Der Roman gehört zu meinen Favoriten im Kinder- und Jugenbuchsegment, ist aber darüber hinaus für Schriftsteller lesenwert, die etwas über Antagonismen lernen möchten. Cover Dressler, Bild Canva.

So oft habe ich dieses Buch nun (vor-)gelesen und freue mich immer wieder, wenn es losgeht mit den Schlechten Nachrichten im ersten Kapitel. Der Roman Der Drachenreiter von Cornelia Funke ist mein allerliebstes Jugendbuch, das ich auch im fortgeschrittenen Alter immer noch gern lese. Um es vorwegzunehmen: Den zweiten Teil fand ich so viel schlechter, dass ich den dritten ignorieren werde.

Nichts liegt mir ferner, als in irgendeiner Form andere Bücher herabzuwürdigen, aber Der Drachenreiter ist nicht zuletzt so gut gelungen, weil er Qualitäten aufweist, die dem Nachfolger abgehen. Die Geschichte um die letzten Drachen, die vom Menschen in ihrem Rückzugsressort bedroht und zur Flucht gezwungen werden, ist spannend, voller Tempo, Warmherzigkeit und Überraschungen.

»›Lung!‹, rief sie. ›Lung, wach auf. Sie kommen!‹«

Cornelia Funke: Der Drachenreiter

Der Leser wird mit einem ganzen Strauß an großartigen Ideen bedacht, als alter Kartenfreund hat mich deren Bedeutung für den Handlungsverlauf gefreut, mehr noch, weil Funke das auf so ungewöhnliche, schöne Weise umgesetzt hat. Natürlich gibt es auch bekannte Motive, etwa das des Jungen, der aufbricht und sich selbst in plötzlich in einer herausgehobenen Rolle wiederfindet – eine Fantasy-Figur par excellence.

Funke gelingt es jedoch, die Figuren auszubalancieren. Ich mag das Wort Balance im Zusammenhang mit Romanen eigentlich nicht, es klingt zu sehr nach billigem Schreibratgeber und schlechten Streaming-Serien, die vor lauter Balancieren das Erzählen vergessen. Der Drachenreiter ist davon glücklicherweise weit entfernt, weil er voller offener und versteckter Antagonismen ist.

Ein Protagonist kann immer nur so gut sein, wie sein bester Antagonist. Charaktere in Romanen bedingen sich gegenseitig, sie konstituieren sich in ihrem Wechselspiel. Die Drachen stehen einem grausamen Feind gegenüber, dem Menschen, der sie aus ihrem Lebensraum vertreibt. Dieser Grundkonflikt ist der Auslöser der Handlung, weil er den Drachen Lung und die Koboldin Schwefelfell zum Aufbruch zwingt.

»›Nach so vielen, langen Jahren. Aaah, ich wusste, dass sie sich nicht ewig vor mir verstecken können. Vor den Menschen vielleicht, aber nicht vor mir.‹«

Cornelia Funke: Der Drachenreiter

Auf ihrer Reise finden sie Mitstreiter, wie etwa den Jungen Ben. Ab diesem Punkt manifestiert sich die große Stärke des Romans, denn auch zwischen den Protagonisten gibt es Antagonismen: Schwefelfell ist ohnehin mit einer spitzen Zunge und einer gehörigen Portion Leichtfertigkeit gesegnet, es kommt zu Eifersüchteleien und Streits, die wiederum Auslöser für törichte und gefährliche Handlungen sind.

Für die Erzählung ist das eine großartige Zutat, von der Autorin gekonnt und mit spürbarem Spaß umgesetzt. Cornelia Funke hat noch mehr auf Lager, denn auf ihrem Weg scheuchen die Helden einen richtigen Antagonisten auf, der ebenfalls über bösartige Verbündete, nie verlöschenden Hass, die nötige Verwerflichkeit und Aggressivität verfügt, um ein tödlicher Gegner zu sein. Eine erbarmungslose Jagd beginnt, garniert mit Verrat, Frontwechseln und vielem mehr.

Vor allem aber steckt hinter diesem fürchterlichen Antagonisten wieder der Mensch, der sich als die eigentliche Bedrohung erweist. Seine Gier ist die Antriebskraft für Böses, indem er sich überall ausbreitet und alles vereinnahmt, egal, ob andere ihren Lebensraum dadurch verlieren. Und er ist auch für den tödlichen Feind verantwortlich, aus niederen, gegenüber dem Leben gleichgültigen Beweggründen. Funkes Fantasy-Roman hat damit, was hochwertige Literatur auszeichnet: Thema.

»›Duuuuu bist der Eeeerste! Der Eeeeeerste, der nicht für sich fragt, käferkleiner Mensch.‹«

Cornelia Funke: Der Drachenreiter

Zu den schönsten Momenten der Geschichte gehört die Begegnung mit einem Dschinn, der – ganz im Stile von Märchen und Fantasy – einen Wunsch gewährt, natürlich erst, wenn eine bestimmte Voraussetzung gegeben ist, sonst droht dem Wünschenden ein schreckliches Schicksal. Funke nutzt das geradezu klassische Motiv, das es zum Beispiel durch Ernest Hemingway auch in die Weltliteratur geschafft hat, um einen ganz wunderbaren Akzent zu setzen, der im Gedächtnis bleibt.

Und spoilere ich zu sehr, wenn ich die Überschrift des letzten Kapitels verrate? Nein, denn nicht das Ende ist entscheidend, sondern der Weg dahin. Und der führt über zahlreiche Wendungen zu Guten Nachrichten. Wie die aussehen, muss allerdings selbst erlesen werden. Viel Vergnügen dabei!

Cornelia Funke: Der Drachenreiter
Dressler Verlag
Gebunden
ISBN ‎ 978-3791504544