Der erste Satz in Koestlers großem Historischen Roman ist genial, kurz und im wörtlichen wie übertragenen Sinne wunderschön. Cover Elsinor-Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Es sind die großen Fragen, die Arthur Koestler in seinem Roman Der Sklavenkrieg stellt. Warum handelt der Mensch gegen seine eigenen Interessen? Zu Beginn der Revolte schließen sich die Sklaven und Entrechteten der Sklavenarmee unter Spartakus an, machen mit ihnen gemeinsame Sache – doch in Capua (ausgerechnet!) stehen die Versklavten bewaffnet auf den Mauern und verteidigen ihre Herren und Besitzer. Warum tun sie das?

Koestlers Roman Der Sklavenkrieg liefert keine mundgerechten Antworten, kein romantisierendes, verschlichtendes Feuerwerk an Plattitüden und Phrasen, wie es in vielen breitenwirksamen historischen Romanen und Hollywood-Filmen gezündet wird. Dabei ist die Handlung, der sich Koestler angenommen hat, unbedingt eine tolle Vorlage für Hollywood, wie die berühmte Verfilmung Spartakus mit Kirk Douglas beweist. Und Der Sklavenkrieg ist vor allem ein Roman, keine philosophische Abhandlung oder Essay.

Mit einer einfachen Erzählung der Ereignisse lässt der Autor den Leser aber nicht davonkommen, ohne der Spannung die Spitze zu nehmen oder gar in historisch-erklärende Langeweile abzugleiten. Natürlich weiß jeder Leser von Beginn an, dass der große Aufstand der Sklaven unter der von Legenden umwobenen Heldenfigur Spartakus am Ende blutig gescheitert ist; wer hat nicht von dem grausamen Schicksal der Überlebenden gehört?

»Es ist kein Vergnügen, von Rom gerettet zu werden.«

Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg

Das Römische Reich ist eine Sklavenhaltergesellschaft gewesen, vor allem Kriegsgefangene und Verschleppte aus bekriegten und eroberten Gebieten fanden sich in Ketten wieder. Die Behandlung der Versklavten war – wie zu jeder anderen Zeit – unterschiedlich, von grausamst Misshandelten und Ausgebeuteten bis hin zum intellektuellen Anhängsel und Erzieher reichte die Bandbreite. Gemeinsam war allen die Unfreiheit und die fürchterliche Bestrafung im Falle einer Flucht oder Teilnahme an einem Aufstand.

Neben einer Unzahl an kleineren Widerstandsaktionen gab es innerhalb weniger Jahrzehnte gleich drei große Erhebungen von Versklavten in Italien respektive Sizilien, die allesamt zu verheerenden Auseinandersetzungen, ja regelrechten Feldzügen und Schlachten führten. Der berühmteste Aufstand ist der des Spartakus, auch gegen ihn mussten kriegsstarke Legionen eingesetzt werden, bis die »Ordnung« wiederhergestellt wurde. Diejenigen, die nicht auf dem Schlachtfeld starben, wurden hingerichtet – so auch in Der Sklavenkrieg

Koestler schildert das gruselige Schauspiel gekonnt, er lässt einige der Handelnden die Strafe erleiden und den Leser mitleiden; gleichzeitig aber bettet er es ein in die politisch-strategischen Überlegungen und Absichten des Römers Crassus (Carrhae), auf den dieses fürchterliche Schauspiel zurückgeht. Wenig bis gar nichts zählt das einzelne Leben in der überwältigenden Maschinerie der Macht, die aber von den Händen Einzelner gelenkt wird.

Der Sklavenkrieg ist aus der Sicht vieler Zeitgenossen erzählt, Koestler wechselt munter die Perspektive und lässt vor den Augen des Lesers ein vielfältiges Bild entstehen. Die Handelnden verfolgen ihre eigenen Interessen und Absichten, es gibt eine Vielzahl von einander überlagernden Konflikten, selbstverständlich auch innerhalb der immer weiter wachsenden Sklavenarmee, aber auch unter ihren Gegnern.

»Klar und gerade waren nur die Wege der Gewalt.«

Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg

Die aufständische Armee ist alles andere als »gut«, Koestler übergeht nicht das fürchterliche Schicksal, das jene Orte ereilt, die anfangs auf der Route dieses Heerhaufens liegen. Zu den besonderen Szenen gehört jene, in der Bewohner einer dieser Städte trotz der heranwalzenden Gefahr und der sich abzeichnenden inneren Unruhen (die Sklaven der Stadt werden von Aufrührern unterwandert) völlig weltfremd und naiv reagieren und auf grausame Weise mit dem Leben bezahlen.

Die Gegenspieler der Sklavenarmee lernen und passen ihre Strategie an – es kommt zu jener erwähnten gespenstischen Szene, da bewaffnete Sklaven die Mauern einer Stadt gegen ihre heranrückenden Schicksalsgenossen erheben und ihre Herren und Unterdrücker verteidigen! Hier stellt sich die eingangs genannte Frage, weitere drängen sich auf. Warum münden Revolutionen scheinbar zwangsweise in Gewaltorgien? Warum werden sie so einfach usurpiert und zur Etablierung einer Tyrannei genutzt ?

Arthur Koestler hat diesen Roman Mitte der 1930er Jahre begonnen, als Europa von zwei einander abgrundtief hassenden, gleichzeitig aber in gewissen Strukturelementen und vor allem brutalster Menschenverachtung handelnden Regimen unterjocht wurde: dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus. Koestler war Kommunist, später fiel er angesichts der unfassbar brutalen Herrschaft Stalins ab und wendete sich entschieden gegen den real existierenden Kommunismus.

Der Sklavenkrieg kann als ein Echo auf das Zeitgeschehen gelesen werden, er stellt auch eine Auseinandersetzung mit dem dar, was Koestler (deutscher Exilant und entzauberter Kommunist) selbst erlebt. Er ist übrigens nicht der einzige Romancier, der sich in dieser Lage einen historischen Stoff sucht, um sich mit gegenwärtigen Fragen auseinanderzusetzen; Heinrich Mann  hat nicht grundlos in den 1930ern sein monumentales Werk um Henri Quatre vollendet.

Ein zentrales Roman-Motiv ist das »Gesetz des Umweges«. Wenn eine Revolution oder ein Aufstand dieses Gesetz missachtet und den direkten Weg wählt, drohen Blutbad und Untergang. Koestler lässt seine aufständischen Sklaven auf einen – fiktiven – Umweg ziehen und eine utopische »Sonnenstadt« gründen; die aber hat mit dem Paradies auf Erden wenig zu tun, man assoziiert eher Cromwells unerbittliche Puritaner und natürlich das Paradies der Arbeitslager, die stalinistische Sowjetunion.

»Aber die Stadt, der Sonnenstaat, blieb allein.«

Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg

Auch der Umweg führt in diesem Fall in den Abgrund. Spartakus verändert sich, wird zum Alleinherrscher, entfremdet sich und regiert mit drakonischer Härte. Wichtiger aber ist, dass jenes Lebensexperiment namens »Sonnenstadt« einerseits ohne Mitstreiter und Nachahmer in der übrigen Welt bleibt, zugleich mit dem Rest dieser Welt verbunden ist; verändert sich die allgemeine Tektonik der Macht, ist auch die »Sonnenstadt« davon betroffen, wie Spartakus und die Seinen schmerzlich erfahren müssen.

Der Sklavenkrieg von Arthur Koestler ist ein überwältigender Roman, der den Leser dank der wendungsreichen Ereignisse und des Tiefgangs der Handlung fesselt, während das Geschehen auf sein tragisches Ende zusteuert. Man schaut in tiefe, dunkle Schluchten und spürt das verlockende Blau, das unerreichbar in der Höhe strahlt, die Verheißung einer besseren Welt. Unten aber steht der Mensch in seiner Widersprüchlichkeit und findet nicht aus seiner Haut heraus.

Der Roman selbst ist in gewisser Hinsicht dem »Gesetz des Umweges« gefolgt, bis er in dieser Form publiziert werden konnte. Das Originalmanuskript galt als verloren, die Veröffentlichung in weitere Sprachen geschah auf der Basis der Übersetzung ins Englische und einer Rückübersetzung ins Deutsche (Die Gladiatoren). Das Originalmanuskript schlummerte derweil in der Sowjetunion unter den misstrauischen Augen des KGB, ehe es nach weiteren Windungen und Wendungen veröffentlicht wurde.

[Rezensionsexemplar]

Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg
Elsinor 2021
Hardcover 392 Seiten
SBN 978-3-942788-60-1