Tausende Deutsche haben in Indochina gegen den Vietminh gekämpft. Während der amerikanische Vietnamkrieg gut dokumentiert und vielfach in Romanen und Filmen erzählt worden ist, gibt es recht wenig über den französischen, gar nicht zu reden von der deutschen Beteiligung.
Als ich ein Kind war und in einem kleinen Dorf lebte, ging über einen Außenseiter das Gerücht um, er wäre »bei der SS« gewesen und in »Indochina«. Ich wusste bereits, welcher Landstrich sich hinter dem Namen Indochina verbirgt und wo der weiteste Vormarsch der Wehrmacht endete – es musste also Nonsens sein, was man sich erzählte.
Letztlich ist es ein einziger Satz in dem Roman Der stille Amerikaner von Graham Green gewesen, der mich eines Besseren belehrte, mindestens zehn, vielleicht fünfzehn Jahre später. Der Erzähler ist in Indochina mit einem Boot an der Front unterwegs, man überquert ein Gewässer, jeden Augenblick in Gefahr, vom Vietminh attackiert zu werden. (In der hervorragenden Verfilmung mit Michael Caine bleibt dieses Motiv übrigens unerwähnt.)
»Ich hörte, wie hinter mir jemand mit feierlichem Ernst auf deutsch sagte »Gott sei dank«. Abgesehen vom Leutnant bestand fast die ganze Gruppe aus Deutschen.«
Graham Green: Der Stille Amerikaner
Es ist die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, Frankreich versucht, seine zwischenzeitlich von den Japanern besetzten Kolonien in Asien zurückzuerobern. Der Indochina-Krieg, der erste oder – wenn man die japanische Besatzung miteinrechnet – der zweite, in jedem Fall die verhängnisvolle Ouvertüre zum amerikanisch Vietnam-Desaster. Er wurde von französischen Truppen, der Kolonialarmee und der Fremdenlegion ausgefochten. In deren Reihen kämpften tausende Deutsche.
Es war also möglicherweise keine Lüge, die mir aufgetischt worden ist. Es wäre durchaus denkbar, dass dieser Mann während des Zweiten Weltkrieges bei der Waffen SS gedient und sich nach Kriegsende in der Fremdenlegion Frankreichs verdingt hat. Über die genaueren Umstände weiß ich mittlerweile einiges, wenn die Informationen auch unbefriedigend und unzureichend sind.
Ein für mich faszinierender Umstand, dass Kriegsgegner plötzlich Seite an Seite kämpften, fern von Europa, fern von der Heimat. Seither habe ich immer wieder Bücher gelesen, um ein Bild von jenen zu bekommen, die in der Fremdenlegion gekämpft haben. L´ennemie util – der nützliche Feind (Bericht im Der Spiegel), wie ein französisches Buch zu diesem Thema heißt.
Das Engagement von Deutschen in der Fremdenlegion ist auch insofern interessant, weil während des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Franzosen in den Reihen von Wehrmacht und Waffen-SS kämpften. Manche davon gehörten zu den letzten Verteidigern in Berlin 1945, es gehört zur Ironie von Geschichte, dass sie ausgerechnet am Belle-Alliance-Platz kämpften, jenem Ort, der an Napoleons finale Niederlage gedenkt.
Warum haben sie für den jeweils anderen gekämpft? Nicht nur die Franzosen für die Wehrmacht und die Deutschen für die Legion, sondern hunderttausende, ja Millionen Europäer? Was motiviert jemanden dazu, eine »fremde« Uniform anzuziehen und mit der Waffe in der Hand ins Feld zu ziehen?
Die Antworten sind vielfältig, absonderlich und klingen oft nach einer Ausrede – kann man ernsthaft in der Wehrmacht gedient haben und behaupten, man habe es für die Zukunft der eigenen Kinder getan? So hat es ein Veteran in der obigen Dokumentation geäußert. Vielleicht wollten einige auch schlicht etwas vom Kuchen abhaben, den die Wehrmacht erobert hatte; zu den Siegern gehören.
Sicher steckten in vielen Fällen auch ganz individuelle Gründe dahinter, etwa Abenteuerlust oder das Bedürfnis, aus engen Verhältnissen auszubrechen. Manchmal auch existenzielle, wenn etwa Ukrainer, Letten, Litauer usw. als Kriegsgefangene vor der Wahl standen, zu verhungern oder sich als Hiwi verdingen.
Und wie steht es mit den Deutschen in Indochina? Im Roman Die französische Kunst des Krieges von Alexis Jenni gibt es einen bezeichnenden Dialog.
»Aber was tun Sie eigentlich in Indochina?«
Alexis Jenni: Die französische Kunst des krieges
»Ich kämpfe wie Sie.«
»Aber Sie sind doch Deutscher.«
»Na und? Sie sind ebenso wenig Indochinese wie ich, soweit ich das beurteilen kann. Sie führen Krieg und ich führe Krieg. Kann man etwas anderes tun, wenn man nur das gelernt hat? […] Alle Leute, die ich in Deutschland kannte, sind in einer Nacht umgekommen. Die Orte, in denen ich gelebt habe, sind in derselben Nacht ausradiert worden. […]«
»Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, Sie seien ein unschuldiges Opfer des Krieges. Die größten Sauereien haben doch Sie begangen, oder etwa nicht?«
»Ich bin kein Opfer, Monsieur Salagnon. Deshalb bin ich in Indochina und nicht Buchhalter in einem wiederaufgebauten Büro in Frankfurt. Ich habe vor, mein Leben als Sieger zu beenden.«
Ein wenig Remarque, jene Generation, die nichts anderes als das Kämpfen gelernt hat und nicht in ein ziviles Leben zurückkehren kann, allerdings im Schatten von Holocaust und Vernichtungskrieg. Mit dem Sieg wurde es nichts, am Ende standen eine vernichtende Niederlage bei Dien Bien Phu, Kriegsgefangenschaft und Tod.
Die Deutschen in französischen Kriegsdiensten sind eine Art Echo auf die Franzosen in den Reihen von Wehrmacht und Wafen-SS, sie haben am Vernichtungskrieg mitgewirkt und – wie im Roman von Jenni zu lesen – ihre Erfahrungen in Indochina einfließen lassen: zum Beispiel bei brutalen Verhören. Die Franzosen haben davon gelernt, es adaptiert und selbst Hand angelegt, ihre eigene Version dieser »Kunst des Krieges« gepflegt.
Die Kunst des Krieges ändert sich nicht.
Alexis Jenni: Die französische Kunst des Krieges
Was ist eigentlich Indochina? Eine historisch-geographische Bezeichnung, die nur noch in der Erinnerung existiert, wie etwa Burgund, überlagert von nachfolgenden Ereignissen. In dem genialen Spielfilm Apokalypse Now wurden jene Szenen herausgeschnitten, in denen der Protagonist auf seiner Flussreise in den Irrsinn auf eine Enklave trifft, umnebelt von der Zeit, in der noch Kolonialfranzosen ausharren. In der Redux-Version kann man sie sich ansehen.
Ihr Schicksal ist überlagert von jenem, das danach folgte, jener amerikanische Krieg in Vietnam, als Indochina nicht mehr war, als ein historisches Gespenst auf der Flucht aus der Erinnerung. Immerhin wird der französische Indochinakrieg in manchen ausführlichen Dokumentationen noch erwähnt, ein Vorspiel, das aus französisch-kolonialer Sicht eher ein Nachspiel gewesen ist. Oder im Rahmen der blutigen Dekolonisation ein Auftakt.
Während es zahlreiche Bücher und Filme über den amerikanischen Vietnamkrieg gibt, sind die Erwähnungen des französischen rar, die deutsche Beteiligung daran noch rarer. Das ist vielleicht einer der Gründe dafür, warum mich der Roman Die französische Kunst des Krieges von Alexis Jenni so angesprochen hat, denn in diesem brillanten Roman ist das ein bemerkenswertes Motiv. Der Deutsche stirbt nach der Kesselschlacht von Dien Bien Phu in einem Gefangenenlager des Vietminh.
Jenni greift in seinem Roman aber weiter aus, die erzählten Linien jenes Teils, der von der Vergangenheit berichtet, reichen bis in den Zweiten Weltkrieg, als Frankreich besetzt war; in Indochina war es wiederum der Besatzer, wie auch in Algerien, dem Schlussakt jenes zwanzig Jahre währenden Krieges, in den Frankreich verwickelt war, ehe es sich geschlagen, gedemütigt und mit Schuld beladen zurückgezogen hat.
Graham Green: Der stille Amerikaner. dtv 240 Seiten.
ISBN: 978-3-423-13129-2
Karl Marlantes: Matterhorn. Heyne Verlag 672 Seiten.
ISBN: 978-3-045-367657-2
Alexis Jenni: Die französische Kunst des Krieges. Luchterhand HC 768 Seiten.
ISBN: 978-3 442-74770-2
Pierre Thoumelin: L´ennemi utile. Schneider. 2020
ISBN: 978-1-527-27103-6
Der stille Amerikaner. Regie Phillip Noyce. 2002
Apocalypse Now: Regie Francis Ford Coppola. 1979.
The Vietnam War. Regie Ken Burns und Lynn Novick. 2017.
Sehr interessantes Thema. Hab davon schon verschiedentlich gelesen.
Besten Dank.
Gern.