Die Bücher Klaus Modicks haben mich noch nie enttäuscht. Auch Keyserlings Geheimnis ist keine Ausnahme, im Gegenteil: Es ist ein großes Lesevergnügen, die gemächliche, melancholische Erzählweise trägt durch die Geschichte um den heute völlig vergessenen Autor aus dem Baltikum. Die Sprache ist einer der Pluspunkte dieses kleinen, feinen Romans.
Graf Eduard von Keyserling trägt ein Geheimnis mit sich herum. Immer wieder schweifen seine Gedanken in die Vergangenheit, berichten von den großen und kleinen, unwiederbringlich verlorenen Liebschaften. Verletzungen schimmern durch und mehr noch der Bruch, den der Adelige gegenüber seiner Herkunft, seiner Familie und gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen vollzogen hat.
In der erzählten Gegenwart ist Keyserling etablierter Schriftsteller, Teil der Künstler-Boheme, gut vernetzt mit berühmten Kreativen seiner Zeit. Ausgangspunkt seiner gedanklichen Streifzüge durch sein Leben ist das Haus am See seines Freundes Max Halbe, wo er mit einigen anderen eingeladen ist. Dort malt ihn Lovis Corinth, das Bild ist bekannter als sämtliche Schriften Keyserlings.
Der Grund liegt in Keyserlings Hässlichkeit, die ein zentrales Motiv während der Handlung ist. Sie setzt ihm zu, als junger Mann wie als Mittvierziger, der noch einmal vom Zauber junger Mädchenblüte umweht wird. Modick gelingt es, das alles ohne Larmoyanz und aufgesetzte Eigenmarginalisierung seiner Hauptfigur in Szene zu setzen; im Gegenteil: Ganz am Ende nämlich, wenn das durchaus bittere Geheimnis enthüllt ist, offenbart sich die Lebensstärke dieses Mannes.
Zu den wirklich schönen Dingen dieses Künstlerromans gehören die vielen Begegnungen, Gespräche und merkwürdig komischen Verhältnisse. Wenn Keyserling etwa mit Frank Wedekind in einen fundamentalen Streit gerät, und das Dichtergenie ihm die Freundschaft in alle Ewigkeit aufkündigt, weiß der Graf, dass diese Endlosigkeit schon nach wenigen Stunden vorüber sein wird.
Neben allem anderen ist der Roman auch ein Portrait der Zeit und gleich mehrerer untergegangener Welten. Wien mag es noch geben, die imperiale Hauptstadt ist heute ein üppig-prächtiges Echo dieser Vergangenheit, das Baltikum und seine deutschen Spuren haben sich dagegen so vollständig aufgelöst, dass man glauben könnte, es habe sie nie gegeben; gleiches gilt für den schriftstellernden Grafen Eduard von Keyserling.
Klaus Modick: Keyserlings Geheimnis
Kiepenheuer & Witsch 2019
Taschenbuch 240 Seiten
ISBN: 978-3-462-05335-7
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