Eine epische Grafic Novel erzählt die Ereignisse der dem Abgrund entgegentaumelnden Weimarer Republik aus vielen, spannenden Perspektiven. Cover Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Volker Kutscher, Autor der von mir sehr geschätzten Romane um den Kriminalkommissar Gereon Rath, ist es zu verdanken, dass ich auf diesen Schatz aufmerksam geworden bin. Seine lobenden Worte auf dem Cover dieses wahrlich dicken Schinkens haben mich zu einem zweiten Blick bewogen, obwohl ich mit Grafic Novels bislang nicht so viel anfangen konnte.

»Ein opus magnum, eine Sinfonie der Großstadt, eine Comic-Sinfonie.« Kutschers Worte erweisen sich als wahr: Die Lebensumstände im Berlin der Jahre 1928 bis 1933 werden vielschichtig erzählt und ganz wundervoll ins Bild gesetzt. Die Darstellung wirkt karstig, garstig, schwarz-weiß und frei von allem Glamour.

Freunde von »Babylon Berlin« werden möglicherweise die Nase rümpfen, denn in Lutes Berlin gibt es keine Charlotte Ritter; die Figuren bilden ein breites, widersprüchliches Spektrum der Bevölkerung und sozialer Schichten ab, Jason Lutes hat es meisterhaft verstanden, in kargen Zeichnungen ihre Befindlichkeiten einzufangen.

Geschickt werden Ereignisse und Begebenheiten neben- und nacheinander montiert, Lutes verzichtet zum Glück auf jede Form moralinsaurer Belehrungen. Trotzdem bezieht »Berlin« klar Stellung gegen die brutalen, grobschlächtigen und in ihrem Wesenskern gar nicht so unähnlichen Gewaltextreme der Zeit.

Vor- und Nachwort geleiten den Leser, außerdem findet sich in der Gesamtausgabe noch ein sehr interessantes Interview mit dem Zeichner. Toll hat mir das Berlinern einiger Figuren gefallen und – soviel darf gesagt werden – es endet trotz der Machtübertragung an Hitler 1933 nicht alles in depressiver Schwärze.

[Ein Bibliotheksfund, daher unbezahlt]

Jason Lutes: Berlin
aus dem Amerikanischen von Heinrich Anders
Berlinerisch von Lutz Göllner
Carlsen Verlag 2019
HC 610 Seiten
ISBN 978-3-551-76820-9