Schriftsteller - Buchblogger

Schlagwort: Flucht (Seite 1 von 8)

Neue Lektüre: Fluchtroute Balkan

Nach der Machtübertragung an Adolf Hitler im Jahr 1933 begann der Exodus aus Deutschland. Viele Künstler, politisch und gewerkschaftlich Engagierte, Wissenschaftler und Personen, die in den Augen der Nazis als Juden galten, verließen das Land. Manche überstürzt, manche zögerlich, manche auch zu spät, um den Häschern zu entkommen. Dank der zielstrebigen Gleichschaltung des Reiches, der brutalen Gewalt und Ausgrenzung sowie der Enttäuschung, Hitler wäre nur ein schnelllebiger Spuk, riss der Strom der Exilanten nicht mehr ab.

Ein hierzulande wenig bekanntes Ziel vieler Fliehender war der Balkan, namentlich Jugoslawien. Manche machten sich zunächst nach Prag (z.B. Stefan Heym) oder Österreich auf, andere gingen direkt nach Jugoslawien. Das Buch Balkan-Odyssee* von Marie-Janine Calic widmet sich ihrem Schicksal und schließt damit eine wichtige Erinnerungslücke, denn diese Fluchtroute fristet ein Schattendasein im historischen Bewusstsein.

Eine Frage ist sicher: warum gerade der Balkan? Viele machten sich nach Westen auf, Frankreich, die Benelux-Staaten, England und die USA, andere nach Osten, in das angebliche Paradies der Werktätigen, das Stalin in eine Hölle auf Erden verwandelte. Wie es ihnen erging, ist nicht nur zuletzt durch Februar 33 und Marseille 1940 von Uwe Wittstock stärker ins Bewusstsein gerückt. Zweifellos spielen Zufälle und Kontakte eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, wohin man fliehen würde.

Die zweite wichtige Frage ist, warum so viele so lange brauchten, um sich zu einer Flucht aus Deutschland zu entscheiden. Was diejenigen anbelangt, die von den Nazis als Juden angesehen und behandelt wurden, so sind die Gründe dafür, im Reich zu bleiben, ebenso vielfältig wie widersprüchlich gewesen. Die Zeitgenossen des herannahenden Unheils hätten es für undenkbar erachtet, was später grausame Wirklichkeit wurde.

Wenn der Satz, Hitlers Verbrechen seien unvorstellbar, einen Sinn hat, dann gilt er zuallererst für seine Zeitgenossen.

Uwe Wittstock: Februar 33

Darüber habe ich vor einigen Jahren zwei sehr aufschlussreiche Bücher gelesen, auf die ich hier gern verweisen möchte. Die große Illusion von John von Dippel beschäftigt sich mit den Gründen von Juden, in Deutschland zu bleiben; Der Mut zum Überleben von Marion Kaplan widmet sich insbesondere den jüdischen Frauen, die – tragischerweise – oft klüger waren als ihre Männer und lieber gegangen wären, sich jedoch unterordneten.

Ich danke dem Verlag C.H.Beck für das Rezensionsexemplar

Arnaud Delalande / Éric Liberge: Fritz Lang

Den berühmtesten Film von Fritz Lang, Metropolis, habe ich noch nicht gesehen. Nach der Lektüre der Graphic Novel, die auch von der Entstehung des Werks erzählt, wäre die Gelegenheit wohl günstig. Cover Knesebeck, Bild mit Canva erstellt.

Am Ende überquert der berühmte Film-Regisseur Fritz Lang per Schiff den Atlantik und übersiedelt in die USA. Er lässt das nationalsozialistische Deutschland hinter sich, das sich 1934 so weit etabliert hat, dass ein schnelles Ende außer Sicht geraten ist. Lang folgt einem breiten Strom deutscher Emigranten, die seit der Machtübertragung an Adolf Hitler im Januar 1933 das Reich hinter sich gelassen haben. Wäre dieser Weg heute noch offen?

Mit dieser Frage habe ich die Graphic Novel von Arnaud Delalande und Éric Liberge verlassen. Historische Analogien sind ebenso brüchig wie verlockend, so führte der Weg über den Atlantik in eine USA, die von Charles Lindbergh regiert würden, wie es Philip Roth in seinem Roman Verschwörung gegen Amerika ausgemalt hat. Eine Dystopie, die jedoch recht schwachbrüstig gegenüber der harschen Realität wirkt. Nowhere to run. Diesmal.

Das Deutschland, das Lang hinter sich lässt, malt Delalande in kitschig-gruselige Bilder eines klösterlich-reinen Nazi-Deutschlands. Die Realität sah zu diesem Zeitpunkt schon anders aus, KZs, der Boykott jüdischer Geschäfte, Gleichschaltung von Presse und Kunst, brutale Gewalt, Uniformierung der Zeitgenossen und Massenaufmärsche. Der Film-Regisseur wird von alptraumhaften Visionen verfolgt, bei denen seine eigenen Film-Figuren fleißig mitwirken.

Wissen Sie, Herr Lang, wir entscheiden, wer Jude ist und wer nicht.

Arnaud Delalande / Éric Liberge: Fritz Lang

Fritz Lang braucht einige Zeit, bis er sich dazu durchringen kann, das Land zu verlassen. Auslöser ist Joseph Goebbels. Der Propaganda-Minister sieht in Lang einen Regisseur, der zur Ideologie des Regimes passen würde, obwohl dieser gemäß der Ideologie dank jüdischer Herkunft zu den Feinden des Reichs gehört. Doch wäre das für ein nützliches Instrument wie den Filmemacher kein Problem, die Nazi-Größen selbst entscheiden eigenmächtig, wer Jude sei und wer nicht.

Für Lang würde diese Form der Arbeit, das Abdrehen konformer Filmchen, die Selbstaufgabe bedeuten. Dessen Arbeitsweise ist von einer brutalen Kompromisslosigkeit gegenüber allen einschränkenden Rahmenbedingungen geprägt. Geld, der Umgang von Schauspielern und Statisten, Anpassung des Erzählten an das Kino und die Zuschauer – für Fritz Lang ist das alles zweitrangig hinter der Verwirklichung seiner filmischen Visionen.

Gerade die Arbeit am vielleicht berühmtesten Film, Metropolis, wird ausführlich geschildert. Ein Alptraum, in dem Lang selbst zu einer Art Regie-Diktator wird und das Projekt gegen alle Widerstände durchpeitscht, ohne auf irgendjemanden Rücksicht zu nehmen. Rücksichtsloses Vorgehen steht jedoch auch bei den Nationalsozialisten auf der Agenda, Goebbels sieht in Lang einen passenden Mann für die eigene Sache.

Wir haben unseren eigenen Fluch geschaffen und den Deutschlands.

Arnaud Delalande / Éric Liberge: Fritz Lang

Gewissensbisse plagen den Regisseur, der sich selbst und seiner kongenialen Drehbuchautorin und Frau Thea von Harbou eine Mitschuld am Aufkommen des Nationalsozialismus gibt. Kann Kunst das? Noch eine Frage, die nach der Lektüre der Graphic Novel nachwirkt. Thea von Harbou und Fritz Lang, das Liebes- und Arbeitspaar, entfremden und trennen sich, denn Thea ist dem Regime durchaus zugetan. Sie bleibt im Reich und setzt ihre Karriere dort fort.

Bei Wikipedia klingt das dann in der typisch verschwurbelten Erinnerungskultur-Sprache dann so: Sie sei neben Leni Rieffenstahl eine der »prägenden« aber »umstrittenen Frauen« des frühen deutschen Films. Zumindest prägend war sie, wie die lange Liste der von ihr verfassten Drehbücher zeigt. Sie teilt damit das Schicksal aller Drehbuchautoren, trotz ihrer immensen Bedeutung für den Film im Schatten zu stehen. Zu den Vorzügen der Graphic Novel gehört, sie ins Licht zu führen.

Besonders interessant ist auch der lange Weg Fritz Langs zum Film, der ihn durch die Blutmühle des Ersten Weltkrieges führte, in dem sich Lang durch große Tapferkeit mehrfach auszeichnete. Ein wiederkehrendes Motiv vieler Künstlerbiographien ist die Mischung aus Durchhaltewillen, Glück und hilfreicher Bekanntschaften, die für den Lebensweg bestimmend sind.

Mein Lieber Fritz, und warum nicht Malerei in bewegten Bildern? Der Film!

Arnaud Delalande / Éric Liberge: Fritz Lang

Am Ende hält die Graphic Novel, was das großartige Cover verspricht. Die parallele Montage von Politik und Film ist wunderbar gelungen, die Bilder von großer Wucht. Nicht zuletzt dadurch dürfte der Leser neugierig sein auf die Filme, die schon ein ganzes Jahrhundert alt sind. Metropolis spielt in einem fiktiven 2026. Nächstes Jahr also und einige Motive kommen merkwürdig vertraut vor.

Begegnungen mit Fritz Lang: Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich zumindest den Film Die Nibelungen im Fernsehen angeschaut. Der Regisseur ist mir zudem in zwei Büchern begegnet, einmal in Daniel Kehlmanns Lichtspiel und gerade erst bei Steffen Schroeder Der ewige Tanz.

Arnaud Delalande / Éric Liberge: Fritz Lang
Die Comic-Biographie
aus dem Französischen von Anja Kootz
Knesebeck 2023
Gebunden 112 Seiten
ISBN: 978-3-95728-700-7

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge

Was wäre, wenn Hitlerdeutschland den Krieg gewonnen hätte? Unter den Romanen, die sich mit diesem dystopischen Szenario einer alternativen Geschichte befassen, ragt dieser heraus. Der Autor konfrontiert den Leser mit einer vielschichtigen Erzählung, die mich begeistert. Cover Fischer-Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Noch immer bin ich unentschieden, ob mir der englische Original-Titel The man in the High Castle oder die deutsche Übersetzung Das Orakel vom Berge besser gefällt. Philip K. Dicks Roman enthält beide Motive, die englische Version klingt martialischer, weckt Erwartungen beim Leser, mit denen der Autor ganz wunderbar spielt. Kein Wunder, dass die Verfilmung auch in Deutschland bei dieser Version bleibt.

Der deutsche Titel betont das Mysteriöse und Orakel haben eine bedeutende Rolle im Verlauf der Handlung: Viele Personen des Romans befragen das Orakel und versuchen, die Ergebnisse auf ihre aktuelle Situation zu beziehen. Keineswegs nur die japanischen Herren der amerikanischen Ostküsten, auch die weißen Amerikaner selbst. Ob Orakel auch im deutsch besetzten Teil der Ostküste Verwendung finden, ist zweifelhaft.

Bitte was? Japaner und Deutsche beherrschen die USA? Philip K. Dick hat einen Roman verfasst, in dem die Geschichte eine andere Wendung genommen hat. In dieser alternativen Welt haben das Dritte Reich und Nippon den Zweiten Weltkrieg gewonnen, von einem neutralen Teil in der Mitte der USA abgesehen, ist das Land wie eigentlich die gesamte Welt von den Siegern unterworfen worden.

Jedenfalls hatte es zweihundert Jahre gedauert, die amerikanischen Eingeborenen zu beseitigen, und Deutschland hatte es in Afrika beinahe in fünfzehn Jahren geschafft. Kritik war daher  nicht angebracht.

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge

Die Welt, in der die Leser des Romans eintauchen, ist nichts für schwache Nerven, wie das Zitat zeigt. Der militärische Sieg hat dem rassistischen Völkermordprogramm der Nazis den Weg freigemacht, nicht nur Juden und die im Osten Europas lebenden Menschen wurden ausgelöscht oder unterjocht, auch in Afrika gehen nur noch die »Geister ausgelöschter Stämme«.

Ein gravierender Unterschied zu den Japanern, wie einige der Amerikaner im Roman immer wieder betonen. Bisweilen werden die asiatischen wie ihre mitteleuropäischen Weltbeherrscher recht klischeehaft in ihren charakteristischen Eigenheiten gezeichnet; doch sind Holocaust, Genozid, Gaskammern bei den Japanern undenkbar.

Neben diesen Unterschieden gibt es noch einen gigantischen Technologievorsprung der Deutschen. Sie allein haben Atomwaffen, sie haben es zum Mond und Mars geschafft und kolonisieren nicht nur die entvölkerten Gebiete der Erde, sondern auch noch das Weltall. Woher die Menschen dafür kommen sollen, bleibt offen. Jedenfalls herrscht ein beträchtliches Ungleichgewicht zwischen Japan und Deutschland, technologisch und ideologisch.

Angenommen die Nazis zerstörten am Ende alles? Lassen sie bloß verstrahlte Asche übrig? Fähig dazu wären sie, schließlich haben sie die Wasserstoffbombe. Und zuzutrauen wäre es ihnen auch; ihr Denken neigt zur Götterdämmerung. Nicht auszuschließen dass sie sich im Grunde ihres Herzens nach dem allgemeinen Holocaust sehnen, ja, ihn sogar aktiv anstreben.

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge

Wer sich diese Gedanken macht, wird hier nicht verraten. Das Zitat zeigt, dass die Andeutungen und Hinweise vergangener Massenmorde durch die Nazis nicht grundlos eingestreut waren; das ist der Kern nationalsozialistischer Herrschaftsphantasien. Auch nach ihrem Sieg würden sie ihre ideologischen Denkmechanismen nicht einfach abstreifen, wie eine Schlange ihre Haut.

Eine faszinierende Stelle, die deutlich macht, wie sehr Das Orakel vom Berge Literatur und keine reine Unterhaltung ist. Der Hinweis auf die Götterdämmerung ist brillant, Jahrzehnte nach Philip K. Dick hat ihn der bekannte Politologe Herfried Münkler in seinem Buch Die Deutschen und ihre Mythen ausführlich behandelt: Ausgerechnet ein Untergang, einschließlich der Selbstvernichtung bildete das mythologische Fundament der Deutschen.

Der Moment, in dem derlei auf der Tagesordnung steht, ist denkbar kritisch: Autoritäre Systeme haben traditionell ein Problem mit der Machtübertragung, wenn ein Herrscher stirbt. Die internen Machtblöcke geraten dann in Bewegung und kämpfen miteinander um die Macht. So auch im Roman, in dem Martin Bormann das Zeitliche segnet und Partei, Wehrmacht, SS und Geheimdienst um die Macht kämpfen. Wem soll man die Daumen drücken?

Das Böse dachte Tagomi. Ja, das stimmt. Und wir sollen ihm helfen, seine Macht zu stärken, um unser Leben zu retten? Ist dies das Paradoxon unseres irdischen Daseins?

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge

Wie das Zitat zeigt, ist die Frage nicht so einfach zu beantworten. Das ist eine der aus meiner Sicht brillanten erzählerischen Volten Philip K. Dicks. Das Böse ist recht klar verortet; doch selbst im Nazi-Reich gibt es Schattierungen und doch stehen Zeitgenossen vor der Frage, wem sie – falls möglich – Schützenhilfe leisten sollten, um der Vernichtung zu entgehen. 

Natürlich stellt sich auch die Frage, wie das herrschende System des Bösen überwunden werden könnte. Ab einem gewissen Grad scheint das nur von innen heraus zu gehen, nicht um sonst sind die meisten Attentate auf den realen Hitler nach 1939 aus dem Militär, einen zentralen Teil des Herrschaftssystems, unternommen worden. Die handelnden Figuren, unterworfene Amerikaner oder auch Japaner, stehen außen vor. Oder?

Hier drücke ich mich vor einer Antwort. Stattdessen noch der Hinweis auf Die Plage der Heuschrecke, einem Roman im Roman, der die alternative Geschichte erzählt, nach der Japan und Deutschland den Krieg verloren hätten. Philip K. Dick greift auch hier zu einem funkelnden Erzählkniff, indem er das dort Erzählte vom Historischen abweichen lässt (etwa die zusätzlichen Amtszeiten Roosevelts). Wenig verwunderlich ist der Roman bei den Deutschen verboten, sie fürchten ein Buch, seine Aussage.

Wir können nur dadurch auf den Ausgang Einfluss nehmen dass wir uns immer wieder neu entscheiden.

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge

Das verweist auf einen wichtigen Punkt: Geschichte ist immer offen, wirkt nur in der Rückschau vorgezeichnet. Wie das Zitat zeigt, gibt es vielleicht doch Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, ein Mutmacher in mutlosen Zeiten. Auf eine spezielle Weise, Schritt für Schritt, ein zäher, langfristiger Prozess. Es sind diese Motive, die mich bei der Lektüre von Das Orakel vom Berge begeistert haben. In dieser Konsequenz ist der Roman für mich bislang einmalig.

Der Roman ist Teil meines Lesevorhabens 12 für 2025.

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge
Aus dem amerikanischen Englisch von Norbert Stöbe
Fischer Verlag 2014
Taschenbuch 272 Seiten
ISBN: 978-3-596-90562-1

Isabel Kreitz: Die letzte Einstellung

Auch in der »Inneren Emigration« stehen die Gebliebenen vor brenzligen, moralisch problematischen Entscheidungen. Cover Reprodukt, Bild mit Canva erstellt.

Bleiben oder Gehen? Die Frage stellte sich vielen Intellektuelle in Deutschland nach der Machtübertragung an Adolf Hitler im Jahr 1933. Viele prominente Vertreter aus Kunst und Kultur mussten buchstäblich Hals über Kopf fliehen, um nicht in die Hände der Nazis zu fallen, für viele war es nur die erste Flucht, die zweite oder dritte folgte, als die Wehrmacht 1939  in die Tschechoslowakei einmarschierte und 1940 Frankreich überrannte.

Manche blieben im Reich und nahmen Einschränkungen in Kauf, wie Entlassung aus dem bisherigen Beruf oder ein Verbot zu Schreiben und zu Publizieren. Einer davon ist der Schriftsteller und Journalist Heinz Hoffmann, dessen Schicksal Isabel Kreitz in ihrer Graphic Novel Die letzte Einstellung erzählt. Die Figur ist fiktiv, allerdings an Erich Kästner angelehnt.

Der Titel ist vielschichtig. Wie das Cover zeigt, verweist das Wort „Einstellung“ auf die Filmbranche, die im Dritten Reich unter der Zuchtrute von Propaganda-Minister Joseph Goebbels stand und entsprechende Streifen produzierte. Zugleich geht es auch um die Haltung der Personen zu ihrer Arbeit, die Teil des verbrecherischen Regimes ist und hilft, es zu stützen.

Ich mag mir nicht vorwerfen lassen, ich hätte mich verdrückt.

Isabel Kreitz: Die letzte Einstellung

Die widersprüchlichen Zwangslagen, die sich in der „Inneren Emigration“ ergeben können, zeigt Kreitz ganz wunderbar auf. Hoffmann führt trotz Berufsverbot lange Jahre ein brauchbares, zurückgezogenes Leben, dank Rücklagen und Tantiemen seiner im Ausland weiter verkauften Bücher. In den Krieg muss er auch nicht, aus gesundheitlichen Gründen ist er vom Wehrdienst befreit; er darf nicht einmal in einer Fabrik arbeiten.

Was auf den ersten Blick so positiv erscheint, ist tatsächlich ein Graus. Was bleibt einem noch, wenn man bestenfalls für die Schublade schreiben kann? Man darf dabei nicht vergessen, dass erst 1943 den helleren Köpfen im Reich klar geworden war, dass der Krieg unweigerlich verloren gehen würde. Bis dahin musste Hoffmann davon ausgehen, nie wieder schreiben und publizieren zu können, das Dasein eines lebendig Begrabenen.

Das mag gemessen am Schicksal von toten Zivilisten im Bombenkrieg, Frontsoldaten, Zwangsarbeitern und Lagerinsassen wie eine Petitesse erscheinen, doch auch im Goldenen Käfig siecht man vor sich hin, insbesondere als kaltgestellter kreativer Kopf. Kurioserweise ist es ein Bombenvolltreffer im Jahr 1944, der Hoffmann seiner Wohnung und seines Besitzes beraubt – die Käfigtür schwingt auf.

Ich schmarotze bei meiner Freundin, kann nicht raus aus Berlin und mich nicht einmal an der Front totschießen lassen! Ich sitze in der Falle.

Isabel Kreitz: Die letzte Einstellung

Hoffmann sucht Unterschlupf bei Erika Harms, einer vormaligen Geliebten, der er übel mitgespielt hat. Sie hilft ihm trotzdem, ist emotional an Hoffmann gebunden und sorgt dank ihrer Stellung bei der UfA für eine Beschäftigung des Geschassten als Ghostwriter für einen Durchhalte-Film, der trotz katastrophaler Versorgungslage mit allen Ressourcen versehen ist.

Die „Frauen-Geschichten“ des Heinz Hoffmann, seine notorische Untreue verhindern neben seinem Hang zur Selbstgerechtigkeit, dass die Figur in hellem Licht erstrahlt. Erika Harms ist ein Gegenbild, überlebenswillig, hilfsbereit, anpassungsfähig und kommunikativ, mit ihrer anpackenden Art schafft sie, woran ein Heinz Hoffmann scheitern würde. Wie es ihr später gedankt wird, weiß der Leser schon aus dem ersten Abschnitt.

An der Seite von Harms und Hoffmann taucht der Leser ein in die gespenstische Wirklichkeit des untergehenden Hitlerdeutschlands. Die Grausamkeit des Krieges wird angedeutet und mit der Film-Unwirklichkeit kontrastiert, die geradezu aberwitzig wirkt angesichts der zermalmten Städte und zivilen Bombenopfer. Der Mensch und seine Existenz sind ab einem gewissen Zeitpunkt reduziert auf bloßes Überleben.

Es geht um uns alle, die an diesem Film mitarbeiten und den verdammten Krieg überleben wollen!

Isabel Kreitz: Die letzte Einstellung

Die letzte Einstellung ist eine ausgesprochen gelungene Graphic Novel, die mit ihren Bildern die Möglichkeiten des Mediums vorzüglich ausnutzt. Abgerundet wird das durch ein Glossar und ein Nachwort von Michael Töteberg, der den Leser über die historische Wirklichkeit des Film-Lebens im so genannten „Dritten Reich“ informiert. Von der ersten bis zur letzten Einstellung ein sehr lesenswertes Buch.

Die Graphic Novel berührt eine Frage, die ich mir seit Jahren stelle: Wie war die Einstellung vieler berühmter deutscher Nachkriegsschriftsteller zu Krieg und Regime wirklich? Böll, Grass, Walser – sie haben öffentlich eine pointiert moralisierende Einstellung eingenommen, gleichzeitig eine verschwiegene Distanz zu ihrer Vergangenheit gewahrt. Haben sie gelogen, aus Karrieregründen?

„Gott strafe England“ steht in einem Brief Bölls aus dem Krieg (7.9.1939); ein ironisches Zitat, meinen die Herausgeber. Was macht sie so sicher, dass es sich bei dieser Auslegung nicht um eine Projektion aus der Nachkriegszeit in die des Kriegsbeginns handelt? Hegte Böll vielleicht doch Groll auf England und – ganz besonders – wäre das so schlimm? Oder wäre ein nachträgliches Retuschieren, passend zum Friedens- und Verständigungs-Böll nicht schlimmer? 

Rezensionsexemplar, für das ich mich bei Reprodukt gern bedanke.

Isabel Kreitz: Die letzte Einstellung
Reprodukt 2025
Gebunden 312 Seiten
ISBN: 978-3-95640-452-8

Dreimal Adolf Eichmann

Adolf Eichmann in Jerusalem vor Gericht. Das Bild, das der ehemalige Angehörige der SS abgibt, unterscheidet sich sehr von der Person, die mir in Romanen bzw. Graphic Novels begegnet ist.

Dreimal ist mir Adolf Eichmann in Romanen bzw. Graphic Novel als handelnde Figur begegnet. Zuletzt bei Ritchie Girl von Andreas Pflüger, davor in der Graphic Novel Die drei Leben drei Leben der Hannah Arendt von Ken Krimstein und im Roman Das Verschwinden des Joseph Mengele von Olivier Guez bzw. in der Umsetzung als Graphic Novel.

Das Foto zeigt Eichmann in Jerusalem vor Gericht. Das ist jener Eichmann, von dem Hannah Arendt berichtet, jene Gestalt, die in der Regel mit der »Banalität des Bösen« in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich wirkt Eichmann eher wie ein Staubsaugervertreter oder Handelsreisender in Sachen Versicherung.

Ganz anders bei Guez, der über Eichmann (aus der Sicht von Josef Mengele) im argentinischen Exil berichtet. Ein Star, der Autogramme gibt und großsprecherisch auftritt, seinen »Rang« im so genannten »Dritten Reich« wie eine Monstranz vor sich herträgt und von einem Comeback in einem »Vierten Reich« schwadroniert. Mit dem Bild, das die »Banalität des Bösen« assoziiert, passt das nicht mehr ganz zusammen.

Das gilt noch mehr für jenen Eichmann, der bei Pflüger in Richie Girl dem Leser entgegentritt. Der Autor hat in einem Nachwort zu seinem Roman die Gestaltung dieser Figur noch einmal aufgegriffen und explizit auf Ahrendt verwiesen: Von deren Vorstellung wollte er »seinen« Eichmann abheben. Das ist gelungen, Pflügers Eichmann ist eine dämonische, selbstsichere und eiskalte Figur.

Bei der Lektüre von Thomas Meyers biographischem Abriss über Hannah Arendt musste ich wieder daran denken, wie unterschiedlich die Sicht auf einen Menschen sein kann. Im Falle Arendt hat ihr spezifischer Zugang zu dramatisch zu nennender Kritik und Anfeindungen geführt. Die Aufregung von damals glüht bis in die Gegenwart nach.

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