Im vierten Krimi um die Navajo-Police hat Jim Chee nicht nur mit den kulturellen Gräben zu den Weißen zu kämpfen, sondern auch mit denen zwischen Navajo und Hopi.

Die Suche nach dem Motiv einer Tat gehört zum Wesenskern der Kriminalliteratur. Wenn eine Antwort auf die Frage nach dem Warum gefunden wurde, ist oft auch der Täter enttarnt. Die kunstvolle Verschleierung des Motivs und dessen nicht minder kunstvolle Entschleierung durch den Ermittler ist eine der Herausforderungen für den Autor. In den Romanen um die Navajo-Police spielt das Verstehen über eine tiefe kulturelle Kluften hinweg eine entscheidende Rolle.

Der vierte Roman der Buchreihe von Tony Hillerman ist wie die Vorgänger geprägt vom Grenzgang zwischen „Weißen“ und „Indianern“, letztere vertreten durch Navajo und Hopi, die wiederum selbst von großen kulturellen Unterschieden geprägt sind. Jim Chee ist Navajo, seine Fälle führen ihn zu den Hopi, von denen er einige Dinge weiß, die er im Studium durch ein anthropologisches Seminar gelernt hat.

Ein hübscher Kniff, um dem Begriff des Unterschiede verwischenden Wortes „Indianer“ seine Grenzen aufzuzeigen. Eigentlich sollte das keine allzu überraschende Erkenntnis sein. „Europäer“ meint schließlich auch kulturell sehr unterschiedliche Menschen, deren kulturelles Selbstverständnis kaum weniger weit auseinandergeht als es bei Hopi, Navajo und „Weißen“ der Fall ist.

Für den Polizisten Jim Chee erschweren die Klüfte das Verständnis und die Suche nach dem Motiv für diverse Taten. Im Kriminalroman Dunkle Winde sind gleich mehrere Fälle ganz unterschiedlicher Art zu lösen. Erst nach und nach zeigen sich Verbindungen, die teilweise zufälliger Natur sind. Auch das verkompliziert die Suche nach Antworten.

»Das ist nun mal dein Job, den Richtigen finden und festzunehmen.«

Tony Hillerman: Dunkle Winde

Am Anfang steht die Entdeckung eines übel zugerichteten Toten, die Entdecker sind Hopi, unterwegs in ritueller Angelegenheit. Das führt dazu, dass sie zunächst über den Fund schweigen. Als die Leiche schließlich entdeckt wird, sind dank fleißiger Aasfresser nur noch die Knochen übrig. Die Identifizierung des Toten ist somit einstweilen unmöglich, ein ganz wesentlicher Faktor der nachfolgenden Ereignisse.

Jim Chee ist derweil mit einer recht banal wirkenden Angelegenheit befasst. Ein Windrad wird immer wieder sabotiert. Der Täter ist hartnäckig, denn er lässt sich von den immer besseren Sicherungsmaßnahmen nicht abschrecken. Chee soll herausfinden, wer für die Beschädigungen verantwortlich ist, und den Vandalismus beenden. Kleiner Spoiler: Die Gas- und Kohlelobby steckt nicht dahinter.

Das Windrad ist keineswegs das einzige in der Gegend, mehrere sollen jene Energie gewinnen, mit der Wasser aus Brunnen gepumpt werden soll. Das ist Teil von einer Umsiedlungsaktion, die für böses Blut sorgt. Hopi haben durchgesetzt, dass Navajo das Land verlassen müssen, auf dem sie zwar schon viele Jahrzehnte wohnen, doch die ursprünglichen Rechte der anderen verletzen. So sieht es jedenfalls ein Gerichtsbeschluss.

Ein mögliches Motiv läge auf der Hand, Rache wegen der als Ungerechtigkeit empfundenen Umsiedlung. Warum aber betreffen die Anschläge nur ein Windrad? Während Chee auf der Lauer liegt, nähert sich plötzlich ein Flugzeug, das versucht, in tiefer Dunkelheit zu landen. Die Sache geht schief, zurück bleiben ein Wrack und mehrere Tote. Wie der Leser bereits weiß, ist der Flieger in krimineller Absicht unterwegs, Schmuggel, Drogen liegen nahe.

»Die quetschen die Drogen regelrecht aus Ihnen raus, und wenn nichts rauskommt, quetschen sie trotzdem weiter.«

Tony Hillerman: Dunkle Winde

Damit wird der Navajo-Polizist in eine Ermittlung hineingezogen, die über seine Zuständigkeit hinausgeht. Bundesbehörden wie die DEA sind dafür verantwortlich und einer ihrer Vertreter erweist sich nicht nur als rassistisch geprägter Weißer, sondern auch als jene sattsam bekannte Gestalt, die es mit rechtlichen Grenzen bei der Ermittlungsarbeit nicht so genau nimmt, wenn es dem Erfolg dient.

Chee gerät selbst in Verdacht, aus dem Wrack wertvolle Ladung gestohlen oder versteckt zu haben. Er findet sich unversehens in einer Doppelrolle des Jägers und Gejagten wieder. Seinen hochmütigen Gegnern ist er in mancherlei Hinsicht überlegen, etwa bei der Suche und Auslegung von Spuren. Wie in den anderen Romanen hat Hillerman das ganz großartig in seine Erzählung gewoben, sehr glaubwürdig und ohne jede Spur von Super-Ermittler-Gedöns.

Die größte Schwierigkeit Chees liegt aber im Verständnis der anderen, der „Weißen“ und der „Hopi“. Immer wieder spürt er seine Grenzen und gesteht sich offen ein, dass er den jeweils anderen nicht versteht. Durch intensives Nachdenken und geschickte Kommunikation kommt er schließlich der Wahrheit auf die Spur, auch den Umständen jenes höchst seltsamen Diebstahls von Schmuck, der so gar nicht in das gängige Muster zu passen scheint.

Dunkle Winde ist ein wunderbarer Roman der Reihe um die Navajo-Police. Ich weiß sehr zu schätzen, dass Hillerman nicht versucht, den Leser zu belehren, während er seine Ermittler auf die Suche nach der Wahrheit schickt. Man berührt ein wenig die fremdartige Kultur der indianischen Gemeinschaften, lotet die tiefen Kluften und rassistischen Abgründe aus, die auch nach der Auflösung der Fälle bleiben. Der reduzierte, dynamische und bisweilen bissig-ironischen Erzählstil machen die Lektüre zu einem unterhaltsamen Genuss.

Weitere Bücher der Reihe um die Navajo-Police:
Tanzplatz der Toten
Blinde Augen
Zeugen der Nacht

Tony Hillerman: Dunkle Winde
Ein Fall für die Navajo-Police
Aus dem Englischen von Klaus Fröba
Nach dem Original durchgesehen und überarbeitet von Andreas Heckmann
Unionsverlag 2023
Taschenbuch 256 Seiten
ISBN: 978-3-293-20956-5