Das also sind sie: Zehn Bücher, die mich in diesem Jahr besonders beeindruckt haben. Zwei Sachbücher, acht Romane. Eine Auswahl zu treffen, fällt immer schwer, sie fühlt sich ungerecht an und ist selbstverständlich sehr subjektiv. Die Zahl von zehn ist mehr oder weniger zufällig – ungefähr so, wie es die in Steintafeln geritzte Lebensrichtlinien sind, die ein Bärtiger vom Berge trug und an die sich keiner hält.

Mir haben in diesem Jahr viele Bücher gefallen, ich habe ihre Lektüre oder das Hören als großartig empfunden, eine Reihe von grandiosen Titeln mit großem Unterhaltungswert sind unter den Tisch gefallen; aber diese hier, die haben es mir wirklich angetan.

Eines der ausgewählten Werke hat mich und meine Arbeit als Schriftsteller und Lektor besonders beeinflusst und nachhaltig verändert: The Anatomy of Story von John Truby. Dazu habe ich eine Rezension verfasst, die erklärt, warum das so ist. Ein anderes Buch hing mir ungewöhnlich lange nach, beschäftigte meine Gedanken und hat mich beim Verfassen einer Buchvorstellung an die Grenze meiner Möglichkeiten getrieben: Der Schlachtenmaler von Arturo Perez-Reverte.

Zwei Bücher haben den Prix Goncourt gewonnen: Weine nicht von Lydie Salvayre und Die Anomalie von Hervé Le Tellier. Bislang hat mich noch kein einziges Buch enttäuscht, dass mit diesem Preis ausgezeichnet worden ist. 2021 habe ich mit Wir sehen uns dort oben von Pierre Lemaitre noch ein drittes gelesen, das ganz knapp daran gescheitert ist, in die Top-Ten übernommen zu werden.

Salvayres Roman ist ein ungewöhlicher Zugang zu einem schweren Thema, dem Spanischen Bürgerkrieg, der nachgerade federleicht gelungen ist. Le Tellier ist dagegen eine messerscharfe Abrechnung mit der Gegenwart geglückt, verpackt in boshaften, bissigen Humor vor der Kulisse eines Science-Fiction-Szenarios mit Mystery-Anklängen. Beide Bücher sind auf ihre Weise wunderbar gelungen.

Ganz anders hingegen war Arbeit und Struktur von Wolfgang Herrndorf. Unfassbar bitter, denn der Leser schaut einem Schriftsteller beim Sterben zu, während er auf dem Literaturmarkt den Durchbruch erzielt. Der Blog Herrndorfs ist für die schreibende Zunft ein kleines Schatzkästchen, denn er verdeutlicht so treffend so viele Dinge, die das Autorendasein ausmachen. Nicht umsonst habe ich in meinem Lektorats-Bereich einen Satz daraus zitiert.

Ganz und gar ungewöhnlich ist Der Reisende von Ulrich Alexander Boschwitz. Lange vergessen, nach vielen Jahrzehnten endlich erschienen – der Roman eines Exilanten, den die Nazis zum Juden gemacht haben. Die Irrfahrt mit tragischem Ende ist aus unmittelbarer Anschauung und zeitlicher Nähe verfasst – auf einem sprachlich großartigem Niveau.

Das kann man auch von Der Distelfink von Donna Tartt und Grand Hotel Europa von Ilja Leonard Pfeijffer sagen. Ungeheurer Reichtum an atemberaubenden Sprachbildern, dankenswerterweise durch die glanzvollen Übersetzungen auch im Deutschen zu genießen, gehen Hand in Hand mit niveauvollen Erzählungen. Pfeijffer zielt in seinem Roman etwas fokussierter auf soziale, politische und gesellschaftliche Bereiche, was bei Tartt eher mittelbar geschieht. Zwei Meisterwerke!

Guatemala ist ein kleines Land und trotzdem die Keimzelle für grenzenloses Unheil, wie der Roman Harte Jahre von Mario Vargas Llosa auf wunderbare, spannende und in gewisser Hinsicht brutal nüchterne Weise zeigt.

Und schließlich das Sachbuch: Das Unvollendete Weltreich von John Darwin. Es räumt mit ungeheuer vielen unsinnigen Ansichten über das Britische Empire auf, die sich seit Jahrzehnten unverdrossen halten. Im Nachhinein hineingedacht und -geredet wurden viele zufällige, chaotische, ungeplante und sogar gegensätzliche Ereignisse in ein entstellendes Muster gepresst, das die historische Wirklichkeit völlig deformiert hat. Mit weitreichenden Folgen, denn nicht zuletzt der Brexit fußt auf diesem Nonsens.