
Mehr vom Gleichen? Nicht mit Steffen Mensching. Sein Roman Hausers Ausflug ist in Umfang, Stil, Thema und Zeit des Geschehens ganz anders als Schermanns Augen. In gewisser Weise jedoch ähnlich überwältigend, was nicht zuletzt am spektakulären Ansatz dieses »Ausflugs« liegt.
Man stelle sich einen deutschen Top-Manager vor, der höchst erfolg- und geldreich inmitten seines eigenen Produktes erwacht. Unverhofft erwacht, denn jener Behälter ist für den Transport von Menschen vorgesehen. Genauer gesagt, abzuschiebenden Menschen, die über dem jeweiligen Zielgebiet per Fallschirm abgeworfen werden.
Hauser, der Menschhändler, der Flüchtlinge zu Postwurfsendungen erniedrigte.
Steffen Mensching: Hausers Ausflug
Airdrop heißt der Firmenname, ein Lieferservice ganz speziellen Charakters. Darüber ist der geneigte Buchinteressent schon informiert, wenn er nach Autor, Titel und Buchrücken noch einen Blick in den Klappentext wirft. Klar ist auch, was dem David Hauser widerfährt: Er wird in ein fremdes Land geliefert und ist dort geliefert.
Mensching ist es gelungen, diese groteske Situation literarisch auszuweiden. Der Titel Hausers Ausflug ist eine ebenso boshafte wie komische Ankündigung dessen, was der »Manger des Jahres« durchmacht. Wie man sich denken kann, ist seine Lage von einem Ausflug ebensoweit entfernt wie eine Abschiebung per Flugzeug von einer Pauschalreise auf die Malediven.
David Hauser, Manager des Jahres, in seinen Unterhosen im Niemandsland.
Steffen Mensching: Hausers Ausflug
Der Chef und Gründer darf am eigenen Leibe miterleben, was es heißt, mit seinem humanen Luftverschickungsservice eine Reise anzutreten. Was ihm an Ort und Stelle blüht, wird verschärft durch seine gestohlene Identität: Von den Unterhosen einmal abgesehen, steckt er in Billig-Kleidung und ist mit einem falschen Pass ausgestattet.
Nach der Landung dreht sich anfangs alles ums nackte Überleben. Die Unbilden, mit denen Hauser kämpfen muss, setzt Mensching wunderbar in Szene. Man kann derlei auf ganz unterschiedliche Weise angehen, auf Action oder eine unablässlige Abfolge von Wende-, Dreh- und Angelpunkten setzen oder aber den Protagonisten mit sich selbst konfrontieren.
Mensching kombiniert diese und schafft auf diese Weise eine Erzählung, die einerseits voller Handlungsspannung ist, andererseits aber auch ausreichend Tiefgang. Auch in Kenntnis der überraschenden Wendungen wäre der Roman bei der zweiten Lektüre keineswegs langweilig, im Gegenteil.
Allmählich begriff er, dass das Ganze kein Spiel war, keine Gespensterbahnfahrt, die ihn nur in Unruhe versetzen sollte, ihm passierte etwas anderes, das er noch nicht durchschaute, das er womöglich nie durchschauen würde, aber etwas, das es auf ihn abgesehen hatte.
Steffen Mensching: Hausers Ausflug
Während der Ausgesetzte darum kämpft, nach seiner Landung den nächsten Ort zu erreichen, hat er Zeit, über viele Dinge nachzudenken. Natürlich stellt er Spekulationen über die Urheber und Motive seiner misslichen Lage an, in die sich immer wieder Selbstrechtfertigungen mischen, mit denen er sein Lebenswerk gegenüber sich selbst (und dem Leser) zu verteidigen sucht.
Dabei erfährt man einiges über Hauser Umfeld. Mensching lässt diese Gelegenheit nicht verstreichen, ohne genüsslich vorzuführen, dass auch unter den Gegnern von Geschäftemachern á la David Hauser bigotte Figuren herumirren, etwa der linke Schriftstellervater, wohnhaft im Prenzlauer Berg, mit seiner dunkelhäutigen Haushälterin.
Mein Vater ist Kommunist, ich wurde Konsumist, es klingt ähnlich, ist aber nicht das Gleiche.
Steffen Mensching: Hausers Ausflug
Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Darstellung der Isolation Hausers und seine völlige Orientierungslosigkeit. Er irrt durch das ihm unbekannte Land wie durch einen undurchdringlichen Nebel, verzweifelt bemüht, die überlebensnotwendigen Fakten und Optionen auszuloten. Sein Weg ist kaum mehr als ein halbblindes Tappen, alle erlernten und erfahrenen Routinen laufen ins Leere.
Man liest die Ausnahmesituation des David Hauser mit großer Spannung, gelegentlichem Lachen oder Schmunzeln, denn Mensching verzichtet nicht darauf, die Komik der misslichen Lage zu extrahieren, und einem immerwährenden Schauder, der sich aus der bloßen Vorstellung speist, man könnte selbst einmal in diese Lage kommen. Natürlich wirft Hausers Ausflug Fragen auf, die dankenswerterweise im Buch selbst unbeantwortet bleiben. Dem darf man sich als Leser selbst stellen.
Und das Ende? Wie lässt man so einen Ausflug enden? Steffen Mensching hat ein angemessenes gefunden und aufgeschrieben.
[Rezensionsexemplar; daher Werbung].
Steffen Mensching: Hausers Ausflug
Wallstein 2022
Gebunden 249 Seiten
ISBN 978-3-8353-5305-3
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