Schriftsteller - Buchblogger

Schlagwort: Fantasy

Was folgt als nächstes?

Die Arbeit an den Bänden der Buchreihe um die Piratenbrüder ist noch nicht beendet, doch beschäftige ich mich bereits mit der Zeit danach.

Noch stecke ich mitten in der Arbeit an meiner Abenteuerreihe um die Piratenbrüder Joshua und Jeremiah. Der fünfte Teil, Totenschiff, ist im Buchsatz, als Erscheinungstermin ist der 20. September 2024 vorgesehen.

Derzeit darf ich mich über eine stetig wachsende Zahl an Vorbestellungen der eBook-Ausgabe von Totenschiff freuen. Das ist auch ein Beleg, wie sehr der vierte Band, Vinland, der Mehrzahl der eBook-Käufer bislang gefallen hat. Angesichts der massiven Zweifel, mit denen ich beim Schreiben dieses Romans auf zwei Zeitebenen zu kämpfen hatte, ist das einfach großartig.

Überarbeiten, Überarbeiten, Überarbeiten

Piratenbrüder ist eine Heptalogie, also auf sieben Bände angelegt. Es fehlen also noch zwei Teile: Verräter und Opfergang. In beiden Fällen ist bereits ein Manuskript vorhanden, Verräter geht ins Prä-Lektorat und ist damit also schon recht weit fortgeschritten. Trotzdem wird sich bis zum Lektorat und währenddessen noch eine Menge ändern, mein Schreiben hat sich in den vergangenen drei Jahren gewandelt, was sich beim Überarbeiten niederschlagen wird.

Opfergang ist bislang kaum mehr als eine dreihundert Seiten lange Rohfassung. Das Ende oder sagen wir: die beiden Enden stehen bereits fest, die grobe Handlung und viele Details ebenfalls. Allerdings ist der Text nun schon zwei Jahre alt, in der Zeit hat sich an den vorangegangenen Bänden eine Menge getan, was sich auf den Schlussband auswirken wird und muss.

Ich werde voraussichtlich beide Manuskripte im ersten Durchgang gleichzeitig bearbeiten, das Ziel ist, bis zum Winter eine Testlese-Version von Opfergang und Verräter für das Lektorat fertiggestellt zu haben. Die Arbeit daran muss allerdings noch  etwas warten, was kein Problem ist, Verräter und Opfergang erscheinen im September 2025 und 2026. 

Aktuell bin ich noch mit den ersten drei Teilen beschäftigt, vor allem an Eine neue Welt habe ich umfangreiche Änderungen vorgenommen. Auch Chatou und Doppelspiel werden aufgehübscht, aber in geringerem Umfang als der Auftaktband. Wenn Totenschiff aus dem Buchsatz kommt, stehen natürlich auch da noch Korrekturen an.

Fantasy und / oder Historischer Roman

Es dauert also noch ein Weilchen, bis die Arbeit an der Abenteuerreihe abgeschlossen sein wird. Dennoch gehen meine Gedanken über Piratenbrüder hinaus. Was kommt als nächstes? Also, nach Piratenbrüder.

Im vierten Teil der Buchreihe, Vinland, spielt ein Teil im Hohen Mittelalter, der Welt der Wikinger. Die Geschichte von Eillirs, Stígandrs und Ryldrs Fahrt in den Westen und weit über die bekannten Grenzen der Welt hinaus, ist erzählt, soweit es die Karten betrifft, die siebenhundert Jahre später Joshua und Dr. Penbult ein so hartnäckiges Rätsel bescheren.

Aber die Pläne, die insbesondere Stígandr hegt, werden im Roman nur kurz erwähnt. Sie gehören nicht mehr zu dem Wikingerschatz, der die Piratenbrüder beschäftigt, sondern eröffnen eine ganz neue Erzählung.

Schon von Anbeginn an habe ich mich mit der Idee getragen, diese Geschichte weiterzuerzählen und zwar in einem eigenständigen Roman, den man auch lesen kann, ohne Vinland zu kennen. Einen guten Titel wüsste ich schon, ein Teil vom Plot steht auch, da ich schon ein wenig recherchiert habe.

Aber da ist auch noch ein fast 600 Seiten dicker Stapel beschriebenes Papier, nebst einer großen Karte und mehrerer Detailkarten: ein FantasyRoman! Den habe ich vor acht, neun Jahren angefangen und immer wieder überarbeitet – bis ich mich erst einmal auf die Piratenbrüder konzentriert habe. Jetzt wäre also die Zeit gekommen, mich diesem Projekt zu widmen.

Mit der Recherche zu dem Wikinger-Roman werde ich bald beginnen. Ganz praktisch, dass es in meiner Fantasy-Welt auch so eine Art »Nordmannen« geben wird, ich also einen Teil der Recherche-Bücher für beide Schreibprojekte lesen kann.

Ein neues Kapitel

Damit öffnet sich ein neues Kapitel meiner Arbeit als Schriftsteller. Das wird sich auch am Blog bemerkbar machen, denn ich will hier regelmäßig von den Fortschritten und Hindernissen des Schreibprozesses berichten. Ich freue mich schon sehr darauf, endlich loszulegen.

J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings

Es ist und bleibt für mich der einzige wirklich gute Fantasy-Roman, den ich kenne. Zu Weihnachten 2023 gab es diese wunderschöne Prachtausgabe des englischen Originals. Die Lektüre ist für mich mittlerweile mehrstimmig – Deutsch, Englisch, Film und Computer-Spiel überlagern sich.

Unter dem Weihnachtsbaum lag sie: die Prachtausgabe des The Lord of the Rings von J.R.R. Tolkien. Sie ist wunderschön, allein die Haptik der gebundenen Bücher, das Papier, die Motive auf den Schutzumschlägen wie auch die Illustrationen innen. Eine wahre Pracht. The Hobbit ist als viertes Buch im Schuber auch mit dabei, den habe ich aber schon einmal auf Englisch gelesen. Also konnte ich gleich mit der Lektüre von The Lord of the Rings beginnen.

Mittlerweile lese ich Tolkien Opus Magnum »mehrstimmig«, es überlagern sich Bilder und Stimmen aus ganz verschiedenen Medien, die ich im Laufe der vergangenen vierzig Jahre zu Der Herr der Ringe gelesen, gesehen, gehört und gespielt habe. Alle begleiteten meine Lektüre von The Lord of the Rings und sorgten manchmal für ein kurioses Durcheinander in meiner Vorstellungswelt.

Am Anfang meines Lese-Weges mit dem einzigen Fantasy-Abenteuer, das ich wirklich mag, bildete Der Herr der Ringe in der Übersetzung von Margaret Carroux. Mit elf oder zwölf Jahren habe ich den Dreiteiler erstmals gelesen, danach immer wieder, sogar einmal laut vorgelesen (eines der schönsten Weihnachtgeschenke überhaupt). Jede Lektüre dieser deutschen Version des Ringkrieges ist so etwas wie eine Heimkehr gewesen.

»Fly, you fools!«

J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings

Die Filmtrilogie von Peter Jackson habe ich auch mehrfach gesehen, auf Deutsch und Englisch. Sie hat die stärksten Bilder hinterlassen, aber auch den meisten Ärger verursacht. Wann immer ich das Buch lese, wundere ich mich über die Veränderungen im Film, die dem Werk Tolkiens einen beträchtlichen Teil seiner Wirkung rauben. Warum? Um Arwen eine kleine, sinnfreie Nebenrolle zu gewähren? Für ein paar billige Show-Effekte? Ein schönes Beispiel dafür sind die Wurfmaschinen des Ork-Heeres: Bei Tage werden Steine, nachts Brandgeschosse auf Minas Tirith gefeuert.

Die schönsten Bilder Mittelerdes kenne ich aber aus einem Computerspiel: Der Herr der Ringe online. Mit meinem Hauptmann habe ich ein paar Jahre die Gegenden von Bree bis Bruchtal, von Forochel bis Pelagir unsicher gemacht. Lange ein großes Spektakel, bis das MMOG schließlich seinen Reiz verlor, ein Schicksal, das bislang noch jedes Spiel dieses Genres ereilte.

Aber die Landschaft! Unglaublich schön gestaltet. Auf der Wetterspitze habe ich mit meinem Avatar manchmal einfach nur so gestanden und in die Gegend geschaut und »mein« erster Ritt nach Minas Tirith bleibt unvergessen. Durch das Spiel habe ich während der Lektüre immer wieder das Gefühl gehabt, schon einmal selbst vor Ort gewesen zu sein. Das gilt vor allem für die wunderbaren Städte, aber auch Moria, Lothlorien, weniger für Fangorn, dessen uralt-boshafte Düsternis nicht einmal im Ansatz spürbar war.

Beim Lesen immer dabei: Historischer Atlas von Mittelerde von Karen Wynn Fonstad. Man kann auf den Karten die Wege der Gefährten, die Orte, die Schlachten usw. wunderbar verfolgen, für mich ein gesteigertes Vergnügen, nicht nur, weil ich generell gern einen Atlas hinzunehme, wenn ich einen Roman mit historischem Inhalt lese, sondern weil sich hier aus meiner Sicht eine der großen Stärken von The Lord of the Rings offenbart – das führte hier aber zu weit.

Don´t use it!

J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings

Meine erstmalige Lektüre der englischen Version fühlte sich insgesamt eher wie ein Erstlesen an, denn wie ein erneutes Lesen. Durch die englische Sprache wirkt das so vertraute Geschehen überraschend fremd, die Namen der Personen und Orte hingegen direkter und gleichzeitig in gewisser Hinsicht poetischer. Das mag Einbildung sein, hervorgerufen durch die häufigen Lektüren der deutschen Version.

Kurioserweise habe ich wieder einige inhaltliche Aspekte zum ersten Mal wahrgenommen. Das kann aber auch ein Irrtum sein, nicht ausgeschlossen, dass ich diese einfach vergessen habe. Da wäre die Anweisung Gandalfs an Frodo, den Ring unter keinen Umständen zu benutzen. Frodo kann dem drängenden Rat erstaunlich häufig trotzdem nicht widerstehen, als er auf dem Weg von Hobbingen nach Bruchtal ist.

Das bereitet natürlich das Ende am Schicksalsberg vor, dessen Gestaltung nach wie vor meine Begeisterung weckt, wie beim allerersten Lesen. Auch der Hobbit scheitert und ausgerechnet das Mitleid, die barmherzige Tat gegenüber Smeagol, dem verlogenen, niederträchtigen Gollum schafft die Voraussetzung, dass dieser gegen seinen Willen alles rettet. Dieser Kniff nötigt mir noch Jahrzehnte nach der Erstlektüre höchsten Respekt ab.

Aber das Scheitern des Helden auf seinem ersten Weg ist Teil des Lernprozesses, der überhaupt zum Erfolg der Gemeinschaft des Ringes oder der gerade noch abgewendeten Katastrophe bei den Rauros-Fällen beiträgt: Nur weil Frodo selbst erlebt hat, wie der Ring einen Hobbit seinen Willen aufzwingen kann, kann dieser – im Gegensatz zu Boromir – wirklich verstehen, dass Elrond recht hat. Nur darum kann er die Gefahr, die von dem Sohn Denethors, aber auch allen anderen der Gemeinschaft ausgeht, richtig einschätzen und die entsprechende Konsequenz daraus ziehen.

»Lord Smeagol? Gollum the Great? The Gollum

J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings

Die Charakterentwicklung nicht nur Frodos und Sams ist Teil des Spiels, das Tolkien mit seinen Lesern spielt. Es geht um Annahmen, Vorurteile, Grenzen des Einschätzungsvermögens, das Fallenstellen, gewollt und ungewollte (Ab-)Lenken der Aufmerksamkeit, Sichtlinien, hinter denen sich für den Gegner im Verborgenen liegende Dinge abspielen.

“Sicht” bezieht sich keineswegs nur auf das physischer Sehen,  sondern  das Vorstellungsvermögen, die Auslegung dessen, was man sieht. Sauron kann sich nicht einmal in seinen dunkelsten Träumen vorstellen, dass jemand den Ring vernichten wollte und ihn mit dem schwächsten denkbaren Wesen direkt in das Herz  der Dunkelheit ziehen lässt. Auch für Saruman ist das undenkbar.

Sie haben ja auch nicht unrecht, wie sich am Beispiel Boromirs zeigt. Vielleicht hätte der Ring am Ende auch andere überwältigt, ganz sicher Denethor, der im Buch zwar nicht ein Zehntel so närrisch und einfältig auftritt, wie im Film, aber wie Sauron und Saruman auf dem Pfad der Macht wandelt.

But the only measure that he knows is desire, desire for power; and so he judges all hearts.

J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings

Als ich das Fantasy-Epos Der Herr der Ringe 1981/82 das erste Mal gelesen habe, war ich überwältigt. Das giftgrün gefasste Buch im gleichfarbigen Schuber war wie ein literarischer Komet, ein mächtiger Einschlag, der ein Beben auslöste, wie es kein einziger Roman des Genres danach auch nur ansatzweise vermochte. Allein der geniale Showdown, dem so wunderbar der Weg bereitet wird, macht Der Herr der Ringe zu etwas Besonderem.

Doch ist es eine Nebensächlichkeit, die seinerzeit ein Gefühl auslöste, an das ich mich beim x-ten Wiederlesen erinnere, genauer gesagt: nachempfinde. Eine Art Kaminfeuer-Wärme, wohlig und angenehm, als ich die entsprechende Stelle gelesen habe: Frodo im Gespräch mit Gloin in Bruchtal, beide sind freundlich, deuten an, verweigern zugleich, alles zu offenbaren, was den anderen interessiert, vertrösten einander auf später. 

Das hat seinerzeit eine mächtige Welle an spannungsgeladener Vorfreude ausgelöst, denn natürlich wollte ich wissen, was hinter diesen kargen Worten steckte, hinter dem Vertrösten auf später; und ebenso natürlich galoppierte die Phantasie davon, ins Ungefähre, eine erwartungsvolle Jagd hinein in eine Welt voller Abenteuer. Und so ist es auch heute, auch wenn ich selbstverständlich im Detail weiß, was folgt, erzählt und verschwiegen wird.

Ich bin sicher, dass viele Leser des Der Herr der Ringe solche Stellen kennen, die zweifelsfrei nicht für andere in der individuellen Weise nachvollziehbar sind. Das gehört für mich zu den großen Qualitäten des Romans. Tolkien hat sein Werk auf einem derart gewaltigen Gedanken-Fundament errichtet, dessen Macht und  Wirkung auf jeder Seite des Buchs spürbar ist. Das verleiht dem Geschehen Tiefe, während andere Bücher das bestenfalls vorschützen, was The Lord of the Rings tatsächlich verkörpert.

A Ring of Power looks after itself.

J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings

Es gibt Leser, die es nicht schaffen, das Buch durchzulesen. Sie verheddern sich in den kruden Erzählungen der ersten Seiten, in denen es um ein Fest geht – wenn bei Gegenwartsliteratur gewöhnlich die Leser durch irgendeine Actionszene gefangen werden, wird in The Lord of the Rings erst einmal Abseitiges verhandelt: ein Geburtstag. Ein besonderer Geburtstag eines absonderlichen Auenlandbewohners, aber eben nur ein Geburtstag.

Ganz gemächlich träufelt Tolkien in homöopathischen Dosen Gefahr in seine Geschichte, die sich immer wieder Auszeiten nimmt, Landschaften beschreibt, Gedichte und Lieder rezitiert, während gegessen, getrunken oder viel hobbitscher Unsinn geredet wird. In dem Rhythmus geht es weiter, dabei steigern sich die Gefahrendosen peu á peu; als die Hauptfigur erstmals wirklich bedroht ist, geschieht dies indirekt – über eine seltsam zischende Stimme.

Fast unbemerkt entfaltet die Erzählung das Geflecht paralleler Handlungen, von denen die Personen bestenfalls etwas ahnen oder einfach nichts wissen, aber die Auswirkungen dieser Taten zu spüren bekommen. Der Leser ahnt schon beim ersten Lesen, dass hinter den unverständlichen Dingen mehr steckt. Aber was? Statt die Spannung dann endlich in die Höhe zu treiben und aufzulösen, geht es zu der wohl seltsamsten Figur im ganzen Buch, Tom Bombadil, bei dem man sich immer fragt, was der wohl dort überhaupt zu suchen hat.

Tolkien nimmt sich in seinem Der Herr der Ringe erzählerische Freiheiten heraus, die im Verlagsbetrieb der Gegenwart schwerlich denkbar sind und mit ziemlicher Sicherheit abgeschliffen würden. Vielleicht würde der Roman damit »leichter« oder »angenehmer« zu lesen sein, aber ist das eigentlich ein Qualitätsmerkmal? Brei ist schließlich auch leichter essbar als ein Mehrgängemenü.

»And those who have no swords can still die upon them.«

J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings

Frappierend fand ich aber, wie viel in dem Buch über meine eigene Gegenwart erzählt wird. Das Zitat ist nur ein Beispiel von vielen, das eine brandaktuelle Frage berühren. Die allgemeine Lage, ein immer stärker drohender Krieg, das Verleugnen, die machtgesteuerten Doppelspiele, der Wille oder Unwille, den Kampf aufzunehmen, Verrat und Treue, das alles ist im The Lord of The Rings elementarer Bestandteil der Handlung und zugleich der Gegenwart Europas. Vielleicht auch seiner Zukunft.

J.R.R. Tolkien: The Hobbit & The Lord of the Rings Boxed Set: Illustrated edition
Illustrations by Alan Lee
Harper Collins 2020
Gebunden im Schuber 1601 Seiten
ISBN: 978-0008376109

Cornelia Funke: Der Drachenreiter

Der Roman gehört zu meinen Favoriten im Kinder- und Jugenbuchsegment, ist aber darüber hinaus für Schriftsteller lesenwert, die etwas über Antagonismen lernen möchten. Cover Dressler, Bild Canva.

So oft habe ich dieses Buch nun (vor-)gelesen und freue mich immer wieder, wenn es losgeht mit den Schlechten Nachrichten im ersten Kapitel. Der Roman Der Drachenreiter von Cornelia Funke ist mein allerliebstes Jugendbuch, das ich auch im fortgeschrittenen Alter immer noch gern lese. Um es vorwegzunehmen: Den zweiten Teil fand ich so viel schlechter, dass ich den dritten ignorieren werde.

Nichts liegt mir ferner, als in irgendeiner Form andere Bücher herabzuwürdigen, aber Der Drachenreiter ist nicht zuletzt so gut gelungen, weil er Qualitäten aufweist, die dem Nachfolger abgehen. Die Geschichte um die letzten Drachen, die vom Menschen in ihrem Rückzugsressort bedroht und zur Flucht gezwungen werden, ist spannend, voller Tempo, Warmherzigkeit und Überraschungen.

»›Lung!‹, rief sie. ›Lung, wach auf. Sie kommen!‹«

Cornelia Funke: Der Drachenreiter

Der Leser wird mit einem ganzen Strauß an großartigen Ideen bedacht, als alter Kartenfreund hat mich deren Bedeutung für den Handlungsverlauf gefreut, mehr noch, weil Funke das auf so ungewöhnliche, schöne Weise umgesetzt hat. Natürlich gibt es auch bekannte Motive, etwa das des Jungen, der aufbricht und sich selbst in plötzlich in einer herausgehobenen Rolle wiederfindet – eine Fantasy-Figur par excellence.

Funke gelingt es jedoch, die Figuren auszubalancieren. Ich mag das Wort Balance im Zusammenhang mit Romanen eigentlich nicht, es klingt zu sehr nach billigem Schreibratgeber und schlechten Streaming-Serien, die vor lauter Balancieren das Erzählen vergessen. Der Drachenreiter ist davon glücklicherweise weit entfernt, weil er voller offener und versteckter Antagonismen ist.

Ein Protagonist kann immer nur so gut sein, wie sein bester Antagonist. Charaktere in Romanen bedingen sich gegenseitig, sie konstituieren sich in ihrem Wechselspiel. Die Drachen stehen einem grausamen Feind gegenüber, dem Menschen, der sie aus ihrem Lebensraum vertreibt. Dieser Grundkonflikt ist der Auslöser der Handlung, weil er den Drachen Lung und die Koboldin Schwefelfell zum Aufbruch zwingt.

»›Nach so vielen, langen Jahren. Aaah, ich wusste, dass sie sich nicht ewig vor mir verstecken können. Vor den Menschen vielleicht, aber nicht vor mir.‹«

Cornelia Funke: Der Drachenreiter

Auf ihrer Reise finden sie Mitstreiter, wie etwa den Jungen Ben. Ab diesem Punkt manifestiert sich die große Stärke des Romans, denn auch zwischen den Protagonisten gibt es Antagonismen: Schwefelfell ist ohnehin mit einer spitzen Zunge und einer gehörigen Portion Leichtfertigkeit gesegnet, es kommt zu Eifersüchteleien und Streits, die wiederum Auslöser für törichte und gefährliche Handlungen sind.

Für die Erzählung ist das eine großartige Zutat, von der Autorin gekonnt und mit spürbarem Spaß umgesetzt. Cornelia Funke hat noch mehr auf Lager, denn auf ihrem Weg scheuchen die Helden einen richtigen Antagonisten auf, der ebenfalls über bösartige Verbündete, nie verlöschenden Hass, die nötige Verwerflichkeit und Aggressivität verfügt, um ein tödlicher Gegner zu sein. Eine erbarmungslose Jagd beginnt, garniert mit Verrat, Frontwechseln und vielem mehr.

Vor allem aber steckt hinter diesem fürchterlichen Antagonisten wieder der Mensch, der sich als die eigentliche Bedrohung erweist. Seine Gier ist die Antriebskraft für Böses, indem er sich überall ausbreitet und alles vereinnahmt, egal, ob andere ihren Lebensraum dadurch verlieren. Und er ist auch für den tödlichen Feind verantwortlich, aus niederen, gegenüber dem Leben gleichgültigen Beweggründen. Funkes Fantasy-Roman hat damit, was hochwertige Literatur auszeichnet: Thema.

»›Duuuuu bist der Eeeerste! Der Eeeeeerste, der nicht für sich fragt, käferkleiner Mensch.‹«

Cornelia Funke: Der Drachenreiter

Zu den schönsten Momenten der Geschichte gehört die Begegnung mit einem Dschinn, der – ganz im Stile von Märchen und Fantasy – einen Wunsch gewährt, natürlich erst, wenn eine bestimmte Voraussetzung gegeben ist, sonst droht dem Wünschenden ein schreckliches Schicksal. Funke nutzt das geradezu klassische Motiv, das es zum Beispiel durch Ernest Hemingway auch in die Weltliteratur geschafft hat, um einen ganz wunderbaren Akzent zu setzen, der im Gedächtnis bleibt.

Und spoilere ich zu sehr, wenn ich die Überschrift des letzten Kapitels verrate? Nein, denn nicht das Ende ist entscheidend, sondern der Weg dahin. Und der führt über zahlreiche Wendungen zu Guten Nachrichten. Wie die aussehen, muss allerdings selbst erlesen werden. Viel Vergnügen dabei!

Cornelia Funke: Der Drachenreiter
Dressler Verlag
Gebunden
ISBN ‎ 978-3791504544

Erzählfluss statt stehendes Gewässer

George R.R. Martins »Lied von Eis und Feuer« ist ein prominentes Beispiel für die Schwierigkeiten episch angelegter Buchreihen: Der Fantasy-Welterfolg hat sich im dichten Gestrüpp zahlloser Personen und Schauplätze verheddert. Bild Canva.

Im November 2017 hat sich der Blogger Der Wortvogel parallel zum Beginn der sechsten Staffel der überaus erfolgreichen HBO-Serie Game of Thrones zum Thema vertikales Storytelling geäußert. Ich habe einen etwas anders akzentuierten Beitrag von ihm damals in der Süddeutschen Zeitung gelesen und er hat mich sehr lange beschäftigt. Denn: Ich hatte gerade begonnen, selbst eine Buchreihe mit dem Titel Piratenbrüder zu verfassen.

Buchreihen können tückisch sein. George R.R. Martin hat aus meiner Sicht eine großartige Fantasy-Reihe geschrieben, mit leicht abfallender Qualität. Der erste Band (die ersten beiden in der deutschen Ausgabe) gefallen mir jedoch ganz besonders gut. Der strukturelle Ansatz ist jedoch mit Schwierigkeiten verbunden, die Torsten Dewi in seinem allgemeinen Beitrag Kaugummi TV: Das Dilemma des vertikalen Storytellings schön aufgezeigt hat.

Großer Beginn, leicht abfallendes Niveau

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Erzählfluss in Das Lied von Eis und Feuer mehr und mehr zu einem stehenden Gewässer wurde. Die Erzählung verhedderte sich immer mehr im vielbeinigen Gestrüpp zahlloser Figuren und Schauplätze, dabei hätte die Neigung des Autors, seine Charaktere ins Reich des Jenseits zu schicken, durchaus Abhilfe schaffen können. Nicht jedoch, wenn diese teilweise wieder als Untote oder Wiederauferstandene zurückkehren.

Martin sah sich auch gezwungen, die ständig wechselnden Perspektiven in zwei dicke Stränge zu bündeln und auf zwei (in der deutschen Ausgabe vier) Bücher zu verteilen. Das macht alles noch komplizierter, zumal mir beim Lesen recht oft Redundanzen und wiederkehrende Erzähl-Muster aufgefallen sind. Die Romanreihe verliert, je weiter sie voranschreitet, ein Absturz wie bei der Film-Serie bleibt bislang aus.

Die Filmserie The Game of Thrones ist ja – gottlob – beendet, wenngleich mit einem grauenerregenden Qualitätseinbruch. Das Buch verharrt seit langem an der gleichen Stelle, obwohl der Autor nach eigenem Bekunden an dem vorletzten Band arbeitet. Sicherlich ist die immense Komplexität ein wesentlicher Faktor für die lange Pause. Das wirft Fragen auf, etwa: Wie lassen sich die vielen offenen Erzählstränge wieder zusammenfügen, um die gesamte Geschichte voranzutreiben?

Wie ein Crescendo in der Musik

Ich bin gespannt. Die Wartezeit habe ich mir damit vertrieben, selbst eine Buchreihe mit etwas mehr als zweitausend Seiten zu verfassen. Auf der Basis des Artikels, der Lektüre und einiger Binge-Watch-Tage in der Welt von Eis und Feuer habe ich irgendwann die Entscheidung getroffen, mit der Erzählung der Abenteuer von Joshua und Jeremiah sehr schmal anzufangen und dann Stück für Stück aufzufächern.

Es kam mir vor allem darauf an, am Ende der siebenteiligen Reihe noch genug Spielraum zu haben, einen effektvollen Showdown zu schaffen, ohne völlig zu überziehen. Das ist mir, denke ich, durchaus gelungen. Alles, was im Schlussband namens Opfergang geschieht, ist rein fiktional, aber nicht undenkbar; und es ist ein grandioses, spannendes Spektakel.

Ich habe eine Anleihe aus der Musik genommen, um die strukturelle Gestaltung der gesamten historischen Abenteuerreihe zu verdeutlichen: ein Crescendo. Wer das zum Beispiel auf dem Klavier erzeugen will, muss keineswegs nur immer lauter spielen – dann brüllt das Klavier am Ende und verursacht Schmerzen.

Piano zu Beginn

Viel wichtiger, ja entscheidend ist: Piano am Anfang. Um ein Crescendo zu erzeugen, muss man unbedingt leise beginnen und – ganz wichtig – nicht linear lauter werden. Im Verlauf sollten kleiner Decrescendi eingebaut werden, Verzögerungen, um den Effekt zu verstärken. Außerdem könnten zu der anfangs einstimmigen Tonfolge weitere Stimmen hinzukommen.

Daher beginnt meine Abenteuerreihe sehr schmal, klein, leise, fokussiert sich auf wenige Personen und Handlungsorte, täuscht manches vor, deutet vieles an und ist keineswegs auf Handlungsspannung oder Action beschränkt. Denn was hilft alles Crescendo, wenn es an der Baisis fehlt, dem Leitmotiv oder Thema? Es wäre ein hohler, langweiliger Effekt.

Bisher erschienen

J.R.R. Tolkien: Das Silmarillion

Ein wunderbares Zitat aus dem Buch von J.R.R. Tolkien, das nur dann enttäuscht, wenn man es mit den gleichen Maßstäben misst, wie seinen Roman »Der Herr der Ringe«.

Mein erster Kontakt mit dem Fantasy-Epos »Der Herr der Ringe« geht auf das Jahr 1980 zurück. Der grüne Dreiteiler lag  unübersehbar auf dem Schreibtisch eines Freundes, es brauchte keine fünf Minuten, um mich vom Kauf zu überzeugen; gelesen habe ich ihn aber erst nach »Der kleine Hobbit« und – nicht lachen – war anfangs etwas enttäuscht, weil nicht etwa Bilbo, sondern ein gewisser Frodo die Hauptlast in Form eines kleinen, goldenen Ringes zu tragen hatte.

Seine Fahrt bis zum Schicksalsberg und darüber hinaus ist und bleibt eines der größten Abenteuer der Literatur. Das liegt auch an einem Buch, das ich erst jetzt, vier Jahrzehnte später, gelesen habe. Seinerzeit hieß es, »Das Silmarillion« wäre nicht so gut wie »Der Herr der Ringe«. Das stimmt und stimmt zugleich überhaupt nicht, denn beide Bücher gehören zwei völlig unterschiedlichen literarischen Spezies an. Sie lassen sich nicht über den gleichen Kamm scheren.

Damit komme ich bereits zur ersten wichtigen Empfehlung, was die Lektüre von »Das Silmarillion« anbelangt: weg mit den Erwartungen! Wer das Buch zur Hand nimmt, sollte den Ringkrieg aus seinem Kopf verbannen, sonst ist eine derbe Enttäuschung vorprogrammiert, einschließlich der Gefahr, das Buch gleich wegzulegen. Und das hielte ich für einen schweren Fehler, denn »Das Silmarillion« hat eine Menge zu bieten, wenn man die Geduld aufbringt, das sperrige Werk langsam in sich aufzunehmen.

Dem Westen sind unsere Herzen zugewandt, und wir glauben, dass wir dort Licht finden.

J.R.R. Tolkien: Das Silmarillion

Die ersten Kapitel erinnern sehr an die Bibel, dem Leser treten keine handelnden Figuren entgegen, sondern Teile eines Schöpfungsprozesses, den Eru oder Illuvater in Gang setzt. In der kleinen Flut an Namen und Orten kann der verwöhnte Leser, der auf Action und unmittelbares Erleben von Handlungsspannung fokussiert ist, leicht ertrinken. Es passiert in diesem Sinne nichts, in anderem schon, denn man wird Zeuge, wie eine neue Welt entsteht.

Der Leser erfährt so eine ganze Menge über Personen und Umstände, die ein »Aha!« provozieren. Sauron; Melkor bzw. Morgoth; die Balrogs, von denen es eine ganze Menge mehr gab als jenen in den Tiefen Morias. Spätestens beim Aufstieg dieser dunklen Gestalten bekommt »Der Herr der Ringe« nachträglich einen gewaltigen Schub, denn erst jetzt wird dem Leser richtig bewusst, wem die Halblinge und ihre Gefährten wirklich gegenüber stehen und wer ihnen in Gestalt von Gandalf, Galadriel und Elrond zur Seite steht.

Immer wieder gibt es jene kleinen Glücksmomente, wenn etwas, das man als Wiederholungsleser des Ringkrieges bereits gut kennt, erheblich mit Bedeutung aufgeladen wird; das ist ein einmaliges Erlebnis, denn in welcher anderen Fantasy-Welt wäre das überhaupt möglich? Die ernüchternde Antwort: in keiner.

Der Leser wird Zeuge eines Weltenbaus. Oft hat mich »Das Silmarillion« an den Schreibprozess selbst erinnert. Anfangs ist alles öde und leer, dann ist Musik zu hören – eine Form der Inspiration, die ich für mich anders empfinde. Was daraus folgt, ist allerdings ähnlich, denn diese Musik setzt einen schöpferischen Prozess in Gang. Peu á peu entsteht eine neue Welt, wird umgeformt und neu gestaltet, ausgefüllt, Licht kommt ins Dunkel, Leben entsteht, erste Konflikte kommen auf und dann gerät die Erzählung langsam in Gang.

Die Lügen aber, … , sind eine Saat, die nicht stirbt und nicht vernichtet werden kann; und von Zeit zu Zeit treibt sie neue Sprossen und wird ihre dunkle Frucht tragen bis zum letzten Tage.

J.R.R. Tolkien: Das Silmarillion

»Das Silmarillion« ist in gewisser Hinsicht wirklich »nicht so gut« wie »Der Herr der Ringe«. Tolkiens Hauptwerk werden immer wieder besondere Stärken attestiert, vor allem die Sprache, die Historie, der reiche Schatz an überlieferten Geschichten und Sagen, die bis zum Beginn der Schöpfung Mittelerdes reichenden Wurzeln seiner Erzählung und nicht zuletzt die epischen Schlachten.

Derlei enthält »Das Silmarillion« auch. Was fehlt ist jener Part, der für mich den Ringkrieg im Zusammenspiel mit den übrigen Aspekten zu einem herausragenden Werk macht, der brillant getimte Wettlauf nach dem Ring, eingebettet in parallel verlaufende dramatische Kriegstage. Tolkien war ein Meister des Timings, nicht umsonst hat er gesagt, er habe die weise Entscheidung getroffen, mit einer Karte begonnen zu haben. 

Was im »Silmarillion« bereits eine große Rolle spielt, sind Lüge und Verrat. Die Erzählungen, los zusammenhängend und einander zeitlich oft überlappend, sind wie Fingerübungen für die großen und kleinen Untreuen, die im »Der Herr der Ringe« für grandiose Überraschungen und Handlungswendungen sorgen. Saruman, Denethor und andere haben ihre Vorgänger, aber auch jene, die treu zu ihren Eiden und dem Licht stehen.

Wer hat den Dunklen König im Norden gesehen? Wer hier nach Herrschaft über Mittelerde strebt, sind die Eldar. In ihrer Gier nach Schätzen und Geheimnissen haben sie in der Erde gegraben und den Zorn derer erregt, die unter ihr wohnen, seit je und immer. Last den Orks ihr Reiche, und wir werden da unsere haben! Platz genug ist in der Welt, wenn ihn die Eldar uns nur gönnen.

J.R.R. Tolkien: Das Silmarillion

Das Zitat ist auf eine gespenstische Weise aktuell. Die Verdrehung von Ursache und Wirkung, die Zuschreibung der eigenen bösen Absichten auf andere und die Behauptung, es gäbe ein Nebeneinander beider Welten, der des Lichts und der Dunkelheit, wirkt wie eine poetische Umschreibung dessen, was tagtäglich an propagandistischer Desinformation auf den freien Westen einprasselt.

Nach dem Ende des eigentlichen Silmarillions verfolgt der Leser noch Aufstieg und Untergang Numenors, jenes Menschenvolks, aus dem auch Aragorn und seine Dunedain entstammen. Viele Dinge, die im Der Herr der Ringe geschildert werden, erhalten einen tieferen Sinn – etwa der halb verstorbene Baum in Minas Tirith. Auch über Sauron erfährt der Leser bemerkenswerte Dinge, die im Ringkrieg eine Rolle spielen.

Ein weiterer Tipp: Erwerben Sie den herausragenden »Historischen Atlas Mittelerdes« von Karen Wynn Fonstad und betrachten Sie die Karten, während Sie gemächlich Kapitel für Kapitel durch »Das Silmarillion« schmökern, wie durch ein Buch mit Märchen oder Sagen, die allerdings miteinander verknüpft sind und mehr und mehr zu einer romanartigen Handlung verwoben werden.

J.R.R. Tolkien: Das Silmarillion
Aus dem Englischen von Wolfgang Krege
Hobbit-Presse 2010
Tb 538 Seiten
ISBN: 9783608938197

© 2024 Alexander Preuße

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