Schriftsteller - Buchblogger

Schlagwort: Polit-Thriller (Seite 1 von 2)

John Mair: Es gibt keine Wiederkehr

Ein Anti-Held, vielleicht der erste des Thriller-Genres, von außergewöhnlich vielschichtiger Gestalt, ist einer der großen Pluspunkte dieses spannenden, wendungsreichen und oft verblüffenden Romans. Cover Elsinor-Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Man kommt nicht umhin, den Vergleich zu James Bond oder Mission Impossible zu ziehen. Gemeinsam ist den Filmen und dem Polit-Klassiker von John Mair, dass eine mehr oder weniger globale (und ein wenig groteske) Verschwörung im Gange ist. Völlig verschieden sind allerdings die Helden, Desmond Thane hat wenig bis nichts mit James Bond oder Ethan Hunt gemein. Dieses Spannungsfeld von Vertrautem und Fremden ist einer der Gründe, die aus Es gibt keine Wiederkehr einen tollen Roman machen.

Anders als Bond und Hawk wird Thane in die Verschwörung auf einem Umweg und gegen den eigenen Willen verstrickt. Es ist eine krude Mischung aus Passivität, Aggression, feiger Schwäche und Übersprungshandlung aus Eifersucht, die den Boulevardjournalisten zu einer Mord-Tat treiben. Die hat er zwar bereits gedanklich erwogen, aber eigentlich verworfen. Durch die Tötung gerät er immer wieder in nahezu aussichtslose Situationen, aus denen er sich oft nur äußerst knapp befreien kann. 

Während die Filmheroen mit spektakulären Fähigkeiten und gewitzten Tricks kritische Situationen bewältigen, spinnt Thane Lügen, manipuliert, schachert und wendet Gewalt an. Ein Anti-Held, trotz seiner durchaus bemerkenswerten Fähigkeiten. Dank seiner Intelligenz und Kommunikation, einem entsprechenden Auftreten sowie der Kunst, aus dem Stand Lügengespinste zu weben, gelingt es ihm immer wieder, sich aus einer aussichtslosen Lage herauszuwinden.

Sie war stark. Sie war ungewöhnlich. Sie zog ihn an.

John Mair: Es gibt keine Wiederkehr

Thane umgibt eine Aura leichtfertiger Ruchlosigkeit, sein Gewissen meldet sich nur selten, obwohl es allen Grund dazu hätte. Hand in Hand geht das mit einer spektakulären Unberechenbarkeit der Hauptfigur, der wirklich alles zuzutrauen ist. Das sorgt für rasante, ja haarsträubende Wendungen im Verlauf der Handlung.

Mair setzt geschickt auf die Verwirrung und Irreführung des Lesers. Schon die ersten Seiten sind eine imponierende Komposition aus nüchtern-sachlichen Abschnitten eines Lexikons über Giftpilze und kruden Kommentaren der – da noch unbekannten – Hauptfigur zu den tödlichen Auswirkungen: Sie erscheinen ihm »gut!«, »zu langsam«, in der Sterblichkeitsrate »hervorragend«, er ermahnt sich pendantisch »weiter prüfen«.

Obwohl er sich an einem Ecktisch des Lesesaals akribisch Notizen machte, wusste er nur zu genau, dass er Anna Raven niemals töten würde.

John Mair: Es gibt keine Wiederkehr

Der Autor legt sich mit diesem Satz fest, es ist ein Schein-Fundament, auf der sich die Unberechenbarkeit entfaltet, die Thane so auszeichnet. Jene Anna, die Thane töten will, lernt er zufällig in einem Café kennen. Sie ist äußerlich nicht sein Typ, reizt aber durch ihre Offenheit, ihre Ausstrahlung und Selbstbewusstsein. Ein sehr modernes Szenario, in dem die Frau zeituntypisch die dominierende Rolle übernimmt und den unsicheren Man in emotionale Bedrängnis bringt.

Bei dieser Begegnung wird dem Leser wirklich bewusst, dass die Geschichte im Krieg spielt – die Äußerung, Anna spreche das Englische in einer Weise, „das nach jener unnatürlichen Übergenauigkeit des gebildeten Ausländers klang“, lässt hellhörig werden. Eine Agentin, vielleicht sogar aus Hitlers nationalsozialistischem Reich?

Anna umwittert eine Aura der Unnahbarkeit, ein Teil ihres Lebens bleibt vor Thane verschlossen, ihr Verhältnis hat nur eine relativ begrenzte Schnittmenge. Eigentlich käme das der Hauptfigur entgegen, in diesem Falle macht sich eine gefährliche Gefühlsmischung breit, die Thane zu mehreren aggressiven und gefährlichen, ja auch für ihn untypischen Handlungen treibt, um der emotionalen Zwickmühle zu entkommen.

Mit der letztlich ungewollten Tötung Annas geraten die Dinge ins Rollen. Mair spielt ganz großartig mit Tempowechseln, lässt die Spannung und Dramatik in die Höhe schnellen und seinen irrlichternden Helden unvermutet dahintreiben, als wäre alles ganz harmlos und in allerbester Ordnung. Die Gefahr ist wie ein steter Donner am Horizont, fern, aber immer präsent.

Menschen aus der Kulturszene vergessen oft, dass die Macht in den Händen eines ganz anderen Menschenschlags liegt.

John Mair: Es gibt keine Wiederkehr

Mair wechselt die Perspektive und bricht gezielt den Erzählstil. Er lässt mit einem formalistisch gestalteten Protokoll die Verschwörer zu Wort kommen, denen Thane unbeabsichtigt auf die Schliche gekommen ist. Die Bedrohung für die Welt ist – gelinde gesagt – hanebüchen, die Pläne der Verschwörer sind hochfliegend, ihre Mittel und Aussichten fragwürdig. Gefährdungen wie Thane verfolgen sie aber unerbittlich.

Der Autor selbst hat den Kriegsbeginn miterlebt und seinen Roman in die Zeit hineingeflochten: Die häufigen Luftalarme und einige Angriffe der deutschen Luftwaffe nehmen einen gewissen Raum ein, auch die Nachrichten von der Front und jene oft merkwürdigen Begegnungen mit Offizieren der britischen Armee spielen eine Rolle, doch von jenem totalen Ausmaß, den der Krieg gegen Deutschland rückblickend zu kennzeichnen scheint, ist erstaunlich wenig zu merken.

Der Krieg ist da, wie die Luftverschmutzung oder ein zu starker Wind, er ist bedrohlich, aber für den Einzelnen wie Thane im Grunde genommen zweitrangig. Die Romanhandlung wird so aber mit einer ganz besonderen Stimmung angereichert, ein wenig, als würden die Menschen auf einem Vulkan leben, der auszubrechen droht; unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

John Mairs Never come back ist immer noch eines der bestgehüteten Geheimnisse der Thriller-Literatur.

Martin Compart in John Mair: Es gibt keine Wiederkehr

Wie bei den anderen Büchern der Thriller-Klassiker-Reihe aus dem Elsinor-Verlag ist auch in diesem Fall das Nachwort von Martin Compart eine Klasse für sich. Wer zu einem Buch greift, das bereits mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel hat, verfolgt zumeist mehr als bloße Unterhaltung. Es ist eine Art literarische Grabung, man möchte einen Blick auf die Wurzeln des Genres werfen, dessen zeitgenössische Vertreter in irgendeiner Form darauf aufbauen.

Der Typus des Anti-Helden ist durch Mairs Es gibt keine Wiederkehr in die Thriller-Literatur eingeführt worden; Compart erläutert, durch welche glücklichen Umstände verhindert wurde, dass dieses Stück Spannungsliteratur gänzlich in Vergessenheit geraten ist. Der Autor hat nur ein einziges Buch verfasst, bevor er bei einem Trainingsunfall der britischen Luftwaffe 1942 starb. Mair soll einen zweiten Thriller im Dunstkreis der britischen Luftwaffe geplant haben, was für ein Drama, dass er nie dazu kam, diesen zu schreiben!

Wie es im Literaturbetrieb immer wieder geschieht, lässt sich Erfolg nicht immer planen. So gab es durchaus positive Besprechungen, darunter von George Orwell, dem die Sonderstellung von Mairs Thriller nicht verborgen blieb, doch blieb der große kommerzielle Erfolg aus, das Werk geriet sogar in Vergessenheit. Nun liegt es in deutscher Übersetzung und einer schön gestalteten Ausgabe vor, eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Ebenfalls in der Reihe erschienen & besprochen:
Fearing, Kenneth: Die große Uhr.
Buchan, John: Der Übermensch.
A.D.G.: Die Nacht der kranken Hunde.
Derek Marlowe: Ein Dandy in Aspik.

John Mair: Es gibt keine Wiederkehr
Aus dem Englischen von Jakob Vandenberg
Elsinor Verlag 2021
Broschiert 264 Seiten
ISBN: 978-3-942788-56-4

Volker Kutscher: Olympia

Das Leben Geron Raths hat sich dramatisch gewandelt, er kämpft auf verlorenem Posten. Auch für Chary und Fritze ist im Sommer 1936 der Punkt erreicht, an dem die bisherige Überlebensstrategie nicht mehr trägt. Von ein paar kleinen Wermutstropfen abgesehen, ein großartiger Roman. Cover Piper-Verlag, Bild mit Canva erstellt.

In dem Roman Olympia von Volker Kutscher geht es zu wie in einem Spukschloss, so viele Geister der Vergangenheit treiben ihr Unwesen. Die Geister der Gegenwart, die Rath in einem schaurigen Reigen umtanzen, passen eher zu einem finsteren Horror-Schloss, Folterkeller inklusive. Sie tragen schwarze Uniformen, unterstehen Heinrich Himmler, dem Chef von Polizei und SS im »Dritten Reich«, tanzen nach der Pfeife Reinhold Heydrichs, des Herren über Unrecht und Ordnung.

Am Ende des Vorgängerromans Marlow saß Oberkommissar Gereon Rath in einer Falle, die ihm ein Geist der Vergangenheit namens Sebastian Tornow gestellt hatte. Der ehemalige Polizist, einst von Rath überführt, Mitglied der Verbrecherorganisation »Die Weiße Hand« zu sein, hatte seinen Arm verloren, war ins Ausland geflohen, ehe ihm der Machtwechsel in Deutschland 1933 das Tor zurück geöffnet hatte. Er gehört mittlerweile zum mächtigen Schwarzen Orden der SS.

Der Oberkommissar Gereon Rath ist seitdem ganz vom Wohlwollen des hasserfüllten Tornow abhängig, seine Position in den nationalsozialistischen Institutionen zunehmend unklar: Offiziell gehört er zum Landeskriminalamt, praktisch hängt er am Gängelband seiner Nemesis. Die Frage, ob sich Rath mit seinem Instrumentarium aus (Halb-)Lügen, Lavieren und Tänzeln am Abgrund wieder aus der Affäre ziehen kann, stellt sich kaum, denn schon in den Romanen Lunapark und Märzgefallene hat diese Überlebensstrategie bestenfalls Schlimmeres verhindert.

Es war nicht das Leben, das er sich ausgesucht hatte, aber wer konnte das schon, zumal in diesen Zeiten. Er konnte froh sein, dass er überhaupt noch eines hatte.

Volker Kutscher: Olympia

Da Olympia mit einem kleinen Prolog aus dem Jahr 1937, von der Handlung aus also ein Stück in der Zukunft liegend, beginnt, weiß der Leser schon, dass einiges in die Brüche geht. Die Olympischen Spiele von 1936, die dem NS-Regime einen Propaganda-Triumph bescherten, haben das Leben eines Mannes grundlegend geändert, wie es heißt. Der hat eine neue Identität angenommen, er arbeitet und lebt in bescheidenen Verhältnissen, zurückgezogen und weit weg von Berlin. Man ahnt, von wem die Rede ist.

Die Vergangenheit ruht jedoch nicht, sie ruht nie. Sie holt den Mann in seinem verdeckten Exil ein. Als er nach getaner Arbeit in seine bescheidene Unterkunft zurückkehrt, sitzt ein Toter in seinem Sessel und eine vertraute Frauenstimme begrüßt ihn. Dieser Spoiler verrät faktisch nichts, reißt vielmehr eine baugrubengroße Leerstelle auf, die der Leser unbedingt gefüllt sehen will; die Spannung schießt sogleich nach oben.

Volker Kutscher hat die Vergangenheit schon in den Romanen ab Die Akte Vaterland fabelhaft in seine Handlung integriert, den Mordfall ganz wunderbar aus zurückliegenden Ereignissen hergeleitet und motiviert. Diesmal bündeln sich die von Rath (und dem Leser) erlebte Vergangenheit in der Handlung, treiben sie voran, bremsen sie aus, lenken die Gedanken und Spurensuchen in Sackgassen und vor allem in die finsteren Abgründe des Dritten Reichs.

Nichts hatte sich verändert.

Volker Kutscher: Olympia

Im Sommer 1936 trifft Gereon Rath diese Feststellung im Nassen Dreieck, einer Kaschemme, deren Interieur so wirkt, wie immer schon. »Immer« meint vor allem die Zeit vor 1933, die Zeit der Weimarer Republik, der oft wankenden, stets auf das Heftigste angefeindeten Demokratie, der am Ende vor allem die Demokraten fehlten. Eine Illusion, wie der im Nassen Dreieck sitzende Gereon Rath weiß.

Dreieinhalb Jahre nach der Machtübergabe an Hitler hat sich nämlich alles verändert. Nicht nur draußen, vor den Scheiben des Nassen Dreiecks, sondern auch bei den Personen, die sich drinnen treffen. Reinhold Gräf, ehemaliger Freund, ehemaliger Polizist, ehemaliger Gestapo-Beamter und mittlerweile Untersturmführer im SD ist der Führungsoffizier des Inoffiziellen Mitarbeiters Gereon Rath, offiziell Oberkommissar im Landeskriminalamt.

Gräf ist also auch eine Art Geist der Vergangenheit, der sich in der Gegenwart zu einem Schreckgespenst gewandelt hat. Der eigentliche Unhold ist jedoch Obersturmführer Tornow, ein deutlich ranghöheres Mitglied der SS als Gräf, der Rath unbarmherzig schurigelt. Spurt der nicht, landet er im Konzentrationslager, das im Roman konsequent mit KL abgekürzt wird; das Schicksal blüht auch der unwissenden Charlotte Rath, das Leben der beiden ist das unter einem (für Charly unsichtbaren) Damoklesschwert.

›Und wenn sie nichts sagt, reichst du sie dann zur Folter an die Gestapo weiter.‹

Volker Kutscher: Olympia

Was KL für deren Insassen bedeutet, warum der Name Gestapo oder die Adresse Prinz-Albrecht-Straße bei allen Menschen in Deutschland, selbst SA- und Parteimitgliedern Angst auslösen, wird dem Leser auf recht drastische Weise vorgeführt. Rath, der ewig Lavierende, instrumentalisiert selbst ein wenig diese Angst, als er an seinem neuen Einsatzort zu verdeckten Ermittlungen eingeschleust wird und die widerspenstigen Kollegen bald glauben, er wäre selbst ein Gestapo-Mann.

Rath ermittelt im Olympischen Dorf, wo ein Todesfall geschieht, der aus politischen Gründen kein Mord sein darf. Der Tote ist ein Amerikaner, Funktionär in der Schwimmmannschaft der USA, die – bedauerlicherweise und nicht zur Nachahmung empfohlen – die Spiele nicht boykottierten. Ein Mord würde den für die Nazis so wichtigen Spiele beschmutzen, deren Propagandawert beeinträchtigen, daher sind diese »Ermittlungen« von Anfang an ein groteskes Irrspiel mit der Wahrheit, politischen Interessen, Machtkämpfen und persönlichem Hass.

Die Polizeiarbeit in Deutschland hat sich 1936 dramatisch verändert. Das »Politische« genießt Vorrang, wie in allen totalitären Regimen wird nicht nach der Wahrheit, sondern nach einer passenden Erzählung gesucht – im Falle des Dritten Reichs lautet ein Leitmotiv: kommunistische Verschwörung. Entsprechend wird nach Verdächtigen gesucht, die brutal verhört werden und in Haft bleiben, wenn sie trotz Gewaltanwendung nichts aussagen und ihre Schuld eigentlich widerlegt ist.

›Ich weiß nur, wenn wir unsere Erkenntnisse an die Behörden weitergeben, dann begehen  wir einen Mord.‹

Volker Kutscher: Olympia

Wenn zwingende Gründe auftreten, die der Grundannahme widersprechen, werden diese zurechtgebogen, bis sie mit den Interessen der SS übereinstimmen, oder aber ignoriert bzw. vertuscht, ganz wie es beliebt. So entsteht ein kurioses Hin und Her, das ganz passend den Eindruck einer überwältigenden Willkür und schmerzlicher Ungerechtigkeit erzeugt. Rath ist zu einem Spielball degradiert, obendrein persönlich in das verworrene Mordgeschehen verstrickt.

Sein ehemaliger Ziehsohn Friedrich Thormann (»Fritze«) ist als Ehrendienstler auch im Olympischen Dorf tätig. Sein Interesse gilt einem Autogramm des US-Sprint-Superstars Jesse Owens, dem vierfachen Goldmedaillengewinner bei diesen Spielen, eine Leistung, die angesichts der im Reich gepflegten Lehre von der überlegenen »weißen Rasse« der so genannten »Arier« zu obskuren Lügen und Verschwörungserzählungen zwingt.

Fritze ist Zeuge des Todes, der kein Mord sein darf, und wird in den Fall und dessen lebensgefährlichen Wirrnisse hineingezogen, hinter denen tatsächlich eine Verschwörung steht, aber eine ganz andere, als gedacht. Auch Charly steht unter Druck, sie arbeitet mit Ex-Polizist Böhm heimlich als Fluchthelferin. In Olympia kommen diese Formen des Durchwurstelns im »Dritten Reich« an ihre Grenze, Kutscher zwingt seine Helden dazu, sich den Tatsachen, so schmerzlich sie auch sind, zu stellen.

›Oberkommissar Rath ist zu einem Risiko für Deutschlands Sicherheit geworden. Er muss beseitigt werden.‹

Volker Kutscher: Olympia

Gegen Ende des Romans überspannt Volker Kutscher den Bogen für meinen Geschmack ein wenig. Sowohl die Auflösung der Todesfälle als auch der Showdown sind nicht so gelungen, wie in den anderen Romanen. Gewünscht hätte ich mir auch eine spürbare Entwicklung von Charlotte Rath, die noch immer aus einer sehr spontanen, fast naiven Haltung heraus agiert, was angesichts ihrer Klugheit und des langen Weges, den sie von der Stenotypistin zur Fluchthelferin zurückgelegt hat, nicht recht passen will.

Das ist ein kleiner Wermutstropfen angesichts der großen, sich zuspitzenden Spannung, von der die Handlung in diesem Roman getragen wird. Die vielen Wendungen, groß und klein, die meisten Entscheidungen der Personen, sind sehr gut motiviert. Das Ende oder: die Enden sind wie Türen in den folgenden Band, den man gleich im Anschluss lesen möchte.

Vor allem mochte ich das große Bild, das gezeichnet wird, die Atmosphäre, als läge Berlin unter einer Winternacht: In einem Unrechtsstaat kann niemand anständig bleiben, Wegducken, Mitlaufen, selbst williges Mitschwimmen und Mittun im Strom kann – wenn der Zufall es will – verheerende Folgen zeitigen. Vor derlei Unbill schützt nur das Recht im Rechtsstaat, ist der erst einmal geschleift worden, ist es zu spät.

Weitere Romane der Buchreihe:
Volker Kutscher: Die Akte Vaterland.
Volker Kutscher: Märzgefallene.
Volker Kutscher: Lunapark.
Volker Kutscher: Marlow.
Volker Kutscher: Transatlantik.

Volker Kutscher: Olympia
Piper 2020
Gebunden 544 Seiten,
ISBN: 9783492070591

Alaa Al-Aswani: Die Republik der Träumer

Ein großer Roman über den so genannten Arabischen Frühling in Ägypten, Al-Aswani hat ein geniales Figurenensemble geschaffen, das die Seiten in dieser Revolution wunderbar abbildet, darunter auch die Instrumentalisierung des Antisemitismus. Cover Hanser Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Ob jemand diesen Roman lesen kann, ohne bittere Wut zu empfinden? Jene bebende Wut, die aus dem Gefühl genährt wird, Ungerechtigkeit, Betrug und Verrat zu erleiden? Es mag seltsam erscheinen, wenn ein Leser aus dem – noch – ruhigen, demokratischen Deutschland so fühlt, wo es doch um den »Arabischen Frühling« in der ägyptischen Ausprägung geht.

Doch ist es für mich nur folgerichtig, denn mit dem Flammenmeer an Erhebungen in der arabischen Welt verbanden sich Hoffnungen. Keine allzu großen, zu oft schon war ich ferner Zeitzeuge, wenn irgendwo das Banner der Hoffnung wehte und alsbald in den Dreck fiel; oder gar der Sieg errungen zu sein schien und das Übel wieder aus verborgenen Löchern kroch.

Die Republik der Träumer ist in einem mitreißenden und zugleich oft nüchternen Tonfall verfasst. Alaa Al-Aswani hat äußerst geschickt ein vielfältiges Personenensemble zusammengestellt und in die aufgeheizte Lage vor der Revolution geschickt. Vom Geheimdienstchef über einen Ingenieur und Ex-Sozialisten bis hin zu den Studenten reicht die Palette, fast jeder mit seinen Widersprüchen, Sehnsüchten, Bedürfnissen und den daraus resultierenden Ängsten.

Ein Graben verläuft zwischen Alt und Jung. Die Älteren in diesem Roman sind zumeist etabliert, sei es in einem Leben geprägt von Reichtum und Macht, sei es in saturierter Armut und den Hoffnungen für den Nachwuchs. Die Jüngeren hingegen sind die Triebfeder des Aufruhrs, der Unruhe, oder sie lassen sich davon anstecken und mitreißen. Aber – die Fronten sind durchlässig.

Die Etablierten, vom autoritären Staat Hosni Mubaraks gepuderten Teilhaber an Ägyptens Reichtümern umgibt ein ganzer Strauß an Heuchelei, Bigotterie und Verlogenheit, mit der sie ihre Privilegien verteidigen. Die hilfreichen Lügen, Phrasen und haltlosen Plattitüden werden offen geäußert, Al-Aswani kontrastiert sie geschickt mit den Motiven der Jüngeren; er muss nicht kommentieren, es spricht alles für sich.

Der Leser findet bald seinen Platz in dem Spektakel, das gemächlich in Gang kommt, fast unmerklich hereinbricht und – wie so viele Revolutionen – fast aus dem Nichts zu kommen scheint. Was den Roman zu einem wirklich großen macht, ist die kunstvolle Gestaltung der mächtigen, klugen und geschickt handelnden Revolutionsgegner, was immens unangenehm ist, sich aber wohltuend vom naiven Hollywood-Film oder utopischen Bullerbüs á la Pantopia abhebt.

Jeder weiß,  wie „es“ ausgegangen ist, wie der »Arabische Frühling« zermalmt, zerredet und im Nachhinein  als naseweiser Revolutionsversuch dargestellt wurde, doch das „Wie“ hat in Die Republik der Träumer eine laute, mitreißende, hochspannende und aufwühlende Stimme erhalten. Apropos Stimme: Ich habe den Roman als Hörbuch gehört, Thorben Kessler liest großartig!

Ganz wunderbar passt dieser Roman zu der Revolution von 1848/49, die sich zum 175. Mal jährt, insbesondere in der europäischen Perspektive. Kein Geringerer als der weltbekannte Historiker Christopher Clark hat in seiner Monographie Frühling der Revolution explizit eine Brücke zum »Arabischen Frühling« geschlagen!

Alaa Al-Aswani: Die Republik der Träumer
Aus dem Arabischen von Markus Lemke
Hanser Verlag 2021
Fester Einband 464 Seiten
ISBN 978-3-446-26749-7

Don Winslow: Frankie Machine

Politthriller sind das Kerngeschäft des US-Autors Don Winslow. Man hat immer das Gefühl, er weiß, wovon er schreibt. Cover Droemer, Bild mit Canva erstellt.

Ab und zu gönne ich mir ein Buch zum Schmökern. Gönnen heißt nicht, dass ich sonst wie ein Galeerensklave durch die Seitenmeere anstrengender Literatur rudere, sondern ganz bewusst meinen Kopf mit etwas Action und Unterhaltung fülle. Don Winslow ist immer eine gute Wahl, seine Bücher bieten Thrill und eben auch etwas mehr.

Bei diesem Thriller hat mich zunächst der Titel abgeschreckt, der – bei allem Respekt – ein wenig billig klingt. Im Original heißt er The Winter of Frankie Machine, das klingt besser. Insbesondere, weil die Handlung den Leser nach San Diego versetzt und man die endlosen Strände der amerikanischen Westküste eher nicht mit Winter zusammenbringt.

Nun steht Winter aber auch für das letzte Lebensviertel eines Menschen, jene Zeit, die oft Ruhestand genannt wird. Frank Macchiano ist das nur in einer Hinsicht, nämlich als Profikiller des Organisierten Verbrechens. Jenseits davon halten ihn vier Jobs, zwei Frauen und eine Tochter auf Trab.

Winslow breitet das Leben von Frankie gemächlich vor den Augen des Lesers aus, ehe er dieses aus den Fugen geraten lässt. Wie und warum das geschieht, enthüllt der Autor peu á peu genussvoll in Rückblenden, während eine gnadenlose Jagd entfesselt wird. Verrat, üble und überraschende Wendungen machen das Buch zum Pageturner, was mich besonders fesselt, ist das nie nachlassende Gefühl, dass Winslow sehr genau weiß, wovon er schreibt.

Don Winslow: Frankie Machine
Aus dem amerikanischen Englisch von Chris Hirte
Droemer 2018
TB 384 Seiten
ISBN: 978-3-426-30659-8

John Buchan: Der Übermensch

Ein Klassiker im Wortsinne. Spannend. Atmosphärisch. Originell. Cover Elsinor, Bild mit Canva erstellt.

Zum Zeitpunkt dieser Buchbesprechung ist John Buchans Roman Der Übermensch einhundertzehn Jahre alt, beinahe so betagt wie Bilbo Beutlin zu Beginn von Der Herr der Ringe. Ein staunenswerter Schatz für Thriller-Leser, die schnell von der Atmosphäre und der spannenden Geschichte erfasst und bis zu ihrem Ende nicht mehr losgelassen werden. Man entdeckt so viel Vertrautes aus aktuellen Polit- und Spionagethrillern!

Selbstverständlich schlägt sich die Entstehungszeit in vielfältiger Weise in der Handlung nieder. Da wäre die Hauptperson, Edward Leithen, ein Angehöriger der britischen Oberschicht, die er in gewisser Hinsicht fast klischeehaft personifiziert. In seinem natürlichen Habitat London ist er als Anwalt und Parlamentarier tätig, sehr gut vernetzt, nicht nur durch die Mitgliedschaft in einem Club.

Eine Männerwelt, die einiges an Staub angesetzt hat; Frauen spielen in diesem Roman fast gar keine Rolle, von Ethel als züchtige Ehefrau eines Freundes abgesehen, die ihre Klugheit in Leithens Augen dadurch unter Beweis stellt, dass sie tut, was er ihr sagt. Dieser Roman besitzt aber auch wegen seines Alters eine Menge Charme, was nicht zuletzt an der – leicht gestelzten – Schilderung der Stadt liegt, aber auch an originellen Grenzüberschreitungen.

Die Aussicht auf eine Reise stieg bei ihm immer zu Kopfe wie Wein.

John Buchan: Der Übermensch

Die Hauptfigur gehört den Konservativen an, sein bester Freund Tommy ist Labour-Abgeordneter; auch ein wichtiger Unterstützer Leithens bei seinen Abenteuern, ein gewisser Chapman, gehört zur Labour-Fraktion. Der Ich-Erzähler macht sich über die Zweiwelten-Beziehung beider Parteien lustig: Öffentlich beharke man sich wie die Kesselflicker, privat pflege man freundschaftliche Beziehungen.

Leithens Freund Tommy  gerät in die Bredouille und bringt durch seinen leichtfertigen Aktivismus das Unheil und damit die Handlung in Gang. Ein Freund von ihm, Pitt-Heron, hat London und England geradezu fluchtartig verlassen, er scheint mit ebenso anrüchigen wie gefährlichen Kreisen kooperiert zu haben, die ihm nach Leib und Leben trachten.

Es entspinnt sich ein Spiel, das den Leser augenblicklich in Bann zieht. Leithen bleibt in London, während der Action-Teil des Romans in der Ferne, Russland, Buchara, stattfindet;  Hauptfigur und Leser werden nur durch kurze Nachrichten, etwa Telegramme, über den Fortgang der Jagd bruchstückhaft informiert. Leithen versucht, die Entwicklung durch logische Überlegungen zu konstruieren und sein eigenes Vorgehen darauf abzustimmen.

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Sie einen ungewöhnlichen Namen nur einmal zu hören brauchen, uns Sie werden ihm dann eine Zeitlang immer wieder begegnen?

John Buchan: Der Übermensch

Auf den ersten Blick sind es Zufälle, die Leithen voranbringen. Begegnungen, Beziehungen, Gespräche und die Rückschlüsse, die von der Hauptfigur gezogen werden – in Wirklichkeit fallen sie dem Spurensucher wegen seiner Hatz nach Zusammenhängen zu. Nur die Begegnung mit dem Erzbösewicht geschieht durch ein mittlerweile klassisches Motiv aus der Welt des Zufalls: Eine Automobilpanne zwingt Leithen zur Übernachtung in einem Landhaus.

Buchan gibt dem Widersacher, der als solcher offen agiert und gar nicht erst enttarnt werden muss, eine Stimme und die Möglichkeit, Leithen und Leser sein Weltbild (und damit die Ursache der ganzen Probleme) vorzuführen. Dabei geht der Autor geschickter vor, als viele moderne Thriller-Autoren oder Bond-Verfilmer, die den »Was bin ich doch genial«-Monolog vor der Showdown-Acitionszene deplatzieren.

Der Herr einer ziemlich nebulösen Geheimorganisation namens »Kraftwerk« (The Power-House, wie der englische Originaltitel lautet) lässt sich gegenüber seinem Gast in einer schaurig-gemütlichen Kaminzimmer-Düsternis darüber aus, dass man sich der Illusion hingäbe, die Zivilisation sei geschützt; diese Schein-Ordnung basiere aber auf Mittelmäßigkeit, einer Regierung voller zweitrangiger Figuren. Ein entschlossenes Genie werde das System umstoßen.

Haben Sie jemals darüber nachgedacht, wie brüchig diese Zivilisation eigentlich ist, auf die wir alle so stolz sind?

John Buchan: Der Übermensch

Damit bekommt der Gegner Leithens eine monströse Gestalt, weil er ebensolche Ziele verfolgt. Die Handlung touchiert ein wesentliches Motiv, das in variierender Form mehr oder weniger alle Politthriller bis in die Gegenwart berühren: Der dünne, verletzliche Firnis der Zivilisation, die 1913 natürlich ein etwas anderes Gesicht hat als 2023.

Nach dieser Begegnung nimmt der Roman Fahrt auf. Das sommerlich-leichtfüßige London wird für den Protagonisten zu einem Ort der Bedrohung, denn das »Kraftwerk«  ist ein kampfkräftiger, skrupelloser und mächtiger Gegner. Genretypisch gerät der Held in lebensbedrohliche Situationen, wird auf eine wunderbar dramatische Weise durch Londons Straßen gehetzt, während er versucht, seinen Häschern zu entkommen.

Der Übermensch von John Buchan ist sehr lesenswert für alle, die Polit- und Spionage-Thriller mögen. Natürlich atmet der Erzählstil noch das 19. Jahrhundert, für mich war es aber angenehm, einen klassisch erzählten Roman zu lesen. Nach dem Ende wartet noch ein ausführliches Nachwort von Martin Compart, das sehr informativ ist und den Leser die Bedeutung des Romans für das Genre vor Augen führt.

Ebenfalls in der Reihe erschienen & besprochen:
Fearing, Kenneth: Die große Uhr.
A.D.G.: Die Nacht der kranken Hunde.
John Mair: Es gibt keine Wiederkehr.
Derek Marlowe: Ein Dandy in Aspik.

John Buchan: Der Übermensch
aus dem Englischen von Jakob Vandenberg
Elsinor Verlag 2022
Broschiert 160 Seiten
ISBN: 978-3-942788-67-0

[Rezensionsexemplar, daher Werbung]

« Ältere Beiträge

© 2024 Alexander Preuße

Theme von Anders NorénHoch ↑

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner