Den vielversprechenden Ansatz kann der Roman nicht erfüllen. Cover Penguin, Bild mit Canva erstellt.

Durchaus vielversprechend beginnt der Roman Das große Spiel von Richard Powers. Der Leser reist nach Makatea im Pazifik, einem der zahllosen kleinen Eilande im größten Ozean der Erde. Makatea gehört zu den von Frankreich kolonisierten Gebieten, auf der Insel wurde über Jahre hinweg Salpeter abgebaut, die Mine hinterließ Narben, wenig Wohlstand und eine große Stille.

Für die wenigen verbliebenen Menschen auf Makatea hat der Rohstoff-Abbau nichts gebracht, eine globale Konstante auf der Welt, in der Konzerne den Rahm abschöpfen, verschwinden und die Folgen den Bewohnern überlassen. Die Insel wirkt wie ein zerschundenes Idyll, das wieder in den Fokus finanzkräftiger Unternehmen gerät. Statt Rohstoff-Raubbau geht es um etwas anderes, sehr Modernes. Für die Einwohner stellt sich die Frage, ob sie den Versprechungen Glauben schenken wollen oder nicht.

Was wie ein politisch angehauchter Roman beginnt und ökologische sowie hochtechnologische Aspekte zu berühren scheint, entfernt sich über lange Zeit von der Insel und erzählt erinnernd die Geschichte einer Freundschaft. Rafi und Todd tragen schwer an den Verletzungen, die ihnen in ihrer Kindheit zugefügt wurden. Auf dem langen Weg durch die sozialen Klüfte und Bildungslabyrinthe der USA freunden sie sich an. Die Leidenschaft für Spiele, Schach, Go und andere führt sie zusammen.

Schon recht früh im Roman ist klar, dass beide unterschiedliche Wege im Leben gegangen sind. Todd ist steinreicher Tech-Unternehmer, er erzählt einem (zunächst unbekannten) Zuhörer von seinem dahinwelkendem Leben; Rafi findet der Leser auf Makatea wieder, dort ist er mit Ina liiert, jener Frau, die aus der Zweier-Freundschaft eine kompliziertere mit drei Ecken macht.

Durch alle Gänge schienen die Maschinen mich anzubrüllen: Tu etwas! Mach etwas Großartiges mit mir!

Richard Powers: Das große Spiel

Powers hat durch diese Erzählstruktur in seinem Roman formal und inhaltlich das Spielfeld gewechselt, von Dame zu Mühle etwa. Für Schach oder Go reicht das Erzählte nicht, es bleibt viel zu oberflächlich. Das spürt der Leser besonders bei den Kapiteln, die von Evelyne Beaulieu handeln. Bis zum Ende ist unklar, was sie eigentlich darstellen soll, Figur und Leben bleiben unscharf.

Der Erzähler behauptet zwar, sie sei Forscherin, geschildert werden aber Tauchgänge, die sich (und den Leser) in glanzvollen  Schilderungen erschöpfen. Man soll staunen, nicht lernen. In einem Abschnitt wird Evelyne von zwei Tauchern begleitet, die sie (!) für ein Magazin ablichten sollen, während ein Schiffsfriedhof mit den Hinterlassenschaften einer Seeschlacht im Zweiten Weltkrieg besichtigt wird. Sie ist eine Art Tauch-Barbie im Unterwasserparadies.

In pathetischen Worten wird die Wunderwelt auf den zerstörten Schiffen und ihren Maschinen geschildert, Gehaltvolles erfährt man hier nicht und sonst nur enttäuschend wenig. Das gilt nicht nur für die „Forschungen“, auch die Unternehmungen, an denen sie teilnimmt, werden in derart überschwänglichen Worten weichgezeichnet, dass die Glaubwürdigkeit leidet. Die groteske Ehe, mit Kindern, die dem Zerrbild von Fernsehwerbung näher als dem Leben sind, verstärken das Bild: Evelyne ist eine in Unwirklichkeiten versponnene Kunstfigur, die seltsam leer und leblos bleibt.

Es gab Fakten zum selber Verdrehen.

Richard Powers: Das große Spiel

Das wirkt auf die bildstarke Sprache von Powers zurück, die angesichts fehlender Substanz in allen Erzählsträngen oft überzogen wirkt. Anfangs ist die sprachliche Gestaltungskraft des Autors beeindruckend, doch verhält es sich damit wie mit den Luftnummern einer Flugshow: Auch die schönsten Loopings, die atemberaubendsten Kunststücke ermatten auf die Dauer. Das gilt insbesondere für die Unterwasserszenen und jene wiederkehrenden Aufzählungen, die ermüden.

Das Finale fügt sich in das skizzierte Bild ein. Es verbietet sich, hier etwas über die sich abrupt wendende Handlung zu verraten. Alles in allem ist Das große Spiel ein enttäuschender Roman, der den vielversprechenden Ansätzen nicht gerecht wird. Obendrein wirkt der Schluss, insbesondere der Twist, konstruiert und aufgesetzt. Die »Gute-Nacht-Geschichte« ventiliert eine fragwürdige Weltsicht, bei der zu hoffen bleibt, dass sie als Märchen gelesen wird, denn weder Gott noch Super-KI werden die Menschheit retten. Das müssen wir schon selbst tun.

Richard Powers: Das große Spiel
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Penguin 2024
Hardcover 512 Seiten
ISBN: 978-3-32860371-9