Schriftsteller - Buchblogger

Monat: Oktober 2021

Ordnung schaffen! Jetzt!

In meinem Bücherregal stehen viele Werke, die ich bereits für verschiedene Projekte durchgearbeitet habe. Man erkennt sie ganz leicht an den Zettelchen, die aus den Büchern herausragen. Schön sieht das nicht aus. Also: Raus mit den bunten Blättchen!

Ein Bücherstapel liegt schon bereit. Die Textstellen werde ich in den nächsten Tagen peu á peu durchsehen und dann entscheiden, ob sich dahinter wirklich etwas Interessantes verbirgt oder nicht.

Alles Brauchbare wandert in Ordner, die eigens für die Projekte bereit stehen. Kein einziger Roman, den ich schreiben will, ist nur als Idee vorhanden. Oft angeregt durch ein Sachbuch, eine Dokumentation, seltener einen Roman oder Film beginne ich mit den Vorarbeiten. Ein Durcheinandertal an Ideen, Skizzen, Plots, angereichert mit mehr oder weniger umfangreichen Textpassagen.

In den vergangenen Wochen habe ich eine Auswahl getroffen, welche Romane Priorität haben. Für jedes dieser Projekte stehen die nötigen Ordner bereit, um die schon vorliegenden Exzerpte, Skizzen, Kopien usw. aufzunehmen.

Letztlich sind diese Merk-Zettelchen in den Büchern auch Ausdruck meiner Entscheidungsunwilligkeit. Beim Lesen denke ich oft, später könne man immer noch auswählen, was wichtig ist. Eine Illusion. Dieses “Später” gibt es nicht. Nicht mit 53. Nicht mit zwölf Romanprojekten, die geschrieben sein wollen.

Sachbücher aus vielen historischen Epochen. Die Zettelchen sind nur eine Gemeinsamkeit. Die andere: Sie sind Teil der Grundlage für meine ausstehenden literarischen Projekte.

Schreiben, was man lesen möchte

… außer schreiben.

Eine Binsenweisheit. Doch scheint sie nicht überall angekommen zu sein, denn viele Zeitgenossen beschäftigen sich und andere mit der Frage, was man wie schreiben solle oder nicht schreiben dürfe.

Dem sollte ein Schreibender nicht nachgeben.

Wer schreibt, unterzieht sich einer anstrengenden, manchmal schönen, oft frustrierenden Tätigkeit. Honoriert wird das sowohl finanziell als ideell in einem Maße, das dem Aufwand spottet.

Warum sich also auch noch zusätzliche Fesseln anlegen?

Es heißt nicht umsonst: freies Schreiben. Abgegrenzt von jenen Texten, die für Schule, Studium und Beruf verfasst werden müssen, kann der Schreibende tun und lassen was er will. Und das sollte er auch! Schreiben, was er will!

Die großartige Schriftstellerin Hilary Mantel hat das folgendermaßen ausgedrückt:

Write a book you’d like to read. If you wouldn’t read it, why would anybody else? Don’t write for a perceived audience or market. It may well have vanished by the time your book’s ready.

The Guardian, 22.Feburar 2010


Schreiben, was man selbst gern lesen würde, halte ich für einen großartigen Ratschlag. Der wird weder automatisch zu einer Veröffentlichung noch zu Reichtum und Ruhm führen, dafür zu innerer Zufriedenheit.

Grenzenlose Freiheit für den Schriftsteller – bis zur Veröffentlichung, Dann nämlich ändern sich die Spielregeln und machen Dinge nötig, gleichgültig, ob man einen Verlag sucht oder selbst publiziert.

Bernd Greiner: Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam

Ein ziemlich provokantes Zitat aus dem Munde eines vietnamesischen Offiziers, doch lohnt es sich, darüber einmal etwas länger nachzudenken. Cover Hamburger Edition, Bild mit Canva erstellt.

Bernd Greiners Sachbuch gehört zu dem Interessantesten, was ich in diesem Segment bislang gelesen habe. Zugleich ist die Lektüre so unangenehm gewesen wie selten. Die Kriegführung der USA in Vietnam wird auf einigen Ebenen mit sachlicher Erbarmungslosigkeit seziert und vorgeführt. Unter dem Strich ist das Versagen der mächtigsten Nation der Welt in Vietnam zutiefst erschütternd und niederschmetternd.

Wie weitreichend das Desaster gewesen ist, verdeutlicht ein Zitat des Amerikaners Telford Taylor, der Anfang der 1979er Jahre in seinem Buch Nürnberg und Vietnam sagte:

Wir haben es irgendwie nicht geschafft, die Lektionen zu lernen, die wir in Nürnberg lehren wollten, und genau dieses Versagen ist die Tragödie des heutigen Amerika.

Telford Tayler, Nürnberg und Vietnam

Das Zitat bildet den Schlusssatz von Krieg ohne Fronten. Ein sehr passend gewählter, denn der Bezug zu dem Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg drängt sich während der Lektüre mehrfach auf. Im Kern des Buches steht die atemberaubend brutale Kriegführung der US-Armee (und ihrer Verbündeten).

Da Greiner es nicht dabei belässt, sondern ausführlich schildert, auf welchen strukturellen, personellen, politischen und militärischen Rahmenbedingungen diese beruht und zugleich beleuchtet, wie im Nachgang mit den (Un-)Taten umgegangen wurde, wird deutlich, warum Vietnam bis heute eine Blackbox ist und auch bleiben wird: Vertuschung, Umdeutung, Hetze gegen Aufklärer usw. verhinderten, dass Kriegsverbrechen der US-Armee überhaupt ans Licht kamen.

Damals wie heute sind die Überbringer schlechter Nachrichten, die Enthüller, die Mutigen, die sich dem Morden entgegenstellten, viel stärker das Ziel von Anfeindungen gewesen als die Täter.

Unter dem Strich bekommt der Leser einen Eindruck davon, warum Abu Ghraib keine allzu große Überraschung gewesen ist und die Kriege im Irak und Afghanistan gescheitert sind. Es wäre an der Zeit, darüber nachzudenken, warum die VictoryCulture und der Exzeptionalismus auch fünfzig Jahre nach Vietnam fröhliche Urstände feiern, wenn der letzte militärische Sieg bald achtzig Jahre zurückliegt.

Erwähnt sei noch, dass die Vietcong und ihre Untaten keineswegs unerwähnt bleiben, ebensowenig die desaströsen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Umstände in Südvietnam. Greiners Buch ist auch in dieser Hinsicht umfassend und streitbar.

Bernd Greiner: Krieg ohne Fronten
Die USA in Vietnam
Hamburger Edition 2009
Broschur 596 Seiten,
67 Abb., 4 Karten
ISBN 978-3-86854-207-3

© 2023 Alexander Preuße

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