Vor allem die erste Erzählung hat mir sehr gut gefallen, auch die zweite regt mit ihrem utopischen Charakter zum Nachdenken an. Cover Luchterhand, Bild mit Canva erstellt.

Wie so oft bei Erzählungen wird der Leser in die Handlung hineingestupst und muss sich erst einmal orientieren. Das erscheint einfach: ein Überfall! Okay. Aber warum erkennt »sie« nicht den »Gegenstand aus schwarzem Metall« in der Hand des Mannes, der mit seinem Ausruf in der Bank für Aufregung sorgt?  

Eine Pistole, für Zeitgenossen unserer Tage keine Frage, aber wohl doch für die orientierungslose Frau, die auch noch nachfragen muss, was ein Überfall ist. Sie wendet sich dabei an »Eiser«, flüsternd in ein Mikrofon. Wohl eine KI, denn die muss erst einmal »prüfen«, was auch in weniger dramatischen Momenten ungelegen kommt.  

Der sich daraus entwickelnde kurze Dialog ist komisch, zumindest für den Leser, der nicht nur den Informationsvorsprung besitzt, sondern auch unbedroht von einer Waffe ist. Außerdem muss er nicht dabei zusehen, wie die Anzeige des Betrages einer »Basisleistung«, wohl ausgezahlt in dieser »Bank«, rapide sinkt. Auf Null. Unverkennbar ein folgenschwerer Moment.  

Die Einsamkeit hatte ein neues Gleichgewicht geschaffen und es bestand wieder die Möglichkeit noch der Wunsch mit anderen zusammen zu sein.  

Assaf Gavron: Everybody be cool 

Doch sind die Folgen anderer Art, als erwartet. Die weibliche Hauptperson befindet sich in Isolation, allerdings in einer wesentlich verschärften Version dessen, was die Welt während der Corona-Pandemie erlebte. Überraschend gut scheint sich die Protagonistin mit ihrer Lage arrangiert, ja, sogar angefreundet zu haben.  

Die Isolation nimmt sie als neue, begrüßenswerte Wirklichkeit war, der Kontakt zur Außenwelt läuft über »Eiser«, jene KI, die zum Lebensbuddy geworden ist und alles regelt. Betreutes Leben, zumal der »Banküberfall« bei einer erfolgreichen Unternehmerin kein Problem darstellt, denn sie ist nicht auf die Basisleistung angewiesen.  

Merkwürdig erscheint zunächst, dass die Person in der Bank anwesend sein kann, trotz verschärfter Isolation. Die Lösung liegt auf der Hand: ein Avatar in einer Simulation. Ab diesem Punkt verschwimmen die klaren Linien, die Äußerungen über die Folgen der leistungslosen Geldverteilung an die Bevölkerung werfen Fragen auf, insbesondere bei jenen, die heute, in der Lebenswirklichkeit des Lesers einem bedingungslosen Grundeinkommen positiv gegenüberstehen.  

Das Recht, selbst zu entscheiden, verunsicherte und frustrierte.  

Assaf Gavron: Everybody be cool 

Was als munterer, kurioser Moment beginnt, berührt ganz grundlegende Fragen. Wäre die finanzielle Unabhängigkeit ein Schritt in die Freiheit oder eben doch nicht? Wer alles machen kann, muss sich immer noch entscheiden – das ist keineswegs einfach. Solche Gedanken kann man auch bei Timothy Snyder, Über Freiheit oder Ilko-Sascha Kolwalczuk, Freiheitsschock nachlesen.  

Warum überhaupt ein Banküberfall, wenn alle abgesichert sind? Autor Assaf Gavron geht noch einen Schritt weiter und lässt seine kurze Geschichte in einem kafkaesk-dystopischen Finale enden, nach einer sehr scharfen Wende scheint sich die Heldin dort wiederzufinden, wo sich Millionen in der Vergangenheit anlässlich der Verwirklichung einer Utopie, eines Paradieses auf Erden wiedergefunden haben.  

Auch in der zweiten, längeren Erzählung spielen die Themen Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit eine zentrale Rolle. Assaf Gavron spielt mit den Möglichkeiten, die ihm die in der Zukunft liegende Handlung bietet, und lässt seine Protagonisten grundverschiedene Einstellungen gegenüber dem neu etablierten System einnehmen.  

Doch eigentlich ging es um eine Frage der menschlichen Natur.  

Assaf Gavron: Everybody be cool 

Regulierung und Basiseinkommen definieren die gesellschaftliche Kulisse, vor der die Personen ihre ewigen Spiele spielen. Macht, Einfluss, Gier, Missgunst, Niedertracht – am Wesenskern des Menschen ändert sich nichts, trotz der großen Fortschritte bei der Verringerung des Wohlstandsgefälles in der Gesellschaft.  

Das gilt auch für die politischen Rahmenbedingungen. Im Jahr 2066, in dem die Erzählung Zement spielt, ist von den gegenwärtigen Konflikten keine Rede mehr. Es gibt ein Gebilde namens Middle Eastern Union, in dem offensichtlich eine ganze Reihe von Staaten aufgegangen sind. Und doch bleibt auch in diesem Frieden der Mensch seinem Wesen treu, dem unbedingten Streben nach Macht.  

Erzählerisch wirkt Everybody be cool! reifer, Zement ist ausschweifender und durch die Anleihen beim Krimi-Genre schroffer und zerklüfteter. Die Handlungsweise der Hauptfigur ist sprunghaft, manche Passagen neigen zu Redundanzen und insgesamt erliegt der Autor der Versuchung, das Geschilderte zu kommentieren. Das trübt den positiven Eindruck einer Erzählung, die einige wunde Punkte utopischer Vorstellungen berührt.  

*Rezensionsexemplar, besten Dank an Luchterhand / Bloggerportal

Assaf Gavron: Everybody be cool 
Zwei Erzählungen  
Aus dem Hebräischen von Stefan Siebers 
Luchterhand 2025 
Gebunden 192 Seiten