Welches Bild auch immer der Begriff „Aspik“ in den Kopf zaubern mag, ein darin eingelegter – kann man sagen: eingelegt? – Dandy (ausgerechnet) wirkt mindestens schräg, in jedem Fall schillernd und ein wenig unappetitlich. Man assoziiert am ehesten jenen sprichwörtlich im Beton eines Bauwerks entsorgten Ermordeten, der aber dadurch aus dem Blickfeld verschwindet. Was in Aspik verwahrt wird, bleibt verzerrt sichtbar.
Mit dem Titel des Spionage-Klassikers von Derek Marlowe sind die Seltsamkeiten dieses Romans nicht beendet. Die Hauptfigur von Ein Dandy in Aspik tritt dem Leser reichlich dubios entgegen. Zurückgezogen, geradezu isoliert führt Alexander Eberlin sein Leben, ein schweigsamer Hausangestellter ist die einzige Person, die regelmäßig in seinem Haushalt auftritt.
Eberlin ist 36 Jahre alt und findet das Alter missvergnüglich. Zu alt für Übermut und Tatkraft der Jugend, zu jung für die Respektabilität des gesetzten Alters – eine schnoddrig-kauzige Haltung, die zum Dandy recht gut passt, wie seine gute Kleidung. Aber dieses stimmige Bild bekommt früh in der Handlung Risse, denn der billige Wein, der laut Eberlin wie Abwasser schmecke, gehört in eine andere, unkultivierte Welt.
In einer Ecke saßen drei arbeitslose Schauspieler und sprachen von sich selber.
Derek Marlowe: Ein Dandy in Aspik
Während der gesamten Romanhandlung wird der Leser immer wieder mit derartigen Brüchen konfrontiert. Dabei handelt es sich nicht etwa um „Fehler“ des Autors, sondern ein gezielt eingesetztes Stilmittel. Der Leser soll stutzen, verwirrt blinzeln und aufmerksam weiterlesen, ob und wie sich derlei Seltsames irgendwann aufklärt.
Das Leben des Alexander Eberlin ist jedenfalls nicht das, was es zu sein vorgibt. Da wäre der Masarati Mistrale, ein schnittiger Sportwagen im Stile eines James Bond-Autos, mit dem man wunderbar durch das kurvenreiche Südfrankreich brausen kann. Er steht in einer Werkstatt bei Lyon – was Eberlin zur Nutzung von Taxis und Öffentlichen Verkehrsmitteln zwingt.
Martin Compart verweist in seinem vorzüglichen Nachwort zurecht auf die geradezu groteske Vorstellung, James Bond, die Ikone des Kalten-Krieg-Spions, würde mit Bus oder Taxi fahren müssen. Dieser tiefgreifende Bruch mit dem monolithischen Bild des souverän agierenden Agenten-Helden ist Ausdruck eines viel weiter reichenden Risses: Eberlin ist Doppelagent.
Sein eigentlicher Name ist Krasnevin, seine Tätigkeit für die Briten nur Tarnung, eine ziemlich gute, um seinem Job nachzugehen: Töten. Eberlin / Kransnevins Aufgabe besteht darin, gefährliche Agenten auf Seiten der Briten auszuschalten. Er agiert in dieser Hinsicht durchaus erfolgreich.
Er hatte sie unterschätzt. Alles, was jahrelang sorgfältig geplant worden war, begann zusammenzustürzen.
Derek Marlowe: Ein Dandy in Aspik
Damit bekommt das zunächst obskur wirkende Verhalten Eberlins zumindest einen Sinn. Den Agenten ohne Auto plagt Heimweh nach Russland, er möchte zurück, was seine Vorgesetzten ablehnen. Das Motiv prägt die Verhaltensweise der Hauptfigur während des Romans und erklärt vielleicht auch, warum es diesem bisweilen an Professionalität mangelt.
Mehrfach wird er von anderen Agenten, insbesondere seiner Nemesis namens Gatiss, für sein unvorsichtiges, laienhaft dilettantisches Verhalten gerügt. Wieder liegt der Vergleich zu James Bond nahe – man stelle sich das einmal vor … Recht früh zeig sich, wie sehr Eberlin seinen Kontrahenten Gatiss fürchtet, er fürchtet eine Enttarnung.
Ein Dandy in Aspik spielt in den 1960er Jahren, mitten im Kalten Krieg, kurz nach dem Mauerbau – also in einer untergegangenen Welt. Die entlang klarer Linien verlaufende Konfrontation von West und Ost, Demokratie und Autokratie ging mit einer Dämonisierung des Gegners einher, der Typus des kommunistischen Ostagenten weicht von Eberlin / Krasnevin beträchtlich ab.
Derek Marlowe spielt in seinem Roman ein wenig mit diesem holzschnittartigen Gut-Böse-Schema, Heimweh will nämlich nicht recht zum Bild des ideologisch motivierten Agenten aus der Sowjetunion passen. Sicher ist es kein Zufall, dass ausgerechnet Gatiss den hochprofessionellen, kalten, emotionslos-unmenschlich handelnden Agenten verkörpert, der für den Westen arbeitet.
Jetzt hatte er glücklich drei Namen. Eberlin, die Dreifaltigkeit.
Derek Marlowe: Ein Dandy in Aspik
Eberlin wird auf eine Mission nach Berlin entsandt, der symbolgeladenen Frontstadt des Kalten Krieges. Inter dem Decknamen George Dancer soll er nach Krasnevin suchen. Er jagt also sich selber, eine wunderbare Quelle für haarsträubende Situationen, die Marlowe weidlich ausnutzt. Besonders groteske Umstände ergeben sich anlässlich eines Versuchs, die Grenze nach Ostberlin zu überschreiten.
Eberlin / Krasnevin / Dancer versucht, nach Osten zu entkommen, um sich der persönlichen Gefährdung zu entziehen und seinem Heimweh gegen den Willen seiner Vorgesetzten den Stachel zu nehmen. Wer einmal selbst einen Grenzübertritt in die DDR unternommen hat, wird die Umstände von Eberlins Versuch als schauerliche Reminiszenz empfinden, jene uniformiert-abweisende Unhöflichkeit, kaum verborgen vom Schleier bürokratischer Worthülsen und Ausflüchte.
Die Zwangslage, in der sich Eberlin befindet, spitzt sich stets zu, die Handlung ist zunehmend von Rasanz und abrupten Wendungen geprägt. Fast unnötig zu erwähnen, wie spannend das ist, obwohl Marlowe es versteht, auch das mit einem ironischen, sarkastischen Unterton zu erzählen.
Viele Dialoge von Ein Dandy in Aspik sind von befremdlicher Krautigkeit. Wo professionell-kühle Gesprächsführung zu erwarten wäre, sind die Wortbeiträge oft ein sprunghaftes, von Assoziationen getriebenes Mäandern. Vielleicht ist das auch ein Echo eines spezifischen Lebensgefühls, das möglicherweise viele Zeitgenossen befallen hatte, sei es im mauerdurchschnittenen Berlin, sei es auf den britischen Inseln: der Eindruck, in einer unwirklichen Welt zu leben.
Wie bei den anderen Bänden der Klassiker-Reihe aus dem Elsinor-Verlag ist auch bei Ein Dandy in Aspik das Nachwort von Martin Compart absolut lesenswert, denn es erhellt den Entstehungsprozess des Buches und gibt dem Leser einen Einblick in das Leben des Autors. Hinzu kommt noch ein sehr interessanter Beitrag Rolf Giesen über die kuriosen Umstände der Verfilmung des Buches.
[Rezensionsexemplar]
Weitere Besprechungen der Klassiker-Reihe:
Fearing, Kenneth: Die große Uhr.
Buchan, John: Der Übermensch.
A.D.G.: Die Nacht der kranken Hunde.
John Mair: Es gibt keine Wiederkehr.
Derek Marlowe: Ein Dandy in Aspik
Aus dem Englischen von Erika Nosbüsch
Ein Klassiker des Spionageromans
Hrsg. von Martin Compart
Elsinor Verlag 2024
Klappenbroschur 256 Seiten
ISBN: 978-3-942788-74-8