Das Jahr 2023 hat spektakuläre Leseerlebnisse gebracht, hier sind die zehn Top-Titel – es war keine leichte Entscheidung, da unter den vielen Titeln des gerade verfließenden Jahres ungeheuer viele großartige, interessante, bewegende, hochspannende, empörende, weltsichtsprengende Bücher gewesen sind.

Nach langem Selbstgespräch habe ich mich für nachfolgende zehn Bücher entschieden, die mir in meinem Lesejahr 2023 am besten gefallen haben. Sechs Romane und vier Sachbücher stehen auf der Liste. Historisch-politisch geht es zu, wie man unschwer erkennen kann. Das ist auch jener Bereich, in dem ich mich als Leser und Schreibender tummele.

Der verfluchte Krieg Russlands gegen die Ukraine, der nun bald in sein drittes Jahr geht, hat in meiner Lektüreliste tiefe Spuren hinterlassen: Tagebücher und Berichte aus der Ukraine, politische Analysen zum und über den Krieg habe ich einige in 2023 gelesen und unter dem Begriff »Ukrainelesen« zusammengefasst; das Schlagwort »Tagebuch« ist neu hinzugekommen, wer auf die Schlagworte klickt, bekommt einige Anregungen.

Kurioserweise gehört das Tagebuch von Hermann Stresau zu den am häufigsten aufgerufenen Besprechungen, obwohl es sich um die Zeit aus den Jahren des Zweiten Weltkrieges handelt. Es gibt Parallelen zur Gegenwart, ganz profane, wie der Umgang mit Luftalarm, der – damals wie heute – irgendwann ignoriert wird.

Stefan Hertmans: Der Aufgang.*
Die Geschichte eines Kollaborateurs, brillant in eine ungewöhnliche Form gebracht.

Steffen Kopetzky: Damenopfer.*
Hervorragender Roman um Larissa Reissner.

Serhij Zhadan: Internat.
Eine Reise in die Apokalypse des seit 2014 im Osten der Ukraine schwärenden Kriegs.

Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg.*
Genialer Historischer Roman um Spartakus, der die ganz großen Fragen stellt.

Javier Marías: Dein Gesicht morgen.
Ein Roman, der das Prädikat episch wahrlich verdient.

Andreas Fischer: Die Königin von Troisdorf.
Die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit findet eine hervorragende Form.

Christopher Clark: Frühling der Revolution.*
Außergewöhnliche Darstellung der einzigen wahrhaft europäischen Revolution.

Neil Price: Die wahre Geschichte der Wikinger.
Endlich eine umfassende, verständliche und gedankenreiche Geschichte der Nordmannen.

Hermann Stresau: Als leben man nur unter Vorbehalt.*
Die Tagebücher aus dem Krieg lassen niemanden kalt.

»Alles ist teurer als ukrainisches Leben«*
Das wichtigste politische Buch des Jahres. Unbedingt lesen!

*Rezensionsexemplar

Zahltag

Ich werde hier nicht die Zahl der von mir im Jahr 2023 gelesenen Bücher nennen, das ist bedeutungslos. Dafür ein paar andere Zahlen. Am längsten habe ich für Dein Gesicht morgen benötigt – fast drei Monate ließ ich mich im Erzählstrom treiben, staunend, beobachtend, zuschauend, ein ganz besonderes Leseerlebnis.

Ganz oben in der Liste der am häufigsten aufgerufenen Beiträge im Jahr 2023 steht ein Buch, das mir gar nicht so besonders gefallen hat. Mohamed Mbougar Sarr: Die geheimste Geschichte der Menschen. Meine eher kritische Besprechung wurde mit großem Abstand am häufigsten aufgerufen.

Völlig überraschend ist das Tagebuch Als lebe man nur unter Vorbehalt* von Herrmann Stresau auf dem zweiten Platz gelandet, mit einem derartigen Interesse hätte ich nie gerechnet. Éric Vuillard ist mit Die Tagesordnung der dritte im Bunde, was sicher mit seinem neuesten, 2023 auf Deutsch erschienen Ein ehrenhafter Abgang* zusammenhängt.

Wie später ihre Kinder von Nicolas Mathieu ist und bleibt das Buch, dessen Besprechung seit Beginn dieses Blogs am häufigsten aufgerufen wurde. Bei den Seiten steht Piratenbrüder sowohl für das Jahr 2023 als auch insgesamt ganz oben. Kein Wunder, sind 2023 doch gleich drei Romane der Buchreihe erschienen (Eine neue Welt, Chatou, Doppelspiel), im kommenden Jahr folgen zwei weitere (Vinland, Totenschiff).

Neuheiten auf dem Blog

Die Zahl der Schlagworte, die ich verwende, ist 2023 kräftig gestiegen. Das liegt unter anderem daran, dass ich neue Formen besprochen habe: Tagebuch, Essay, Briefe, Biographie, Graphic-Novel wären zu nennen. Mein Blog hat sich damit ganz erheblich erweitert, da auch ganz ungewöhnliche und nicht recht zuzuordnende Bücher von mir besprochen wurden.

Ganz oben steht Maxim Znak mit seinem Zekamerone. Das sind Impressionen aus dem Knast in Belarus, wo der Autor aus politischen Gründen einsitzt. Oft ganz kleine Texte, auf Zettelchen hinausgeschmuggelt und dankenswerterweise von Suhrkamp veröffentlicht, gibt er jenen eine Stimme, die hierzulande einfach vergessen werden.

Neu ist auch das Schlagwort Nachkriegsstille. Das geht auf ein Zitat aus einem meiner liebsten Romane zurück. »Die Stille nach dem Krieg ist immer noch Krieg.« Das stammt aus Die französische Kunst des Krieges von Alexis Jenni und beschreibt ganz fabelhaft, dass Kriege nicht mit dem letzten Schuss enden, sondern lange nachwirken. Die Bücher, die mit diesem Schlagwort angesteuert werden, erzählen davon auf ganz unterschiedliche Weise.

Ein für mich ganz besonderes Schlagwort ist Zukunft von Gestern. Das ist nämlich der Titel eines Buches von Harry Mulisch, in dem sich der niederländische Autor mit einem Roman auseinandersetzt, den er nicht schreiben konnte. Der handelt in einer historisch-dystopischen Welt, in der Hitler-Deutschland den Zweiten Weltkrieg nicht verloren hat. 2023 habe ich einen ersten Roman aus diesem Bereich besprochen – leider insgesamt eine Enttäuschung. Doch werden weitere folgen, auch das Buch von Mulisch, vielleicht schon 2024.