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Alexander Demandt: Diokletian

Die Biographie über einen Kaiser in Zeiten größter Not für das Römische Reich. Cover C.H.Beck, Bild mit Canva erstellt.

Das dritte Jahrhundert nach Christus gilt als Zeit einer tiefgreifenden, ja existenzbedrohenden Krise des Römischen Imperiums. Lange Kriege im Osten, weitreichende Überfälle und Raubzüge germanischer Völker auf Reichsterritorien, Bürgerkrieg wegen zahlloser Kaiser und Gegenkaiser in wenigen Jahren, Sonderreiche und Usurpatoren – die Bedrohungen waren umfänglich. 

Diokletian gilt als jener Kaiser, dem es gelang, die Krise halbwegs zu bändigen. Vor allem aber verfolgte er eine Politik, die möglicherweise das Zeug hätte haben können, dem Reich ein stabileres Fundament zu geben. Die Tetrarchie, die geplante Herrschaft mehrerer Männer, wäre vielleicht ein Weg gewesen, dem Elend blutiger Bürgerkriege im Innern ein Ende zu setzen.

Meine Erwartung an die Biographie ist durchaus gewesen, in dieser Hinsicht mehr zu erfahren. Das leistet Alexander Demandts Diokletian bedauerlicherweise nicht. Der Autor setzt auf eine paraphrasierende Nacherzählung dessen, was die Überlieferung hergibt. Die Quellenlage wird beleuchtet, sie ist dünn, das setzt selbstverständlich Erkenntnisgrenzen; dennoch wäre ein wenig übergreifende Interpretation wohltuend gewesen.

Demandts Vorgehensweise liefert aber eine Menge interessanter Detailinformationen, darunter einige Perlen. Etwa die »Usurpation aus Notwehr« durch Carausius, der sich in zeitüblicher Weise von seinem Heer zum Kaiser erheben ließ, allerdings aus einem besonderen Grund: Ihm hing ein Todesurteil durch Verleumdung an. Carausius unternahm die Flucht nach vorn, zog nach Britannien und etablierte sich dort als Herrscher.

Interessant sind auch einige der vielfältigen Rechtsentscheidungen Diokletians. Es gilt als Binsenweisheit, dass Urteile und Gesetze einen Fingerzeig auf Missstände darstellen, weil es sie sonst nicht gäbe. Wenn also Inzest explizit  verboten wird, kann man davon ausgehen, dass es in der historischen Wirklichkeit beachtlichen Raum einnahm.

Nicht verboten war Inzest in Persien und Ägypten unter den Ptolemäern. Wenn Demandt von einer »Kulturkonstante« spricht, bleibt die Frage, ob diese beiden Gesellschaften von Kultur ausgeschlossen sind?

Überhaupt enthält die Schrift fragwürdige Wertungen. Den von Demandt bekräftigten Sittlichkeitsdrang der Spätantike mag man mit Blick auf das Christentum als Leitidee mancher Kreise noch nachvollziehen, doch sein Postulat, Diokletian hätte eine Rückkehr zu altrömischer Zucht angestrebt, befremdet. Dieser Begriff dürfte doch eher Ausgeburt einer phantasierten Vergangenheit sein; vor allem stellt sich die Frage, was Zucht überhaupt sein soll, ob das ein Wert an sich ist und einen relevanten Beitrag zur Überwindung der existentiellen Krise Roms hätte leisten können.

Der Leser bleibt am Ende bezüglich der großen Fragen recht ratlos zurück. Diokletians Idee, das Reich durch eine Tetrarchie zu stabilisieren, ist zweifelsfrei positiv zu werten. Doch warum funktionierte sie nicht? Lag es allein an Constantin und seinem Machtdrang? Oder einer generellen Machtsucht der Eliten? Ist Rom bezüglich seiner Sozialstruktur zum Untergang verdammt gewesen? Warum dauerte es dann so lange, bis das Reich zumindest im Westteil tatsächlich zerbrach?

Insgesamt wirkt die Biographie über Diokletian ein wenig aus der Zeit gefallen. Trotz aller Detailfülle und dem Reichtum an Informationen sowie dem sicherlich verdienstvollen Einblick in die dünne Quellenlage bietet das Buch zu wenig für den Leser zu Beginn des 21. Jahrhunderts, dazu fehlen die übergreifenden Gedanken und Ideen, während gleichzeitig viele mittelbare und unmittelbare Wertungen unzeitgemäß wirken.

[Rezensionsexemplar]

Alexander Demandt: Diokletian
C.H.Beck 2022
Gebunden 434 Seiten
ISBN: 978-3-40678731-7

2 Kommentare

  1. Jürgen - Rat Krespel

    Vielleicht liegt es daran, dass Alexander Demandt aus einer Generation von Historikern kommt, in der es angemessener schien, aus den vorhanden Quellen möglichst viel zu erschließen und auch zu vermuten, als klar die Grenzen aufzuzeigen, unterschiedliche Deutungen zuzulassen… Und der strukturgeschichtliche Ansatz ist, wenn ich Deine Rezension lese, wohl bei Demandt auch eher nicht gegeben. Schade…

    • Alexander Preuße

      Das trifft es sehr gut; Demandts Biographie ist extrem verkürzt und umgeht wirklich alles, was nicht direkt zur Biographie Diokletians passt. Ich war wie vor den Kopf gestoßen, dass andere Ansätze, wie sie in modernen Biographien mittlerweile Usus sind, einfach ignoriert werden. In der Tat: schade!

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