Zigaretten sind eine transnationale Währung. Lange vor den Krypto-Zahlungsmitteln wurde mit ihnen gehandelt, analog, direkt und vor allem dann, wenn gewöhnliche Geldmittel an ihr Ende kamen: entwertet oder wertlos, insbesondere in Zeiten von Krieg und Gefangenschaft. Es überrascht wenig, wie wichtig dem Dichter Ernst Jandl die Glimmstängel waren, ein Blick auf das Cover des Buches genügt; überraschend sind der Nachdruck und die Häufigkeit seiner Bitten in den wenigen, oft knappen Briefen, die in diesem Buch abgedruckt sind.
Es mag ein wenig seltsam klingen, aber das Drängen nach Zigaretten hat den Briefen Jandls etwas unmittelbar Vertrautes und Authentisches verliehen, so oft ist mir das bei meiner extensiven Lektüre von Briefen, Tagebüchern, Berichten, Erinnerungen, Romanen und Erzählungen aus Kriegszeiten begegnet. Und Bilder, natürlich, Soldaten, den Kopf von Mull umschlungen, das Gesicht blutig, erdgrau und gezeichnet von hoffnungsloser Verzweiflung, ziehen mit einer Intensität an der Zigarette, als handelte es sich um den rettenden Atemzug.
Wenn man also eintritt in das Kriegsleben des späteren Dichters, begleitet den Leser der blaue Dunst, nicht in der dramatischen Form, wie geschildert, aber so stetig wie ein treuer Hund. Jandl schildert nur in einem sehr kurzen Brief einige Eindrücke von der Front, doch haben diese Zeilen eine ungeheure Wucht, sie deuten bereits voraus, spiegeln die Fähigkeit wieder, ins (sprachliche) Detail zu schauen – das Wort »Frontschwein« bekommt für den Soldaten an der Front seine wahrhaftige Bedeutung.
Jetzt erst wird mir der Begriff vom »Frontschwein« klar.
ernst jandl: Briefe aus dem Krieg 1943-1946
Diese konzentrierte Kürze zeichnet die Briefe aus. Die Stationen des 1943 eingezogenen Jandl bis zu seiner Gefangenschaft, zunächst in Frankreich, dann in England, hinterlassen trotzdem ein plastisches Bild. Der Krieg spielt bestenfalls eine Nebenrolle, dort, wo Jandl sich aufhält, findet er nicht statt. Er ist bei seinen Stationen fern der großen Schlachten, der Bombenangriffe, Verheerungen und Vernichtung.
Geschildert werden vorwiegend Kleinigkeiten aus dem Dienstalltag, Bitten um Kleidung, Rauchwerk, einen Koffer, Ankündigungen von Besuchen oder Berichten über dieselben, Wünsche und Hoffnungen, kurze Bemerkungen über den weiteren Gang der Dinge, wohin man versetzt werde und wann der Gang an die Front drohe – Dinge, die heute vor allem in e-Mails oder Messenger-Nachrichten verhandelt werden. Von den inneren Befindlichkeiten Jandls steht dort selten etwas.
Aus dem sehr informativen Vorwort und der Chronik, die wie ein Rahmen die Briefe einfassen, ist zu erfahren, dass Jandl versucht hat, nicht aufzufallen und das in einer spektakulär nüchternen Weise. Weder Innere Emigration noch Aufbegehren, sondern äußerliche Konformität, Anpassen an die Konventionen als Überlebensstrategie. Den Gang zur Front, vor allem zur höllischen Ostfront, vermeiden, aufschieben, hinauszögern – das war Jandls Art, den Krieg zu überleben. Der nachfolgende Satz bekommt so einen anderen Klang.
Nun ist es soweit: Ich bin Grenadier.
ernst jandl: Briefe aus dem Krieg 1943-1946
Von einer Ausnahme abgesehen, spiegelt sich das in den Briefzeugnissen insofern wieder, dass Jandl diese Dinge konsequent ausklammert und nie erkennen lässt, in irgendeiner Form sich drücken oder den Fronteinsatz herauszögern zu wollen; das aber hat er getan, Zeit geschunden, Zeit gewonnen. In diesem Zusammenhang ist auch der Versuch zu sehen, Offizier zu werden, was letztlich fruchtlos blieb, aber kostbare Zeit verstreichen ließ.
Insbesondere die den Briefen nachgestellte Chronik ist in aufschlussreich, denn sie gibt preis, worum sich die Briefe herumdrücken, die Ausweichmanöver Jandls, der gleich zweimal versuchte, sich durch Arztbesuche vor dem Fronteinsatz zu retten; er ist sogar ein hohes Risiko eingegangen, eine unerlaubte Entfernung von der – zur Front abrückenden – Truppe hätte ihm auch Standgericht eintragen können. Glück auch, dass ihm die Ostfront erspart blieb und er in den Westen kam, wo er überlaufen konnte.
So bekommen Äußerungen in seinen Briefen im Nachhinein einen Hinter-Sinn. Die Bemerkung, das Karabiner-Schießen oder der Unterricht hätten ihm gefallen, sind zunächst einmal durchaus wörtlich zu nehmen, ein wacher Geist nimmt alles mit, was ihm im eher dumpf-stumpfen Kasernenalltag angeboten wird, aber auch Teil der Taktik, Zeit zu gewinnen. Die Ausbildung zum Scharfschützen kostete wieder drei Wochen; Jandl ist wie jemand, der unter einem Tarnumhang des Mitmachens versucht, durchzukommen.
Heroisch mag das nicht sein, doch was heißt das schon? Im Nachhinein ist es leicht, von den Zeitgenossen der blutigen Jahre einen Mut einzufordern, wenn man nie in die Verlegenheit kommen wird, ihn selbst aufzubringen. Allein gegen das Propaganda-Gedröhn, das so viele erreicht und beeinflusst hat, die verheerende Wirklichkeit des Frontalltags aus den Zeitungen und Wochenschauen herauszufiltern und allem Sozialdruck zum Trotz sich treu zu bleiben, ist bemerkenswert.
Die Stille nach dem Krieg ist immer noch Krieg.
Alexis Jenni: Die französische Kunst des Krieges
Eine ganze Reihe von Briefen sind aus der Zeit von Jandls Kriegsgefangenschaft verfasst. Das mag angesichts des Buchtitels seltsam erscheinen, doch ist es sehr passend, denn Kriege enden nicht mit dem letzten Schuss, Waffenstillstand und Friedensschluss. Die Nachkriegsstille ist immer noch erfüllt vom Echo des Kriegsdonners. Im Falle Jandls macht sich das unter anderem darin bemerkbar, dass über Monate hinweg in Unsicherheit ist, wie seine Angehörigen den Untergang des Hitlerreiches erlebt haben. Erst im Februar 1946 erhält er in England Nachricht.
Zum Krieg gehört auch der Schock über die dramatischen Verbrechen, die während des Zweiten Weltkrieges begangen wurden. An einer Stelle in den Texten zu Jandl heißt es, der »Triumph, noch am Leben zu sein«, wäre später dem »schleichenden Gefühl von Schuld« gewichen. Das hat bei mir die Erinnerung an die Aussage eines Wehrmachtssoldaten geweckt, der selbst nie an Kriegsverbrechen teilhatte und trotzdem genau wusste, dass jede seiner (Kriegs-)Handlungen ein Mitmachen, ein Teilhaben an dem verbrecherischen Morden war, was ihn bis an sein Lebensende fürchterlich belastete. Wenn man von schweren Depressionen bei Jandl liest, liegt der Schluss nahe, dass bei ihm Ähnliches im Gang gewesen könnte.
[Rezensionsexemplar]
ernst jandl: Briefe aus dem Krieg 1943-1946
Hrsg. von Klaus Siblewski
Luchterhand Literaturverlag 2005
Gebunden 178 Seiten
ISBN: 978-3-630-87223-0
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