Ein Historischer Roman, der sich eines wichtigen Themas annimmt: Die Französische Revolution und ihr Abgleiten in den Terror, die Wieder-Versklavung der dunkelhäutige Bevölkerung in der Karibik. Zumutungen sind garantiert. Cover Suhrkamp, Bild mit Canva erstellt.

Dieser Roman hält für den Leser einige Zumutungen bereit. Nach einem sehr langen, recht trägen und ausschweifenden Beginn mündet die Erzählung schließlich in den Wirren der Französischen Revolution. Zunächst ganz klassisch im Mutterland, doch dann verlegt der Erzähler seinen Plot zurück in die Karibik, wo er seinen Anfang genommen hat. Alejo Carpentier bedient sich dabei des Lebens der historischen Figur Victor Hugues und mehrerer fiktiver Protagonisten.

Dabei legt der Autor den Finger in eine der zahlreichen Wunden der Revolution: den Umgang mit den versklavten Afrikanern, die in der auf Europa fixierten Rezeption der Revolution keinen Platz haben. Schon zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Buches war es allerhöchste Zeit, sich dem Thema zu widmen, denn trotz der anfänglichen Sklavenbefreiung durch die idealistischen Revolutionäre blieb im Alltag alles beim Alten, wie das Zitat zeigt.

Die Neger waren zu freien Bürgern erklärt worden, aber diejenigen, die man nicht zwangsweise als Soldaten oder Matrosen rekrutiert hatte, beugten von morgens bis abends wie eh und je den Rücken unter der Peitsche ihrer Aufseher, hinter denen sich dazu noch der unerbittliche Azimut der Guillotine abzeichnete.

Alejo Carpentier: Explosion in der Kathedrale

Explosion in der Kathedrale ist bereits 1962 erschienen und zwei Jahre später ins Deutsche übersetzt worden. Die Sensibilität für rassistisch belegte Begriffe hat sich im deutschsprachigen Raum erst mehr als zehn Jahre später langsam durchgesetzt.

Der heute verwerfliche Gebrauch des Begriffes „Neger“ gehört ebenfalls zu den Zumutungen für den modernen Leser, denn er wird in der Ausgabe, die ich gelesen habe, durchgehend verwendet. Im Spanischen heißt „negro“ einfach: Schwarz(er) und ist dem Vernehmen nach nicht so negativ konnotiert wie „Neger“.

Der Inhalt des Werks ist klar antirassistisch und sehr kritisch gegenüber des brutalen, menschenverachtenden Auswüchsen der Revolution. Außerdem ist er ein Fingerzeig in Richtung der europäischen Aufklärer, die in ihren einflussreichen und für die Verbreitung von Menschenrechten und Demokratie so wichtigen Arbeiten das Schicksal der Sklaven weitgehend übergingen.

Robbespiere in der Karibik

Der Protagonist Victor Hugues macht in der Karibik freizügig Gebrauch von der Guillotine und verwandelt Guadeloupe in ein Terrorregime. Zugleich führt er den Kaperkrieg ein und tritt damit in die Fußstapfen der Piraten, die in der Karibik 80 Jahre zuvor gewütet hatten. Mit den hehren revolutionären Absichten hat das längst nichts mehr zu tun.

Der Mechanismus der Macht, die aus den Idealen menschenverachtende Unterdrückung werden lässt, wird vom Autor erbarmungslos vorexerziert. Carpentiers Kritik ist beißend. So lässt er seine Hauptfigur seine Schreckenstaten mit folgender Aussage rechtfertigen, eine Haltung, die nicht nur während der Französischen Revolution allzu gern als Relativierung brutalster Grausamkeiten missbraucht wurde.

Ich bin nicht grausam. Ich tue das, was ich tun muß. Das ist nicht dasselbe.

Alejo Carpentier: Explosion in der Kathedrale

Zu den Zumutungen an den Leser gehört die Sprache. Lange Passagen sind blumig, bildreich und völlig überladen, was den Lesefluss stört und teilweise fast zum Erliegen bringt. Kenntnisse zur Französischen Revolution sind hilfreich, hier wird vieles vorausgesetzt, was für das Verständnis wichtig ist.

Für mich allein aufgrund der Schilderung, wie es den Schwarzen in der Karibik zur Zeit der Französischen Revolution erging, absolut lesenswert, wenn man sich den Mühen unterziehen und den Zumutungen aussetzen will.

Bibliographische Daten zur aktuellen Ausgabe:

Alejo Carpentier: Explosion in der Kathedrale
Aus dem Spanischen von Hermann Stiehl
suhrkamp taschenbuch 5208 2012
Broschur, 332 Seiten, Print on demand
ISBN: 978-3-518-47208-8