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Schlagwort: Künstlerroman

Angela Steidele: Aufklärung

Ein Historischer Roman aus der Sicht einer Tochter Johann Sebastian Bachs, stimmungsvoll, atmosphärisch und in besten Sinne aufklärerisch. Cover Insel-Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Ein literarisches Gegenspiel, eine Gegenbiographie, die aufklärt darüber, wie es nach Ansicht des erzählenden Ichs tatsächlich gewesen ist. Das weicht erheblich von dem ab, was aus Männerfedern auf Papier geflossen ist und die Überlieferung geprägt hat. Doch geht die Autorin noch – mindestens – einen Schritt weiter und lässt ihre Erzählstimme keineswegs unangefochten berichten – sie wird immer wieder infrage gestellt, unterbrochen, korrigiert, während sie schreibt. Kleine Sätze der Rechtfertigung sind hier und da in Klammern eingeflochten.

Im besten Sinne der Aufklärung bleibt es also am Ende beim Leser, wem und was er Glauben schenken will. Aufklärung ist ein großer Lesespaß! Man muss sich ein wenig einlesen, in den Stil, den die Autorin Angela Steidele sanft koloriert hat und etwas zeithistorisch klingen lässt, was den Lesefluss befördert sowie lustig und einfach schön ist, ohne diese träge, staubige Schwere alter Grammatik.

Die Geschichte ist in der Ich-Form präsentiert, die Erzählerin ist Dorothea Bach, eine Tochter von Johann Sebastian Bach, von der nahezu nichts überliefert ist. Ein gefundenes Fressen für eine Autorin von einem Historischen Roman, denn diese Leerstellen wollen gefüllt werden – mit Fiktion. Steidele widmet sich dieser Aufgabe mit Hingabe, Leichtigkeit, Humor, bisweilen bissigem Sarkasmus und lässt eine ganz wundervolle Welt vor den Augen der Leser entstehen.

Sie ist voller Musik, Herzenswärme, Literatur, gelehrten Gesprächen, Spott, Neid, Eifersucht, Streit – aber auch berührt von den Unbilden der Zeit. Der Macht des Todes, der Krankheit, der Armut, die Verheerungen der Kriege Friedrichs II. und die Zudringlichkeiten einer unaufgeklärten Welt. Dabei gelingt es Steidele, den leichten Tonfall beizubehalten, hier wird nicht stiefeltrampelig einer Wahrheit Bahn gebrochen, der Leser wird geradezu aufgefordert, selbst zu denken.

Ganz besonders atmosphärisch sind die kleinen Anmerkungen unten auf der Seite, die auf die Werke Johann Sebastian Bachs verweisen, von denen in der Erzählung die Rede ist. Man kann sie problemlos anhören und mit dem vergleichen, was die Erzählstimme und andere Zeitgenossen zu sagen haben. Aber auch Literatur ist aufgeführt, Dramen, Theaterstücke, Romane, Sachbücher aller Art, in die ohne große Schwierigkeiten ein Blick geworfen werden kann, denn diese zeitgenössische Literatur steht im Internet zumeist zur Verfügung.

Apropos Internet. Anlässlich einer Lesung beim Göttinger Literaturherbst hat Angela Steidele neben vielen anderen sehr aufschlussreichen Bemerkungen auch gesagt, sie habe heimlich etwas über die Gegenwart erzählen wollen. Das wollen – gute – Historische Romane ja oft. Und so darf man sich fragen, ob Lautentius Gugl nur zufällig diesen Namen trägt oder die Zwitscherblättchen, die – weil gedruckt – anonym über andere Zeitgenossen herziehen, vielleicht auf eine moderne Kommunikationserscheinung anspielen.

Angela Steidele macht sich zudem ein großes Vergnügen daraus, große Männer von ihren Sockeln zu holen. Gotthold Ephraim Lessing etwa kommt nicht gerade gut weg, Friedrich II., der so genannte „Große“, verdiente sich ganz andere Beinamen. 

Rousseau? „Ein armes Irrlicht aus Genf, der sich mit allen verkracht“, lässt sie den Leser aus dem Munde Luise Gottscheds wissen, verbunden mit einem didaktischen Hinweis für die Gegenwart: „Weil sich jeder über ihn aufregt, erhält er so viel Resonanz. Da müssen wir seine absurden Ansichten nicht auch noch ventilieren.“  Don´t feed the troll, würde man heute sagen.

Das Ende ist ganz fabelhaft gelungen. Vier Zeilen eines Gedichtes machen noch einmal deutlich, worum es in dem Roman Aufklärung eigentlich geht: Jene ins richtige Licht rücken, die bislang im Schatten standen, dorthin das Licht leuchten lassen, wo Dunkelheit, (Ver-)Schweigen und Vergessen bis heute Vieles verborgen hat, was ans Licht gehört.

Mit großem Vergnügen verweise ich auf eine ebenso vorzügliche wie ausführliche Buchvorstellung von Marius Müller, der durch seinen sehr anregenden Text verantwortlich dafür ist, dass ich diesen wunderbaren Roman gelesen habe.

Angela Steidele: Aufklärung
Insel Verlag 2022
Gebunden 602 Seiten
ISBN: 978-3-458-64340-1

Marie Benedict: Die einzige Frau im Raum

Hedy Lamarr, geborene Kiesler, ist eine faszinierende Person, deren Spuren die amerikanische Schiftstellerin in ihrem Roman folgt. Cover KiWi, Bild mit Canva erstellt.

Hedy Lamarr ist eine faszinierende Persönlichkeit. Schönheit und hohe Intelligenz, ein bewegtes Leben voller Brüche, Rückschläge und Erfolge, umflort von Tragik – es gibt eine Reihe von Gründen, sie aus dem Schatten treten zu lassen. Vor Jahren habe ich einmal eine Dokumentation gesehen, die den sehr treffenden Titel »Geniale Göttin« trug; entsprechend gespannt war ich darauf, wie die Schriftstellerin Marie Benedict versucht, sich ihr zu nähern.

Der Roman Die einzige Frau im Raum stellte die solitäre Erscheinung Hedy Kieslers, wie die Protagonisten bürgerlich hieß, schön heraus. Als die Handlung einsetzt, ist Hedy Schauspielerin und verkörpert auf der Bühne Elisabeth von Österreich, Sissy. Sie hat bereits einen skandalumwitterten Film (»Ekstase«) gedreht, die Nacktszenen darin werden für Hedy zu einem Problem.

Zunächst erzählt der Roman, wie die schöne, kluge und selbstbewusste Hedy in die Ehe mit einem mächtigen Verehrer hineingerät, der sie mit Übermaß umwirbt und den Eindruck erweckt, er würde sie als Person, ihre Eigenständigkeit respektieren. Ein folgenschwerer Irrtum, wie sich herausstellt, denn die Ehe erweist sich als Falle.

Etwas bemüht wirkt, dass die Heirat auch eine Art Schutzschild gegen mögliche Repressalien sein soll, vor denen sich Hedys Familie wegen ihrer jüdischen Herkunft fürchtet. Das ist durchaus schade, denn gerade die historisch-politischen Hintergründe, mit denen das Leben der Protagonistin wegen der rührigen Tätigkeiten ihres Mannes (Waffenhändler, Mussolini-Vertrauter) verwoben ist, sind sehr interessant.

Richtig in Fahrt kommt Die einzige Frau im Raum, als Hedy in den USA ankommt und ihre Karriere als Schauspielerin fortsetzt. Die Erfahrungen, die sie macht, wirken einerseits wie ein anachronistisches Echo auf MeToo, andererseits entlarven sie die völlige Missachtung von Frauen ihres Formats außerhalb ihres Erscheinungsbildes. Das vorletzte Kapitel lässt wohl jeden Leser mit einer gewissen Fassungslosigkeit zurück.

Kritisch ist allerdings die Wahl der Perspektive, denn trotz der Ich-Erzählhaltung bleibt das Buch recht distanziert. Dagegen ist grundsätzlich überhaupt nichts einzuwenden, wenn eine passende Erzählform gewählt wird; so entsteht gerade im ersten Teil manchmal Eindruck einer formel- und phrasenhaften Oberflächlichkeit. Es ist eine Sache, die Hauptperson von sich behaupten zu lassen, sie wäre stark, eigenständig und klug, eine ganz andere, es zu zeigen – wie es im zweiten Teil auch geschieht.

Trotz dieses Mankos ist Die einzige Frau im Raum lesenswert, wann hat schon eine Film-Diva eine Hochleistungs-Waffentechnologie entwickelt und gleichzeitig die bornierte Engstirnigkeit einer von Männern dominierten Welt entlarvt?

[Rezensionsexemplar]

Marie Benedict: Die einzige Frau im Raum
Aus dem Englischen von Marieke Heimburger
KiWi-Paperback 2023
Paperback 304 Seiten
ISBN: 978-3-462-00492-2

Klaus Modick: Keyserlings Geheimnis

Klaus Modicks Künstlerroman widmet sich einem weitgehend vergessenen Schriftsteller inmitten einer längst untergegangenen Welt. Cover Kiepenheuer&Witch, Bild mit Canva erstellt.

Die Bücher Klaus Modicks haben mich noch nie enttäuscht. Auch Keyserlings Geheimnis ist keine Ausnahme, im Gegenteil: Es ist ein großes Lesevergnügen, die gemächliche, melancholische Erzählweise trägt durch die Geschichte um den heute völlig vergessenen Autor aus dem Baltikum. Die Sprache ist einer der Pluspunkte dieses kleinen, feinen Romans.

Graf Eduard von Keyserling trägt ein Geheimnis mit sich herum. Immer wieder schweifen seine Gedanken in die Vergangenheit, berichten von den großen und kleinen, unwiederbringlich verlorenen Liebschaften. Verletzungen schimmern durch und mehr noch der Bruch, den der Adelige gegenüber seiner Herkunft, seiner Familie und gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen vollzogen hat.

In der erzählten Gegenwart ist Keyserling etablierter Schriftsteller, Teil der Künstler-Boheme, gut vernetzt mit berühmten Kreativen seiner Zeit. Ausgangspunkt seiner gedanklichen Streifzüge durch sein Leben ist das Haus am See seines Freundes Max Halbe, wo er mit einigen anderen eingeladen ist. Dort malt ihn Lovis Corinth, das Bild ist bekannter als sämtliche Schriften Keyserlings.

Der Grund liegt in Keyserlings Hässlichkeit, die ein zentrales Motiv während der Handlung ist. Sie setzt ihm zu, als junger Mann wie als Mittvierziger, der noch einmal vom Zauber junger Mädchenblüte umweht wird. Modick gelingt es, das alles ohne Larmoyanz und aufgesetzte Eigenmarginalisierung seiner Hauptfigur in Szene zu setzen; im Gegenteil: Ganz am Ende nämlich, wenn das durchaus bittere Geheimnis enthüllt ist, offenbart sich die Lebensstärke dieses Mannes.

Zu den wirklich schönen Dingen dieses Künstlerromans gehören die vielen Begegnungen, Gespräche und merkwürdig komischen Verhältnisse. Wenn Keyserling etwa mit Frank Wedekind in einen fundamentalen Streit gerät, und das Dichtergenie ihm die Freundschaft in alle Ewigkeit aufkündigt, weiß der Graf, dass diese Endlosigkeit schon nach wenigen Stunden vorüber sein wird.

Neben allem anderen ist der Roman auch ein Portrait der Zeit und gleich mehrerer untergegangener Welten. Wien mag es noch geben, die imperiale Hauptstadt ist heute ein üppig-prächtiges Echo dieser Vergangenheit, das Baltikum und seine deutschen Spuren haben sich dagegen so vollständig aufgelöst, dass man glauben könnte, es habe sie nie gegeben; gleiches gilt für den schriftstellernden Grafen Eduard von Keyserling.

Klaus Modick: Keyserlings Geheimnis
Kiepenheuer & Witsch 2019
Taschenbuch 240 Seiten
ISBN: 978-3-462-05335-7

© 2024 Alexander Preuße

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