen, das ich bereits in der Vorschau wahrgenommen habe, ist sogleich auf der Leseliste gelandet, denn die Passagen sind vielversprechend. Wanderungen durch die großen, oft übel beleumundeten und klischeebehaftet wahrgenommenen Vorstädte von Paris fördern viel Unvermutetes zutage, das in die Tiefen und Abgründe der französischen Geschichte führt. Schön zum Beispiel das Thema Kriegsdenkmäler: Der Große Krieg, Zweiter Weltkrieg, Indochina, Algerien – allen wird unkommentiert gleichermaßen gedacht? Warum das keine gute Idee ist, kann man auch bei Alexis Jenni, Die französische Kunst des Krieges nachlesen.
Das Foto illustriert, was Anne Weber meint. Ich habe die beeindruckende Skulptur mit ihrer fragwürdigen Inschrift in Straßburg aufgenommen.
Mit Literatur aus Italien kann ich nicht allzu viel anfangen. Der Name der Rose von Umberto Eco, Das periodische System von Primo Levi, Dantes Göttliche Komödie, Commandante von Veronesi/de Angelis und das war es auch schon, was ich an italienischer Literatur gelesen habe. Das könnte sich ändern. In Kalte Füße von Francesca Melandri werde ich sicher einmal bei Gelegenheit hineinlesen, möglicherweise auch in Malnata von Beatrice Salvioni.
Thomas Müntzer, der bekannte Anführer aus der Zeit der Bauernkriege, war nach Ansicht von Thomas Kaufmann gar nicht so bedeutend, wie er überliefert wird. Er sieht in ihm eine Art Scheinriesen, wie Herrn Tur-Tur aus den Büchern von Michael Ende, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt. Das war nicht die einzige bedenkenswerte Aussage Kaufmanns bei der Lesung, sein Buch Der Bauernkrieg eröffnet eine neue, durch unsere Gegenwart vertraute Sicht auf das Ereignis: Ein Fokus wird auf die Medien gelegt und ihre Bedeutung für den Aufstand allgemein, aber auch für die Schaffung „des“ Bauern. Selbstverständlich ist das Thema eng mit der Reformation verzahnt, entsprechend anregend war die Veranstaltung.
Seit Jahresanfang habe ich mir eine Buch-Kauf-Diät verordnet. Aus Gründen.
Ich mag den Begriff »Stapel ungelesener Bücher« nicht. Er wird inflationär in den Sozialen Medien gebraucht, oft in einem merkwürdigen Ton, als handelte es sich um eine Last, wie eine übervolle Liste mit Aufgaben, die abgearbeitet werden müssen. Dem haftet etwas freudlos Bürokratisches an.
Aber natürlich habe auch ich eine ganze Menge ungelesener Bücher in meinen Regalen stehen, wer hat das nicht. Ich freue mich darauf, diese zu lesen, einige in diesem Jahr, einige im nächsten oder übernächsten. Ob dann alle noch ungelesenen Bücher ausgelesen sind? Wohl kaum.
In den ersten fünf Monaten dieses Jahres habe ich viel weniger gelesen als noch 2023. Das war zu erwarten, denn neben dem Schreiben bleibt im Moment nicht viel Zeit für Lektüre und Bloggen. Das ist nicht tragisch, ich befinde mich nicht in einem Wettbewerb um einen möglichst hohen »Stapel gelesener Bücher«. Mir ist es wichtiger, mich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen.
Die Durchsicht der Verlagsprogramme, das Stöbern auf Blogs und SoMe-Plattformen macht immer wieder klar, dass ich sowieso nicht alles lesen kann, was ich interessant finde. Für diese Fälle gibt es Buchlisten. Sie sind ein wundervolles Ventil für akuten und chronischen Buchkaufdruck.
Zu Jahresbeginn habe ich mir allerdings tatsächlich eine Buch-Kauf-Diät auferlegt. Wie jede andere Diät ist die Selbstbeschränkung eher ein theoretisches Konzept, das relativ schnell mit der Wirklichkeit kollidiert und meist scheitert. Bislang funktioniert der Verzicht auf das Bücherkaufen überraschend gut.
Buchhandlungen und die Stadtbibliothek meide ich aktuell, außerdem bin ich bei Rezensionsexemplaren sehr zurückhaltend, wobei es ganz hilfreich ist, dass in den aktuelle Frühjahrs- und Herbstprogrammen bislang recht wenige »Muss«-Bücher zu finden waren.
Der wichtigste Grund ist aber ein anderer: Ich will meine begrenzte Zeit jenen Büchern widmen, die ich mir irgendwann aus gutem Grund gekauft habe. Wann immer ich am Regal entlanggehe, würde ich am liebsten gleich mit einem Dutzend Romane anfangen.
Bei den Sachbüchern kommt noch hinzu, dass ein Teil davon zu Recherche-Zwecken angeschafft wurde. Da ich mit meinen »Piratenbrüdern« bald fertig sein werde, steht die Entscheidung an, was als nächstes kommt: ein historischer Roman oder der Auftakt zu einer Fantasy-Buchreihe.
Auch für die Fantasy-Reihe brauche ich Literatur zur Anregung zu Themen aus dem Mittelalter, dem Römischen Reich oder über Reisen in lange vergangenen Zeiten.
Schließlich gibt es noch jene Bücher, die ich unbedingt noch einmal lesen und auf meinem Blog vorstellen möchte. In diesem Jahr war es bislang The Lord of the Rings, der unter dem Weihnachtsbaum lag und mir noch einmal vor Augen geführt hat, wie schön doch das Wiederlesen ist.
Von hartnäckigen Mythen umrankt ist die ptolemäische Königin Ägyptens, kein Wunder, gehörte sie doch am Ende zu den Verlierern und bekanntlich schreiben die Sieger die Geschichte. [Rezensionsexemplar]
Bücher begleiten mich schon mein ganzes Leben, auf dem Leseweg habe ich sehr viele großartige Romane und Sachbücher lesen dürfen, von denen ich gern erzählen möchte. Das ist ein Grund, warum ich blogge.