Alexander Preuße

Schriftsteller - Buchblogger

»Verräter« – Piratenbrüder Band 6

Nach dem Erfolg des Aufstands auf Castelduro beginnen die Problem erst und stellen die Piratenbrüder und ihre Freunde vor gefährliche Herausforderungen.

Ausgerechnet Jason Buckler als Hoffnungsträger? Als die Piratenbrüder und Pete Larsen dem Gasthauswirt und selbsternannten »Verwalter« der Insel Castelduro zu Beginn des Romans Chatou Piratenbrüder Band 2 erstmals begegneten, hätte das keiner von ihnen für möglich gehalten. Eine aasige Kreatur, ruchlos, heimtückisch und anpassungsfähig – es ist wenig verwunderlich, dass es Buckler gelungen ist, sich Lord Cornelius Thaddaeus Warrington anzudienen. Er erweist sich als vorzüglich geeignet als Oberaufseher über die versklavten Afrikaner.

Warum sollte ausrechnet jemand wie Buckler den Jägern von John Black helfen?

Henry, Pete und die Piratenbrüder haben ohnehin noch ganz andere Sorgen. Der Aufstand der Sklaven auf Castelduro endete nur mit großer Mühe in einem Sieg, an dessen Ende es beinahe zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den Aufständischen und ihren Helfern gekommen wäre. Diese Gefahr ist keineswegs gebannt.

Mehr noch: Warrington wird mit seinen verbliebenen Linienschiffen irgendwann nach Castelduro zurückkehren und sein Eigen zurückfordern. Kämpfen käme angesichts der Übermacht einem Selbstmord gleich. Folglich sollten Henry und seine Getreuen die Insel schnellstmöglich verlassen. Damit würden sie Akono und die Aufständischen im Stich lassen, ein Dilemma, aus dem es keinen einfachen Ausweg gibt.

Verrat kennt viele Gesichter.

Verräter – Piratenbrüder Band 6

Was wirklich geschieht, übertrifft alle Befürchtungen und Erwartungen in jeder Hinsicht. Der Erfolg auf Castelduro erweist sich politisch für Henrys Ziele als Pyrrhus-Sieg, die Spanier entpuppen sich als unzuverlässige Verbündete. In London ist das zersetzende Gift der Lüge längst am Werk, inmitten einer aufgeheizten Stimmung, in der immer lauter ein Krieg gefordert wird. Vor allem anderen aber sind John Black und seine Piraten nicht müßig, was auch Joshua und Jeremiah zu spüren bekommen.

VerräterPiratenbrüder Band 6 ist das dramatische Luftholen vor dem großen Finale der Buchserie. Joshua muss sich beweisen, mit und ohne Waffe, Stück für Stück enthüllt sich eine bedrohliche Verschwörung, während die Piratenbrüder in einer längst vergessenen Festung nach dem letzten Puzzlestück des Rätsels um den Standort von John Blacks Stützpunkt fahnden.

Eine Leseprobe gibt es hier: Verräter

Das Taschenbuch (424 Seiten) ist bei Autorenwelt, Buch 7, geniallokal, Amazon & anderen Online-Buchhändlern sowie im lokalen Buchhandel erhältlich.
eBook exklusiv bei Amazon (Kindle und Kindle unlimited).

Bisher erschienen (auf das Cover klicken)

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Die Römer haben überall in Spanien Spuren hinterlassen. Ihrer Herrschaft widmet das Buch den größten Raum, doch erfährt der Leser auch, wer vor und nach ihnen auf der iberischen Halbinsel das Szepter schwang. Cover C.H.Beck, Bild mit Canva erstellt.

Als Kind bekam ich ein Hörspiel geschenkt: Hannibal. Erzählt wurde von einem der spektakulärsten Feldzüge der Geschichte, der Zug eines karthagischen Heeres einschließlich einiger Kriegselefanten über die Alpen, um Rom zu besiegen. Viele Aspekte, die das Hörspiel vermittelte, werden in der historischen Forschung längst nicht mehr vertreten, einige sind bis in die Gegenwart umstritten. Für mich war es der Beginn des Interesses an Geschichte, einschließlich dem, was man Antike nennt.

Der Ausgangsort von Hannibals Unternehmen war Hispanien, wie das Land in Geschichte Spaniens in der Antike von Pedro Barceló genannt wird. Die Antike endet in diesen Buch erst mit der Errichtung des Kalifats von Cordoba. Lange Zeit galt das formale Ende des (West-)Römischen Reichs 475 n. Chr. als Schlusspunkt antiker Geschichte, was in vielerlei Hinsicht problematisch ist.

Diese eher schlichte und willkürliche Datierung kappt Kontinuitäten wie die Goten-Herrschaft in Spanien, von der fast ein Jahrtausend fortgeschriebenen römischen Geschichte in Gestalt von „Byzanz“ ganz zu schweigen. Allein aus diesem Grund ist das Buch sehr zu begrüßen, es eröffnet in vielerlei Hinsicht eine neue Perspektive auf ein Hispanien, das später zur weltumspannenden Großmacht und noch später beliebtem Reiseland wurde.

So brauchte das übermächtige Rom, die größte Militärmacht des Altertums, schließlich zwei Jahrhunderte, um die Gesamtheit des flächenmäßig beträchtlichen, widerborstigen Landes zu erobern.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Die Karthager haben Hispanien nach ihrer ersten Niederlage gegen Rom aus dem Halbschatten ins geopolitische Rampenlicht geholt. Bemerkenswert, wie stark verflochten die Mittelmeerwelt bereits war, während die ansässigen Stammesverbände ganz unterschiedlicher Herkunft (Iberer, Kelten, Tartessaner etc.)  gleichzeitig recht abgeschlossen lebten.

Ausgerechnet diese Zersplitterung machte es später den Römern so schwer, Hispanien gänzlich zu erobern, da es keine Möglichkeit  für umfassende Vereinbarungen mit den Besiegten gab. Dem Sieg über die Karthager folgten schier endlose Kriege, die massive Rückwirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Rom hatten und mit dazu beitrugen, die Republik zu destabilisieren.

Naturgemäß sind die Möglichkeiten, etwas über die Einwohner Hispaniens vor der römischen Zeit mangels aussagekräftiger Quellen begrenzt. So gibt es zwar ein iberisches Alphabet, das immer noch Rätsel aufgibt, was die Bedeutung der entschlüsselten Worte anbelangt. Hinter dem Schleier des Unwissens liegen zumindest keine „Völker“, sondern – wie in Germanien – locker gefügte Stammesverbände mit einer dynamischen Zusammensetzung.

Die Saguntaffäre war zunächst eine binneniberische Angelegenheit.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Die schriftlichen Quellen aus römischer Zeit (karthagische gibt es dank der vernichtenden Niederlage nicht) nehmen eine entsprechende Sicht von außen auf Hispanien ein. Es ist ein Schauplatz und die dort Lebenden sind oft auf eine Statisten– oder Zuschauerrolle reduziert, während sich der karthagisch-römische Konflikt, die Eroberung und Romanisierung des Landes entfaltet.

Das kann den Blick auf wichtige Aspekte verstellen, etwa die Wurzeln des Kampfes um Sagunt. Barceló legt die Ereignisse so aus, dass Sagunt, eine mit Rom verbündete Stadt, ihre hispanischen Nachbarn mit Krieg überzog. Die angegriffenen Turboleten waren jedoch mit den Karthagern verbunden, die vor der Wahl standen, zugunsten ihrer Klientel einzugreifen oder zurückzustecken und Rom das Feld zu überlassen. Eine geradezu klassische geostrategische Zwickmühle.

Nicht nur im Hinblick auf die Kriegsursache, die von vielen modernen Historikern und allen römischen Quellen verzerrt dargestellt und ausgewertet wurde, erzählt Geschichte Spaniens in der Antike die Ereignisse auf eine andere Weise. Der gesamte Kriegsverlauf wird nicht – wie üblich – vor allem auf den italischen Schauplatz fokussiert, sondern auf den spanischen. Hier sei die Entscheidung gefallen, meint Barceló und nennt bedenkenswerte Gründe, unter anderem hinsichtlich der Kriegsfinanzierung durch die hispanischen Bodenschätze.

Nach der Niederlage im Teutoburger Wald 9 n. Chr. wurden die Expansionspläne unter Tiberius seit 14 n. Chr. bald aufgegeben nicht nur weil die militärischen Abenteuer des Oberbefehlshabers Germanicus zu riskant sondern wohl vor allem in der Bilanz zu wenig ertragreich waren das Land war schlicht zu arm an Ressourcen um mit der Beute die aufwendigen Militärausgaben zu kompensieren die ihre Eroberung erfordert hätte.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Besonders gelungen ist die Einordnung der Ereignisse und ihrer Folgen, etwa durch Vergleiche. In Spanien führten die Römer viele Jahrzehnte Krieg bis zur Unterwerfung, in Gallien brauchte Caesar nur weniger Jahre, während Germanien nach der ersten großen Niederlage aufgegeben wurde. Vor allem aber bildete Hispanien Hand in Hand mit dem römischen Krieg gegen Karthago den Anfang eines tiefgreifenden innerrömischen Wandels, an dessen Ende die Republik blutige Bürgerkriege und schließlich ins Prinzipat unter Augustus mündete.

Wie so oft bei der Beschäftigung mit antiker Geschichte berührt die Darstellung grundlegende Fragen. Die innerrömischen Veränderungen zementierten eine kleine Oberschicht, die sich mittels militärischer Unternehmungen und Expansion des Herrschaftsgebietes profilierte und in Form gnadenloser Auspressung der erworbenen Gebiete schamlos bereicherte. Zum Preis tausender Toter Legionäre wurden immer neue Kriege vom Zaun gebrochen, Verträge geschlossen und ignoriert sowie gewaltige Vermögen angehäuft.

Das Verhängnis nahte – verkürzt gesagt – in Gestalt zu großer Vermögen, daraus resultierender militärischer und politischer Macht und einer Gesetzgebung, die sozialen Aufstieg erschwerte. Nun ist Geschichte trotz aller Pfadabhängigkeit immer offen, die römische Gesellschaft musste nicht zwangsläufig untergehen, was sie trotz aller Krisen auch über Jahrhunderte nicht tat. Auch verbieten sich direkte Rückschlüsse oder gar Gleichsetzungen für die Gegenwart. Es sind vielmehr die Fragen, die sich aus der Beschäftigung mit der überlieferten Geschichte ergeben, die einen großen Wert darstellen.

Geschichte Spaniens in der Antike von Pedro Barceló ist in der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stifung bei C.H. Beck erschienen. Für das Rezensionsexemplar bedanke ich mich herzlich.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike
C.H.Beck 2025
Gebunden 492 Seiten
ISBN: 978-3-406-82898-0

Blogmonat Juni 2025

Ein sehr informativer Lesemonat liegt hinter mir, drei Sachbücher aus sehr unterschiedlichen Bereichen sind dafür verantwortlich. Erzählerisch gab es ein fantastische Highlight und zwei gute Werke, ergänzt wird alles durch eine fabelhafte Graphic Novel. Cover-Rechte beim jeweiligen Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Die erste Hälfte des Jahres 2025 ist überstanden, nicht viel, gemessen daran, was uns noch bevorsteht. Doch richte ich meinen Blick erst einmal zurück auf meine Lektüre und Schreiberei in diesem Jahr. Gibt es schon Kandidaten für die Bestenliste im Dezember? Ja, da sind einige unter den bislang gelesenen Büchern. Nicht alle habe ich besprochen, dafür fehlen mir aktuell Zeit und Lust.

Romane
Leo Perutz: Nachts unter der steinernen Brücke
Walter Kempowski: Alles umsonst
Steffen Kopetzky: Grand Tour
Philipp K. Dick: Das Orakel vom Berge

Erzählungen
Warlan Schalamow: Kolyma

Sachbuch
Thomas Medicus: Klaus Mann

Es ist nicht gesagt, dass diese sechs Bücher am Jahresende zu meinen Lesefavoriten zählen werden.

Bis Jahresende werden noch einige Titel hinzukommen, ganz sicher der brillante historische Roman Der Gott der Barbaren von Stephan Thome, den ich gerade beende. Er gehört mit zu den besten Büchern des Genres, die ich kenne. Die wechselnden Perspektiven gehen mit den Stilvariationen Hand in Hand, eine ganz wunderbare Möglichkeit, sich dem historischen Gegenstand anzunähern. Der hat es in sich: Ein War on Drugs ganz anderer Art, denn die Briten wollen die Chinesen zwingen, Opium einzuführen.

Im zweiten Halbjahr erscheinen zudem noch viele sehr interessante neue Bücher, meine Liste potenzieller Rezensionexemplare umfasst mehr als fünfzig. Aus Zeitmangel werde ich aber maximal zehn davon wahrnehmen, der Fokus im zweiten Halbjahr steht auf dem Schreiben. Der Schlussband Opfergang meiner Piratenbrüder muss beendet werden, der Spin-Off-Band mit der Fortsetzung der Geschichte der Vinland-Fahrer um Stígandr, Eillir und Ryldr will vorbereitet sein.

Obendrein werde ich noch einige Bücher im Rahmen des Buchclubs auf Bluesky lesen. Aktuell beschäftigen wir uns mit T.C. Boyle, BlueSkies (wie passend), die Lektüre macht Spaß. Mit anderen gemeinsam lesen und sich austauschen, ist eine schöne Abwechslung. Jeder liest anders, nimmt andere Dinge wahr und wertet sie auf eine eigene Weise.

Kurzbesprechung der Juni-Bücher

Die Frage, welche Farbe die Haut Kleopatras, der ptolemäischen Königin Ägyptens hatte, ist »schlicht nicht zu beantworten«. Nach der Lektüre von Ann-Cathrin Harders’ Buch über Kleopatra* ist klar, dass diese Frage bedeutungslos ist. Sie verschwindet hinter einem komplexen, durch die vor allem römische Überlieferung stark verzerrten Bild, durch das eine intelligente, machtbewusst agierende, strategisch und taktisch kluge Herrscherin schimmert. Kleopatra hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten agiert und bestaunenswerte Erfolge erzielt. Man denke nur an das Schicksal der vielen Königreiche, Herrschaften und Machthaber nach dem Sieg Roms über Hannibal. Besonders gut hat mir die Deutung ihrer Beziehungen zu Caesar und Antonius als »Arbeitspaar« gefallen, was sexuelle oder von Liebe gespeiste Bindungen keineswegs ausschließt. Leider ruht dieses lückenhafte Bild unter einem Gebirge an Fantasie-Erzählungen in der Rezeption, grotesken Zerrbildern mit unhistorischen Absichten. Dazu gehört auch der Streit um die Hautfarbe.

Jener Frühling, in dem gestorben wird, liegt nun gut 80 Jahre in der Vergangenheit. Ralf Rothmanns Roman führt den Leser mitten hinein in die letzten Monate des »Dritten Reichs«, jene aberwitzige, apokalyptische Selbstvernichtung im Angesicht der unabwendbaren Niederlage. Im Frühling sterben erzählt auf nüchterne, distanzierte Weise von zwei befreundeten jungen Männern, Walter und Friedrich, die in den Strudel des Untergangs hineingezogen werden. Kaum ausgebildet und an die Front in Ungarn geworfen, hinein in jene gnadenlose Menschenmühle, werden sie Zeugen von barbarischen Grausamkeiten der Kriegshandlung, von der die Zivilbevölkerung nicht verschont bleibt. Es ist nicht die dramatische Zuspitzung des Romans, bei der einer der beiden nach einem Desertionsversuch einer standgerichtlichen Erschießung entgegensieht und im Peloton sein Freund steht, die dessen Qualität ausmacht. Beeindruckend ist vor allem das Gefühl, wie sehr der Einzelne in einem totalitären System schutz- und rechtlos enthemmter Gewalt ausgesetzt ist, ohne etwas ändern zu können.

Mehr als zehn voluminöse Bände stehen in meinem Regal, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg befassen. Bislang kenne ich nur den zweiten Band, jetzt habe ich mich mit dem vorletzten befasst: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg – Band 10/1: Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 – Die militärische Niederwerfung der Wehrmacht. Es passt zeitlich zum achtzigsten Jahrestag des Untergangs, obendrein ist der umfassende Landkrieg durch Putins Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine in die Gegenwart zurückgekehrt. Die letzten Kriegsmonate waren eine apokalyptische und gespenstisch irreale Zeit, die Wehrmacht führte einen Krieg »fünf nach zwölf«, wie es treffend heißt. Unvorstellbaren Verlusten stand eine irrwitzige Scheinwelt gegenüber, die keineswegs auf Hitler in seinem Bunker beschränkte, sondern für weite Kreise festzustellen ist. Die Darstellung ist umfassend und ausgewogen, manchmal ein wenig trocken, wenn es um schwierige, faktisch nicht vollständig zu beantwortende Fragen wie die Zahl der in die Sowjetunion deportierten deutschen Zivilisten geht. Keine leichte Kost, aber hilfreich.

Was, wenn Hitlers Reich den Zweiten Weltkrieg nicht verloren hätte, sondern mit Japan die gesamte Welt beherrschte? Diesen ebenso faszinierenden wie erschreckenden Gedanken haben schon einige Romanciers aufgegriffen, keiner von den mir bekannten ist dabei so weit gegangen wie Philip K. Dick. Das Orakel vom Berge heißt im Original The man in the High Castle, ein martialischerer Titel, weshalb er wohl auch die Verfilmung des Romans betitelt. Das Buch setzt weniger auf Action, ist auf eine untergründige Weise spannend, die wenig mit einem Thriller á la Vaterland (Harris) oder Feindesland (Sansom) gemein hat. Es geht um tiefgreifende Fragen, etwa die nach dem Bösen und wie man damit umgeht, wenn vielleicht das Böse eher geeignet erscheint, das eigene Überleben zu gewährleisten. Wie steht es mit dem Einzelnen in einem totalitären Regime, das der Inbegriff des Lebensverachtenden ist und bewiesen hat, Massenmorde in unvorstellbarem Ausmaß durchzuführen? Mich hat das alles geradezu begeistert. Ein ganz wunderbarer Roman, der nicht mein letzter von Philip K. Dick gewesen sein wird.

Wieder einmal habe ich das Vergnügen gehabt, eine großartige Graphic Novel zu lesen. Die letzte Einstellung* von Isabel Kreitz führt mitten hinein in die so genannte »Innere Emigration« während des »Dritten Reichs«. Heinz Hoffmann, Schriftsteller und Journalist der Weimarer Zeit, bleibt nach 1933 in Hitlerdeutschland, erhält Berufs- und Publikationsverbot. Bis 1944 sitzt er im Goldenen Käfig, dann zerstört eine Bombe seine Wohnung und vernichtet seinen Besitz. Er kriecht bei seiner ehemaligen Geliebten Erika Harms unter, die bei der UfA tätig ist. Im Irrsinn des untergehenden Reichs wird nicht nur bis fünf nach zwölf gekämpft, sondern auch gedreht. Filmen ist auch ein Versuch, sich durch die Apokalypse der Vernichtung hindurchzumogeln. Der innerlich emigrierte Hoffmann gerät in Gewissensnöte, als sich durch die zupackende und realistisch agierende Erika die Möglichkeit ergibt, an einem »kriegswichtigen« Durchhaltefilm mitzuwirken. Schön, dass die Graphic Novel über das Kriegsende hinaus erzählt und ganz richtig die »Stunde Null« auch im Film als Märchen entlarvt. Das Nachwort ist sehr informativ, ebenso das Glossar, denn außer den beiden Hauptfiguren sind viele andere reale Personen in der Handlung verwoben.

Wie die Zukunft aussehen wird, weiß niemand. Sie ist offen, glaubt man manchen Wissenschaftlern, aber an bestimmte Pfade gebunden, deren Grenzen die Entwicklung wenig wahrscheinlich überschreiten würde. Trotzdem gibt es eine Menge Literatur, die sich der Zeit widmet, die noch bevorsteht. Mal im Stile einer Utopie, mal einer Dystopie, oft auch als (technologische) Space Opera. Assaf Gavron beschäftigt sich in den zwei Erzählungen des Bandes Everybody be Cool* mit einer Welt, die mehrere Jahrzehnte in der Zukunft liegt. Eine Reihe von heute drängenden Problemen sind gelöst, utopische Ideen im Stile eines Grundeinkommens realisiert. Doch erleben die Protagonisten der Erzählungen kein utopisches Bullerbü, sondern müssen feststellen, dass der Mensch allem sozialen, technologischem und politischem Fortschritt zum Trotz im Kern der gleiche geblieben ist. Autor Gavron legt den Finger in offene Wunden, denn bei jeder Entwicklung gibt es Verlierer, die sich wehren, Unzufriedene oder auch einfach Unglückliche. Die beiden Erzählungen sind daher lesenswert, wobei die titelgebende aus meiner Sicht literarisch hochwertiger ist als die längere mit dem Titel Zement.

Der Begriff »Vietnamkrieg« dürfte vertraut sein und vor allem mit dem US-amerikanischen Engagement im fernöstlichen Land verbunden werden. Doch ist das nur der zweite oder dritte Vietnam-Krieg, nach dem Ende der japanischen Besatzung versuchte Frankreich, seine Kolonie »Indochina« wiederherzustellen. Zu diesem kolonialen Gebilde gehörte auch Vietnam. In diesem Krieg, der 1954 nach der verheerenden Niederlage der Franzosen bei Dien Bien Phu endete, starben mehr als zweieinhalbtausend Deutsche. Sie kämpften in den Reihen der französischen Fremdenlegion, die traditionell immer viele Deutsche in ihren Reihen hatte. In Indochina waren es wenigstens 40 Prozent der Legionäre, eher wesentlich mehr. Das Buch L´ennemi util von Pierre Thoumelin beleuchtet auf umfassende und ausgewogene Weise den Indochina-Einsatz der Deutschen, die zum Teil aus den Reihen von Wehrmacht, Luftwaffe, Marine und in sehr geringem Umfang Waffen-SS stammten. Hierzulande ein Nischenthema, ist ein ehemaliger Wehrmachtssoldat im preisgekrönten Roman Die französische Kunst des Krieges von Alexis Jenni präsent.

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge

Was wäre, wenn Hitlerdeutschland den Krieg gewonnen hätte? Unter den Romanen, die sich mit diesem dystopischen Szenario einer alternativen Geschichte befassen, ragt dieser heraus. Der Autor konfrontiert den Leser mit einer vielschichtigen Erzählung, die mich begeistert. Cover Fischer-Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Noch immer bin ich unentschieden, ob mir der englische Original-Titel The man in the High Castle oder die deutsche Übersetzung Das Orakel vom Berge besser gefällt. Philip K. Dicks Roman enthält beide Motive, die englische Version klingt martialischer, weckt Erwartungen beim Leser, mit denen der Autor ganz wunderbar spielt. Kein Wunder, dass die Verfilmung auch in Deutschland bei dieser Version bleibt.

Der deutsche Titel betont das Mysteriöse und Orakel haben eine bedeutende Rolle im Verlauf der Handlung: Viele Personen des Romans befragen das Orakel und versuchen, die Ergebnisse auf ihre aktuelle Situation zu beziehen. Keineswegs nur die japanischen Herren der amerikanischen Ostküsten, auch die weißen Amerikaner selbst. Ob Orakel auch im deutsch besetzten Teil der Ostküste Verwendung finden, ist zweifelhaft.

Bitte was? Japaner und Deutsche beherrschen die USA? Philip K. Dick hat einen Roman verfasst, in dem die Geschichte eine andere Wendung genommen hat. In dieser alternativen Welt haben das Dritte Reich und Nippon den Zweiten Weltkrieg gewonnen, von einem neutralen Teil in der Mitte der USA abgesehen, ist das Land wie eigentlich die gesamte Welt von den Siegern unterworfen worden.

Jedenfalls hatte es zweihundert Jahre gedauert, die amerikanischen Eingeborenen zu beseitigen, und Deutschland hatte es in Afrika beinahe in fünfzehn Jahren geschafft. Kritik war daher  nicht angebracht.

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge

Die Welt, in der die Leser des Romans eintauchen, ist nichts für schwache Nerven, wie das Zitat zeigt. Der militärische Sieg hat dem rassistischen Völkermordprogramm der Nazis den Weg freigemacht, nicht nur Juden und die im Osten Europas lebenden Menschen wurden ausgelöscht oder unterjocht, auch in Afrika gehen nur noch die »Geister ausgelöschter Stämme«.

Ein gravierender Unterschied zu den Japanern, wie einige der Amerikaner im Roman immer wieder betonen. Bisweilen werden die asiatischen wie ihre mitteleuropäischen Weltbeherrscher recht klischeehaft in ihren charakteristischen Eigenheiten gezeichnet; doch sind Holocaust, Genozid, Gaskammern bei den Japanern undenkbar.

Neben diesen Unterschieden gibt es noch einen gigantischen Technologievorsprung der Deutschen. Sie allein haben Atomwaffen, sie haben es zum Mond und Mars geschafft und kolonisieren nicht nur die entvölkerten Gebiete der Erde, sondern auch noch das Weltall. Woher die Menschen dafür kommen sollen, bleibt offen. Jedenfalls herrscht ein beträchtliches Ungleichgewicht zwischen Japan und Deutschland, technologisch und ideologisch.

Angenommen die Nazis zerstörten am Ende alles? Lassen sie bloß verstrahlte Asche übrig? Fähig dazu wären sie, schließlich haben sie die Wasserstoffbombe. Und zuzutrauen wäre es ihnen auch; ihr Denken neigt zur Götterdämmerung. Nicht auszuschließen dass sie sich im Grunde ihres Herzens nach dem allgemeinen Holocaust sehnen, ja, ihn sogar aktiv anstreben.

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge

Wer sich diese Gedanken macht, wird hier nicht verraten. Das Zitat zeigt, dass die Andeutungen und Hinweise vergangener Massenmorde durch die Nazis nicht grundlos eingestreut waren; das ist der Kern nationalsozialistischer Herrschaftsphantasien. Auch nach ihrem Sieg würden sie ihre ideologischen Denkmechanismen nicht einfach abstreifen, wie eine Schlange ihre Haut.

Eine faszinierende Stelle, die deutlich macht, wie sehr Das Orakel vom Berge Literatur und keine reine Unterhaltung ist. Der Hinweis auf die Götterdämmerung ist brillant, Jahrzehnte nach Philip K. Dick hat ihn der bekannte Politologe Herfried Münkler in seinem Buch Die Deutschen und ihre Mythen ausführlich behandelt: Ausgerechnet ein Untergang, einschließlich der Selbstvernichtung bildete das mythologische Fundament der Deutschen.

Der Moment, in dem derlei auf der Tagesordnung steht, ist denkbar kritisch: Autoritäre Systeme haben traditionell ein Problem mit der Machtübertragung, wenn ein Herrscher stirbt. Die internen Machtblöcke geraten dann in Bewegung und kämpfen miteinander um die Macht. So auch im Roman, in dem Martin Bormann das Zeitliche segnet und Partei, Wehrmacht, SS und Geheimdienst um die Macht kämpfen. Wem soll man die Daumen drücken?

Das Böse dachte Tagomi. Ja, das stimmt. Und wir sollen ihm helfen, seine Macht zu stärken, um unser Leben zu retten? Ist dies das Paradoxon unseres irdischen Daseins?

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge

Wie das Zitat zeigt, ist die Frage nicht so einfach zu beantworten. Das ist eine der aus meiner Sicht brillanten erzählerischen Volten Philip K. Dicks. Das Böse ist recht klar verortet; doch selbst im Nazi-Reich gibt es Schattierungen und doch stehen Zeitgenossen vor der Frage, wem sie – falls möglich – Schützenhilfe leisten sollten, um der Vernichtung zu entgehen. 

Natürlich stellt sich auch die Frage, wie das herrschende System des Bösen überwunden werden könnte. Ab einem gewissen Grad scheint das nur von innen heraus zu gehen, nicht um sonst sind die meisten Attentate auf den realen Hitler nach 1939 aus dem Militär, einen zentralen Teil des Herrschaftssystems, unternommen worden. Die handelnden Figuren, unterworfene Amerikaner oder auch Japaner, stehen außen vor. Oder?

Hier drücke ich mich vor einer Antwort. Stattdessen noch der Hinweis auf Die Plage der Heuschrecke, einem Roman im Roman, der die alternative Geschichte erzählt, nach der Japan und Deutschland den Krieg verloren hätten. Philip K. Dick greift auch hier zu einem funkelnden Erzählkniff, indem er das dort Erzählte vom Historischen abweichen lässt (etwa die zusätzlichen Amtszeiten Roosevelts). Wenig verwunderlich ist der Roman bei den Deutschen verboten, sie fürchten ein Buch, seine Aussage.

Wir können nur dadurch auf den Ausgang Einfluss nehmen dass wir uns immer wieder neu entscheiden.

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge

Das verweist auf einen wichtigen Punkt: Geschichte ist immer offen, wirkt nur in der Rückschau vorgezeichnet. Wie das Zitat zeigt, gibt es vielleicht doch Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, ein Mutmacher in mutlosen Zeiten. Auf eine spezielle Weise, Schritt für Schritt, ein zäher, langfristiger Prozess. Es sind diese Motive, die mich bei der Lektüre von Das Orakel vom Berge begeistert haben. In dieser Konsequenz ist der Roman für mich bislang einmalig.

Der Roman ist Teil meines Lesevorhabens 12 für 2025.

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge
Aus dem amerikanischen Englisch von Norbert Stöbe
Fischer Verlag 2014
Taschenbuch 272 Seiten
ISBN: 978-3-596-90562-1

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Das Zitat soll zeigen, dass Militärgeschichte keineswegs auf Schlachten, Militärtechnik und Strategien beschränkt ist, sie ist vielmehr ein wichtiger Bestandteil der Allgemeingeschichte. Cover C.H.Beck, Bild mit Canva erstellt.

Einer Mammutaufgabe hat sich Stig Förster mit seiner Darstellung Deutsche Militärgeschichte verschrieben. So stehen ihm für den Zweiten Weltkrieg rund 180 Seiten zur Verfügung, bei anderen Darstellungen, wie etwa der mehrbändigen Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, sind es tausende. Es ist eine Herausforderung, die unübersichtliche Masse an Ereignissen und Entwicklungen zwischen 1939 und 1945 auf eine angemessene Weise zu komprimieren.

Förster weist im Vorwort darauf hin, dass er gerade beim Zweiten Weltkrieg die Darstellung straffen musste, um die Lesbarkeit seines immerhin fast 1.300 Seiten starken Buches zu erhalten. Seine Militärgeschichte sollte kein Handbuch und kein Lexikon werden, sondern eine lesbare Abhandlung für ein möglichst breites Publikum. Zu wichtig ist das Thema, um es im Regal verstauben zu lassen, die interessierte Öffentlichkeit sollte sich damit auseinandersetzen.

Das liegt keineswegs nur an Putins Angriff auf die Ukraine im Jahr 2014 und den vollumfänglichen Vernichtungskrieg Russlands seit 2022, sondern auch daran, dass Militärgeschichte integraler Bestandteil der allgemeinen Geschichte ist. Die vielfältigen Wechselwirkungen zu anderen Forschungsgebieten zeigen sich allein darin, wie viele Fachrichtungen Stig Förster in seiner Darstellung berücksichtigt hat. Schön, dass es keine Berührungsängste und Vorbehalte gab, so dass auch Genderstudies eingeflossen sind, wenn sie etwas zum Thema beitragen konnten.

Militärgeschichte ist zu wichtig, um sie als etwas Unappetitliches abzutun, das man Waffennarren und Lehrstuhlfeldherren überlassen kann.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Es gilt als Binsenweisheit, dass Militär und technologische Entwicklung Hand in Hand gehen. Die bemannte Raumfahrt etwa hat ihre Wurzeln im deutschen Raketenprogramm während des Zweiten Weltkrieges, der Erste Weltkrieg verpasste der Luftfahrt einen immensen Schub. Die Entwicklung wäre in beiden Fällen eher langsamer verlaufen. Zu Beginn der Frühen Neuzeit war das mangels institutioneller und intellektueller „Infrastruktur“ etwas anders, wie die ersten Kapitel des Buches zeigen. Hier liegt der Fokus auf der gesellschaftlichen Veränderung, die sich im Militärischen spiegelt; und auch umgekehrt.

Ansatzpunkt der Darstellung ist eine kleine Schlacht im August 1479 bei Guinegate. Förster entwickelt daran den Übergang vom mittelalterlichen Ritterheer zum komplexer strukturierten Heer mit Gewalthaufen, Handwaffenschützen, leichter Reiterei und Artillerie. Statt adeliger Kriegselite fochten nun einfache Leute, die allerdings langwierig und teuer ausgebildet werden mussten. Mein Eindruck ist, dass in diesem Zeitraum der technologische Fortschritt (Übergang zu Feuerwaffen) eher parallel zu dieser taktisch-gesellschaftlichen Entwicklung lief, ohne ihn in späterer Zeit wie ein Katalysator zu beschleunigen.

Dem frühneuzeitlichen Staat fehlten auf allen Ebenen die nötigen Mittel, um stehende Heere zu finanzieren. Kriegsunternehmer mit Söldnertruppen sprangen in die Bresche, mit vielfältigen, oft unerwünschten Folgen. Der Vergleich mit der Gegenwart (Wagner, Blackwater) drängt sich auf, wenngleich die Beweggründe für den Einsatz nichtstaatlicher Gewaltkräfte ganz andere sind. Die Nebenwirkungen sind es nicht: Kriegsverbrechen, Verheerungen, Staatsstreiche, Putschversuche.

Während der frühneuzeitliche Staat über Jahrhunderte bemüht war, mehr Kontrolle zu erlangen, scheint sich die Entwicklung umzukehren. Warum ist das so? In diesem Fall kommt man aber um die seit mehreren Jahrzehnten propagierte Ideologie des Neo-Liberalismus als Erklärung nicht herum. Sinkende staatliche Budgets lassen sich durch Schattenhaushalte, verdeckte (Privat-)Armeen, die sich – wie bei Wagner in Afrika – selbst finanzieren, ausgleichen; oder durch einen aus geopolitischer Naivität gewebten Schleier namens „Friedensdividende“.

Bei der Besprechung eines inhaltlich weit gespannten Werkes wie Deutsche Militärgeschichte über einen Zeitraum von fünfhundert Jahren läuft man Gefahr, sich in Allgemeinplätzen zu verlieren. Eine davon wäre, dass ein solches Vorhaben zwangsläufig Verkürzungen gegenüber Detail-Darstellungen mit sich bringt. Daher fokussiere ich mich auf einen recht kleinen Ausschnitt, um zu zeigen, wie im vorliegenden Fall mit der Notwendigkeit zur Verkürzung umgegangen wird.

Grundsätzlich bietet ein Längsschnitt durch die Zeit den Vorzug, dass bemerkenswerte Parallelen auffallen. Die Rückkehr der Söldner ist nur ein Beispiel. Dieses Sujet ist eng verbunden mit der Person des Kriegsunternehmers, der in unserer Gegenwart ebenfalls wieder auftaucht. Für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges wird das Phänomen geradezu personifiziert durch Albrecht von Wallenstein.

Wallenstein war zweifellos der größte Kriegsunternehmer des Dreißigjährigen Krieges und vielleicht sogar aller Zeiten.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Das Zitat zeigt, worauf Stig Förster bei Albrecht von Wallenstein in Deutsche Militärgeschichte den Fokus legt. Ein Kriegsunternehmer, der das im Dreißigjährigen Krieg vorherrschende Prinzip der „Kriegsfinanzierung durch organisierten Raub“ perfektionierte. Der rudimentär ausgebildete Staat konnte und wollte die Truppen nicht auf andere, heute vertraute Weise bezahlen. Es herrschte also eine (zwangsweise) Interessenidentität zwischen Kriegsunternehmer und Herrschenden.

Außerdem fehlte wegen unterentwickelter Strukturen eine Alternative. Kriegsunternehmer wie Albrecht von Wallenstein, Ernst von Mansfeld, Christian von Halberstadt und Bernhard von Weimar kamen also nicht aus dem Nichts, wendeten sich dem Feld auch nicht nur aus Ruhmsucht, Bereicherungsstreben oder gar persönlicher Niedertracht zu. Wallenstein erscheint auch in anderen Zusammenhängen: Diplomat; Bauherr; Bildungsmäzen; Herrscher, nicht zuletzt begnadeter Organisator und Feldherr.

Auch Stig Förster weist darauf hin, dass Wallenstein die den kaiserlichen und spanischen Truppen überlegene Schlachttaktik der Schweden durch den Wechsel auf eine andere, weniger anfällige taktische Vorgehensweise konterte, Gustav II. Adolfs Siegeszug bei Nürnberg stoppte und den Schwedenkönig zum Rückzug zwang. Mit Wallenstein verbindet sich obendrein der einzige tragfähige Friedensschluss (mit Dänemark) zwischen 1618 und 1648. Seine Selbstbereicherung war flankiert von modern anmutenden Infrastrukturmaßnahmen (über Kriegsgüter hinaus) in den erworbenen Landen, jener sprichwörtlichen Terra Felix. Die Ermordung kam einer Universitätsgründung zuvor.

Auffallend war, dass die Kriegsherren (Kaiser, Könige und Fürsten) und deren Regierungen zunehmend bestrebt waren, die teuren, schwer kontrollierbaren, eigenmächtigen und oft auch korrupten Kriegsunternehmer, die so viel Schaden anrichteten, auszuschalten.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Wallenstein war selbst Fürst, Herzog und Landesherr, im Kreis dieser Reichselite aber ein Homo Novus mit nicht allzu weit in die Vergangenheit reichenden familiären Wurzeln. Er war dank seiner Nähe zum Kaiser aufgestiegen, hatte sich unentbehrlich gemacht und versuchte sich im Kreis der Hochgestellten zu etablieren. Er „verstaatlichte“ sich in gewisser Hinsicht und wurde (zu) mächtig. Insofern spricht einiges für das Diktum, nicht Wallenstein sei ermordet worden, sondern der Herzog von Friedland.

Dennoch ist der Fokus auf den Kriegsunternehmer eine notwendige und richtige Verkürzung im Rahmen der Darstellung Deutsche Militärgeschichte. Dort geht es um die spezifische Form der Kriegführung und ihre verheerenden Auswirkungen auf Land und Leute. Wallenstein war ja tatsächlich auch Kriegsunternehmer und an den Verheerungen zum eigenen Vorteil abseits der eigenen Länder beteiligt. In den Gebieten der Gegner wüteten auch seine Heere, herumziehende Todeskolonnen mit Truppe, Tross und Schattentross, Plagen in biblischem Ausmaß.

Darauf liegt bei Försters Darstellung des Dreißigjährigen Krieges der Fokus, deshalb ist es – trotz der gezeigten Verkürzungen – notwendig und richtig, die Darstellung einer Person wie Wallenstein auf ihren Anteil am fürchterlichen Geschehen zu fokussieren. Nur so gelingt das Vorhaben, das Militärische in den gesellschaftlichen Rahmen einzubetten und die dramatischen Wechselwirkungen aufzuzeigen. Für den Leser wird erfahrbar, dass Militärgeschichte “immer in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gehört, der die Abläufe wesentlich beeinflusst.“

Die Vorgehensweise kann gar nicht genug gelobt werden. Sie führt auch zu manchen Glanzpunkten in der Darstellung. Dank der Internationalisierung des Krieges, die zu Vielvölker-Truppen führten, wurden spezifische Formen der Kriegführung importiert. Vom Balkan, wo Habsburg und die Osmanen grausamste Kriege führten, kamen die „Kroaten“ zu den kaiserlichen Kriegsvölkern, die gefürchtet waren, weil sie die Unbarmherzigkeit der Gefechte gegen die Osmanen an der Balkangrenze auf den mitteleuropäischen Kriegsschauplatz übertrugen. Förster kommt in diesem Zusammenhang zu einer spektakulären Einsicht.

Hierbei handelte es sich um ein Phänomen, das auch in späteren Kriegen zu beobachten war. Im Zweiten Weltkrieg etwa übertrug die Waffen-SS-Division „Das Reich“ ihre Methoden im Vernichtungskrieg an der Ostfront auf die Verhältnisse in Frankreich im Sommer 1944 – mit furchtbaren Folgen.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Bei der Lektüre von Militärgeschichte fällt ein weiterer Gesichtspunkt auf, der beunruhigend ist. Über Jahrhunderte hinweg wurden die Heere, die in Kriegen aufeinanderprallten, immer größer. Der Zweite Weltkrieg war sicher der Höhepunkt dieser Entwicklung, danach wurden die Kriege „kleiner“, lokaler und gleichzeitig auch „breiter“, im Sinne eines Krieges ohne Fronten.

So ist das „Karfreitagsgefecht“ der Bundeswehr in Afghanistan gemessen an den Massenschlachten der Weltkriege auf den ersten Blick ein Petitesse, trotzdem ein wichtiges Ereignis, dem Förster einigen Raum einräumt. Seine Darstellung zum Einsatz am Hindukusch ist ebenso knapp wie wertvoll, denn es beleuchtet jene strukturellen Mängel, die für die Bundeswehr seit Jahrzehnten prägend sind. Der Afghanistan-Einsatz scheiterte am »Fehlen einer Gesamtstrategie«, dem »unklaren Auftrag für die Truppe« und der »Verschleierungstaktik« der politischen Führung. Es konnte kein Krieg sein, weil es kein Krieg sein durfte.

Die Schlussfolgerung entlarvt die  vielbeschworene „Friedensdividende“ als eine Form selbstgefälliger Realitätsverweigerung und beharrlichen Klammerns an rostbefallenen geopolitischen Glaubenssätzen, die spätestens 2022 in einen Alptraum mündeten. Russlands allumfassender Eroberungs- und Vernichtungskrieg ist zur wahrhaftigen Zeitenwende geworden, möglicherweise im Sinne eines Trendbruchs, denn erstmals seit 1945 steigt der Umfang eines Landkrieges wieder massiv an.

Das vorzügliche Buch ist Teil der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung. Ich bedanke mit für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte
Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart
C.H.Beck 2025
Gebunden 1.296 Seiten
ISBN: 978-3-40682903-1

Neue Lektüre: Antikes Spanien und dystopische Zukunft

Beide Bücher könnten zeitlich kaum weiter auseinanderliegen. Hier die weit zurückliegende Vergangenheit, dort die nicht allzu weit entfernte Zukunft. Zudem ist eines ein Sachbuch, das andere ein Roman. Doch gibt es auch in diesem Fall Berührungspunkte, etwa die Feststellung, dass Geschichte immer offen ist. Nicht geschieht oder geschah zwangsläufig, alles hätte anders kommen können, es gibt weder Gott noch Schicksal noch irgendeine andere Macht, die etwas vorherbestimmt. Daran ändert auch die vielbeschworene »Pfadabhängigkeit« nichts.

Ich bin ein großer Freund der »Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung«, deren oft recht dicke Bände sich Themen in einer Ausführlichkeit widmen, die nicht selbstverständlich ist. Im Falle von Geschichte Spaniens in der Antike* kommt noch eine sehr interessant und seltene Perspektive hinzu. Die spanische Halbinsel ist über Jahrhunderte hinweg Schauplatz bedeutender historischer Ereignisse gewesen, trotzdem habe ich sie bislang immer als Ort, als eine Art Bühne dafür gesehen.

Autor Pedro Barceló wechselt nun die Sichtrichtung und schaut, was dort vorgefallen ist und wie es auf die übrige antike (v.a. römische) Welt gewirkt hat. Das betrifft natürlich den zweiten römischen Krieg gegen die Karthager, aber auch die endlose Kette an blutigen Unterwerfungsfeldzügen der Römer und den dort ausgetragenen Schlachten während der langen Agonie der Bürgerkriege. Völkerwanderung und – ganz wichtig – die Unterwerfung durch die Araber runden das Bild ab.

Ein Stück in die Zukunft geht es mit dem Roman Blue Skies von T.C.Boyle. Die Welt geht hier nicht unter, sondern die Menschen. Ihre Lebensgrundlage schwindet, das deuten schon in den ersten Kapitel mehrere Textstellen eher beiläufig an. Überhaupt verzichtet der Autor auf alarmistisches Holzhammer-Schwingen, er setzt den Leser wie einen Frosch in einen Topf mit Wasser, das sich langsam erhitzt. Ein schönes Bild, das ich Amsterdam, verlorene Stadt *von Riees Rowaan entlehnt habe.

*Rezensionsexemplar

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