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Giuliano Da Empoli: Die Stunde der Raubtiere

Nach der Lektüre fühlte ich mich, als wäre über mich eine Staffel Eurofighter im Tiefflug hinweggedonnert. Cover C.H.Beck, Bild mit Canva erstellt.

Zu Beginn seines Buches wählt Giuliano da Empoli das anschauliche Bild eines Epochenbruchs, der mehrere Jahrhunderte in Vergangenheit zurückliegt. Er schildert, wie die politische Elite des Aztekenreichs, Herrscher Moctezuma II. und seine Berater, auf die Kunde von der Ankunft der Spanier um Hernán Cortés reagierten. Zunächst betont da Empoli die Fremdheit der Ankömmlinge in der Wahrnehmungswelt der Azteken, ein zentrales Motiv. Es erschwert die Einschätzung, mit wem man es zu tun hat und welche Absichten die Fremden verfolgen.

Undurchdringliche Rüstungen, Feuerwaffen, Kampftaktik und Pferde ließen kaum einen Zweifel an deren technologischer Überlegenheit, dennoch wäre es laut da Empolis möglich gewesen, die wenigen Spanier in Meer zu werfen. Das Problem lag in der Einordnung der Fremden, die nur innehalb der eigenen Vorstellung, des Referenzrahmens geschehen konnte: Waren es Barbaren, Götter oder gar eine Verkörperung des eins vertriebenen Quetzalcóatl? Die Reaktion auf die Ankunft hing von der Beantwortung der Fragen ab. Angesichts der fehlenden Eindeutigkeit geschah – nichts.

In der Zwickmühle einander widersprechender Meinungen tat der Herrscher, was Politiker aller Zeiten in solchen Situationen tun: Er entschied, sich nicht zu entscheiden.

Giuliano Da Empoli: Die Stunde der Raubtiere

Das meint, Moctezuma entschied sich gegen den Krieg, um in das eigene Herrschaftsgebiet eindringenden Fremden zu vernichten, also gegen einen schmerzhaften und riskanten Schritt mit unwägbarem Ende. Stattdessen habe er Botschafter und Geschenke geschickt, ihnen jedoch den Zutritt zu seiner Hauptstatt verweigert. Am Ende dieser Zögerlichkeit habe er Krieg und Schande geerntet, »was in allen Zeiten aus dergleichen Zögerlichkeit hervorgeht.«

Diese Interpretation von Moctezumas Verhalten wird dem Aztekenherrscher möglicherweise nicht gerecht, folgt man neueren Forschungen, wie etwa Camilla Townsends Fünfte Sonne. Sie bestreitet die Vorherrschaft religiös motivierter gegenüber rationalen Einschätzungen, unterstreicht die technologische Unterlegenheit (»die Welt der Sumerer trifft auf die Renaissance«) bei gleichzeitiger Entschlossenheit der Eroberer und verweist auf die begrenzten Ressourcen des aztekischen Herrschaftsbereiches. Alles zusammengenommen machte einen militärischen Erfolg gegen die Spanier unwahrscheinlich. Trotzdem widerlegt das da Empolis Vergleich keineswegs, im Gegenteil.

Moderne Herrscher können sie nicht wie der von Da Empoli skizzierte Moctezuma auf Unwissen berufen. Sie wissen zum Beispiel in Bezug auf Wladimir Putin sehr genau, was auf sie zukommt; gleiches gilt für China. Auch die erodierende Wirkung der Sozialen Medien auf die Fundamente der Macht ist ihnen mittlerweile bekannt, sie ahnen, dass KI es nicht besser machen lässt. Trotzdem verweigern sie entschlossenes Handeln, obwohl sie – anders als der tragische Aztekenherrscher – eben nicht unterlegen sind bzw. im Falle der KI waren. Im Grunde genommen ist das Versagen also noch viel dramatischer als von Da Empoli für Moctezuma skizziert.

So oder so folgte der Ankunft der Spanier die Auslöschung der Azteken und anderer indigener Völker, die Versklavung von Millionen Menschen, die Ausbeutung südamerikanischer Silbervorkommen, womit endlose Kriege in Europa einschließlich der Abholzung ganzer Landstriche finanziert wurden. Darin liegt eine Botschaft von Die Stunde der Raubtiere, dass nämlich derartige Verheerungen auch durch die modernen Technologie-Konquistadoren verursacht werden. Wenn blöd läuft, eine globale Unterwerfung, vielleicht auch die Auslöschung der Menschheit.

Konfrontiert mit Blitz und Donner des Internets, der sozialen Netzwerke und der KI, unterwarfen sie [die Politiker A.P.]  sich in der Hoffnung, ein wenig Feenstaub werde auch auf sie niedergehen.

Giuliano Da Empoli: Die Stunde der Raubtiere

Da Empoli spricht in seiner sehr persönlichen Analyse von »Degradierungsritualen«, denen er in den vergangenen Jahrzehnten beigewohnt habe. Was er dann in wenigen Sätzen skizziert, ist niederschmetternd, denn es zitiert Bilder, dem jeder Leser von TV-Bildschirmen, aus dem Internet oder der Tagezeitung kennt. Nur unterfüttert er sie mit einer Auslegung, die sich diametral von den Medien unterscheidet; er beruft sich auf seine Erfahrung als politisch Aktiver, Berater und Beobachter. Da alles steht auf den ersten zweieinhalb Seiten. Dem Leser kann dabei schon apokalyptisch zumute werden.

Das Gefühl verstärkt sich während der Lektüre von Die Stunde der Raubtiere. Immer wieder greift der Autor auf historische Motive zurück, vor allem den Untergang der Republik von Florenz, aber auch auf die von Niccoló Macchiavelli beschriebenen Borgia. An deren Handlungsweisen spiegelt er moderne Machtergreifungs- und sicherungsstrategien, etwa die des Mohamed Ben Salman, einer »Figur, die ummittelbar Macchiavellis Werk entstiegen ist.«

Eine besondere Rolle bei den historischen und modernen »Borgianern« spielt die Aktion, die rasche, zielgerichtete und vor allem überraschende Handlung. Das Ziel, so Da Empoli, liegt in der »Schockstarre«, die auf eine Aktion folge. Damit bekommt der Beginn des Buches, die Betonung der Handlungsunfähigkeit und –unwilligkeit moderner Politiker ein noch viel stärkeres Gewicht. Hier wird ein wichtiger Grund für die mit den Händen zu greifende Wehrlosigkeit des gewohnten Politikbetriebes genannt.

Das Zeitfenster, in dem ein Regulierungssystem noch hätte eingerichtet werden können, hat sich heute wieder geschlossen.

Giuliano Da Empoli: Die Stunde der Raubtiere

Die Einschätzung ist dramatisch. Das Kind liegt im Brunnen und ertrinkt. Damit geht Da Empoli noch über Anne Applebaum oder Timothy Snyder hinaus, die solche Regulierungen als Gegenmaßnahmen empfohlen haben. Dafür ist es zu spät, die Macht der global agierenden Konzerne und die Ruchlosigkeit ihrer Schöpfer und Lenker zu groß; sie brauchen sich längst nicht mehr hinter vorgeschützter Harmlosigkeit zu verstecken.

Die Kapitel, in denen sich das Buch mit den US-Demokraten befasst, werden vielen links-progressiven Lesern übel aufstoßen. Wer aus diesen Kreisen hört schon gern, dass für die Borgianer der »Wokismus ein gefundenes Fressen [ist], der ideale Brennstoff, um ihre Chaosmaschinerie am Laufen zu halten.«? Anhand eines dramatischen Treffens anlässlich von Obamas Abschied aus dem Weißen Haus im November 2017 zeigt Da Empoli, welche Steilvorlagen aus diesem Bereich für die Trumpisten gegeben wurden und bis in die Gegenwart gegeben werden.

Dummerweise hülfe auch ein wenig mehr Klugheit möglicherweise nicht (mehr) weiter. Der für mich haarsträubendste Abschnitt befasst sich mit dem Putsch der Bolschewisten unter der Führung von Leo Trotzki im Herbst 1917. Alexander Kerenski, der die Macht in den Händen hielt, war laut Da Empoli weder schwach noch unfähig, obendrein entschlossen. Trotzdem fegten ihn eine Handvoll Bolschewisten hinweg, weil diese die überkommene Aufstands-Schlachtordnung umstürzten.

Der wahre Antizipationsroman über die KI ist Der Prozess von Kafka, in dem niemand versteht, was vor sich geht, weder der Angeklagte noch die Richter, die ihn anklagen, und doch nehmen die Ereignisse unaufhaltsam ihren Lauf.

Giuliano Da Empoli: Die Stunde der Raubtiere

Das Zitat müsste vielleicht noch durch Kafkas Das Schloss erweitert werden, auf das sich Da Empoli auch bezieht. Am Ende führt der Autor noch vor, wie die Neue Welt unter der digitalen Fuchtel aussieht. Nicht aussehen könnte, denn »für einige ist das Schloss bereits da«, beispielsweise die Zusteller. Oder das Örtchen Lieusaint in Frankreich, das bereits spürt, wie es ist, unter der Optimierungs-Zuchtrute einer KI zu leben. Der Brückenschlag macht aus der bis dahin bildgewaltigen, aber eher abstrakten, literarisch unterfütterten Darstellung schlagartig Alltagsrealität. Der Leser fühlt sich, als wäre eine Staffel Eurofighter im Tiefflug über ihn hinweggedonnert.

Ich bedanke mich für das Rezensionsexemplar, das mir freundlicherweise vom Verlag C.H. Beck zur Verfügung gestellt wurde.

Giuliano Da Empoli: Die Stunde der Raubtiere
Macht und Gewalt der neuen Fürsten
Aus dem Französischen von Michaela Meßner
C.H. Beck 2025
Klappenbroschur 128 Seiten
ISBN: 978-3-406-83821-7

Volker Kutscher: Westend

Der Schlussstein im weitläufigen Gebäude der Romane um den Berliner Polizisten Gereon Rath. Volker Kutscher wählt eine gelungene Form, Kat Menschik liefert stimmungsvolle Illustrationen. Cover Galiani, Bild mit Canva erstellt.

Lesen oder doch lieber nicht? Die Frage war für mich nicht so einfach zu klären, schließlich handelt es sich um einen knappen Folgeband einer umfangreichen und in mancher Hinsicht auch glanzvollen Buchreihe. Die Gefahr einer Enttäuschung oder Entzauberung ließ sich nicht ausschließen. Volker Kutscher hat mit Westend jedoch einen Joker ausgespielt, der über das schnöde Was-ist-mit-diesem-und-jener-passiert hinausgeht. Wer sich für die Schicksale interessiert, bekommt überraschende Antworten, auf eine spezifische Weise, denn am Ende ist eben nichts beendet und keineswegs alles geklärt. Und doch ist Westend tatschächlich Schlussstein der Gereon-Rath-Romane.

Rath, der Schlussband der zehnteiligen Buchreihe um Gereon Rath, hat einige Erzählfäden offengelassen. Mehr noch: Die letzten Seiten des Romans deuten ein außerordentliches Schicksal des Adoptivkindes von Gereon und Charlotte Rath, Friedrich Thormann, an, der in der schwarzen Uniform der SS eine riskante Form der Rache verfolgt. Dabei könnte man es belassen, eine Sequel-Reihe schreiben oder im Rahmen eines illustrierten Nachzöglings eben einige Schicksale im Mahlstrom der Apokalypse des Zweiten Weltkrieges skizzieren.

Volker Kutscher hat sich für letztere Variante entschieden und nach Moabit und Mitte mit Kat Meschik einen dritten Band ergänzend zu seiner Buchreihe verfasst. Westend führt in das Jahr 1973 und wählt eine überraschende Form des Erzählens: ein Interview, das auf Kassetten gespeichert wird. Ein Historiker befragt Rath, der – wie gewohnt nolens volens – Auskunft gibt; auf den ersten beiden Seiten erfährt der Leser von einer weiteren Person, die sich später hinzugesellt – Charlotte Böhm. Damit ist schon eine Menge verraten und ich werde an dieser Stelle nicht noch mehr vom Inhalt offenbaren.

Das waren die amerikanischen und britischen Bomber.

Volker Kutscher: Westend

Das bisher Gesagte ist keine große Hilfe bei der Beantwortung der Frage, ob man zu dem Buch greifen sollte oder nicht. Es gibt sehr gute Gründe, warum in Romanen nicht alles auserzählt wird. Im Falle Gereon Raths habe ich dennoch nach recht kurzer Bedenkzeit die Entscheidung getroffen, das Buch zu lesen. Neben der Neugier, was einige Protagonisten nach dem Ende des Romans Rath erlebten, lag der wichtigste Grund darin, dass eine meine anfängliche Hauptfrage, wie Rath sich im Vernichtungskrieg verhielte, ohnehin offenbleiben würde.

Gereon Rath ist 1899 geboren, Kriegsteilnehmer ohne Fronteinsatz und Polizist in den Jahren der Weimarer Republik. In den Romanen Kutschers tritt er als politisch ahnungsloser Zeitgenosse auf, ist korrupt und ein Meister des Lavierens. Als ich die ersten Romane der Reihe las, ist mir aufgegangen, hier dem Lebensweg eines jener „ganz normalen Männer“ (Browning) zu folgen, die ab 1941 in den berüchtigten Polizeibataillonen hinter der vorrückenden Wehrmacht auf dem Gebiet der “Bloodlands“ (Snyder) Millionen Juden erschossen. Ich war gespannt, wie der begnadete Lavierer in dieser totalen Situation reagieren würde.

Volker Kutscher hat seiner Romanfigur dieses Schicksal erspart. 1936 sollte die Buchreihe eigentlich enden, nach Olympia folgten noch zwei weitere Teile. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob das eine gute Idee war; Brüche waren schwer vermeidlich. Der Ausweg, den Berliner Teil der Erzählung auf die Schultern von Charlotte Rath zu legen, funktioniert, hatte aber den Nachteil, dass der Fokus von der ursprünglichen Hauptfigur abrückt. Das gilt nicht umsonst als schwierig, aus guten Gründen, wie die Romane Transatlantik und Rath zeigen. Die größte Stärke der Reihe, die Atmosphäre, prägt auch die beiden Schlussbände.

Das sollte nicht als verkappte Kritik verstanden werden, die beiden Schlussteile der Buchreihe sind und bleiben sehr gute Romane; sie erzählen mehr, als ursprünglich gedacht war, zugleich bleibt das, was mich ganz besonders interessierte, offen. Das war letztlich ausschlaggebend, mich für die Lektüre von Westend zu entscheiden. Hinzu kommt noch die Verfilmung der ersten Bände der Buchreihe, Babylon Berlin scheitert auf grelle Weise beim Versuch, die Romane zu übertrumpfen, indem es überzieht und in schwurbelndes Raunen abdriftet. Zugleich verweigert die Film-Serie den Schritt in die Nazizeit, lässt also noch mehr offen als die Buchvorlage. Die Geschichte von Gereon Rath ist also in meiner Rezeption auch noch multimedial verzerrt. Was kann da schon bei einem Epilog aus der Feder des Autors schiefgehen?

Ich weiß nicht, was du willst, Gereon Rath. Das, was du willst, und das, was du anrichtest, das waren schon immer zwei paar Schuhe.

Volker Kutscher: Westend

Die Lektüre von Westend macht großen Spaß, was nicht zuletzt an den stimmungsvollen und den Geist der 1970er Jahre atmenden Illustrationen von Kat Meschik liegt. Es gibt einige Kostbarkeiten zu entdecken, eine Reminiszenz für die Zeitgenossen, ein Museums-Oha für die Nachgeborenen. Es ist begrüßenswert, dass Kutscher die Form des Interviews bzw. Dialogs gewählt hat, auch in der Form ist der Bruch mit den Romanen vollzogen – aber eben nur in der Form. Gereon Rath jedenfalls handelt so, wie man ihn in den Romanen kennengelernt hat, mit den bekannten Folgen.

Inhaltlich hat es Westend in sich, es geht nicht zuletzt um das Erinnern, den verlogenen Mythos der Stunde Null, Lügen privater und staatlicher Natur, zwischen denen der Einzelne zerrieben wird oder aber trotz aller Schuld davonkommt. Das Leben ist nicht gerecht. Es scheint nur vorgezeichnet, insbesondere in Zeiten dramatischer Umbrüche geraten die Lebenswege rasch zu Achterbahnen, auf deren Lauf der Einzelne nur wenig oder gar keinen Einfluss hat. Für die Gegenwart des Lesers ist das wie eine Art Spiegel, denn die Brüche haben seit 2014 epochalen Charakter. Es ist daher vielleicht auch mehr als ein Zufall, dass die zehn Romanbände Volker Kutschers von einem anderen fundamentalen Bruch erzählen. Westend bildet in diesem Sinne tatsächlich einen gelungenen Schlussstein.

Rezensionsexemplar, für das ich mich gern beim Galiani Verlag bedanke.

Volker Kutscher: Westend
Illustriert von Kat Meschik
Galiani Berlin 2025
Gebunden 112 Seiten
ISBN: 978-3-86971-323-6

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Das Zitat soll zeigen, dass Militärgeschichte keineswegs auf Schlachten, Militärtechnik und Strategien beschränkt ist, sie ist vielmehr ein wichtiger Bestandteil der Allgemeingeschichte. Cover C.H.Beck, Bild mit Canva erstellt.

Einer Mammutaufgabe hat sich Stig Förster mit seiner Darstellung Deutsche Militärgeschichte verschrieben. So stehen ihm für den Zweiten Weltkrieg rund 180 Seiten zur Verfügung, bei anderen Darstellungen, wie etwa der mehrbändigen Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, sind es tausende. Es ist eine Herausforderung, die unübersichtliche Masse an Ereignissen und Entwicklungen zwischen 1939 und 1945 auf eine angemessene Weise zu komprimieren.

Förster weist im Vorwort darauf hin, dass er gerade beim Zweiten Weltkrieg die Darstellung straffen musste, um die Lesbarkeit seines immerhin fast 1.300 Seiten starken Buches zu erhalten. Seine Militärgeschichte sollte kein Handbuch und kein Lexikon werden, sondern eine lesbare Abhandlung für ein möglichst breites Publikum. Zu wichtig ist das Thema, um es im Regal verstauben zu lassen, die interessierte Öffentlichkeit sollte sich damit auseinandersetzen.

Das liegt keineswegs nur an Putins Angriff auf die Ukraine im Jahr 2014 und den vollumfänglichen Vernichtungskrieg Russlands seit 2022, sondern auch daran, dass Militärgeschichte integraler Bestandteil der allgemeinen Geschichte ist. Die vielfältigen Wechselwirkungen zu anderen Forschungsgebieten zeigen sich allein darin, wie viele Fachrichtungen Stig Förster in seiner Darstellung berücksichtigt hat. Schön, dass es keine Berührungsängste und Vorbehalte gab, so dass auch Genderstudies eingeflossen sind, wenn sie etwas zum Thema beitragen konnten.

Militärgeschichte ist zu wichtig, um sie als etwas Unappetitliches abzutun, das man Waffennarren und Lehrstuhlfeldherren überlassen kann.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Es gilt als Binsenweisheit, dass Militär und technologische Entwicklung Hand in Hand gehen. Die bemannte Raumfahrt etwa hat ihre Wurzeln im deutschen Raketenprogramm während des Zweiten Weltkrieges, der Erste Weltkrieg verpasste der Luftfahrt einen immensen Schub. Die Entwicklung wäre in beiden Fällen eher langsamer verlaufen. Zu Beginn der Frühen Neuzeit war das mangels institutioneller und intellektueller „Infrastruktur“ etwas anders, wie die ersten Kapitel des Buches zeigen. Hier liegt der Fokus auf der gesellschaftlichen Veränderung, die sich im Militärischen spiegelt; und auch umgekehrt.

Ansatzpunkt der Darstellung ist eine kleine Schlacht im August 1479 bei Guinegate. Förster entwickelt daran den Übergang vom mittelalterlichen Ritterheer zum komplexer strukturierten Heer mit Gewalthaufen, Handwaffenschützen, leichter Reiterei und Artillerie. Statt adeliger Kriegselite fochten nun einfache Leute, die allerdings langwierig und teuer ausgebildet werden mussten. Mein Eindruck ist, dass in diesem Zeitraum der technologische Fortschritt (Übergang zu Feuerwaffen) eher parallel zu dieser taktisch-gesellschaftlichen Entwicklung lief, ohne ihn in späterer Zeit wie ein Katalysator zu beschleunigen.

Dem frühneuzeitlichen Staat fehlten auf allen Ebenen die nötigen Mittel, um stehende Heere zu finanzieren. Kriegsunternehmer mit Söldnertruppen sprangen in die Bresche, mit vielfältigen, oft unerwünschten Folgen. Der Vergleich mit der Gegenwart (Wagner, Blackwater) drängt sich auf, wenngleich die Beweggründe für den Einsatz nichtstaatlicher Gewaltkräfte ganz andere sind. Die Nebenwirkungen sind es nicht: Kriegsverbrechen, Verheerungen, Staatsstreiche, Putschversuche.

Während der frühneuzeitliche Staat über Jahrhunderte bemüht war, mehr Kontrolle zu erlangen, scheint sich die Entwicklung umzukehren. Warum ist das so? In diesem Fall kommt man aber um die seit mehreren Jahrzehnten propagierte Ideologie des Neo-Liberalismus als Erklärung nicht herum. Sinkende staatliche Budgets lassen sich durch Schattenhaushalte, verdeckte (Privat-)Armeen, die sich – wie bei Wagner in Afrika – selbst finanzieren, ausgleichen; oder durch einen aus geopolitischer Naivität gewebten Schleier namens „Friedensdividende“.

Bei der Besprechung eines inhaltlich weit gespannten Werkes wie Deutsche Militärgeschichte über einen Zeitraum von fünfhundert Jahren läuft man Gefahr, sich in Allgemeinplätzen zu verlieren. Eine davon wäre, dass ein solches Vorhaben zwangsläufig Verkürzungen gegenüber Detail-Darstellungen mit sich bringt. Daher fokussiere ich mich auf einen recht kleinen Ausschnitt, um zu zeigen, wie im vorliegenden Fall mit der Notwendigkeit zur Verkürzung umgegangen wird.

Grundsätzlich bietet ein Längsschnitt durch die Zeit den Vorzug, dass bemerkenswerte Parallelen auffallen. Die Rückkehr der Söldner ist nur ein Beispiel. Dieses Sujet ist eng verbunden mit der Person des Kriegsunternehmers, der in unserer Gegenwart ebenfalls wieder auftaucht. Für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges wird das Phänomen geradezu personifiziert durch Albrecht von Wallenstein.

Wallenstein war zweifellos der größte Kriegsunternehmer des Dreißigjährigen Krieges und vielleicht sogar aller Zeiten.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Das Zitat zeigt, worauf Stig Förster bei Albrecht von Wallenstein in Deutsche Militärgeschichte den Fokus legt. Ein Kriegsunternehmer, der das im Dreißigjährigen Krieg vorherrschende Prinzip der „Kriegsfinanzierung durch organisierten Raub“ perfektionierte. Der rudimentär ausgebildete Staat konnte und wollte die Truppen nicht auf andere, heute vertraute Weise bezahlen. Es herrschte also eine (zwangsweise) Interessenidentität zwischen Kriegsunternehmer und Herrschenden.

Außerdem fehlte wegen unterentwickelter Strukturen eine Alternative. Kriegsunternehmer wie Albrecht von Wallenstein, Ernst von Mansfeld, Christian von Halberstadt und Bernhard von Weimar kamen also nicht aus dem Nichts, wendeten sich dem Feld auch nicht nur aus Ruhmsucht, Bereicherungsstreben oder gar persönlicher Niedertracht zu. Wallenstein erscheint auch in anderen Zusammenhängen: Diplomat; Bauherr; Bildungsmäzen; Herrscher, nicht zuletzt begnadeter Organisator und Feldherr.

Auch Stig Förster weist darauf hin, dass Wallenstein die den kaiserlichen und spanischen Truppen überlegene Schlachttaktik der Schweden durch den Wechsel auf eine andere, weniger anfällige taktische Vorgehensweise konterte, Gustav II. Adolfs Siegeszug bei Nürnberg stoppte und den Schwedenkönig zum Rückzug zwang. Mit Wallenstein verbindet sich obendrein der einzige tragfähige Friedensschluss (mit Dänemark) zwischen 1618 und 1648. Seine Selbstbereicherung war flankiert von modern anmutenden Infrastrukturmaßnahmen (über Kriegsgüter hinaus) in den erworbenen Landen, jener sprichwörtlichen Terra Felix. Die Ermordung kam einer Universitätsgründung zuvor.

Auffallend war, dass die Kriegsherren (Kaiser, Könige und Fürsten) und deren Regierungen zunehmend bestrebt waren, die teuren, schwer kontrollierbaren, eigenmächtigen und oft auch korrupten Kriegsunternehmer, die so viel Schaden anrichteten, auszuschalten.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Wallenstein war selbst Fürst, Herzog und Landesherr, im Kreis dieser Reichselite aber ein Homo Novus mit nicht allzu weit in die Vergangenheit reichenden familiären Wurzeln. Er war dank seiner Nähe zum Kaiser aufgestiegen, hatte sich unentbehrlich gemacht und versuchte sich im Kreis der Hochgestellten zu etablieren. Er „verstaatlichte“ sich in gewisser Hinsicht und wurde (zu) mächtig. Insofern spricht einiges für das Diktum, nicht Wallenstein sei ermordet worden, sondern der Herzog von Friedland.

Dennoch ist der Fokus auf den Kriegsunternehmer eine notwendige und richtige Verkürzung im Rahmen der Darstellung Deutsche Militärgeschichte. Dort geht es um die spezifische Form der Kriegführung und ihre verheerenden Auswirkungen auf Land und Leute. Wallenstein war ja tatsächlich auch Kriegsunternehmer und an den Verheerungen zum eigenen Vorteil abseits der eigenen Länder beteiligt. In den Gebieten der Gegner wüteten auch seine Heere, herumziehende Todeskolonnen mit Truppe, Tross und Schattentross, Plagen in biblischem Ausmaß.

Darauf liegt bei Försters Darstellung des Dreißigjährigen Krieges der Fokus, deshalb ist es – trotz der gezeigten Verkürzungen – notwendig und richtig, die Darstellung einer Person wie Wallenstein auf ihren Anteil am fürchterlichen Geschehen zu fokussieren. Nur so gelingt das Vorhaben, das Militärische in den gesellschaftlichen Rahmen einzubetten und die dramatischen Wechselwirkungen aufzuzeigen. Für den Leser wird erfahrbar, dass Militärgeschichte “immer in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gehört, der die Abläufe wesentlich beeinflusst.“

Die Vorgehensweise kann gar nicht genug gelobt werden. Sie führt auch zu manchen Glanzpunkten in der Darstellung. Dank der Internationalisierung des Krieges, die zu Vielvölker-Truppen führten, wurden spezifische Formen der Kriegführung importiert. Vom Balkan, wo Habsburg und die Osmanen grausamste Kriege führten, kamen die „Kroaten“ zu den kaiserlichen Kriegsvölkern, die gefürchtet waren, weil sie die Unbarmherzigkeit der Gefechte gegen die Osmanen an der Balkangrenze auf den mitteleuropäischen Kriegsschauplatz übertrugen. Förster kommt in diesem Zusammenhang zu einer spektakulären Einsicht.

Hierbei handelte es sich um ein Phänomen, das auch in späteren Kriegen zu beobachten war. Im Zweiten Weltkrieg etwa übertrug die Waffen-SS-Division „Das Reich“ ihre Methoden im Vernichtungskrieg an der Ostfront auf die Verhältnisse in Frankreich im Sommer 1944 – mit furchtbaren Folgen.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte

Bei der Lektüre von Militärgeschichte fällt ein weiterer Gesichtspunkt auf, der beunruhigend ist. Über Jahrhunderte hinweg wurden die Heere, die in Kriegen aufeinanderprallten, immer größer. Der Zweite Weltkrieg war sicher der Höhepunkt dieser Entwicklung, danach wurden die Kriege „kleiner“, lokaler und gleichzeitig auch „breiter“, im Sinne eines Krieges ohne Fronten.

So ist das „Karfreitagsgefecht“ der Bundeswehr in Afghanistan gemessen an den Massenschlachten der Weltkriege auf den ersten Blick ein Petitesse, trotzdem ein wichtiges Ereignis, dem Förster einigen Raum einräumt. Seine Darstellung zum Einsatz am Hindukusch ist ebenso knapp wie wertvoll, denn es beleuchtet jene strukturellen Mängel, die für die Bundeswehr seit Jahrzehnten prägend sind. Der Afghanistan-Einsatz scheiterte am »Fehlen einer Gesamtstrategie«, dem »unklaren Auftrag für die Truppe« und der »Verschleierungstaktik« der politischen Führung. Es konnte kein Krieg sein, weil es kein Krieg sein durfte.

Die Schlussfolgerung entlarvt die  vielbeschworene „Friedensdividende“ als eine Form selbstgefälliger Realitätsverweigerung und beharrlichen Klammerns an rostbefallenen geopolitischen Glaubenssätzen, die spätestens 2022 in einen Alptraum mündeten. Russlands allumfassender Eroberungs- und Vernichtungskrieg ist zur wahrhaftigen Zeitenwende geworden, möglicherweise im Sinne eines Trendbruchs, denn erstmals seit 1945 steigt der Umfang eines Landkrieges wieder massiv an.

Das vorzügliche Buch ist Teil der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung. Ich bedanke mit für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte
Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart
C.H.Beck 2025
Gebunden 1.296 Seiten
ISBN: 978-3-40682903-1

Arnaud Delalande, Eric Lambert: Aufbruch ins Weltall

Die Reise mehrerer Menschen zum Mond und zurück war ein dramatischer Prozess voller Rückschläge, immenser Kosten und einem Happy-End. Die Graphic Novel zeichnet diesen Weg nach, spart die militärischen Ursprünge der Raumfahrt (V2) nicht aus, schildert die Opfer und beschreibt, wie aus dem Zweikampf zwischen den USA und der Sowjetunion in der Gegenwart ein globaler Mehrkampf wurde.

Die ersten Lebewesen, die von der Erde ins Weltall gelangten, waren Tiere. Insekten, Affen, Katzen und eine Hündin namens Laika. Warum eine Hündin und kein Rüde? Weil die Hündin beim Pinkeln nicht ihr Bein heben muss und die Raumkapsel für das Tier kleiner sein konnte. Es sind solche Details, die Aufbruch ins Weltall besonders anschaulich machen. Laika war das erste Lebewesen, das die Erde umrundete und dafür einen hohen Preis bezahlte: Das Kühlsystem ihrer Raumkapsel versagte, die Hündin starb.

Das kleine Beispiel zeigt schon, wie Arnaud Delalande sein Werk über die Raumfahrt angelegt hat. Die dunklen Seiten werden nicht verschwiegen. Der Tod flog immer schon mit, ganz am Anfang stand er sogar im Zentrum der beginnenden Raumfahrt. Während des Zweiten Weltkrieges entwickelten die Deutschen um Wernher von Braun eine Rakete, die tausendfach gen London und Antwerpen abgeschossen wurde. Die Produktion forderte unter den dafür eingesetzten Häftlingen mehr Opfer als der Beschuss, glücklicherweise hatte die V2 keinen Einfluss auf den Kriegsverlauf.

Wernher von Braun spielte auch in der amerikanischen Raumfahrt-Geschichte eine zentrale Rolle, allerdings sollte man diese nicht überbetonen, denn bemannte Raumfahrt war und ist ein hochkomplexes, sehr teures, umstrittenes und entsprechend vielschichtiges Phänomen. Ein Einzelner hat in diesem Geflecht nur einen sehr begrenzten Einfluss. Politische Entwicklungen waren wesentlich wichtiger, im Falle der Raumfahrt der so genannte Kalte Krieg, zwischen den beiden Machtblöcken USA und Sowjetunion.

Am 16. Juni 1963 fliegt Walentina Tereschkowa für die Sowjetunion als erste Frau in den Weltraum.

Arnaud Delalande, Eric Lambert: Aufbruch ins Weltall

Überspitzt formuliert hätte es ohne die Sowjets möglicherweise bis jetzt keine Mondlandung gegeben. Über Jahre hinweg entwickelte sich ein Wettlauf zwischen beiden Systemen, der die jeweils andere Seite motiviert, Ressourcen in großem Umfang in die Entwicklung der bemannten Raumfahrt zu stecken und erhebliche Risiken einzugehen. Mehrfach bezahlten Menschen mit ihrem Leben für den Traum, die Erde zu verlassen, was neben den immensen Kosten für öffentliche Diskussionen über Sinn und Nutzen der bemannten Raumfahrt führte.

Die Graphic Novel Aufbruch ins Weltall zeichnet den Wettlauf zwischen der Sowjetunion und den USA nach, schildert die dramatischen Jahre, in denen die Amerikaner lange Zeit im Hintertreffen waren, ehe ihnen schließlich doch als Erste der Sprung zum Mond glückte. Mehrere Apollo-Missionen brachten Astronauten zum Erdtrabanten, die Beinahe-Katastrophe von Apollo 13 (ausgerechnet!) war Teil davon. Bislang schaffte es noch keine andere Nation, Menschen zum Mond zu senden, was sich in naher Zukunft ändern könnte.

Eng verflochten ist die Geschichte der bemannten Raumfahrt mit den politischen Ereignissen, die eine wichtige Triebfeder der stürmischen Entwicklung waren. Da wäre etwa das Drama um Kuba, Revolution, konterrevolutionäre Landung in der Schweinebucht und die haarsträubende Episode um die Stationierung sowjetischer Atomwaffen auf der Insel, was durchaus in einem Dritten Weltkrieg hätte münden können. Die rivalisierende Jagd nach dem ersten Menschen auf dem Mond war auch eine Art Ersatz für einen bewaffneten Konflikt.

Die 7 Astronauten der Mission STS-51-L verbrennen sofort.

Arnaud Delalande, Eric Lambert: Aufbruch ins Weltall

In den letzten Kapiteln beleuchtet das Buch die Gegenwart und die jüngste Vergangenheit der Raumfahrt, die wesentlich unübersichtlicher geworden ist. Mit China, Indien, Europa, Japan und anderen sind weitere Player hinzugekommen, die auf unterschiedlichem Niveau eigene Projekte verfolgen. Die blauäugige Phase der Kooperation, die sich in der International Space Station (ISS) niederschlug, ist längst einem mehr oder minder offen vorgetragenen Wettkampf gewichen, der immer stärker auch militärische Züge trägt.

Noch komplizierter wird die Raumfahrt durch private Investoren. Jüngst hat ein privat finanzierter, prominent besetzter Ausflug mehrerer Frauen ins All für Aufsehen und viel Kritik gesorgt. Im Schatten derartiger Ereignisse forschen und arbeiten zahlreiche Startups rund um den Globus eifrig an der Raumfahrt mit, während die Nationen oder internationale Unternehmungen Großprojekte wie Raumstationen, Basen auf dem Mond oder anderen Planeten bzw. Monden vorantreiben.

Sehr gut gefallen hat mir, dass die Verbindung Science und Fiction Eingang in Aufbruch ins Weltall gefunden hat. Delalande hat Phantastik-Autoren aus der weiter zurückliegenden wie auch der jüngeren Vergangenheit eingeflochten, auch den Brückenschlag zwischen Katastrophenfilmen (etwa um den verheerende Einschlag eines Meteoriten auf der Erde) und realen Bedrohungen sowie vorbeugenden bzw. akuten Abwehrmaßnahmen geschafft. Die Graphic Novel ist ganz wunderbar, vom Ende einmal abgesehen, das wie eine Discount-Version eines Pro-Raumfahrt-Werbefilmchen wirkt und man sich hätte sparen sollen.

Rezensionsexemplar

Arnaud Delalande, Eric Lambert: Aufbruch ins Weltall
Eine kurze Geschichte der Raumfahrt
Übersetzt von Anja Kootz
Knesebeck 2025
Gebunden, 192 Seiten
ISBN 978-3-95728-879-0

Dreimal Adolf Eichmann

Adolf Eichmann in Jerusalem vor Gericht. Das Bild, das der ehemalige Angehörige der SS abgibt, unterscheidet sich sehr von der Person, die mir in Romanen bzw. Graphic Novels begegnet ist.

Dreimal ist mir Adolf Eichmann in Romanen bzw. Graphic Novel als handelnde Figur begegnet. Zuletzt bei Ritchie Girl von Andreas Pflüger, davor in der Graphic Novel Die drei Leben drei Leben der Hannah Arendt von Ken Krimstein und im Roman Das Verschwinden des Joseph Mengele von Olivier Guez bzw. in der Umsetzung als Graphic Novel.

Das Foto zeigt Eichmann in Jerusalem vor Gericht. Das ist jener Eichmann, von dem Hannah Arendt berichtet, jene Gestalt, die in der Regel mit der »Banalität des Bösen« in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich wirkt Eichmann eher wie ein Staubsaugervertreter oder Handelsreisender in Sachen Versicherung.

Ganz anders bei Guez, der über Eichmann (aus der Sicht von Josef Mengele) im argentinischen Exil berichtet. Ein Star, der Autogramme gibt und großsprecherisch auftritt, seinen »Rang« im so genannten »Dritten Reich« wie eine Monstranz vor sich herträgt und von einem Comeback in einem »Vierten Reich« schwadroniert. Mit dem Bild, das die »Banalität des Bösen« assoziiert, passt das nicht mehr ganz zusammen.

Das gilt noch mehr für jenen Eichmann, der bei Pflüger in Richie Girl dem Leser entgegentritt. Der Autor hat in einem Nachwort zu seinem Roman die Gestaltung dieser Figur noch einmal aufgegriffen und explizit auf Ahrendt verwiesen: Von deren Vorstellung wollte er »seinen« Eichmann abheben. Das ist gelungen, Pflügers Eichmann ist eine dämonische, selbstsichere und eiskalte Figur.

Bei der Lektüre von Thomas Meyers biographischem Abriss über Hannah Arendt musste ich wieder daran denken, wie unterschiedlich die Sicht auf einen Menschen sein kann. Im Falle Arendt hat ihr spezifischer Zugang zu dramatisch zu nennender Kritik und Anfeindungen geführt. Die Aufregung von damals glüht bis in die Gegenwart nach.

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