Im Kopf geht die Arbeit am Manuskript weiter, an jedem Ort, zu jeder Zeit.
Faulheit! Höflicher formuliert: Prokrastination oder Schreibblockade. Die Diagnose ist ebenso einfach wie einleuchtend. Seit Tagen das gleiche Bild. Das schwächste Kapitel des gesamten Buches steht zur Überarbeitung an. Ich weiß ganz genau, dass diese Passage so nicht bleiben kann, verändert oder vielleicht neu geschrieben werden muss.
Sie liegt ungefähr in der Mitte von »Totenschiff«, dem fünften Teil meiner Abenteuerreihe um die »Piratenbrüder«. Man trifft sich, Joshua und Jeremiah auf der einen, Alba und Stella auf der anderen Seite. Das ist im vorherigen Band schon einmal geschehen, zwar unter ganz anderen Umständen; doch handelt es sich um eine Dopplung.
Das kann so also nicht bleiben.
Ich könnte auch den Stier bei den Hörnern packen und das fragliche Kapitel direkt angehen. Theoretisch. Praktisch funktioniert das nicht, denn das Kapitel ist in den Erzählstrom eingewoben, an den ich mich nach einigen Monaten Pause bei der Arbeit an diesem Manuskript erst einmal wieder herantasten muss.
Es wird ein wenig unheimlich im fünften Band meiner Abenteuerreihe Piratenbrüder.
Vor ein paar Tagen bin ich nun bis zu dieser Stelle mit meiner Überarbeitung vorgedrungen; statt mich nun der problematischen Passage zu widmen, habe ich zunächst andere Dinge erledigt, bin danach noch einmal die vorangehenden Kapitel durchgegangen und habe schließlich einen Tag lang gar nichts gemacht.
Faulheit. Prokrastination. Schreibblockade. Alles Unsinn. Unterbewusst habe ich die ganze Zeit an der Stelle gearbeitet, darüber nachgedacht, was auf welche Weise geändert werden könnte. Seit gestern Morgen weiß ich es plötzlich, mitten auf dem Weg zum Einkaufen meldete sich mein Gehirn aus dem Reich des kreativen Faulseins und präsentierte die Lösung.
Kurios, dass so etwas bei jedem Buch nach einem ähnlichen Schema verläuft und dennoch immer wieder überrascht und erstaunt. Schreiben vollzieht sich oft fern von Tastatur, Stift und Manuskript, irgendwo in einer dunklen Ecke des Bewusstseins, wird gearbeitet, während augenscheinlich alles zu ruhen scheint. Ruhe und Distanz sind aber die Voraussetzung für diese verdeckte Arbeit – auf Bildschirm oder Papier zu starren schadet nur.
Ein lesenswertes Buch über die Azteken, die nicht auf die Opferrolle reduziert werden. Sie waren unterlegen, haben den Kampf gegen die Eroberer aber angenommen, nach ihren Mitteln klug geführt und letztlich dennoch verloren. Cover C.H. Beck, Bild mit Canva erstellt.
Wenn man einen modernen Atlas der Geschichte aufschlägt und nach dem Reich der Azteken sucht, findet man das Bild einer farbig markierten Fläche im heutigen Mexiko, das jenes „Azteken-Reich“ im Jahr 1521 zeigen soll. Das Beispiel ist dem Atlas von Christian Grataloup entnommen, es deutet durch schraffierte Gebiete auch eine Art Herrschaftshierarchie an, ein kleiner Kasten gibt einige weitere Informationen preis, die eine kurze geschichtliche Einordnung erlauben.
Atlanten wie Christian Grataloups Geschichte der Welt erlauben einen schnellen Zugriff auf Kartenmaterial und knappe Informationen. So erhält man eine Vorstellung davon, wo zum Beispiel die Azteken lebten, wie groß ihre Herrschaftsgebiet war oder ihr Einfluss reichte, was sich während der Lektüre eines Sachbuchs vom Format Fünfte Sonne als kritikwürdig herausstellt. Das ist kein Nachteil, den kein Atlas vermag eine Form von Wirklichkeit oder gar Wahrheit abbilden, es ist immer eine spezielle, autorgebundene Sichtweise.
Nach der Lektüre von Fünfte Sonne erweisen sich mehr oder weniger alle Aussagen als problematisch, wenigstens verkürzt oder zweifelhaft. Das liegt unter anderem daran, dass die Geschichte der Azteken auf der Basis von Quellen verfasst wurde und wird, die niemals für die europäische Geschichte des Mittelalters Verwendung finden, sondern von der Quellenkritik aussortiert werden würden. Für die Geschichte der Azteken wurden sie dennoch verwendet.
Das führt zu Zuschreibungen und Erfindungen, die dem jeweiligen Urheber und seinem Weltbild gelegen kamen bzw. kommen. Bei der Geschichtsschreibung wird also mit zweierlei Maß gemessen, wie es laut Camilla Townsend sonst nicht vorkommen würde. Man könnte hier aber durchaus auf auf die Karthager verweisen, insbesondere der von den Römern gegenüber ihren tödlichsten Gegnern immer wieder beschworene Menschenopferkult erinnert direkt an das, was über die Indios erzählt wird.
In dem kleinen Kasten ausDie Geschichte der Weltwird die Problematik im letzten Satz deutlich: Nach der Lektüre von Fünfte Sonne würde man wenigstens eine andere Formulierung gebrauchen. Da Filme wie Apocalypto eine viel größere Reichweite haben und das Bild von Millionen Zuschauern prägen, die niemals ein Geschichtsbuch oder einen Atlas in die Hand nehmen würden, ist das Bild in der breiten Öffentlichkeit noch schräger. Wer das schaut, erhält ein gruselig verzerrtes Bild der Welt Altamerikas.
Für die Indios wurden andere Standards angewendet.
Camilla Townsend: Fünfte Sonne
Die Azteken waren eine Hochkultur. In ihrem Welt- und Selbstbild, das sich dramatisch von dem unterscheidet, was heute noch immer kursiert, lebten sie unter der fünften Sonne – vier Universen waren zuvor bereits zusammengebrochen. Schon diese Bemerkung macht klar, dass man den Barbaren-Topos getrost in die Rumpeltruhe verbannen kann.
Dorthin gehört auch das vielfach beschworene Opfer-Motiv: Die Azteken waren tatsächlich Opfer des spanischen Expansions- und Eroberungsstrebens, ihrer Beutegier und der von Europa eingeschleppten Erreger, die verheerende Epidemien auslösten. Es wäre jedoch grundfalsch, sie auf diese Rolle zu reduzieren oder gar festzulegen, gar nicht zu reden davon, dass die Azteken ein Ende gefunden hätten.
Camilla Townsend verfolgt das erklärte Ziel, die Kontinuitäten, die Anpassung an die neuen Umstände, die Adaption kultureller und technischer Aspekte (Lateinisches Alphabet, Segelschifffahrt) und die kluge sowie geschickte Nutzung für eigene Zwecke darzustellen. Zum Beispiel erkannten die Indios sehr schnell die Vorzüge des Alphabets gegenüber ihrer eigenen Form der Aufzeichnung und verwendeten sie, um ihre eigene Geschichte zu überliefern. Es gibt also indigene Quellen – sie stellen die Rezipienten allerdings vor einige Hürden.
König Moctezuma war den Ankömmlingen einfach unterlegen, und das wusste er.
Camilla Townsend: Fünfte Sonne
Dieser kurze Satz aus Fünfte Sonne bietet eine Menge Sprengstoff, vor allem die letzten drei Worte. Moctezuma wird so zu einem klar denkenden, handelnden Machtmenschen, der seine Optionen wägt und auf dieser Basis Einschätzungen und Entscheidungen trifft – genau wie die Europäer! Es kann keine Rede sein von jenem Geschwurbel, nach dem die Aztekenherrscher vor allem aus religiösen Motiven entschieden und handelten, gar nicht zu reden von der Behauptung, Cortés wäre als Gott angesehen worden.
Townsend beleuchtet, wie die Ankunft der Europäer im Reich der Azteken kommuniziert wurde, welche Maßnahmen ergriffen und Entscheidungen getroffen wurden: Informationen über die Ankömmlinge sammeln, ihre Ziele und Stärke einschätzen, die eigenen Möglichkeiten abwägen und auf dieser Basis taktische und strategische Optionen erdenken.
Man wage ruhig einen vergleichenden Blick in die Gegenwart, etwa auf die deutsche Russland- bzw. Nicht-Ukraine-Politik seit 2014, insbesondere aber die Handlungen der deutschen Exekutive nach dem Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 – die Krisensituation in Moctezumas Reich war weitaus dramatischer, die eigenen Handlungsspielräume viel geringer.
Moctezuma hat sich nicht geirrt, die Spanier waren ihm haushoch überlegen. Ein paar Gründe werden immer wieder genannt, zum Beispiel Feuerwaffen oder die stählernen Rüstungen. Pferde, die es in Amerika nicht gab, waren jedoch in den Kämpfen von großer Bedeutung, aber auch die Fähigkeit, große Segelboote zu bauen, mit Kanonen zu bestücken und auf dem See um Tenochtitlan einzusetzen. Nicht zu vergessen die militärische Organisation, das Kämpfen in Haufen, geschlossenen Formationen.
Es war fast so, als wenn das Europa der Renaissance auf das alte Sumer getroffen wäre.
Camilla Townsend: Fünfte Sonne
Noch wichtiger war, dass Moctezuma sehr genau wusste, was er seinem eigenen Reich zumuten konnte und was nicht. Um das zu berücksichtigen, ist eine genaue Kenntnis der Herrschaft, ihrer Entstehung und Entwicklung nötig – daran gebrach es in der Vergangenheit; es ist auch recht einfach und bequem, den Azteken religiöse Beweggründe statt machtpolitischer zu unterstellen.
Das Reich der Azteken hätte hohe Verluste in lang anhaltenden Kämpfen mit den Spaniern nicht ausgehalten, das war Moctezuma völlig klar; ein langer Krieg wäre der Selbstvernichtung gleichgekommen, daher hat er die Möglichkeit gesucht, mit den Konquistadoren zu verhandeln und eine Übereinkunft zu erzielen. Von Passivität oder gar „Feigheit“ kann überhaupt keine Rede sein.
An dieser Stelle macht sich der Vorzug der ausführlichen Schilderung des Aufstiegs und der Gestalt des Aztekenreichs bezahlt, denn die Fragilität ist leichter nachzuvollziehen, wenn man bereits weiß, dass ein »Dschingis Khan zu Fuß« (mangels Pferden) die Eroberung angeführt hatte, ein komplexes Gebilde verschiedener Herrschaftsabhängigkeiten entstand, das vor allem aufgrund der Bigamie zu vielschichtigen Problemen der Herrschaftsnachfolge führte.
Der Kampf um die Macht stand bei den Azteken genauso im Fokus wie etwa in Europa, nur die Mittel, Umstände und Vorgehensweisen waren verschieden. Ein Faktor war die Polygamie, was das Problem der Nachfolge ganz anders als im monogamen Europa, aber nicht weniger kompliziert gestaltet. Die Spanier konnten auch vor diesem Hintergrund die Unzufriedenheit jener Völker oder Machtgruppen ausnutzen, die mit den Azteken über Kreuz lagen und taten dies selbstverständlich auch.
Die Mexikaner von heute betrachten Marina vielfach als Verräterin an den Ureinwohnern Amerikas. […] Niemand in Marinas Welt wäre auf die Idee gekommen, das sie dem Volk Moctezumas zu Loyalität verpflichtet gewesen wäre.
Camilla Townsend: Fünfte Sonne
Für die so gewonnenen Verbündeten der Spanier bzw. Cortés war das auch eine Überlebensstrategie, weshalb das immer wieder aufkommende Verrat-Geschrei völlig fehlgreift. Niemals hätten die Azteken von ihren Gegnern irgendetwas wie Loyalität erwartet; das gilt erst recht für Marina bzw. Malitzin, eine Sklavin, die ihre Sprachfähigkeiten zum Dolmetschen und Verhandeln als Teil ihres Versuches, den Sturm zu überstehen, nutzt.
Die Erzählung dieses Versuch füllt ungeheuer spannende Seiten und Kapitel, in denen das Schicksal Marinas bzw. Malitzins und ihrer Kinder ausgebreitet wird, die wechselvollen Zeitläufte der Eroberung werden so aus einer ungewöhnlichen Perspektive nachvollzogen, ebenso die völlig unhistorischen und für politische Zwecke instrumentalisierten Ansichten und Bewertungen zu diesen Personen als »Verräter«.
Moctezuma hat alles versucht, seine Macht und das Überleben seines Volkes zu sichern. Als sich ihm die Chance bot, mit militärischen Mitteln Cortés und seine Soldaten zu teilen und zu vernichten, aus der Stadt zu treiben, hat er sie genutzt, nachdem sein anfänglicher, immer wieder modifizierter Friedensplan fruchtlos blieb. Doch letztlich war das nur ein Pyrrhus-Sieg, denn die Ressourcen seiner Gegner waren schier unerschöpflich.
Letztlich muss man konstatieren, dass die Europäer neben ihrer militärisch-technischen und kulturell-kommunikativen Überlegenheit vor allem durch unendlichen Nachschub aus Europa nicht zu besiegen waren. Selbst wenn Cortés und seine Leute vollständig vernichtet worden wären, hätte es neue Spanier gegeben, die angetreten wären, Sieg und Herrschaft irgendwann errungen hätten.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es die Bemühungen der humanitären und fortschrittsorientierten Liberalen waren, die den indigenen Völkern Mexikos einen schweren Schlag versetzten.
Camilla Townsend: Fünfte Sonne
Teil des Epiloges ist dem gewidmet, was von der indigenen Identität übrig geblieben ist. Es gehört zu den unbequemen Erkenntnissen, dass es ausgerechnet progressive Bemühungen waren, die wegen ihrer Auswirkungen auf den Sprachgebrauch in Alltag und Verwaltung die Indigenen massiv unter Druck gesetzt haben. Fünfte Sonne mahnt auch durch diesen Zusammenhang zur Vorsicht und dazu, genau hinzusehen und zuzuhören, der Anspruch von Progressivität ist nicht gleichbedeutend mit ihrer Umsetzung.
[Rezensionsexemplar]
Camilla Townsend: Fünfte Sonne Aus dem Englischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube C.H. Beck 2023 Gebunden 418 Seiten ISBN: 978-3-406-798177
Der erste Satz in Koestlers großem Historischen Roman ist genial, kurz und im wörtlichen wie übertragenen Sinne wunderschön. Cover Elsinor-Verlag, Bild mit Canva erstellt.
Es sind die großen Fragen, die Arthur Koestler in seinem Roman Der Sklavenkrieg stellt. Warum handelt der Mensch gegen seine eigenen Interessen? Zu Beginn der Revolte schließen sich die Sklaven und Entrechteten der Sklavenarmee unter Spartakus an, machen mit ihnen gemeinsame Sache – doch in Capua (ausgerechnet!) stehen die Versklavten bewaffnet auf den Mauern und verteidigen ihre Herren und Besitzer. Warum tun sie das?
Koestlers Roman Der Sklavenkrieg liefert keine mundgerechten Antworten, kein romantisierendes, verschlichtendes Feuerwerk an Plattitüden und Phrasen, wie es in vielen breitenwirksamen historischen Romanen und Hollywood-Filmen gezündet wird. Dabei ist die Handlung, der sich Koestler angenommen hat, unbedingt eine tolle Vorlage für Hollywood, wie die berühmte Verfilmung Spartakus mit Kirk Douglas beweist. Und Der Sklavenkrieg ist vor allem ein Roman, keine philosophische Abhandlung oder Essay.
Mit einer einfachen Erzählung der Ereignisse lässt der Autor den Leser aber nicht davonkommen, ohne der Spannung die Spitze zu nehmen oder gar in historisch-erklärende Langeweile abzugleiten. Natürlich weiß jeder Leser von Beginn an, dass der große Aufstand der Sklaven unter der von Legenden umwobenen Heldenfigur Spartakus am Ende blutig gescheitert ist; wer hat nicht von dem grausamen Schicksal der Überlebenden gehört?
»Es ist kein Vergnügen, von Rom gerettet zu werden.«
Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg
Das Römische Reich ist eine Sklavenhaltergesellschaft gewesen, vor allem Kriegsgefangene und Verschleppte aus bekriegten und eroberten Gebieten fanden sich in Ketten wieder. Die Behandlung der Versklavten war – wie zu jeder anderen Zeit – unterschiedlich, von grausamst Misshandelten und Ausgebeuteten bis hin zum intellektuellen Anhängsel und Erzieher reichte die Bandbreite. Gemeinsam war allen die Unfreiheit und die fürchterliche Bestrafung im Falle einer Flucht oder Teilnahme an einem Aufstand.
Neben einer Unzahl an kleineren Widerstandsaktionen gab es innerhalb weniger Jahrzehnte gleich drei große Erhebungen von Versklavten in Italien respektive Sizilien, die allesamt zu verheerenden Auseinandersetzungen, ja regelrechten Feldzügen und Schlachten führten. Der berühmteste Aufstand ist der des Spartakus, auch gegen ihn mussten kriegsstarke Legionen eingesetzt werden, bis die »Ordnung« wiederhergestellt wurde. Diejenigen, die nicht auf dem Schlachtfeld starben, wurden hingerichtet – so auch in Der Sklavenkrieg.
Koestler schildert das gruselige Schauspiel gekonnt, er lässt einige der Handelnden die Strafe erleiden und den Leser mitleiden; gleichzeitig aber bettet er es ein in die politisch-strategischen Überlegungen und Absichten des Römers Crassus (Carrhae), auf den dieses fürchterliche Schauspiel zurückgeht. Wenig bis gar nichts zählt das einzelne Leben in der überwältigenden Maschinerie der Macht, die aber von den Händen Einzelner gelenkt wird.
Der Sklavenkrieg ist aus der Sicht vieler Zeitgenossen erzählt, Koestler wechselt munter die Perspektive und lässt vor den Augen des Lesers ein vielfältiges Bild entstehen. Die Handelnden verfolgen ihre eigenen Interessen und Absichten, es gibt eine Vielzahl von einander überlagernden Konflikten, selbstverständlich auch innerhalb der immer weiter wachsenden Sklavenarmee, aber auch unter ihren Gegnern.
»Klar und gerade waren nur die Wege der Gewalt.«
Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg
Die aufständische Armee ist alles andere als »gut«, Koestler übergeht nicht das fürchterliche Schicksal, das jene Orte ereilt, die anfangs auf der Route dieses Heerhaufens liegen. Zu den besonderen Szenen gehört jene, in der Bewohner einer dieser Städte trotz der heranwalzenden Gefahr und der sich abzeichnenden inneren Unruhen (die Sklaven der Stadt werden von Aufrührern unterwandert) völlig weltfremd und naiv reagieren und auf grausame Weise mit dem Leben bezahlen.
Die Gegenspieler der Sklavenarmee lernen und passen ihre Strategie an – es kommt zu jener erwähnten gespenstischen Szene, da bewaffnete Sklaven die Mauern einer Stadt gegen ihre heranrückenden Schicksalsgenossen erheben und ihre Herren und Unterdrücker verteidigen! Hier stellt sich die eingangs genannte Frage, weitere drängen sich auf. Warum münden Revolutionen scheinbar zwangsweise in Gewaltorgien? Warum werden sie so einfach usurpiert und zur Etablierung einer Tyrannei genutzt ?
Arthur Koestler hat diesen Roman Mitte der 1930er Jahre begonnen, als Europa von zwei einander abgrundtief hassenden, gleichzeitig aber in gewissen Strukturelementen und vor allem brutalster Menschenverachtung handelnden Regimen unterjocht wurde: dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus. Koestler war Kommunist, später fiel er angesichts der unfassbar brutalen Herrschaft Stalins ab und wendete sich entschieden gegen den real existierenden Kommunismus.
Der Sklavenkrieg kann als ein Echo auf das Zeitgeschehen gelesen werden, er stellt auch eine Auseinandersetzung mit dem dar, was Koestler (deutscher Exilant und entzauberter Kommunist) selbst erlebt. Er ist übrigens nicht der einzige Romancier, der sich in dieser Lage einen historischen Stoff sucht, um sich mit gegenwärtigen Fragen auseinanderzusetzen; Heinrich Mann hat nicht grundlos in den 1930ern sein monumentales Werk um Henri Quatre vollendet.
Ein zentrales Roman-Motiv ist das »Gesetz des Umweges«. Wenn eine Revolution oder ein Aufstand dieses Gesetz missachtet und den direkten Weg wählt, drohen Blutbad und Untergang. Koestler lässt seine aufständischen Sklaven auf einen – fiktiven – Umweg ziehen und eine utopische »Sonnenstadt« gründen; die aber hat mit dem Paradies auf Erden wenig zu tun, man assoziiert eher Cromwells unerbittliche Puritaner und natürlich das Paradies der Arbeitslager, die stalinistische Sowjetunion.
»Aber die Stadt, der Sonnenstaat, blieb allein.«
Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg
Auch der Umweg führt in diesem Fall in den Abgrund. Spartakus verändert sich, wird zum Alleinherrscher, entfremdet sich und regiert mit drakonischer Härte. Wichtiger aber ist, dass jenes Lebensexperiment namens »Sonnenstadt« einerseits ohne Mitstreiter und Nachahmer in der übrigen Welt bleibt, zugleich mit dem Rest dieser Welt verbunden ist; verändert sich die allgemeine Tektonik der Macht, ist auch die »Sonnenstadt« davon betroffen, wie Spartakus und die Seinen schmerzlich erfahren müssen.
Der Sklavenkrieg von Arthur Koestler ist ein überwältigender Roman, der den Leser dank der wendungsreichen Ereignisse und des Tiefgangs der Handlung fesselt, während das Geschehen auf sein tragisches Ende zusteuert. Man schaut in tiefe, dunkle Schluchten und spürt das verlockende Blau, das unerreichbar in der Höhe strahlt, die Verheißung einer besseren Welt. Unten aber steht der Mensch in seiner Widersprüchlichkeit und findet nicht aus seiner Haut heraus.
Der Roman selbst ist in gewisser Hinsicht dem »Gesetz des Umweges« gefolgt, bis er in dieser Form publiziert werden konnte. Das Originalmanuskript galt als verloren, die Veröffentlichung in weitere Sprachen geschah auf der Basis der Übersetzung ins Englische und einer Rückübersetzung ins Deutsche (Die Gladiatoren). Das Originalmanuskript schlummerte derweil in der Sowjetunion unter den misstrauischen Augen des KGB, ehe es nach weiteren Windungen und Wendungen veröffentlicht wurde.
[Rezensionsexemplar]
Arthur Koestler: Der Sklavenkrieg Elsinor 2021 Hardcover 392 Seiten SBN 978-3-942788-60-1
Zu den spannendsten Erkenntnissen während meiner Recherche gehörte jene, dass in der Karibik über Jahre hinweg ein unerklärter Krieg zwischen den Großmächten schwelte. Kaperfahrten und Piraterie gehörte mit dazu.
Während meiner Recherche für meine Abenteuerreihe bin ich auf eine interessante Sichtweise gestoßen. Sinngemäß hieß es, dass in Europa zwar nach Beendigung des Spanischen Erfolgekrieges Frieden herrschte, in der Karibik jedoch fortlaufend militärische Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten ausgetragen wurden. Kern dieser Aktivitäten waren Kaperfahrten, aber auch Schmuggel und Zollkontrollen.
Möglicherweise spielten die Sklavenaufstände auch eine Rolle, wenn ich auch keinen Beleg dafür gefunden habe. Für meine Romanreihe habe ich mir jedoch die Freiheit genommen, diese als Teil des unterschwelligen Krieges zu betrachten. Was läge näher, als über provozierte und heimlich unterstützte Aufstände den Gegner empfindlich zu treffen?
Verdeckter Krieg
Aus meiner Sicht war das alles nichts anderes als ein verdeckter Krieg, wie ihn Putins Russland seit vielen Jahren führt. Damals wie heute wird er auf verschiedenen Ebenen ausgetragen, in der Ukraine über Jahre hinweg durch einen als »Bürgerkrieg« zwischen angeblichen »Separatisten« und den Ukrainern verbrämten Angriff; die eingefrorenen, aber nicht gelösten Kriege in Georgien, Moldau, flankiert von destabilisierenden Maßnahmen gegenüber den westlichen Demokratien.
Der Vorzug des verdeckten Krieges liegt darin, dass man offiziell gar keinen Krieg führt. Wer die letzten Jahre Revue passieren lässt, wird unschwer feststellen, wie wirkungsvoll dieses Mittel ist. Politik geht ungern unbequeme Wege (Sanktionen, Waffenlieferungen etc.) und lässt sich allzu oft von den verheißungsvollen Honigtöpfen wie billigem Gas verlocken.
Offene Kriege sind ein ungeheures Risiko, weil sie unglaublich teuer sind, nicht leicht beendet werden können und am Ende zumindest auf wirtschaftlicher Ebene alle verlieren. Von der Verelendung der Bevölkerung durch Nebeneffekte (Teuerung, Seuchen, Verwundete, entlassene Soldaten) einmal ganz abgesehen. Außerdem kann man militärisch unterliegen.
Vorteile und Nachteile
Ganz anders der verdeckte Krieg, der nicht begonnen wird und gleichfalls nicht beendet werden muss. Außerdem unterhält er eine gewisse Kriegsinfrastruktur. Als in den 1720er Jahren ein kurzer Krieg zwischen England und Spanien aufflammte, viel kleiner und letztlich folgenloser als der große um die spanische Erbfolge, konnte in der Karibik rasch operiert werden, wenn auch ohne Fortune.
Ein Nachteil dieser Art der Kriegführung besteht darin, dass sich die Kämpfenden von der Leine lösen und ihren Kampf auf eigene Rechnung weiterführen. Damals waren die Grenzen zwischen Kaperfahrern, Piraten und Piratenjägern (!) fließend; die Folgen für die zivile Schifffahrt, auch des eigenen Landes, verheerend.
Prägend für die Abenteuerreihe
Alle genannten Aspekte spielen für meine Romanreihe eine zentrale Rolle. Meine Protagonisten, Joshua und Jeremiah, werden in eine Auseinandersetzung zweier ehemaliger Kaperfahrer hineingezogen, die jedoch eng mit dem globalen Machtkampf zwischen England und Spanien (und Frankreich) verknüpft ist.
Damit bot sich die Möglichkeit, die Romanreihe wachsen zu lassen. Während der Fokus in den ersten Teilen noch stark auf der persönlichen und individuellen Ebene liegt, erweitert sich dieser von Band zu Band und wird immer stärker mit dem verflochten, was das Zeitalter geprägt hat: Piraterie, Verdeckter Krieg, globaler Machtkampf, Sklaverei, Handel mit Genussmitteln (Zucker, Tabak, Kaffee).
Ein Historischer Roman, der sich eines wichtigen Themas annimmt: Die Französische Revolution und ihr Abgleiten in den Terror, die Wieder-Versklavung der dunkelhäutige Bevölkerung in der Karibik. Zumutungen sind garantiert. Cover Suhrkamp, Bild mit Canva erstellt.
Dieser Roman hält für den Leser einige Zumutungen bereit. Nach einem sehr langen, recht trägen und ausschweifenden Beginn mündet die Erzählung schließlich in den Wirren der Französischen Revolution. Zunächst ganz klassisch im Mutterland, doch dann verlegt der Erzähler seinen Plot zurück in die Karibik, wo er seinen Anfang genommen hat. Alejo Carpentier bedient sich dabei des Lebens der historischen Figur Victor Hugues und mehrerer fiktiver Protagonisten.
Dabei legt der Autor den Finger in eine der zahlreichen Wunden der Revolution: den Umgang mit den versklavten Afrikanern, die in der auf Europa fixierten Rezeption der Revolution keinen Platz haben. Schon zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Buches war es allerhöchste Zeit, sich dem Thema zu widmen, denn trotz der anfänglichen Sklavenbefreiung durch die idealistischen Revolutionäre blieb im Alltag alles beim Alten, wie das Zitat zeigt.
Die Neger waren zu freien Bürgern erklärt worden, aber diejenigen, die man nicht zwangsweise als Soldaten oder Matrosen rekrutiert hatte, beugten von morgens bis abends wie eh und je den Rücken unter der Peitsche ihrer Aufseher, hinter denen sich dazu noch der unerbittliche Azimut der Guillotine abzeichnete.
Alejo Carpentier: Explosion in der Kathedrale
Explosion in der Kathedrale ist bereits 1962 erschienen und zwei Jahre später ins Deutsche übersetzt worden. Die Sensibilität für rassistisch belegte Begriffe hat sich im deutschsprachigen Raum erst mehr als zehn Jahre später langsam durchgesetzt.
Der heute verwerfliche Gebrauch des Begriffes „Neger“ gehört ebenfalls zu den Zumutungen für den modernen Leser, denn er wird in der Ausgabe, die ich gelesen habe, durchgehend verwendet. Im Spanischen heißt „negro“ einfach: Schwarz(er) und ist dem Vernehmen nach nicht so negativ konnotiert wie „Neger“.
Der Inhalt des Werks ist klar antirassistisch und sehr kritisch gegenüber des brutalen, menschenverachtenden Auswüchsen der Revolution. Außerdem ist er ein Fingerzeig in Richtung der europäischen Aufklärer, die in ihren einflussreichen und für die Verbreitung von Menschenrechten und Demokratie so wichtigen Arbeiten das Schicksal der Sklaven weitgehend übergingen.
Robbespiere in der Karibik
Der Protagonist Victor Hugues macht in der Karibik freizügig Gebrauch von der Guillotine und verwandelt Guadeloupe in ein Terrorregime. Zugleich führt er den Kaperkrieg ein und tritt damit in die Fußstapfen der Piraten, die in der Karibik 80 Jahre zuvor gewütet hatten. Mit den hehren revolutionären Absichten hat das längst nichts mehr zu tun.
Der Mechanismus der Macht, die aus den Idealen menschenverachtende Unterdrückung werden lässt, wird vom Autor erbarmungslos vorexerziert. Carpentiers Kritik ist beißend. So lässt er seine Hauptfigur seine Schreckenstaten mit folgender Aussage rechtfertigen, eine Haltung, die nicht nur während der Französischen Revolution allzu gern als Relativierung brutalster Grausamkeiten missbraucht wurde.
Ich bin nicht grausam. Ich tue das, was ich tun muß. Das ist nicht dasselbe.
Alejo Carpentier: Explosion in der Kathedrale
Zu den Zumutungen an den Leser gehört die Sprache. Lange Passagen sind blumig, bildreich und völlig überladen, was den Lesefluss stört und teilweise fast zum Erliegen bringt. Kenntnisse zur Französischen Revolution sind hilfreich, hier wird vieles vorausgesetzt, was für das Verständnis wichtig ist.
Für mich allein aufgrund der Schilderung, wie es den Schwarzen in der Karibik zur Zeit der Französischen Revolution erging, absolut lesenswert, wenn man sich den Mühen unterziehen und den Zumutungen aussetzen will.
Bibliographische Daten zur aktuellen Ausgabe:
Alejo Carpentier: Explosion in der Kathedrale Aus dem Spanischen von Hermann Stiehl suhrkamp taschenbuch 5208 2012 Broschur, 332 Seiten, Print on demand ISBN: 978-3-518-47208-8
In diesem autofiktionalen Werk verarbeitet der Autor die Erlebnisse seines Großvaters während des Ersten Weltkrieges. Der Aufgang von Stefan Hertmans hat mir ganz ausgezeichnet gefallen, von Krieg und Terpentin erwarte ich ein interessantes Leseerelebnis. Das Buch ist Teil meines Lesevorhabens 12 für 2025.
Opfergang - Piratenbrüder Band 7 eBook jetzt vorbestellen
Alexander Preuße: Opfergang – Piratenbrüder Band 7 Taschenbuch ca. 520 Seiten Mai 2026; jetzt vorbestellen eBook: Kindle 5,99 Euro oder KindleUnlimited
Bücher begleiten mich schon mein ganzes Leben, auf dem Leseweg habe ich sehr viele großartige Romane und Sachbücher lesen dürfen, von denen ich gern erzählen möchte. Das ist ein Grund, warum ich blogge.