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Schlagwort: Historiographie (Seite 1 von 5)

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Die Römer haben überall in Spanien Spuren hinterlassen. Ihrer Herrschaft widmet das Buch den größten Raum, doch erfährt der Leser auch, wer vor und nach ihnen auf der iberischen Halbinsel das Szepter schwang. Cover C.H.Beck, Bild mit Canva erstellt.

Als Kind bekam ich ein Hörspiel geschenkt: Hannibal. Erzählt wurde von einem der spektakulärsten Feldzüge der Geschichte, der Zug eines karthagischen Heeres einschließlich einiger Kriegselefanten über die Alpen, um Rom zu besiegen. Viele Aspekte, die das Hörspiel vermittelte, werden in der historischen Forschung längst nicht mehr vertreten, einige sind bis in die Gegenwart umstritten. Für mich war es der Beginn des Interesses an Geschichte, einschließlich dem, was man Antike nennt.

Der Ausgangsort von Hannibals Unternehmen war Hispanien, wie das Land in Geschichte Spaniens in der Antike von Pedro Barceló genannt wird. Die Antike endet in diesen Buch erst mit der Errichtung des Kalifats von Cordoba. Lange Zeit galt das formale Ende des (West-)Römischen Reichs 475 n. Chr. als Schlusspunkt antiker Geschichte, was in vielerlei Hinsicht problematisch ist.

Diese eher schlichte und willkürliche Datierung kappt Kontinuitäten wie die Goten-Herrschaft in Spanien, von der fast ein Jahrtausend fortgeschriebenen römischen Geschichte in Gestalt von „Byzanz“ ganz zu schweigen. Allein aus diesem Grund ist das Buch sehr zu begrüßen, es eröffnet in vielerlei Hinsicht eine neue Perspektive auf ein Hispanien, das später zur weltumspannenden Großmacht und noch später beliebtem Reiseland wurde.

So brauchte das übermächtige Rom, die größte Militärmacht des Altertums, schließlich zwei Jahrhunderte, um die Gesamtheit des flächenmäßig beträchtlichen, widerborstigen Landes zu erobern.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Die Karthager haben Hispanien nach ihrer ersten Niederlage gegen Rom aus dem Halbschatten ins geopolitische Rampenlicht geholt. Bemerkenswert, wie stark verflochten die Mittelmeerwelt bereits war, während die ansässigen Stammesverbände ganz unterschiedlicher Herkunft (Iberer, Kelten, Tartessaner etc.)  gleichzeitig recht abgeschlossen lebten.

Ausgerechnet diese Zersplitterung machte es später den Römern so schwer, Hispanien gänzlich zu erobern, da es keine Möglichkeit  für umfassende Vereinbarungen mit den Besiegten gab. Dem Sieg über die Karthager folgten schier endlose Kriege, die massive Rückwirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Rom hatten und mit dazu beitrugen, die Republik zu destabilisieren.

Naturgemäß sind die Möglichkeiten, etwas über die Einwohner Hispaniens vor der römischen Zeit mangels aussagekräftiger Quellen begrenzt. So gibt es zwar ein iberisches Alphabet, das immer noch Rätsel aufgibt, was die Bedeutung der entschlüsselten Worte anbelangt. Hinter dem Schleier des Unwissens liegen zumindest keine „Völker“, sondern – wie in Germanien – locker gefügte Stammesverbände mit einer dynamischen Zusammensetzung.

Die Saguntaffäre war zunächst eine binneniberische Angelegenheit.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Die schriftlichen Quellen aus römischer Zeit (karthagische gibt es dank der vernichtenden Niederlage nicht) nehmen eine entsprechende Sicht von außen auf Hispanien ein. Es ist ein Schauplatz und die dort Lebenden sind oft auf eine Statisten– oder Zuschauerrolle reduziert, während sich der karthagisch-römische Konflikt, die Eroberung und Romanisierung des Landes entfaltet.

Das kann den Blick auf wichtige Aspekte verstellen, etwa die Wurzeln des Kampfes um Sagunt. Barceló legt die Ereignisse so aus, dass Sagunt, eine mit Rom verbündete Stadt, ihre hispanischen Nachbarn mit Krieg überzog. Die angegriffenen Turboleten waren jedoch mit den Karthagern verbunden, die vor der Wahl standen, zugunsten ihrer Klientel einzugreifen oder zurückzustecken und Rom das Feld zu überlassen. Eine geradezu klassische geostrategische Zwickmühle.

Nicht nur im Hinblick auf die Kriegsursache, die von vielen modernen Historikern und allen römischen Quellen verzerrt dargestellt und ausgewertet wurde, erzählt Geschichte Spaniens in der Antike die Ereignisse auf eine andere Weise. Der gesamte Kriegsverlauf wird nicht – wie üblich – vor allem auf den italischen Schauplatz fokussiert, sondern auf den spanischen. Hier sei die Entscheidung gefallen, meint Barceló und nennt bedenkenswerte Gründe, unter anderem hinsichtlich der Kriegsfinanzierung durch die hispanischen Bodenschätze.

Nach der Niederlage im Teutoburger Wald 9 n. Chr. wurden die Expansionspläne unter Tiberius seit 14 n. Chr. bald aufgegeben nicht nur weil die militärischen Abenteuer des Oberbefehlshabers Germanicus zu riskant sondern wohl vor allem in der Bilanz zu wenig ertragreich waren das Land war schlicht zu arm an Ressourcen um mit der Beute die aufwendigen Militärausgaben zu kompensieren die ihre Eroberung erfordert hätte.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Besonders gelungen ist die Einordnung der Ereignisse und ihrer Folgen, etwa durch Vergleiche. In Spanien führten die Römer viele Jahrzehnte Krieg bis zur Unterwerfung, in Gallien brauchte Caesar nur weniger Jahre, während Germanien nach der ersten großen Niederlage aufgegeben wurde. Vor allem aber bildete Hispanien Hand in Hand mit dem römischen Krieg gegen Karthago den Anfang eines tiefgreifenden innerrömischen Wandels, an dessen Ende die Republik blutige Bürgerkriege und schließlich ins Prinzipat unter Augustus mündete.

Wie so oft bei der Beschäftigung mit antiker Geschichte berührt die Darstellung grundlegende Fragen. Die innerrömischen Veränderungen zementierten eine kleine Oberschicht, die sich mittels militärischer Unternehmungen und Expansion des Herrschaftsgebietes profilierte und in Form gnadenloser Auspressung der erworbenen Gebiete schamlos bereicherte. Zum Preis tausender Toter Legionäre wurden immer neue Kriege vom Zaun gebrochen, Verträge geschlossen und ignoriert sowie gewaltige Vermögen angehäuft.

Das Verhängnis nahte – verkürzt gesagt – in Gestalt zu großer Vermögen, daraus resultierender militärischer und politischer Macht und einer Gesetzgebung, die sozialen Aufstieg erschwerte. Nun ist Geschichte trotz aller Pfadabhängigkeit immer offen, die römische Gesellschaft musste nicht zwangsläufig untergehen, was sie trotz aller Krisen auch über Jahrhunderte nicht tat. Auch verbieten sich direkte Rückschlüsse oder gar Gleichsetzungen für die Gegenwart. Es sind vielmehr die Fragen, die sich aus der Beschäftigung mit der überlieferten Geschichte ergeben, die einen großen Wert darstellen.

Geschichte Spaniens in der Antike von Pedro Barceló ist in der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stifung bei C.H. Beck erschienen. Für das Rezensionsexemplar bedanke ich mich herzlich.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike
C.H.Beck 2025
Gebunden 492 Seiten
ISBN: 978-3-406-82898-0

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Das Zitat soll zeigen, dass Militärgeschichte keineswegs auf Schlachten, Militärtechnik und Strategien beschränkt ist, sie ist vielmehr ein wichtiger Bestandteil der Allgemeingeschichte. Cover C.H.Beck, Bild mit Canva erstellt.

Einer Mammutaufgabe hat sich Stig Förster mit seiner Darstellung Deutsche Militärgeschichte verschrieben. So stehen ihm für den Zweiten Weltkrieg rund 180 Seiten zur Verfügung, bei anderen Darstellungen, wie etwa der mehrbändigen Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, sind es tausende. Es ist eine Herausforderung, die unübersichtliche Masse an Ereignissen und Entwicklungen zwischen 1939 und 1945 auf eine angemessene Weise zu komprimieren.

Förster weist im Vorwort darauf hin, dass er gerade beim Zweiten Weltkrieg die Darstellung straffen musste, um die Lesbarkeit seines immerhin fast 1.300 Seiten starken Buches zu erhalten. Seine Militärgeschichte sollte kein Handbuch und kein Lexikon werden, sondern eine lesbare Abhandlung für ein möglichst breites Publikum. Zu wichtig ist das Thema, um es im Regal verstauben zu lassen, die interessierte Öffentlichkeit sollte sich damit auseinandersetzen.

Das liegt keineswegs nur an Putins Angriff auf die Ukraine im Jahr 2014 und den vollumfänglichen Vernichtungskrieg Russlands seit 2022, sondern auch daran, dass Militärgeschichte integraler Bestandteil der allgemeinen Geschichte ist. Die vielfältigen Wechselwirkungen zu anderen Forschungsgebieten zeigen sich allein darin, wie viele Fachrichtungen Stig Förster in seiner Darstellung berücksichtigt hat. Schön, dass es keine Berührungsängste und Vorbehalte gab, so dass auch Genderstudies eingeflossen sind, wenn sie etwas zum Thema beitragen konnten.

Militärgeschichte ist zu wichtig, um sie als etwas Unappetitliches abzutun, das man Waffennarren und Lehrstuhlfeldherren überlassen kann.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Es gilt als Binsenweisheit, dass Militär und technologische Entwicklung Hand in Hand gehen. Die bemannte Raumfahrt etwa hat ihre Wurzeln im deutschen Raketenprogramm während des Zweiten Weltkrieges, der Erste Weltkrieg verpasste der Luftfahrt einen immensen Schub. Die Entwicklung wäre in beiden Fällen eher langsamer verlaufen. Zu Beginn der Frühen Neuzeit war das mangels institutioneller und intellektueller „Infrastruktur“ etwas anders, wie die ersten Kapitel des Buches zeigen. Hier liegt der Fokus auf der gesellschaftlichen Veränderung, die sich im Militärischen spiegelt; und auch umgekehrt.

Ansatzpunkt der Darstellung ist eine kleine Schlacht im August 1479 bei Guinegate. Förster entwickelt daran den Übergang vom mittelalterlichen Ritterheer zum komplexer strukturierten Heer mit Gewalthaufen, Handwaffenschützen, leichter Reiterei und Artillerie. Statt adeliger Kriegselite fochten nun einfache Leute, die allerdings langwierig und teuer ausgebildet werden mussten. Mein Eindruck ist, dass in diesem Zeitraum der technologische Fortschritt (Übergang zu Feuerwaffen) eher parallel zu dieser taktisch-gesellschaftlichen Entwicklung lief, ohne ihn in späterer Zeit wie ein Katalysator zu beschleunigen.

Dem frühneuzeitlichen Staat fehlten auf allen Ebenen die nötigen Mittel, um stehende Heere zu finanzieren. Kriegsunternehmer mit Söldnertruppen sprangen in die Bresche, mit vielfältigen, oft unerwünschten Folgen. Der Vergleich mit der Gegenwart (Wagner, Blackwater) drängt sich auf, wenngleich die Beweggründe für den Einsatz nichtstaatlicher Gewaltkräfte ganz andere sind. Die Nebenwirkungen sind es nicht: Kriegsverbrechen, Verheerungen, Staatsstreiche, Putschversuche.

Während der frühneuzeitliche Staat über Jahrhunderte bemüht war, mehr Kontrolle zu erlangen, scheint sich die Entwicklung umzukehren. Warum ist das so? In diesem Fall kommt man aber um die seit mehreren Jahrzehnten propagierte Ideologie des Neo-Liberalismus als Erklärung nicht herum. Sinkende staatliche Budgets lassen sich durch Schattenhaushalte, verdeckte (Privat-)Armeen, die sich – wie bei Wagner in Afrika – selbst finanzieren, ausgleichen; oder durch einen aus geopolitischer Naivität gewebten Schleier namens „Friedensdividende“.

Bei der Besprechung eines inhaltlich weit gespannten Werkes wie Deutsche Militärgeschichte über einen Zeitraum von fünfhundert Jahren läuft man Gefahr, sich in Allgemeinplätzen zu verlieren. Eine davon wäre, dass ein solches Vorhaben zwangsläufig Verkürzungen gegenüber Detail-Darstellungen mit sich bringt. Daher fokussiere ich mich auf einen recht kleinen Ausschnitt, um zu zeigen, wie im vorliegenden Fall mit der Notwendigkeit zur Verkürzung umgegangen wird.

Grundsätzlich bietet ein Längsschnitt durch die Zeit den Vorzug, dass bemerkenswerte Parallelen auffallen. Die Rückkehr der Söldner ist nur ein Beispiel. Dieses Sujet ist eng verbunden mit der Person des Kriegsunternehmers, der in unserer Gegenwart ebenfalls wieder auftaucht. Für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges wird das Phänomen geradezu personifiziert durch Albrecht von Wallenstein.

Wallenstein war zweifellos der größte Kriegsunternehmer des Dreißigjährigen Krieges und vielleicht sogar aller Zeiten.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Das Zitat zeigt, worauf Stig Förster bei Albrecht von Wallenstein in Deutsche Militärgeschichte den Fokus legt. Ein Kriegsunternehmer, der das im Dreißigjährigen Krieg vorherrschende Prinzip der „Kriegsfinanzierung durch organisierten Raub“ perfektionierte. Der rudimentär ausgebildete Staat konnte und wollte die Truppen nicht auf andere, heute vertraute Weise bezahlen. Es herrschte also eine (zwangsweise) Interessenidentität zwischen Kriegsunternehmer und Herrschenden.

Außerdem fehlte wegen unterentwickelter Strukturen eine Alternative. Kriegsunternehmer wie Albrecht von Wallenstein, Ernst von Mansfeld, Christian von Halberstadt und Bernhard von Weimar kamen also nicht aus dem Nichts, wendeten sich dem Feld auch nicht nur aus Ruhmsucht, Bereicherungsstreben oder gar persönlicher Niedertracht zu. Wallenstein erscheint auch in anderen Zusammenhängen: Diplomat; Bauherr; Bildungsmäzen; Herrscher, nicht zuletzt begnadeter Organisator und Feldherr.

Auch Stig Förster weist darauf hin, dass Wallenstein die den kaiserlichen und spanischen Truppen überlegene Schlachttaktik der Schweden durch den Wechsel auf eine andere, weniger anfällige taktische Vorgehensweise konterte, Gustav II. Adolfs Siegeszug bei Nürnberg stoppte und den Schwedenkönig zum Rückzug zwang. Mit Wallenstein verbindet sich obendrein der einzige tragfähige Friedensschluss (mit Dänemark) zwischen 1618 und 1648. Seine Selbstbereicherung war flankiert von modern anmutenden Infrastrukturmaßnahmen (über Kriegsgüter hinaus) in den erworbenen Landen, jener sprichwörtlichen Terra Felix. Die Ermordung kam einer Universitätsgründung zuvor.

Auffallend war, dass die Kriegsherren (Kaiser, Könige und Fürsten) und deren Regierungen zunehmend bestrebt waren, die teuren, schwer kontrollierbaren, eigenmächtigen und oft auch korrupten Kriegsunternehmer, die so viel Schaden anrichteten, auszuschalten.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Wallenstein war selbst Fürst, Herzog und Landesherr, im Kreis dieser Reichselite aber ein Homo Novus mit nicht allzu weit in die Vergangenheit reichenden familiären Wurzeln. Er war dank seiner Nähe zum Kaiser aufgestiegen, hatte sich unentbehrlich gemacht und versuchte sich im Kreis der Hochgestellten zu etablieren. Er „verstaatlichte“ sich in gewisser Hinsicht und wurde (zu) mächtig. Insofern spricht einiges für das Diktum, nicht Wallenstein sei ermordet worden, sondern der Herzog von Friedland.

Dennoch ist der Fokus auf den Kriegsunternehmer eine notwendige und richtige Verkürzung im Rahmen der Darstellung Deutsche Militärgeschichte. Dort geht es um die spezifische Form der Kriegführung und ihre verheerenden Auswirkungen auf Land und Leute. Wallenstein war ja tatsächlich auch Kriegsunternehmer und an den Verheerungen zum eigenen Vorteil abseits der eigenen Länder beteiligt. In den Gebieten der Gegner wüteten auch seine Heere, herumziehende Todeskolonnen mit Truppe, Tross und Schattentross, Plagen in biblischem Ausmaß.

Darauf liegt bei Försters Darstellung des Dreißigjährigen Krieges der Fokus, deshalb ist es – trotz der gezeigten Verkürzungen – notwendig und richtig, die Darstellung einer Person wie Wallenstein auf ihren Anteil am fürchterlichen Geschehen zu fokussieren. Nur so gelingt das Vorhaben, das Militärische in den gesellschaftlichen Rahmen einzubetten und die dramatischen Wechselwirkungen aufzuzeigen. Für den Leser wird erfahrbar, dass Militärgeschichte “immer in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gehört, der die Abläufe wesentlich beeinflusst.“

Die Vorgehensweise kann gar nicht genug gelobt werden. Sie führt auch zu manchen Glanzpunkten in der Darstellung. Dank der Internationalisierung des Krieges, die zu Vielvölker-Truppen führten, wurden spezifische Formen der Kriegführung importiert. Vom Balkan, wo Habsburg und die Osmanen grausamste Kriege führten, kamen die „Kroaten“ zu den kaiserlichen Kriegsvölkern, die gefürchtet waren, weil sie die Unbarmherzigkeit der Gefechte gegen die Osmanen an der Balkangrenze auf den mitteleuropäischen Kriegsschauplatz übertrugen. Förster kommt in diesem Zusammenhang zu einer spektakulären Einsicht.

Hierbei handelte es sich um ein Phänomen, das auch in späteren Kriegen zu beobachten war. Im Zweiten Weltkrieg etwa übertrug die Waffen-SS-Division „Das Reich“ ihre Methoden im Vernichtungskrieg an der Ostfront auf die Verhältnisse in Frankreich im Sommer 1944 – mit furchtbaren Folgen.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Bei der Lektüre von Militärgeschichte fällt ein weiterer Gesichtspunkt auf, der beunruhigend ist. Über Jahrhunderte hinweg wurden die Heere, die in Kriegen aufeinanderprallten, immer größer. Der Zweite Weltkrieg war sicher der Höhepunkt dieser Entwicklung, danach wurden die Kriege „kleiner“, lokaler und gleichzeitig auch „breiter“, im Sinne eines Krieges ohne Fronten.

So ist das „Karfreitagsgefecht“ der Bundeswehr in Afghanistan gemessen an den Massenschlachten der Weltkriege auf den ersten Blick ein Petitesse, trotzdem ein wichtiges Ereignis, dem Förster einigen Raum einräumt. Seine Darstellung zum Einsatz am Hindukusch ist ebenso knapp wie wertvoll, denn es beleuchtet jene strukturellen Mängel, die für die Bundeswehr seit Jahrzehnten prägend sind. Der Afghanistan-Einsatz scheiterte am »Fehlen einer Gesamtstrategie«, dem »unklaren Auftrag für die Truppe« und der »Verschleierungstaktik« der politischen Führung. Es konnte kein Krieg sein, weil es kein Krieg sein durfte.

Die Schlussfolgerung entlarvt die  vielbeschworene „Friedensdividende“ als eine Form selbstgefälliger Realitätsverweigerung und beharrlichen Klammerns an rostbefallenen geopolitischen Glaubenssätzen, die spätestens 2022 in einen Alptraum mündeten. Russlands allumfassender Eroberungs- und Vernichtungskrieg ist zur wahrhaftigen Zeitenwende geworden, möglicherweise im Sinne eines Trendbruchs, denn erstmals seit 1945 steigt der Umfang eines Landkrieges wieder massiv an.

Das vorzügliche Buch ist Teil der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung. Ich bedanke mit für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte
Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart
C.H.Beck 2025
Gebunden 1.296 Seiten
ISBN: 978-3-40682903-1

Ann-Cathrin Harders: Kleopatra

Die ptolemäische Königin Ägyptens ist hinter Mythen, Legenden, verzerrender Sieger-Überlieferung und grotesken politischen Instrumentalisierungsversuchen verborgen wie die Grabkammern in den Pyramiden. Cover C.H.Beck, Bild mit Canva erstellt.

Filme sind zweifelsfrei wirkmächtiger als Bücher, insbesondere Sachbücher. So verwundert es nicht, dass ein monumentaler Hollywood-Streifen aus dem Jahr 1963 das Bild von Kleopatra bis in die Gegenwart prägt. Elisabeth Taylor in der Rolle der Königin, gewandet in ein Goldflügelkleid, mit schwarzem Bob und türkis-schwarzem Kajal hat jenes Bild geschaffen, das mehr als ein halbes Jahrhundert nachwirkt. In Deutschland ist daran auch das Leitmedium für antike Geschichte verantwortlich, die Comic-Reihe um Asterix und Obelix, die jenes Bild ebenfalls verbreitet.

Mit der historischen Kleopatra hat das ebenso wenig zu tun, wie der pompös inszenierte Einzug Kleopatras in Rom im berühmten Spielfilm mit Richard Burton. Wobei die Selbstinszenierung ein zentrales Merkmal ptolemäischer Herrschaft seit Alexander dem Großen war, der Filme also selbst diese völlig fiktionale (und allem, was man über Rom weiß, diametral widersprechende) Szene ein Körnchen historischer Fakten enthält. Mehr aber auch nicht, wie der Leser nach dem vorzüglichen Buch Ann-Cathrin Harders über Kleopatra. Ägyptens letzte Königin weiß.

Das gilt für alle Kleopatren, die in den vergangenen fünf Jahrhunderten geschaffen wurden. Im Kapitel mit dem schönen Titel »Viva la Diva!« führt Harders ihre Leser durch die Rezeptionsgeschichte der ägyptischen Königin, der immer grellere Blüten treibt, je näher man der Gegenwart kommt. Selbstverständlich gehört dazu auch die Instrumentalisierung. Ein gruseliges Beispiel ist die us-amerikanische Autorin Morgan Jenkins, die sich zur Besetzung eines neuen Kleopatra-Films mit Gal Gadot wie folgt geäußert hat:

Ich persönlich würde eine Kleopatra lieben, die dunkler ist als eine braune Papiertüte, weil das historisch genauer wirken würde.

RND 14.10.2020

Das ist intellektuelle Selbstentleibung. Bezeichnend, dass Jenkins auf die »Wirkung« abzielt und – frei von Sachkenntnis – die Behauptung in die Welt setzt, diese wäre »historisch genauer«. Schön zu erkennen ist, wie zugunsten der eigenen politischen Agenda die überlieferten Fakten auf groteske Weise ignoriert werden. Denn die Frage, welche Hautfarbe Kleoptra hatte, lässt »sich schlichtweg nicht beantworten«, wie Harders darlegt. Die Quellen geben es einfach nicht her. Trotzdem wird erbittert gestritten, was eine Menge über das Diskurs-Niveau der Gegenwart sagt, die dem Reiz des Schlichten, Einfachen, auf einen Aspekt Reduzierten gern erliegt.

Viel wichtiger als die Hautfarbe sind ganz andere Dinge. Aspekte, die sich etwa aus der sehr lückenhaften und einseitigen Überlieferung ergeben. Die Sieger schreiben die Geschichte und das waren die Römer, genauer gesagt: Octavian bzw. Augustus. Die ptolemäischen Herrscher/-innen Ägyptens hatten in der Endphase der Römischen Republik längst ihre Eigenständigkeit eingebüßt und waren auf einen römischen Patron angewiesen. Kleopatra stand auf der Seite von Octavians Gegner Antonius, sie war entsprechend Ziel heftigster Angriffe während der Auseinandersetzungen und in den Jahrhunderten danach.

Das so überlieferte Bild Kleopatras ist also nicht nur durch die neuzeitliche Rezeption verzerrt, sondern auch durch die zeitgenössische und kaiserzeitliche Überlieferung. Harders verweist darauf, dass die Person Kleopatras ein Ziel für Octavians Partei bot, um den Eindruck eines neuerlichen Bürgerkrieges zu übertünchen. In der Propaganda war sie (und nicht der ihr angeblich sexuell hörige Antonius) die eigentliche Gegnerin Roms, sie wurde zur tödlichen, traditionszerstörenden Gefahr stilisiert. Das erotisch aufgeladene Bild der märchenhaft schönen Verführerin ist ähnlich wirkmächtig für die Gegenwart wie der Taylor-Burton-Film.

Octavian wollte den Eindruck vermeiden, einen Bürgerkrieg zu führen, und rückte deshalb Kleopatra als externe Feindin, gegen die man sich rechtmäßig schützen müsse, ins Zentrum der Auseinandersetzung.

Ann-Cathrin Harders: Kleopatra

Die Frage der Hautfarbe schrumpft vor dieser Kulisse zu einer Petitesse. Wichtiger ist anderes. Welche Handlungsspielräume blieben einer ptolemäischen Königin in dieser prekären Lage ? Schon ihre Vorgänger hatten die Eigenständigkeit im Angesicht der militärischen Überlegenheit Roms und dessen gnadenloser Expansion testamentarisch aufgegeben. Das war nicht ungewöhnlich, zudem geschickter als etwa die testamentarische Vererbung Pergamons durch Attalos III. oder dem verzweifelten Auflehnen gegen Roms Hegemonie anderer.

Kleopatra hat tatsächlich eine bemerkenswerte Leistung vollbracht. Sie hat einerseits erstaunlich lange allein regiert, andererseits die realpolitischen Notwendigkeiten akzeptiert und sich an Rom auf persönlicher Ebene angelehnt, ohne sich zu unterwerfen. Harders beschreibt ihre Beziehung zu Caesar und Antonius über das romantisch-verkitschte Sexuelle hinaus als die eines Arbeitspaares. Man teilte das Bett, nicht die Herrschaft und arrangierte sich durch knallhartes Verhandeln entlang der jeweiligen Interessenlinien zu beiderseitigem Vorteil. Das entspricht dem antiken Bild einer idealen Ehe – obwohl Kleopatra weder mit Caesar noch Antonius offiziell liiert war.

»Arbeitspaar« ist weit entfernt vom Topos der hypererotischen Femme Fatale. Kleopatra wusste um die Pfunde Ägyptens mit seiner einzigartigen griechischen Polis Alexandria, dem Reichtum und der strategisch bedeutenden Stellung als Kornkammer und logistischer Basis. Ihr gelang es, die inneren Probleme zu bewältigen, Missernten und die traditionell ptolemäische Neigung zu blutigen Fehden um die Macht. So schuf sie das Fundament, mit den Vorzügen ihres Landes auf dem schwierigen geopolitischen Feld zu wuchern. Letztlich ist sie wie so viele andere historische Persönlichkeiten an einem starken Gegner und Zufällen gescheitert.

Die Quellen zeichnen das Bild einer kompetenten, vielsprachigen Führungspersönlichkeit, die den Aufgaben, eine so komplexes Reich wie Ägypten zu verwalten und zu regieren, durchaus gewachsen war.

Ann-Cathrin Harders: Kleopatra

Identität setzt sich aus vielen Aspekten zusammen, die durchaus widersprüchlich sein können. Die Reduktion auf einen Aspekt ist auch deshalb problematisch, weil das ein probates Mittel der großen totalitären Vernichtungsregime in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war, Menschen auszugrenzen, einzusperren, auszubeuten und zu töten. Ann-Cathrin Harders gelingt es, Kleopatras persönliche Vielschichtigkeit einzufangen. Sie spricht bewusst von einer ptolemäischen Prinzessin und der Königin Ägyptens, nicht von einer ägyptischen Prinzessin bzw. Königin.

Das ist ein großer Unterschied. Die Ptolemäer haben bis zum Tod Kleopatras in einer Doppelrolle über Ägypten regiert. Sie waren »hellenistische basileis und ägyptische Pharaonen«. Einerseits war eine Anbindung an die Eliten des Reiches, namentlich der Priester, unerlässlich, um überhaupt herrschen zu können. Andererseits wurde das griechische Erbe in ptolemäischer Ausprägung gehegt. Allein Alexandria, das in einem eigenen Kapitel als bis dahin unübertroffener urbaner Stern der vorchristlichen Antike geschildert wird, spricht Bände: Es handelte sich um eine griechische Polis.

Die inzestuöse Heiratspolitik der Ptolemäer gehört ebenfalls dazu, sie ist Teil einer Inszenierung als Götter. Alexandria bildete die Bühne für eine ebenso pompöse wie atemberaubend prächtige und verschwenderisch Selbstdarstellung von Herrschern und Hof. Elementar war ein großes (Herrschafts-)Wissen, symbolisiert durch die einzigartige Bibliothek. Auch wenn die Überlieferung fragmentiert und durch die römische Siegerperspektive verzerrt ist, bleiben die ptolemäisch-griechischen Wurzeln als Faktum bestehen, das zentral für das Verständnis der Person ist: 

Kleopatra ist in mancher Hinsicht eine Ausnahme, ihre Herrschaft kam aber nicht aus dem Nichts, sondern fußte auf einer 300 Jahre alten Tradition und einem besonderen dynastischen Selbstverständnis und Herrschaftswissen.

Ann-Cathrin Harders: Kleopatra

Rezensionsexemplar

Ann-Cathrin Harders: Kleopatra
Ägyptens letzte Königin
C.H.Beck 2025
Taschenbuch 128 Seiten
ISBN: 978-3-406829468

Johanna Katrin Friðriksdóttir: Walküren

Wegen der dürftigen Quellenlage ist die Beschäftigung mit dem Thema Wikinger gernerell schwierig, im Falle der Frauen dank der patriarchalischen Gesellschaft noch problematischer. Doch treten dem modernen Leser spektakuläre Frauen gegenüber, die ihre Handlungsspielräume genutzt haben.

Ist die Annahme übertrieben, dass fiktionale Werke, vor allem Filme und Serien, das Geschichtsbild stärker beeinflussen als es Schule oder Sachbücher jemals könnten? Im Falle der Wikinger war die Serie Vikings sicherlich prägend. Das merkt man nicht zuletzt daran, dass Sachbücher zu dem Thema darauf Bezug nehmen, um etwa richtigzustellen oder zu verdeutlichen. So fließen auch in Walküren von Johanna Katrin Friðriksdóttir Hinweise auf Vikings ein, aber auch auf Game of Thrones.

Insbesondere die Darstellung von Lagertha in Vikings hat für Aufsehen gesorgt. Allein die Frage, ob es Schildmaiden gab, bewegte die Öffentlichkeit. Frauen mit Schild und Schwert auf einem für die Wikinger so typischen Raub- und Kriegszug? Ist das reine Fiktion oder war das  Wirklichkeit? Die Filmfigur Lagertha schlüpft sogar in die Rolle eines Jarl, sie steigt zu einer selbstständigen Herrscherin auf. Die Frage nach historischen Frauen in diesen Rollen wird von Friðriksdóttir wird im Falle der Kriegerin mit einem zurückhaltenden »Nein« beantwortet.

Das mag enttäuschen, ein Empfinden, das jenen blüht, die mit überzogenen Erwartungen an die Lektüre von Walküren gehen. Tatsächlich legt die Autorin manche Überlieferung als Beleg protofeministischer Handlungs- und Sichtweisen aus, doch sucht man nach der starken, unabhängigen Wikingerfrau in der patriarchalischen Welt der Nordmänner vergeblich. Die Spielräume für Frauen waren sehr eng, aber es gab Ausnahmen. Gelegenheit schafft Möglichkeiten (und auch den Zwang) zur Verwirklichung eigener Ideen und Absichten.

Es gab zwar nur wenige unabhängige Siedlerinnen, aber die Quellen legen nahe, dass ihre Unabhängigkeit häufig eher den Umständen als einer subversiven Natur geschuldet war.

Johanna Katrin Friðriksdóttir: Walküren

Aus der Wikingerzeit dringt dröhnendes Schweigen zu uns. Die Quellenlage ist problematisch, von einer historischen »Wirklichkeit« zu sprechen, ist in diesem Fall besonders schwierig. Die Wikinger haben faktisch keine zeitgenössischen Schriften hinterlassen, die Forschung ist auf wortkarge Runensteine, Archäologie, Quellen von Reisenden & Opfern sowie Jahrhunderte später niedergeschriebenen Sagas angewiesen.

Friðriksdóttir widmet sich diesem Problem, ohne den Leser mit den fachtypisch oft spröden Abhandlungen zu quälen. Die größere Lesbarkeit verschleiert nicht den Vorbehalt, unter dem viele Aussagen zwangsläufig stehen müssen. Die Sagas können – wie viele andere mittelalterliche Quellen auch – nicht wörtlich genommen werden. Sie sind aber in manchen Gesichtspunkten Spiegel einer vielfältigen und natürlich auch widersprüchlichen Lebenswirklichkeit. Bestimmte (Alltags-)Muster zu identifizieren ist eine der Absichten von Walküren.

Aus den Sagas lassen sich mittelbar Erkenntnisse ableiten, insbesondere wenn diese sich durch archäologische Funde oder Informationen von Runensteinen stützen lassen. Eine der spannendsten Überlieferungen ist die über eine verwitwete Frau, die Straßen und Brücken »erbaut«, also aus ihrem Vermögen finanziert hat. Sie war keineswegs singulär, von dieser spektakulären Tätigkeit (und dem erstaunlichen Handlungsspielraum) erfährt die Nachwelt von einem Runenstein und aus Sagas.

Ein einzelnes Wort aus einer einzigen Handschrift aus dem 14. Jahrhundert kann jedoch nicht als hinreichender Beleg für die Teilnahme an Schlachten durch Frauen in der Wikingerzeit angesehen werden.

Johanna Katrin Friðriksdóttir: Walküren

Besonders gut hat mir die Entscheidung der Autorin gefallen, ihr Buch entlang des Lebenszyklus einer Frau in der Wikingerzeit zu strukturieren. In sechs Kapiteln werden die Lebensabschnitte von Säuglingsalter und der Kindheit bis zu Alter und Tod geschildert, eine ebenso einfache wie für dem Leser nahestehende Vorgehensweise. Friðriksdóttirs Ziel besteht darin, die (Handlungs-) Spielräume von Frauen in der Wikingerzeit auszuloten.

Den Anfang bildet eine tolle Einleitung über die titelgebenden „Walküren“ sowie die Göttin Freya. Mir war bis zu dem großartigen Buch Die wahre Geschichte der Wikinger von Neil Price unbekannt, dass es neben Odins Walhalla auch noch eine zweite Halle für gefallene Krieger gab: Freyas Sessrumnir. Das ist ein typischer Vorgang, dass der Referenzrahmen der historischen Forschung (Das Geschenk des Orest) zwangsläufig eine Vorauswahl trifft, was gesehen wird und was nicht.

Zumutungen inhaltlicher Art bleiben nicht aus. Wenn es etwa um das Thema Kindertötung geht, wird dem modernen Leser mulmig. Es liegt auf der Hand, dass die Verhältnisse des Aufwachsens vor mehr als eintausend Jahren dramatisch von denen in einer hochtechnisierten Welt verschieden waren. Die bisweilen brutale Fremdheit der Zeit trifft den Leser mit großer Wucht.

Es ist schlichtweg ausgeschlossen, ein Schwert zur Hand zu nehmen und damit auf Anhieb umgehen zu können.

Johanna Katrin Friðriksdóttir: Walküren

Und wie steht es nun mit Kriegerinnen? Fridriksdóttir behandelt das Thema vielschichtig und differenziert. Wenn es etwa um das berühmte und in der breiten Öffentlichkeit diskutierte Grab in Birka geht, das bis zu einer genetischen Untersuchung wegen der Grabbeigaben als „Kriegergrab“ ausgelegt wurde, wird deutlich, wie schwer eine Einschätzung fällt. Die Person in dem Grab war weiblichen Geschlechts. Der Kurzschluss, es handele sich damit um den Beweis für die Existenz einer „Kriegerin“, liegt durchaus nahe.

Die Autorin hegt diese Auslegung auf mehrfache Weise ein. Da wäre zum einen die verschwindend geringe Zahl an Gräbern, die Frauen mit der Beigabe von Schwertern (drei) und anderen Waffen (siebzehn) beinhalten. Die Interpretation der Grabbeigaben hat sich in jüngster Zeit so weit gewandelt, dass man nicht mehr einfach von der Beigabe auf die Persönlichkeit, Tätigkeit des Bestatteten und seine soziale Stellung schließen kann.

An anderer Stelle geschieht das in Walküren sehr wohl, was auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt. Doch sind »Waagen, Textilwerkzeuge und Nähkästchen« sehr viel gewöhnlicher und verbreiteter als ein Schwert (eine seltene Waffe bei den Wikingern), zweitens ist Textilverarbeitung anderweitig hinlänglich bezeugt. Schwieriger wird es bei den mysteriösen Stäben in manchen Frauengräbern, aus denen geschlossen wird, dass es sich um ein »emblematisches Symbol ihrer Rolle und Autorität« als Seherin handelt. Sollte man also analog dazu doch von der Grabbeigabe Schwert auf eine Leben der Toten als Kriegerin schließen?

Moderne Welt- und Menschensichten fließen in die Überlegungen von Fridriksdóttir mit ein. Die klugen Rückschlüsse werden dabei zwangsläufig ein wenig unscharf. Auch wenn die Zeitgenossen nicht das Konzept der „Kriegerin“ kannten, kann man den Begriff heute verwenden, sonst wäre der Begriff Wikinger auch problematisch. Die Frage ist jedoch, nach was wird eigentlich gesucht? Es ist ein Unterschied, ob eine Frau in einer Notlage zur Waffe greift, an einem Raubzug oder einer Landnahme teilnimmt oder gesellschaftlich als „Kriegerin“ auftrat und akzeptiert wurde.

Unsere Kultur ist seit jeher geneigt, Stärke mit Körperkraft und der Fähigkeit zur Unterwerfung anderer zu assoziieren – zumindest in Kontexten wie der Wikingerzeit. Statt unser Verständnis entsprechend anzupassen und zu erweitern, schwärmen wir von Frauen, die „so stark wie Männer“ waren.

Johanna Katrin Friðriksdóttir: Walküren

Interessanter sind andere Gesichtspunkte, wie das ausführliche Zitat zeigt. Bernhard Jussen hat in seinem Buch Das Geschenk des Orest auf die Bedeutung des Referenzrahmens für die historische Forschung hingewiesen, die zum Beispiel für die Auswahl und Einordnung von historischen Quellen entscheidend sei. Wie das Zitat zeigt, gilt das auch für die Fragen, die an die Vergangenheit gerichtet werden, die darüber bestimmen, was gesucht wird. Wer nach „männlicher“ Stärke bei Frauen sucht, grenzt andere Formen der „Stärke“ aus.

Ganz praktisch wäre zu diskutieren, ob der Rückschluss vom eher zierlichen Körperbau der Toten im berühmten Grab von Birka den Gebrauch eines Schwertes in der Schlacht ausschließt oder nicht. Völlig zurecht verweist Friðriksdóttir darauf, dass man nicht einfach ein Schwert in die Hand nehmen und kämpfen kann – jedenfalls nicht im Sinne eines ausgebildeten Kämpfers.

Das gilt auch für das Schild und besonders für Kampftaktiken á la Schildwall. Die Ausbildung kostete Zeit, die Frauen nicht hatten. Sie hatten in der Welt der Wikinger allein durch ihre Fruchtbarkeit wesentlich schlechtere Voraussetzungen, eine Ausbildung zur Kriegerin zu durchlaufen. Allerdings sollten die Schildmaiden laut Sagas unverheiratet sein, was dem Argument etwas Durchschlagskraft entzieht.

Für die überwältigende Mehrzahl der Männer der damaligen Zeit galt auch, dass sie keine »Zeit« zur Kampfausbildung hatten. Diese Männer waren demnach auch keine Krieger in sozialer Hinsicht, was nicht heißt, dass sie nicht gekämpft haben. Zu allen Zeiten haben unausgebildete und schlecht bewaffnete Kämpfer auf den Schlachtfeldern gefochten. Kämpfen allein macht noch keinen Krieger oder Kriegerin im Sinne eines sozialen Status. 

Das ausführliche Beispiel verdeutlicht die Schwierigkeiten, mit denen die historische Forschung beim Thema Frauen in der Welt der Wikinger zu kämpfen hat. Einfache Antworten verbieten sich, der Leser muss letztlich aushalten, dass viele Dinge ungeklärt und widersprüchlich bleiben. Das allein macht das Buch wertvoll, gerade in einer Gegenwart, die von Weltverschlichtern geradezu überrannt wird. Walküren zeigt aber auch spektakuläre Frauengestalten, etwa die im berühmten Oseberg-Schiffsgrab bestatteten Frauen, die ein geheimnisvoller Schleier der Ungewissheit um gibt.

[Rezensionsexemplar]

Johanna Katrin Friðriksdóttir: Walküren
Frauen in der Welt der Wikinger
Aus dem Englischen von Franka Reinhart und Viktoria Topalova
C.H.Beck 2024
Gebunden 306 Seiten
ISBN: 978-3-406-81754-0

Lesevorhaben 12 für 2025

Diese zwölf Bücher möchte ich im laufenden Jahr lesen. Das ganze ist eine so genannte Challenge, auf die ich bei Instagram gestoßen bin.

Sechs Romane und sechs Sachbücher habe ich für mein Lesevorhaben 12 für 2025 ausgewählt. Der Fokus liegt ganz eindeutig auf historisch-politischen Themen, auch bei Schubert (»und seine Zeit«). Ich erhoffe mir einen weiteren Horizont nach der Lektüre, um das »Schaffen« geht es mir nicht. Meine mir im Vorjahr selbst auferlegte Buchkauf-Diät bleibt bestehen.

Thomas Medicus: Klaus Mann
Biographie, Schriftsteller, kenne alle Romane

Stephan Thome: Gott der Barbaren
Roman, Historisch, China

Friedrich Christian Delius: Die Sieben Sprachen des Schweigens
Essays, Autobiographisch, toller Autor

Thomas de Padova: Allein gegen die Schwerkraft
Biographisch, Erster Weltkrieg, Einstein

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge
Roman, Historische Dystopie, Hitler hat den Krieg gewonnen

Stefan Hertmans: Krieg und Terpentin
Roman, Erster Weltkrieg, Perspektive belgisch-flämisch

Nino Haratischwili: Das achte Leben
Roman, Georgien, epischer Mehrgenerationenroman

Arthur Koestler: Sonnenfinsternis
Roman, Stalinismus, mein zweites Buch vom Autor

Peter Gülke: Franz Schubert und seine Zeit
Biographie, Komponist, mehrere Werke gehören zu meinen Favoriten

W.B. Bartlett: King Cnut
Biographie, Wikinger, neben Claudius & William der dritte Eroberer Englands

Robert Harris: Precipice
Roman, 1914, kenne fast alles von Harris

Mischa Meier: Die Völkerwanderung
Historiographie, es gab keine »Völker«, also auch keine »Völkerwanderung«

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