Kann Selfpublishing Literatur oder bleiben Verlage eine unerlässliche Vermittlungsinstanz? In beiden Fällen bestehen Zweifel. Eine ergänzende Antwort zu einem anregenden Blogbeitrag.
Literaturblogs bieten das, was Instagram niemals schaffen wird: ausführliche, differenzierte und zum Nachdenken anregende Beiträge. Mit etwas Glück entwickelt sich daraus ein kleiner Meinungsaustausch. In Twitter-Zeiten ist es wohl nötig, darauf zu verweisen, dass das nicht gleichbedeutend mit einem Streit oder gar wutentbranntem Gepöbel ist, sondern es sich um einen respektvollen Austausch handelt.
Zuletzt hat es einen für mich hochspannenden Artikel bei Kaffeehaussitzer zu lesen gegeben, der einen Blick durch die Verlagsbrille auf das Wesen des Selfpublishing bietet (und davon angeregt einen lesenswerten Beitrag von Sören Heim). Dank des zurückhaltenden Duktus, des Eingeständnisses, dass die dynamische Entwicklung des Buchmarktes allgemein und des Selfpublishings besonders, Gesagtes schnell überholen könnte, ist der Text ausgesprochen angenehm zu lesen.
Als Autor in spe, der seine ersten Werke selbst auf den Markt bringen muss, sehe ich überhaupt keinen Grund, beleidigt zu reagieren oder Gatekeeping-Absichten zu wittern. Warum auch? Ich mache die Selbstpubliziererei nolens volens, weil meine Versuche, mich bei Agenturen und Verlagen zu bewerben, fruchtlos geblieben sind. Ich kann also nur eine begrenzte Aussage darüber treffen, ob ich mich als Verlagsautor oder Selbstpublizierer wohler fühlen würde – derzeit kenne ich weder die eine noch die andere Seite.
»[…] vor allem Juan Cerezo, der sich die Mühe gemacht hat, das Buch Wort für Wort durchzusehen, mit einer Intelligenz, einer Hingabe und einer Liebe, die nur noch wenige Verleger besitzen und die wenigsten investieren.«
Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte.
Qualität und Talent als Auswahlkriterium?
Meine Wahrnehmung als Leser, der mittlerweile einige Bücher von Selfpublishern und einige tausend im Verlag erschienene gelesen hat, lässt einige Fragezeichen bei verschiedenen Aussagen über die Qualität von Literatur aufscheinen. Leider garantiert ein Verlag keine Qualität (mehr?), leider erscheinen mir weder Talent noch sprachliches bzw. literarisches Niveau unbedingt ausschlaggebend; eher etwas, das ich als »Vermarktbarkeit« bezeichnen würde.
Das bezieht sich vor allem auf den Urheber des Buches und bestimmte inhaltliche Kriterien, die ich aus meiner Zeit als Schreiberling im Bereich von Aktienmärkten und Startups unter der Rubrik »MeToo«-Produkt kennengelernt habe. Es meint eine Form der Produktanalogie zur Risikovermeidung, Hand in Hand mit inhaltsfreien Vermarktungssternchen am Marketingfirmament. Aus gutem Grund!
Aktienkäufer halten sich für rational und individuell, handeln aber doch mehrheitlich emotional und im Herdentrieb. Autoren und Leser sind durchaus ähnlich. Jeder würde gern eigenständig sein, frei, kritisch denkend und neue Wege beschreitend. Doch überwiegen Angst und Unsicherheit, man sucht Anlehnung – und findet sie in dem, was andere auch schreiben oder kaufen.
»Besonders von der am häufigsten angesprochenen Qualitätssicherung durch Verlage habe ich, der wahrscheinlich 150 bis 200 Bücher im Jahr liest, zumindest noch nicht viel bemerkt.«
Sören Heim, Schriftsteller und Journalist, 4. September 2022
Schönreden?
Natürlich liege ich mit dieser Aussage im Wirkungsbereich des Vorwurfes, ich wollte mein eigenes Scheitern schönreden. Meinetwegen. Doch ändert das etwas am Gehalt meiner Worte? Ich bin ja auch Leser und das, was ich gesagt habe, entspringt Enttäuschungen bei Buchkäufen. Ich habe mich oft gefragt, wie das Machwerk durch ein Lektorat gekommen sein kann.
Wichtig ist mir dabei, dass ich derlei Kritik nur äußern kann, weil ich entsprechende Bücher kenne, die den Anspruch von Qualität erfüllen. Es gibt sie tatsächlich, man kann auf meinem Blog eine ganze Reihe davon finden; auf anderen, guten Literaturblogs hunderte, tausende, die Aussagen á la »alle Verlage machen das Gleiche« als absurden Nonsens entlarven, weil die Vertreter dieser Meinung von ihrem eigenen, suppentellerengen Leseverhalten auf den Markt schließen.
Gerade deswegen entsetzen mich manche Verlagstitel, stoßen mich regelrecht ab. Das fängt schon bei den Covern an, wenn das hundertste Buch eine Frau zeigt, die sich dem Leser über die Schulter blickend zuwendet, während sie irgendetwas entgegenstrebt; oder den römischen Soldaten in Kampfmontur mit blutigem Schwert; oder die Pastellfarbenregale; oder; oder. Und es geht innen weiter – wenn Schreiben wie Malen nach Zahlen sich entlang von Schreibratgebern hangelt und abwegigen Dogmen (show don´t tell) folgt. Bestsellerromane wirken manchmal wie ausgefüllte Formulare.
Mit je einem Fuß in verschiedenen Welten
Ich bin alt genug, um meine Grenzen zu kennen. Daher weiß ich, dass ich als Leser bzw. Buchblogger in der einen und als Schriftsteller in der anderen Welt stehe, auch wenn ich es gern anders hätte. Die Absagen von Agenturen und Verlagen waren nachvollziehbar, auch wenn ich das Buch, das bald veröffentlicht wird, so nirgends vorgestellt habe. Die Version, die ich seinerzeit eingereicht habe, hat mit der finalen glücklicherweise nur noch wenig zu tun.
Und trotzdem: Es ist nicht das, was ich als Leser schätze und statt Schreibratgebern als Leitstern sehe, an dem ich mich als Schriftsteller orientiere. Meines Erachtens kann man gute Literatur nur schreiben, wenn man solche auch liest. Damit ist die wesentliche Frage aufgeworfen: Was ist gute Literatur und wer kann sie schreiben? Kaffeehaussitzer bringt Talent ins Spiel (und zitiert Goethe, der auf den Fleiß verweist). Hier darf ich vehement zustimmen – und einen Gesichtspunkt ergänzen: Thema.
»Das Quäntchen, das einen Text besonders macht, das ihn zu Literatur werden lässt, die berührt, die begeistert und die mitten ins Mark trifft – das ist nach wie vor kein Handwerk, sondern das Talent der Schreibenden.«
Uwe Kalkowski »Kaffeehaussitzer« 27. August 2022
Gute Literatur braucht Talent und Thema
Klaus Mann, der Sohn von Thomas Mann und Neffe von Heinrich Mann, war zweifelsfrei mit Talent gesegnet. Und mit Fleiß, wie der Berg an Schriften zeigt, die er in seinem recht kurzen, wechselhaften, durch Flucht, Exil und heftigen Enttäuschungen nach der Rückkehr gebrochenen Leben im kalten Schatten des berühmten Vaters geschaffen hat. Trotzdem hat es etwas gedauert, bis Mann – aus meiner Sicht! – jene Bücher geschrieben hat, die für mich gute Literatur sind.
Wenn man die Romane Klaus Manns liest, bemerkt man den Bruch recht deutlich. »Symphonie Páthetique« hat bereits ein ganz anderes Niveau als die ersten Romane, »Mephisto« ist noch einmal eine wesentliche Steigerung. Auch jenes autobiographische Werk namens »Der Wendepunkt«, das Mann zunächst auf Englisch schrieb, später auf Deutsch übersetzte, kürzte und erweiterte, spiegelt die Entwicklung wider.
Das liegt vor allem daran, dass Mann endlich ein Thema gefunden hatte: Faschismus und Nationalsozialismus. Der Karriereroman eines Künstlers, der sich den Nazis anbiedert, »Mephisto«, ist aus diesem Grund gute Literatur. Ich würde die Behauptung wagen, dass Klaus Mann ohne sein Thema das ihm gegebene Talent und seinen Fleiß möglicherweise nicht hätte in gute Literatur umwandeln können.
Was ist ein Thema?
Natürlich könnte man behaupten, jeder Roman habe ein Thema. Geschenkt. Themen, von denen ich spreche, sind bitte nicht mit dem zu verwechseln, was in Genre- oder Schlagwortangaben von Büchern steht oder den Marketingtexten bejubelt wird. Themen sind das, was allgemeine Grundlagen des Lebens berührt. »Liebe« ist keines dieser Themen, Liebe im Rahmen spezieller gesellschaftlicher oder familiärer bzw. persönlicher Umstände kann eines sein.
Ein kleines Beispiel: »Stolz und Vorurteil«. Hier geht es um Liebe – auf den ersten Blick. Doch eigentlich steht im Fokus, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Frauen in dieser Zeit einwirken und verschiedene Wege (manche richtig, manche falsch) ebnen oder versperren; die erzählerische Qualität rührt u.a. daraus, dass hier eine ganze Reihe unterschiedlicher Pfade aufgezeigt und in ihren Konsequenzen beleuchtet werden. So entsteht tatsächlich ein Thema, so entsteht Literatur.
Große Literatur hat immer ein Thema, meist mehrere Themen, ineinander verschlungen und verwickelt. Talent zeigt sich auch in der Befähigung, dem eine Struktur zu geben, es in eine Form zu gießen und sprachlich so aufzubereiten, dass daraus eine Erzählung entsteht. Der Autor steht dabei in einer möglicherweise jahrelangen, erbitterten Auseinandersetzung mit seinem Stoff; manchmal scheitert er auch.
Verlag – notwendiger Puffer?
Kann das Selfpublishing oder ist die Verlagsinstanz dazwischen unumgänglich? Tatsächlich bin ich bei meinen noch recht begrenzten Streifzügen durch den Selfpublisher-Bereich auch auf Texte gestoßen, die ein Thema zumindest berühren und – trotz aller anderen Schwächen – einen Schritt Richtung Literatur gemacht hatten. Ein Problem, das Kaffeehaussitzer genannt hat, ist und bleibt: Wie soll man Perlen finden, wenn sie denn irgendwo geschrieben werden?
Wenn ich also oben gesagt habe, dass meine eigenen Schreibversuche sich an dem orientieren, was ich als Leser als gute Literatur wahrnehme, dann meine ich vor allem das: die Erzählung auf dem Fundament eines Themas zu errichten. Ich habe das für meine historische Buchreihe versucht, gehüllt in den Mantel eines Abenteuers. Ob das gelungen ist? Meine Meinung dazu spielt in diesem Falle keine Rolle, denn bei meinen eigenen Texten falle ich als Leser leider aus.
Dieser Beitrag ist angeregt durch die beiden verlinkten Blog-Texte, deren Lektüre ich hier noch einmal ausdrücklich empfehlen möchte.
Danke für diesen Beitrag, der die Texte von Sören Heim und mir wunderbar ergänzt und weiterführt. Den Hinweis auf ein Thema, das Schreibende finden müssen im Allgemeinen und der Bezug auf Klaus Manns Werke im Besonderen finde ich vollkommen stimmig.
Herzliche Grüße
Uwe
Vielen Dank für den schönen Kommentar.
Mir ist dein Text ein paar Tage im Kopf herumgegangen und hat stets neue Gedanken hervorgerufen, im Grunde genommen das Beste, was ein Beitrag leisten kann.
Beste Grüße
Alexander