Schriftsteller - Buchblogger

Schlagwort: Spanischer Bürgerkrieg

Florent Silloray: Capa

Eine gelungene Graphic-Novel über den weltberühmten Kriegsfotografen, man erkennt seine Bilder wieder, aus einer anderen Perspektive. Cover Kenesbeck-Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Seit dem herausragenden Roman Der Schlachtenmaler von Arturo Peréz-Reverte bin ich für das Thema Kriegsfotographie sensibilisiert. Robert Capa, bürgerlich Endre Friedmann, geboren 1913 in Budapest, war wohl einer der bekanntesten Könner seines Fachs. Die Graphic-Biography von Florent Silloray zeichnet das Leben des Kriegsfotographen überwiegend linear nach, einzelne Rückblenden sind eingestreut.

Was für ein Lebensweg! Die Bilderzählung setzt 1936 ein, als Robert Capa von seiner Freundin Gerda erfunden wird, um das Leben in bitterer Armut durch einen Trick zu beenden: Endres soll vorgeben, er wäre ein amerikanischer Fotograf, Gerda mimt dessen Agentin. Damit soll es gelingen, die Tarife anzuheben, die Fotograph Endres bislang fordern kann.

Das Unternehmen klappt – zeitweise – und bringt wichtige Kontakte, Aufträge und Perspektiven. Im gleichen Jahr geht es nach Barcelona, hinein in den Spanischen Bürgerkrieg, den ersten der folgenden 18 Jahre, die Endres / Capa noch bleiben. Denn 1954 wird er bereits sterben, in Indochina, dicht an der Front, im Kampfeinsatz mit einer französischen Einheit, bei dem er auf eine Mine tritt.

Die Zeit dazwischen mit ihren globalen Kriegshandlungen erlebt der Leser dieser Graphic-Biography recht atemlos, dank der verknappten, unpathetischen, ereignisorientierten Darstellung. Es gibt Auszeiten, vor allem in Hollywood, als Capa heimlich mit dem Weltstar Ingrid Bergmann liiert ist, aber auch später in Frankreich, als es ihm gelungen ist, eine Fotoagentur zu gründen, um die individuelle Abhängigkeit des Kreativen von den Zeitungen zu brechen.

Die Schattenseiten dieses Mannes bleiben nicht verschwiegen. Alkohol, Kartenspiel mit hohen Spielschulden; sein Dämon in Gestalt des tragischen Schicksals Gerdas, das ihm eine Bindungshemmung hinterlässt. Silloray breitet das vor den Augen des Lesers ebenso aus, wie die grauenhaften Erfahrungen, die Capa 1944 in der Normandie macht.

Natürlich ist sein berühmtes Bild vom sterbenden Milizionär auf dem Schlachtfeld des Spanischen Bürgerkrieges zu sehen – aber aus einer ganz anderen Perspektive, die den Fotographen bei seinem Schnappschuss zeigt. Nicht nur das ist großartig, denn auf eine ganz besonders gelungene Weise fängt Silloray das Leben dieses Mannes ein, der eben auch ein Migrant war, wurzel- und staatenlos.

Florent Silloray: Capa
Knesebeck 2017
Hardcover 90 Seiten
ISBN: 978-3-95728-067-1

Hermann Stresau: Von den Nazis trennt mich eine Welt

Der Begriff »Innere Emigration« ist umstritten, im Falle des Tagebuchschreibers Hermann Stresau passt er meines Erachtens sehr gut. Cover Klett-Cotta, Bild mit Canva erstellt.

Als Adolf Hitler Anfang 1933 die Macht in Deutschland übertragen wurde, begann für Herrmann Stresau eine Leidenszeit. Seine Anstellung als Bibliothekar verlor er, weil er sich weigerte, mit dem neuen Regime konform zu gehen und in eine der Formationen einzutreten, Partei, SA oder wenigstens einen jener Verbände, die zu Hitlers politischen Verbündeten zählten, etwa den »Stahlhelm«.

Stresau leidet daran, denn durch den Verlust seiner Anstellung verschwindet auch der regelmäßige Verdienst; finanziell befindet er sich in Turbulenzen, zumal persönliche Umstände, die in den ersten Monaten des Jahres 1933  auch in seinem Tagebuch breiten Raum einnehmen, die wirtschaftliche Lage verschlechtern; die Wohnung ist verloren, Stresau und seine Frau müssen Berlin verlassen.

Besonders bitter ist es für ihn, dass Opportunisten und Karrieristen bedenkenlos den Kotau vollziehen, sich den neuen Machthabern andienen und erfolgreich die Karriereleiter hinauffallen. Wie in vielen Autokratien zählt die Angepasstheit mehr als die Befähigung. Grollend verfolgt Stresau von seinem neuen Wohnort, weit außerhalb Berlins, wie sich der Wandel vollzieht.

An diesem grotesken Dämon hängen Millionen.

Hermann Stresau: Von den Nazis trennt mich eine Welt

Ein Opfer der Nazis, weil er seiner Überzeugung treu geblieben ist; ein Widerständler ist Stresau deswegen nicht, daher aus der Untertitel des Buches, der einen umstrittenen Begriff aufgreift: Innere Emigration. Ganz passend zur intellektuellen ist die räumliche Distanz des Tagebuchautors, der vieles an den Machthabern verabscheut: Propaganda, Großsprecherei und Größenwahn, Anti-Intellektualität, die Masse, das Geschrei, die Verlogenheit usw.

Stresau ist kein Linker, im Gegenteil, er verachtet viele linke Autoren (Kerr, Mann, Tucholsky) und weint ihnen, als diese Deutschland verlassen, keine Träne nach. Geboren in den USA, aufgewachsen in Deutschland meldet er sich 1914 freiwillig für den Krieg, er ist ein entschiedener Gegner des Versailler Vertrages, dessen Auflösung er begrüßt – nicht jedoch die Forcierung durch die Nazis, was – aus Stresaus Sicht – unnötige Kriegsrisiken heraufbeschwört.

Ein Konservativer, dessen Weltbild in vielerlei Hinsicht mit dem jener Kräfte übereinstimmt, die Hitler an die Macht verholfen haben. Mit der Weimarer Republik, der Demokratie, Wahlen und Parlamentarismus kann Stresau auch nicht viel anfangen, seine Äußerungen sind kritisch. Hier und da blitzen antijüdische Stereotype auf, wenn er dem Aussehen eines Menschen etwa etwas jüdisches andichtet; umgekehrt operiert er auch mit dem Begriff »arisch«, als er beispielweise zwei jüdische Kinder beschreibt.

In dieser Luft keimen die Miasmen des Krieges.

Hermann Stresau: Von den Nazis trennt mich eine Welt

Man bekommt es also mit einer eher ungewöhnlichen, dadurch besonders interessanten Person zu tun. Leicht ist die Lektüre des Tagebuchs gerade in den ersten Monaten 1933 nicht, denn hier nehmen die persönlichen Umstände, Kämpfe und Niederlagen einen recht breiten Raum ein, ihnen widmet sich Stresau mit der gleichen Detailtreue, wie den politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen.

Gerade in diesem Sinne entfaltet das Buch seine große Wirkung: Stresau ist ein sehr guter Beobachter, trotz seiner Distanz zu den Ereignissen in Berlin, sieht und hört er eine Menge, etwa im Radio, analysiert es und bringt es treffend zu Papier. Die Äußerungen über das, was Deutschland unter einem Hitler-Regime blühen könnte, sind teilweise so treffend, dass man staunt. Schon sehr früh ahnt er, dass alles in einem Krieg endet.

Je weiter die Zeit voranschreitet, desto seltener werden die Einträge. In den letzten drei Jahren schreibt Stresau vor allem dann, wenn einschneidende Ereignisse auftreten: Spanischer Bürgerkrieg, Besetzung Österreichs, Sudetenkrise, Münchener Abkommen, Novemberprogrome, Hitler-Stalin-Pakt und schließlich der Kriegseintritt. Die Äußerungen sind von nüchterner, präziser Klarheit.

In Spanien ist der neue Weltkrieg im Gange, erst noch en miniature, man kann es ein Vorspiel nennen, eine Konzertprobe, um neue Instrumente auszuprobieren.

Hermann Stresau: Von den Nazis trennt mich eine Welt

Die Barbarei dringt auch zum Refugium Stresaus vor, der von »Foltereien« spricht und lakonisch bemerkt, Todesurteile seien an der Tagesordnung. Als sie einen jüdischen Arzt kennenlernen, bemerkt er dessen unerhörten Optimismus; die Realität ist Stresau mehr als bewusst. Er und seine Frau drängen den Arzt immer wieder, auszuwandern, was dieser erst – im letzten Moment – vor den November-Pogromen 1938 auch tut.

Gleichzeitig erschöpft der lange Weg von 1933 den Autor, der immer weniger bereit ist, sich dem Schreiben des Tagebuchs auszusetzen. Um zu überleben widmet er sich Artikeln, Übersetzungen und eigenen Arbeiten, etwa über Joseph Conrad. Die Lektüre ist faszinierend, weil sie die – vielfach geschilderte Zeit – aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive zeigt, die tatsächlich sehr gut zu dem passt, was »Innere Emigration« bedeutet, ohne die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen.

[Rezensionsexemplar]

Hermann Stresau: Von den Nazis trennt mich eine Welt
Hrsg. von Peter Graf und Ulrich Faure
Klett-Cotta 2021,
Gebunden 448 Seiten
ISBN: 978-3-608-98329-6

Javier Marías: Dein Gesicht morgen

Was für ein genialer Roman! Ich habe mir bewusst Zeit gelassen für die Lektüre dieses 1.600 Seiten starken Opus Magnum und es hat sich gelohnt. Cover Fischer-Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Ich stelle mir den Leser als Baumstamm vor, der in einem gewaltigen Fluss treibt, den Dutzende von großen, hunderte von mittleren und kleinen und ungezählte unsichtbare Zuflüsse speisen. Gemächlich treibt der Leser mit der Strömung dem Meer entgegen, während er voller Staunen beobachtet. Nicht nur, was an den Ufern vorüberzieht, sondern was eingespeist wird, Dinge, die im wahrsten Sinne des Wortes weithergeholt sind.

So ließe sich meine Lektüre des Opus Magnum von Javier Marías am besten beschreiben. Der 2022 verstorbene Autor hat mit Dein Gesicht morgen ein gewaltiges Werk geschaffen, für das der Begriff »ungewöhnlich« nicht annähernd ausreicht. Eine Handlung gibt es auf den rund 1.600 Seiten auch, sie wäre in wenigen Sätzen erzählt.

Marías lässt aber den Gedanken und Assoziationen seiner Hauptfigur freien Lauf und diese nutzen den Freiraum für ausgedehnte Exkursionen, von denen sie bisweilen erst nach einigen Kapiteln zu dem zurückkehren, was man Handlung nennen könnte. Die Verknüpfungen sind bisweilen verblüffend.

Auf der Suche nach einer Person dringt der Erzähler in eine Damentoilette ein, ein schönes Gesicht lässt ihn über ausgedehnte Umwege auf den Gedanken kommen, die Frau hätte ihrem Aussehen etwas nachgeholfen; eine Gedankenkette windet sich weit hinein in Zeit und Raum, um bis zu der SS-Größe Reinhold Heydrich vorzudringen. Das Bindeglied: Botox. Botulinum Toxin. Für den einen tödliches Gift, für die andere ein Faltenglätter.

Was wäre ein Opus Magnum ohne Thema? Mit Heydrich ist bereits ein wichtiger Fingerzeig gegeben, um was es geht. Gewalt. Irgendwann stellt eine Person aus dem Umfeld die banal klingende Frage, warum man nicht einen anderen Menschen schlagen, ihn töten könne. Ja, warum eigentlich nicht? Warum sollte man nicht brutale, menschenverachtende Gewalt ausüben?

Es geht um die Schatten des menschlichen Lebens, der Kriege, die geführt werden und wie das geschieht. Natürlich liegt der Gedanke an den 11. September 2001 nahe, in dessen Folge die USA zwei Angriffskriege führten und selbst tief in den Schatten hineinglitten – etwa durch Abu Ghraib. Dein Gesicht morgen weiß dazu eine Menge zu erzählen, gerade auch einem Baumstammleser, der vorübertreibt und staunt.

Ganz so leicht lässt der Autor den Leser nicht entkommen. Er treibt nicht einfach, gemächlich ins Meer. Der letzte des dreiteiligen Werkes ist handlungsstärker, um im Bild zu bleiben: Die Ufer rücken nahe, der Flußlauf beschleunigt sich, Steine liegen im Flussbett und verwirbeln das Wasser, man läuft Gefahr, sich zu verletzen – ehe ganz am Ende die Dinge vom Anfang erneut aufgegriffen werden, ein riesiger Bogen, der sich über die ganze Handlung hinwegschwingt, wieder den Boden berührt.

Javier Marías: Dein Gesicht morgen
aus dem Spanischen von Elke Wehr und Luis Rub
FISCHER  2022
Taschenbuch 1632 Seiten
ISBN: 978-3-596-70344-9

Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte

Der Roman des Cubaners Leonardo Padura gehört zu den drei besten, die ich je gelesen habe. Cover Unionsverlag, Bild mit Canva erstellt.

Wie bringt man jemanden dazu, einen Menschen zu töten? Auf diese Frage gibt es unzählige Antworten, abhängig davon, unter welchen Umständen der Tötungsakt vollzogen werden soll. Der cubanische Schriftsteller Leonardo Padura führt in seinem großen Roman vor, welchen Weg Ramón Mercader, der Mörder von Leo Trotzki, gegangen ist; oder besser: entlang getrieben wurde, denn erst eine massive Manipulation unter anderem seitens der eigenen Mutter sowie Mitarbeitern von Stalins Geheimdienst hat ihn zu der Bluttat befähigt.

Die Vielschichtigkeit der Charaktere in »Der Mann, der Hunde liebte« gehört zu den Stärken des Romans. Wenn ich Ramóns Mutter und Geheimdienst-Schergen den Schwarzen Peter im einleitenden Absatz zuschiebe, bleibt wenig Raum für Verständnis; ihr Antrieb zum Handeln ist aber ebenfalls vielschichtig, sie haben alle ihre Beweggründe, die sie aber auch als Waffe einsetzen, um ihr Ziel zu erreichen, oft verstärkt durch Lügen.

»Ich war gläubig, aber ich habe dich gezwungen, an Dinge zu glauben, von denen ich wusste, dass es Lügen waren.«

Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte

Padura hat zum Glück eine brillante Entscheidung getroffen und seinem Roman eine angemessen komplexe Struktur gegeben, statt sich nur auf die Geschichte des Mörders zu beschränken. Wer nun ein zähes Leseerlebnis befürchtet, sei beruhigt: Die Erzählung umschlingt den Leser unmittelbar und lässt ihn bis zum bitteren Ende nicht mehr los. Komplex heißt nämlich, dass schon die drei zeitlich getrennten, inhaltlich aber eng miteinander verwobenen Erzähllinien für eine immense Abwechslung und Spannung sorgen.

Das Endergebnis, der Tod Leo Trotzkis, steht mit der ersten Zeile des Romans fest, denn die ist nichts anderes als eine karge Zeitungsnotiz, gefolgt von dem Auszug eines Verhörprotokolls, in dem der Mörder schildert, wie er – mittels eines Eispickels – die Tat ausführt und wie – sehr wichtig! – Trotzki darauf reagiert. Diesen beiden Anfängen schließt sich die Schilderung einer Beerdigung an, nicht etwa des gemeuchelten Revolutionärs, sondern der nach langer Krankheit verstorbenen Frau des Erzählers namens Iván.

Kaum hatte Ramón Pawlowitsch den Hörer aufgelegt, hörte er wieder den Schrei.

Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte

Man stolpert also ein wenig in diese große Erzählung, ist verständlicherweise etwas verwirrt und orientierungslos – ein angemessener geistiger Zustand für diesen Roman. Denn für Iván, den – wie immer bei Padura – unvollendeten Schriftsteller, bricht durch seine Begegnung mit dem »Mann, der Hunde liebte« eine Welt zusammen. Der Zusammenbruch vollzieht sich langsam, streckt sich über Jahre und ist gewissermaßen eine Parallele zur Agonie des Sowjetreiches, ehe es schließlich innerhalb weniger Wochen implodierte.

Im Falle Iváns zerfällt sein Glaube an eine Ideologie zu Staub, während die Erkenntnis reift, über Jahre, Jahrzehnte hinweg belogen und betrogen worden zu sein. Als Kommunist auf der Insel Cuba unter dem Regime von Fidel Castro sah sich Iván als Mitstreiter für eine bessere und gerechtere Welt, was ihn übrigens sowohl mit Trotzki als auch mit dessen Mörder Ramón verbindet.

Ein naiver, zunächst aufstrebender Mitstreiter, dem das Regime auf brutale Weise klarmacht, dass es in Wahrheit um Konformismus geht und jede Form von Abweichung, ob gewollt oder unbewusst, erbarmungslos geahndet wird. Iván wird fast alles genommen, was sein Leben hätte ausmachen können – trotzdem ist die Konfrontation mit der Wahrheit, den unendlich brutalen, erbarmungslosen und zutiefst verlogenen Abgründen des Stalinismus auch für den Geschlagenen und Geprügelten ein tiefer Schock.

Den eigenen Glauben an eine gerechte Welt zu verlieren, ist eine Sache; die kommunistische Wirklichkeit als verlogene Hölle auf Erden zu durchschauen, eine ganz andere. Das verbindet Iván ebenfalls mit Trotzki und dem Attentäter Ramón. Alle drei machen eine Phase der Ernüchterung durch, der schmerzhaften Erkenntnis, dass ihre Träume nur als Alpträume realisiert worden sind.

Doch war meine erste Reaktion die, dass ich mir leidtat, ich und all jene, die an die in der damals untergegangenen Sowjetunion erreichte Utopie geglaubt hatten.

Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte

Padura doziert nicht. Er lässt den Leser miterleben, wie sich die drei Protagonisten Stück für Stück inmitten dieser grausamen Flut bewegen, abstrampeln und von ihr mitgerissen werden. Es ist auch ein Roman über mein ganz persönliches Herzensthema, wie der Einzelne  dem Phänomen namens Macht gegenübersteht. In Stalins Reich spielte das Individuum keine Rolle, auch wenn es sich mit vielen anderen zu Millionen aufsummierte; alles wurde dem Machterhalt untergeordnet, der vorgeblich dem Erreichen einer besseren Welt diente.

Während Iván und mit Abstrichen auch Ramón tatsächlich keinen Einfluss auf den Lauf der Dinge hatten, gilt das nicht für Leo Trotzki. Der ist selbst ein Massenmörder gewesen, ein roter Blutsäufer in himmelschreiendem Ausmaß. Auf sein Konto gehen – zum Erhalt der Macht – Entscheidungen, die Millionen Menschen in den Tod gerissen haben. Lange vor Stalins unmenschlichem Regime ist das (Lenins und) Trotzkis nichts anderes gewesen als eine erbärmlich verbrämte Schreckensherrschaft.

[…] und ohne Gesetz und Gnade eine rote Schreckensherrschaft zu installieren und mit Feuer und Schwert eine dahintaumelnde Revolution zu retten, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.

Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte

Wie kann man einem solchen Monster anders als mit tiefgreifender Antipathie folgen? Paduras Kniff ist, dessen Geschichte in dem Augenblick beginnen zu lassen, da er selbst zum ohnmächtigen Opfer wurde und vor ihm ein langer, qualvoller Weg in Bedeutungslosigkeit und Tod lag. Vor allem aber dessen hellsichtige Klarheit über das Stalinregime und dessen irrsinnige politische Manöver, die mithalfen, Hitler an die Macht zu bringen und Franco den Sieg in Spanischen Bürgerkrieg einzufahren, wecken ein gewisses Maß an Respekt.

Ramóns Weg beginnt später, in jenem Spanischen Bürgerkrieg. Zwischen seiner und der Erzähllinie Trotzkis liegen zunächst Jahre, der zeitliche Abstand schmilzt peu á peu dahin, je näher sich die Handlung dem Attentat nähert. Padura hat keinen Thriller verfasst, obwohl die Spannung über das »Wie« des Tötungsaktes bleibt; es geht ihm um eine Entzauberung, die der Mord für Ramón, aber auch für die gesamte Sowjetideologie bedeutet. Pars pro toto – ein Akt stellvertretend für ein ganzes Weltbild, das von Menschenfeinden bis in die Gegenwart verfochten wird.

Iváns Perspektive, die sich immer wieder in diesen tödlichen Paartanz zwischen Trotzki und Ramon, Opfer und Mörder, (Massen-)Mörder und Opfer, hineinwindet, füllt die öde Polit-Phrase vom Lernen aus der Geschichte mit Leben. Schmerzhafte Entscheidungen und Prozesse sind unvermeidlicher Teil dieses Lernens, das sonst keins ist. Es verlangt Taten, die sich mit der gepflegten Ideologie nicht vereinbaren lassen.

Padura führt seinen Leser durch Szenen von abgründiger Beklemmung, er braucht die Folterkeller in Stalins Reich nicht zu betreten, es reicht, einem der Schauprozesse beizuwohnen. Besondere Intensität wohnt der letzten Wegstrecke inne, die der Mörder zurücklegt, ehe er das Attentat ausführt. Zu den Kuriositäten der Literatur gehört, dass Spoiler die Spannung keineswegs zerstören (müssen), im Gegenteil: Jeder weiß, dass der Mord gelingt, dennoch ist die einengende Spannung schwer erträglich.

»[…] und deswegen habe ich euch, meine Kinder, zu dem gemacht, was ihr seid: Kinder des Hasses.«

Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte

Ramón Mercader ist zu einem Killer ausgebildet worden, angefüllt mit Hass und auf vielfältige Weise manipuliert. Dennoch nagt der Zweifel an ihm wie eine gefräßige Ratte an einem Kadaver; er weiß, dass er eine Marionette geworden ist, er weiß, dass ihm der Tod droht, er spürt die Schwäche seiner Beweggründe und das knackende Eis unter seinen Füßen und trotzdem schreitet er zur Tat. Es mag sein, dass Wissen Macht ist; doch schützt es weder vor Ohnmacht noch vor Verbrechen.

Der letzte Teil des Romans trägt – anders als die ersten beiden – einen Titel: Apokalypse. Er trägt ihn zurecht, denn wie ein Hammer trifft auch den Mann, der Hunde liebte, die Erkenntnis vom tiefen Verrat an allem, was er geglaubt hat. Man stelle sich vor: Das gesamte Leben, alle Träume von einer gerechteren Welt, der Glaube an die Sowjetunion und ihre Führer zerfallen zu Asche, aus der wie ein Phönix eine blutgetränkte Wahrheit emporsteigt, die alle eigenen Opfer in Mittäterschaft verwandeln. Folgerichtig trägt das finale Kapitel den Titel: Requiem.

Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte
Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein
Unionsverlag 2012
Broschiert 736 Seiten
ISBN 978-3-293-20579-6

Lydie Salvayre: Weine nicht

Ein seltsam klingendes Zitat aus dem preisgekrönten Roman, doch hat der Krieg für die Hauptfigur die Tür aufgestoßen, durch die sie ihren Verhältnissen entkommen konnte. Kurzzeitig. Cover Blessing, Bild mit Canva erstellt.

Der Spanische Bürgerkrieg ist in der Literatur vielfach thematisiert, berühmte Schriftsteller wie George Orwell (“Mein Katalonien”) oder Ernest Hemingway (“Wem die Stunde schlägt”) haben über ihre Erlebnisse berichtet, es gehören literarische Perlen wie das Buch von Almudena Grandes (“Der Feind meines Vaters”) und viele andere dazu. Auf dem vorzüglichen Literaturblog Kaffeehaussitzer findet man ein Leseprojekt Spanischer Bürgerkrieg, das eine anregende Buchliste enthält.

2014 hat die Verleihung des französischen Literaturpreises Prix Goncourt ein weiteres Buch ins Rampenlicht gestellt: Weine nicht. Deren Autorin, Lydie Salvayre, hat Wurzeln, die nach Spanien reichen. Sie wurde als Tochter einer Frau geboren, die gerade noch vor den siegreichen Streitkräften des faschistischen Diktators Franco fliehen konnte. Ihr Roman nähert sich dem Thema auf besondere Weise.

Der Spanische Bürgerkrieg gilt vielen als Präludium für den Zweiten Weltkrieg. Das ist etwas eurozentrisch gedacht und auf das Deutsche Reich fokussiert, das in Spanien mit der so genannen “Legion Condor” Franco unterstützte, während die Verteidiger der Republik nur durch die Sowjetunion Unterstützung erhielten – zu einem hohen Preis, was in Weine nicht dankbarerweise nicht verschwiegen wird: Stalin schickte Waffen und Terror nach Spanien, dem mehrere zehntausend Menschen zum Opfer gefallen sind.

Vielfältige Perspektiv- und Zeitwechsel

Selbstverständlich werden auch die Hinrichtungen durch die Franco-Faschisten nicht übergangen. Die Darstellung ist besonders eindrücklich, weil die Autorin dafür die Perspektive des konservativen Katholiken George Bernanos wählt. Erschüttert durch die Brutalität und die ignorante, menschenverachtende Haltung der Katholischen Kirche räumt der Mann seine politische Position und dokumentiert die Gräueltaten in seinem Werk: Die großen Friedhöfe unter dem Mond.

Schlimme Zeiten für die, die Heilslehren aller Art misstrauten und die lieber ihrem Gewissen gehorchten als doktrinären Einpeitschern der einen oder anderen Seite.

Lydie Salvayre: Weine Nicht

Salvayre lässt Teile daraus und andere Dokumente geschmeidig in ihren Roman einfließen, ihre Erzählung wandelt spielerisch zwischen faktenreicher Darstellung, Erzählung und Erinnerung, Fiktion und Auszügen aus Quellen. Die Handlung spielt auf mehreren zeitlichen Ebenen, die Autorin mischt kräftig mit, erläutert und kommentiert ihren Schreibprozess, außerdem ist die Interpunktion sehr freizügig gestaltet.

Beeindruckende Leichtigkeit

Der Roman rutscht trotzdem zu keinem Zeitpunkt in ein undurchsichtiges Wirrwarr ab und erzählt mit einer wunderbaren Leichtigkeit. Das liegt auch daran, dass ihm im Kern eine (tragische) Liebesgeschichte als Leitfaden eingewoben wurde. Die Hauptfigur, Montserrat, schließt sich mit ihrem Bruder den Verteidigern der Republik an. Für kurze Zeit erlebt sie Freiheit und ihre große Liebe.

Der Krieg, meine Liebe, ist genau zum rechten Zeitpunkt gekommen.

Lydie Salvayre: Weine Nicht

So ist das Zitat auch zu verstehen, dass der Krieg zum rechten Zeitpunkt gekommen wäre. Diese flammende Liebe mündet in ein würgendes Desaster, mit lebenslangen Folgen. Es gehört zu den großen Stärken des Buches, dass es den Leser einmal nachempfinden lässt, wie weit die Schatten eines Krieges reichen, auch wenn die Kampfhandlungen lange beendet sind.

Zum Zeitpunkt dieses persönlichen Liebes-Desasters machen Montserrat und ihr Bruder Erfahrungen mit der grausamen Realität der Kriegführung. Die Ideale sind menschenverachtender Ideologie gewichen, auch die Sache der Verteidiger der Republik hat ihren Glanz eingebüßt. Auch aus diesem Grund kehren beide in ihre Heimat zurück.

Besonders wertvoll macht diesen Roman der Umstand, dass er eindrücklich nacherzählt, wie sich die Haltung der Bevölkerung in Montserrats Heimatort gegenüber Revolution und dem sich abzeichnenden Sieg der Franco-Seite wandelt. Wer von Umstürzen träumt, sollte hier genau lesen und zuhören, denn so einfach ist die Sache nicht, auch wenn zu Beginn einer Umwälzung die Begeisterung groß ist.

Leider ist der Roman nur noch antiquarisch erhältlich.

Lydie Salvayre: Weine nicht
aus dem Französischen von Hanna von Laak
Blessing 2016
Hardcover 256 Seiten
ISBN: 978-3896675644

© 2023 Alexander Preuße

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