Einen schönen Einblick in das Leben und universale Denken von Gottfried Wilhelm Leibnitz gibt das Buch von Michael Kempe, insbesondere das letzte Kapitel ist imponierend. Cover C.H. Beck, Bild mit Canva erstellt

Das Wort »Welten«, insbesondere der Plural, ist in Bezug auf Gottfried Wilhelm Leibniz treffend gewählt, das wird beim Hören oder der Lektüre des vorzüglichen Buches von Michael Kempe rasch klar. Der Gelehrte mit »universalem Denkhorizont« war gedanklich und persönlich in einer ungeheuerlichen Vielzahl an Welten unterwegs.

Allein die Zahl der Korrespondenzpartner ist überwältigend. Mit mehr als eintausend stand Leibniz in brieflichem Kontakt, er ist Teil gewesen, was Kempe als Gelehrtenrepublik (ein Motiv, das in dem wunderbaren Roman Der Kaffeedieb eine wichtige Rolle spielt) bezeichnet, ein Austausch über die stets anschwellende Zahl und Komplexität der Fragen, in einer Zeit, in der das Wissen regelrecht explodierte.

Wohlgemerkt vor mehr als dreihundert Jahren, also mit einem Schreibprozedere, das – wie viele andere heute unvorstellbare Umstände – ein wenig beleuchtet wird. Ein Brief wird nicht etwa in einen PC, Smartphone oder Tablett getippt und per E-Mail versendet, gar nicht zu reden von jenen Myriaden an Kurznachrichten, die in Echtzeit beim Empfänger eintreffen.

Feder und Tinte, teures Papier, das für Notizen wiederverwendet wird, was auch ein Grund dafür ist, dass Leibniz einen Berg an Zettelchen hinterlassen hat. Insgesamt umfasst diese Hinterlassenschaft rund 100.000 Schriftstücke aller Art und Größe. Zunächst wurden ein oder mehrere Entwürfe angefertig, die von einem Schreiber in Reinschrift gebracht und eventuell abgeschrieben sowie mit einem Postskriptum versehen wurden, ehe sie an den Empfänger abgingen.

Das konnte dauern. Ein Brief aus dem fernen China war mehr als ein Jahr zu Leibniz unterwegs, was keineswegs nur an der Entfernung, sondern auch politischen und geistlichen Kalamitäten lag: Man konnte für die falsch geäußerte Meinung in Lebensgefahr geraten oder der Spionage bezichtigt werden. Die Gelehrtenrepublik war grenzübergreifend, die Briefe und ihre Autoren mussten diese beachten, wählten Verschlüsselungen, Pseudonyme und falsche Namen.

Derlei schildert Kempe gewissermaßen en passant, das macht Die beste aller möglichen Welten sehr lebendig, spannend und abwechslungsreich. Der Leser wohnt einem Gelehrtenleben in seinen Umständen bei, das trotz hoher Posten und großem Ruhm von einer fundamentale Prekarität geprägt war. Dazu trägt  allerdings auch die  Lebensführung eines »Rolling Stone« bei, eines stets in Bewegung bleibenden, sich gern Optionen offenhaltenden Mannes.

Imponierend ist Kempes Schlussbetrachtung zu Leibniz und seinem Nachwirken, ausgewogen, nachdenklich wird der weitreichende Einfluss seines Denkens auf die Nachwelt dargelegt, ohne die Grenzen des Gelehrten zu verschweigen. Ja, gerade seine Irrtümer machen ihn für den Autor besonders wertvoll, denn der spezifisch leibnizsche Umgang mit dem Scheitern ist, ein rundum gelungener Abschluss für dieses Buch.

Michael Kempe: Die beste aller möglichen Welten
Gottfried Wilhelm Leibniz in seiner Zeit
S.Fischer Verlag 2023
Taschenbuch 352 Seiten
ISBN: 978-3-596-70968-7