Schriftsteller - Buchblogger

Schlagwort: Berlin (Seite 2 von 2)

Harold Nebenzahl: Café Berlin

Ein leicht lesbarer, niemals langweiliger, ungeheuer farbiger und unterhaltsamer Roman. Cover: Kein & Aber Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Ja, der Titel: Wie konnte ich daran vorbeigehen? Gar nicht, zum Glück, denn der Roman Café Berlin von Harold Nebenzahl ist ein wunderbar leicht zu lesender, äußerst unterhaltsamer, dabei keineswegs flacher Ausflug in eine Zeit, die so modern gewesen ist und es nicht blieb, sondern in die Finsternis einer unfassbaren Barbarei mündete.

Von der ersten Seite an wird die Erzählung an diesen beiden Enden aufgespannt, denn der Erzähler sitzt Ende 1943 in Berlin im Versteck in einer Dachkammer und wird durch eine treue Seele namens Lohmann am Leben gehalten. Aus dieser Lage berichtet er von seiner Vergangenheit – die es in sich hat. Denn Nebenzahl spannt seine Erzählung noch weiter auf.

Ich bin es leid, bin alles Leid. Mir tun die Knochen und auch die Seele weh.

Harold Nebenzahl: Café Berlin

Die Hauptfigur stammt aus Syrien. Ein Jude aus Syrien? Heute undenkbar. Wie wir aber im Roman erfahren, hatten jüdische Bewohner der Region unter den Briten und Franzosen nach dem Ersten Weltkrieg dank ihrer höheren Bildung wichtige Posten in der Verwaltung inne, was zum Hass durch die Araber beitrug. Sie galten als Handlanger der Ausländer.

Eine bemerkenswerte Parallele zu der Judenfeindlichkeit in Osteuropa, denen dort im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges Kooperation mit den Unterdrückern aus der Sowjetunion vorgeworfen wurde. Im Nahen Osten endetet das Dasein als Minderheit jüdischen Glaubens in diesen Regionen, jene, die gern vom Apartheidsstaat Israel schwadronieren, sollte sich das vor Augen führen.

In Berlin ist er im Showgeschäft tätig. Er betreibt einen Club namens Kaukasus, der seinen Gästen exotisch-erotische Shows bietet, bis weit in den Krieg hinein. Zu diesem Zeitpunkt hat sich aber das Programm geändert, wie auch das Publikum, es ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung, in der Vielfalt zunächst begrüßt und dann abgelehnt wurde.

Nebenbei bekommt der Erzähler Kontakt zur SS, die nicht weiß, dass er Jude ist. Seine Tarnung als Spanier hält vergleichsweise lange, sie ermöglicht – oder sagen wir besser: zwingt ihn, sich nolens volens in Widerstandsaktionen verwicken zu lassen.

Ich vertiefte mich in das Gewirr feindseliger Frakturschriftzeichen.

Harold Nebenzahl: Café Berlin

Nebenzahl lässt seinen Helden in einer Episode eine geheime Unternehmung nach Bosnien ausführen, die nicht nur geographisch aus dem Rahmen fällt. Hier kommt tatsächlich einmal actionnahe Spannung auf, denn es geht um ein Widerstandsunternehmen in Bosnien gegen die Nazi-Pläne, eine muslimische SS-Division namens Handschar (die gab es wirklich) aufzustellen.

Es ist nur ein Nebenschauplatz in diesem weltumspannenden Gemetzel, der Protagonist ist alles mögliche, nur kein Untergrundkämpfer im eigentlichen Sinne; seine Sichtweise macht die Episode aber sehr wertvoll, denn sie unterstreicht noch einmal den blutdurchtränkten Boden, auf dem der Hass im zerfallenden Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre blühen konnte.

Café Berlin ist vom ersten Augenblick an spannend, auch wenn die meisten Passagen des Buches fern von augenscheinlicher Action sind. Die fortlaufende Todesdrohung, der sich die Hauptperson in seinem Versteck ausgesetzt sieht, reicht völlig aus.

Lohmann hatte der Weltschmerz gepackt, eine Sonderform von teutonischer Schwermut.

Harold Nebenzahl: Café Berlin

Zwei Dinge haben mich besonders berührt. Zum einen eine Textstelle, bei der es heißt, man habe ich auf »neutralem Boden« getroffen, nämlich: »bei den Sechstagerennen, den Boxkämpfen und Fußballspielen.« Klingt gewöhnlich, ist es aber nicht – wenn man das wunderbare Buch Höhenrausch von Harald Jähner gelesen hat.

Dort erfährt man nämlich über die zarten Anfänge des Fußballs, der gesellschaftlichen Bedeutung der Sechstagerennen (und was eigentlich dahintersteckt) und vor allem die in mehrfacher Hinsicht für die gesamte Weimarer Republik bedeutsamen Boxkämpfe. Berthold Brecht hatte nicht umsonst einen Punching-Ball neben dem Schreibtisch, und er war nicht der Einzige.

Das zweite betrifft das Ende des Buches. Der Protagonist erlebt die letzte Aprilwoche 1945 in Berlin – die Rote Armee malmt durch die Stadt Richtung Reichskanzlei. Ich kenne Erzählungen über diese Tage aus einer anderen Perspektive, meinem Großvater, der in Berlin im Mai in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet ist. Es war sehr eindrücklich, das Gehörte abermals zu erfahren, gespiegelt in einer ganz anderen Sichtweise.

Wie bei allen Romanen dieser Art steht der Verlust im Zentrum. Als Leser habe ich ihn empfunden, den Verlust, den die Nazizeit für Deutschland und seine Einwohner, Europa und die Zukunft, die meine Vergangenheit und Gegenwart gewesen ist.

Harold Nebenzahl: Café Berlin
Aus dem Amerikanischen von Gertraude Krueger
Kein&Aber 2019
Taschenbuch 415 Seiten

Wolfgang Herrndorf: In Plüschgewittern

Ein Berlin-Roman der besonderen Art, aus der Feder des viel zu früh verstorbenen Wolfgang Herrndorf. Cover Rowohlt, Bild mit Canva erstellt.

Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Der Roman In Plüschgewittern von Wolfgang Herrndorf ist also im wahrsten Sinne des Wortes in die Jahre gekommen. Trotz fortgeschrittenen Alters hat er mich auf eine beeindruckende Weise gefesselt, beschäftigt, amüsiert und letzten Endes wie alle Bücher des früh verstorbenen Autors in einem leicht bedrückten Zustand zurückgelassen.

Herrndorf hat bis zu seinem Durchbruch mit Tschick recht wenig geschrieben, was – mit Verlaub – ein Drama ist, denn danach ist ihm wenig Zeit geblieben. Während seiner unheilbaren Erkrankung hat er unter dem Leitmotiv Arbeit und Struktur gebloggt, die Blog-Beiträge sind als Buch erschienen. Sie geben Aufschluss über Tschick und vor allem über Herrndorfs Arbeit seinem besten Buch Sand.

In Stahlgewittern.

Auf Tagebuchaufzeichnungen basierender Roman von Ernst Jünger über Seine Zeit im Ersten Weltkrieg. Ihm wird attestiert, ohne politische und moralische Intention den Krieg als inneres Erlebnis geschildert zu haben, was oft in Abgrenzung zu Remarque „Im Westen nichts Neues“ geäußert wird. Wenn die Titelwahl „In Plüschgewittern“ nicht als Jux gedacht war, läge in der moralisch-politischen Intentionslosigkeit eine mögliche Verbindung.

In Plüschgewittern lässt den Leser auf einer Irrfahrt folgen. Nein, nicht Odysseus. Grantig, selbstverliebt, unsicher, in seinen sich selbst ständig überflügelnden, oft irrlichternden Handlungen mäandert die Hauptfigur durch einen kurzen Abschnitt seines Lebens. Der größte Teil davon spielt in Berlin, jener Stadt, die 2002 noch nicht den weltweiten Kult-Status innehatte, aber auf der Schwelle dazu stand.

Es ist nicht leicht, zu beschreiben, was diese Hauptfigur eigentlich macht – sie ist jedenfalls nicht woke, sondern unsympathisch und wenig für Identifikationsbemühungen seitens des Lesers geeignet. Ein Verächter. Mit haarsträubender Direktheit fällt der Ich-Erzähler über die Menschen her, die sich in seiner Nähe aufhalten. Unglaubliche Boshaftigkeit wurzelt in einer scharfen Beobachtungsgabe, die sich in erbarmungslosen Sätzen niederschlägt. Herrndorf lässt den Assoziationen seiner Hauptfigur freien Lauf.

»Am nächsten Tag waren die Pimmel-Gedichte mit der Rasierklinge rausgetrennt.«

Wolfgang Herrndorf: In Plüschgewittern

Das Zitat ist beispielhaft für Herrndorfs Schreiben. Die Hauptfigur hat einen Bruder, der ein mustergültiges Spießer-Eheleben führt. Seine Frau ist ein großer Fan eines Lyrikers, der Ich-Erzähler stößt sie gnadenlos auf schlüpfrige, mäßige Gedichte, was seine Schwägerin nicht glauben will; ein Blick in die Gesamtausgabe gibt dem unangenehmen Protagonisten recht.

Die Schwägerin passt daraufhin die Realität ihrem Weltbild an, nicht etwa umgekehrt. Mit der Rasierklinge wird die Welt chirurgisch-clean gesäubert, der unpassende Schmutz entfernt. Statt zu lernen und sich an die Wirklichkeit anzugleichen, klammert sie sich an ihre Ideologie und fälscht – in begrenztem Maße – die Realität. Bigotterie im Reinraum bürgerlicher Wohnhöllen.

Natürlich ist In Plüschgewittern an Tschick gemessen worden, wie könnte es auch anders sein. Vielen fehlte noch etwas, das sie an der Road-Story geschätzt haben: Leichtigkeit, Wärme. Entsprechend bemüht fielen die Kommentare aus, die vor Jahren im Kielwasser des Tschick-Hypes verfasst wurden. Nachvollziehbar ist das, doch wenn man einen genaueren Blick auf das wirft, was Herrndorf schreibt, wird deutlich, dass sich dahinter ein Zurückzucken vor gnadenloser Entzauberung verbirgt. 

»Ein Klassenfoto, im Hintergrund die Volksschule Marienwerder, und vorne links ein reizendes BDM Mädel mit dicken goldgeflochtenen Zöpfen, dem noch keiner gesagt hat, dass es in sechzig Jahren auf einer muffigen alten Couch an Lungenkrebs sterben wird.«

Wolfgang Herrndorf: In Plüschgewittern

Eine brutale Assoziation im Angesicht eines schwarz-weißen Fotos, das die Hauptfigur gemeinsam mit der sterbenden Frau betrachtet, die er ein letztes Mal vor ihrem Tod besucht. Die Sterblichkeit des Menschen und seine Neigung, sie weit von sich zu schieben, erschüttert (nicht nur) die Hauptfigur. Es ist jenes Erlebnis, das ihn endgültig ins Taumeln geraten lässt, in jenen Strudel, der zu den irren Tagen und Nächten in Berlin führt.

Gespenstisch ist, dass Herrndorf selbst bei der Niederschrift dieses Satzes (selbstverständlich) nicht von seiner eigenen Sterblichkeit wusste, die ihn in eine ähnliche Lage bringen würde, lange vor dem Alter der Romanfigur. Der Tod spielt in Roman In Plüschgewittern eine bemerkenswerte Rolle.

Schon als Kind hat die Hauptfigur die unerbittliche Macht des Todes gespürt, aber auch die Hilflosigkeit, mit der Erwachsene auf seine Panik reagieren und abzuwiegeln versuchen. Die Mutter des Protagonisten führt Gott und Glaube ins Feld, ohne selbst daran zu glauben. Das tut das Kind auch nicht, es denkt – man wird zu Kompost.

»Wenn man Desmond in sieben oder acht Stücke hauen würde, könnte man ein paar ordentliche Geisteswissenschaftler aus ihm gewinnen, aber allein ist er praktisch nicht lebensfähig.«

Wolfgang Herrndorf: In Plüschgewittern

Oberflächlich betrachtet ist In Plüschgewittern voller böser Kommentare, wie über jenen Desmond. Herrndorf gibt seiner Hauptfigur eine scharfe Zunge mit auf den Weg, von der diese hemmungslos Gebrauch macht. Das lässt den Ich-Erzähler nicht zu einem  Sympathie-Träger werden, weder bei seinen Bekanntschaften noch beim Leser, schon gar nicht in Zeiten von Trigger-Warnungen und dauerbeleidigten Horden in den Weiten der digitalen Steppe. Womit ich selbst eine halbseiden ausgesprochen hätte.

Wolfgang Herrndorf: In Plüschgewittern
Rowohlt 2012
TB 192 Seiten
ISBN: 978-3-499-25883-1

Neuere Beiträge »

© 2024 Alexander Preuße

Theme von Anders NorénHoch ↑

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner