Alexander Preuße

Schriftsteller - Buchblogger

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Blogmonat Juli 2025

Ein letztes Mal der Blogmonat, ein Format, das ich nicht fortführen werde. Ein Glanzlicht im Juli war der historische Roman von Steffen Thome. Außerdem gab es eine sehr gute Graphic Novel zu Fritz Lang, zwei vorzügliche historische Werke und einen ausgezeichneten biographischen Roman.

Seit Jahresanfang baue ich meine Arbeit als Schriftsteller und Buchblogger um. Der Prozess ist noch im Gange, er begann schon 2024 und wird noch einige Zeit andauern. Mehr als drei Jahre habe ich in beiden Bereichen viele Erfahrungen gesammelt und einiges ausprobiert, natürlich immer wieder Veränderungen vorgenommen, Formate angepasst und erweitert oder zusammengestrichen.

Ein Umbau reicht weiter als eine Veränderung. So habe ich mich in den vergangenen zwölf Monaten von Facebook und Zombie-Twitter (aka »X«) auf Nimmerwiedersehen verabschiedet, das hochgehandelte Threads ist der nächste Kandidat. Dort habe ich alle Postings, Antworten und Likes gelöscht, da nicht alle interessanten Leute dort auch auf BlueSky aktiv sind, bleibe ich passiv einstweilen dort. Meine Accounts bei Goodreads und Lovelybooks habe ich ebenfalls gelöscht.

Aktiv bleibe ich nur bei BlueSky und mit Abstrichen Mastodon, hinzu kommt ein drastisch verringertes Engagement auf Instagram. Dort schreibe ich gelegentlich eine Kleinigkeit auf meinem Schriftsteller-Account, außerdem kurze Versionen zu Büchern für meinen Blog-Account. Die hektische Jagd nach Reichweite, zu der Metas Algorithmen antreiben, ignoriere ich einfach.

Die Arbeit füllt die Kassen eines höchst fragwürdigen Unternehmens mit abstoßenden Methoden, die Vorteile für mich sind minimal bis nicht messbar. Ich freue mich über das Interesse an Büchern, deren Lektüre mir gut gefallen hat oder die mir wichtig sind. Aber wie misst man eigentlich? Aufrufe und Likes sind kein Interesse, ein höchst flüchtiges Medium wie Instagram und Text schließen sich im Grunde genommen aus.

Für meine Schriftstellerei sind die Internet-Plattformen defacto bedeutungslos. Auch wenn Marketing-Profis etwas anderes behaupten, in meinem Fall gibt es nur marginale Buchverkäufe via SoMe. Zur so genannten »Buchbubble« gehöre ich glücklicherweise nicht, neben brauchbaren Tipps und Anregungen gerade zu Beginn meines Weges als notgedrungener Selbstpublizierer stößt man dort auf viel gedankenlosen Unsinn und die überall anzutreffenden menschlichen Abgründe.

Das Internet wandelt sich durch so genannte Künstliche Intelligenz massiv. Wenn Suchergebnisse, die auch jetzt schon problematisch genug sind, durch KI-Antworten ersetzt oder verwandelt werden, wird sich die virtuelle Realität noch weiter von der Wirklichkeit entfernen, Manipulation und weitere Konzentration werden voranschreiten. Wer ein wenig mit KI herumspielt, macht irgendwann die Erfahrung, wie grotesk vieles ist, was die Software ausspuckt.

Ein schönes Beispiel, das KI zwar künstlich ist, aber nicht wirklich „intelligent“. Die viel beschworenen Halluzinationen der Nachahmer-Software, die sich an Wahrscheinlchkeiten entlanghangelt, sind abstrus, werden aber wohl irgendwann als Wirklichkeit gelten.

Schon jetzt ist es so, dass Internet gleichbedeutend mit Internet-Plattformen (aka »Soziale Medien«) gebraucht wird. Der Surfer hält sich vorwiegend dort auf. Was ist aber mit dem Rest? Konkret: Was ist mit meinem Blog? Kann das alles weg? Möglicherweise. In meinem Fall bleibt es allerdings dabei, dass das Bloggen über Bücher zum Teil meines Lesens geworden ist. Ausgelesen habe ich ein Buch oft erst dann, wenn ich mich damit schriftlich auseinandergesetzt habe. Die Blog-Beiträge sind immer auch Ausdruck meines Zugangs zum Buch. Ich betreibe keine Literaturkritik.

Da es absurd wäre, jedes Buch auf diese Weise zu verarbeiten (wozu auch?), fokussiere ich mich auf wenige, die es wert sind, dass ich mich mit einem ausführlichen Blogbeitrag damit auseinandersetze. Parallel will ich mehr Ressourcen ins Schreiben stecken, phasenweise auch sämtliche mir zur Verfügung stehende Zeit. Dem wird nun der Blogmonat zum Opfer fallen, der in dieser Form hier das letzte Mal erscheint. Ob und wie ich das Format, das beliebteste auf meinem Blog, ersetze, weiß ich noch nicht.

Die Juli-Bücher kurz vorgestellt

Was für ein herausragender Historischer Roman! Stephan Thome hat mit Gott der Barbaren von einem »War on Drugs» ganz anderer Art erzählt. Statt mit Gewalt den Strom von Drogen in das eigene Land zu stoppen, versuchten die Briten im 18. Jahrhundert China zu zwingen, Opium ins Land zu lassen. Während der US-Krieg gegen die Drogen ein Fiasko ist, hatten die Briten letztlich Erfolg. Thomes Roman schildert aus mehreren Perspektiven den Gang der Dinge, es ist beeindruckend, wie er die drei miteinander kämpfenden Fraktionen und ihre Weltsicht darlegt, die alle anderen faktisch ausschließt, dennoch von Zweifeln, offenen Fragen und zum Teil grotesken Widersprüchen geprägt ist. Neben dem offiziellen China und den Briten gibt es noch die Aufständischen, die versuchen, ein Paradies auf Erden zu errichten. Mit sattsam bekannten Nebenwirkungen, wie die Hauptfigur zu spüren bekommt. Ein deutscher Missionar, ehemals 1848er Demokrat auf der Flucht, wird in den Strudel hineingezogen, der Millionen das Leben kostet. Der Gott der Barbaren, der Christengott, ist Teil des Desasters. Einer der besten historischen Romane, die ich je gelesen habe.

Der Olymp meiener historischen Romane, neu dabei das wunderbare Buch von Stephan Thome.

Militärgeschichte ist keineswegs nur ein Thema für »Waffennarren und Lehnstuhlfeldherren«. Sie ist ein wesentlicher Teil der allgemeinen Geschichte und gemessen an ihrem Einfluss auf den Gang der Dinge hierzulande eher stiefmütterlich behandelt und wahrgenommen. Stig Förster nimmt sich in seiner voluminösen Darstellung einem halben Jahrtausend deutscher Militärgeschichte an. Explizit stellt er sie in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, nimmt Bezug auf andere Segmente der Geschichte, wenn sie etwas beizutragen haben. Deutsche Militärgeschichte* soll dabei kein Handbuch und erst recht kein Lexikon sein, sondern einem breiten Publikum einen Zugang zum Sujet verschaffen. Wie man sich denken kann, muss es naturgemäß Verkürzungen und Fokussierungen geben, doch das kann man getrost inkauf nehmen. Die längsschnittartige Behandlung der Militärgeschichte fördert interessante Erkenntnisse und manchmal auch regelrechte Glanzpunkte zutage. Parallelen und Unterschiede werden sichtbar, langfristige Trends und ihre Brüche. Mit Blick auf die Gegenwart ist Deutsche Militärgeschichte ein wichtiges Rüstzeug für die Auseinandersetzung mit einem überlebenswichtigen Thema. Das Buch ist Teil der von mir sehr geschätzten Historischen Reihe der Gerda-Henkel-Stiftung.

Große Geister, und doch auch kleinkarierte Kreaturen. Überspitzt formuliert, aber der Jenaer Freundeskreis, der sich vor der Jahrhundertwende in der kleinen Universitätsstadt zusammenfand und daranging, das »Ich« in die Welt zu entlassen, gebärdete sich auch reichlich bodennah gemessen an ihren hochfliegenden Worten, Ideen und Gedankengebilden. Andrea Wulf lässt in ihrem Buch Fabelhafte Rebellen auch diese eher profanen, zänkischen, von Eifersucht und Eitelkeit getriebenen Seiten nicht aus. Auf einem Sockel finden sich die Schlegels, Novalis, Fichte und wie sie alle heißen nicht wieder, was die Herrschaften umso lebendiger macht. Ohnehin muss man sagen, dass trotz einiger Ausnahmen mit den Frauen quasi die Hälfte der Menschheit von allem »Ich«- und Freiheitsgedröhn ausgeschlossen war, die Nöte des gewöhnlichen Volks schienen in diese Sphären gar nicht zu gehören. Für mich war die Lektüre hochspannend, die Schaffensweise und gegenseitige Stimulanz etwa von Schiller und Goethe ist ganz wunderbar geschildert, auch die politische Großwetterlage (Napoleon) rumpelt und grollt lange im Hintergrund. Am Ende weckt der Blick in die Zeit und Lebensumstände das Bedürfnis, zu den Klassikern zu greifen und zu lesen.

Zu den großen Stärken des Romans Blue Skies von T.C. Boyle gehört sein konsequent umgesetzter, kommentarloser Stil, in dem er seine Figuren in einer Welt handeln lässt, die von der Erderhitzung heimgesucht wird. Nur wenige Personen agieren an wenigen Orten. Die Personen sind sämtlich bemerkenswert makelbehaftet, was identifikatorisches Lesen fast unmöglich macht. Boyle lotet einen beträchtlichen Teil der menschlichen Abgründe aus.  Als europäischer Leser muss man mit direkten Übertragungen vorsichtig sein. Gesellschaftliche Konventionen, der Umgang und das Life-Style der US-Gesellschaft stehen im Fokus, die Klima-Katastrophe ist eher eine aktive Kulisse. Kurios, dass alle einfach weitermachen, sich in Teilen anpassen, ohne eine grundsätzliche Änderung der Lebensweise vorzunehmen. Manche Dinge sind seltsam: Inmitten harscher Wasserknappheit ist der Pool noch gefüllt, die Spülmaschine läuft ununterbrochen, trotz langer Stromausfälle. Ungereimtheiten, die übertroffen werden vom Romanende, mit dem ich hadere. Ein Natur-Elysium (als Hoffnungsschimmer?). Ausgerechnet ein Milliardär sorgt für Abhilfe, was mich schweratmend zurücklässt.

Der Tanz hatte für die Zeit der Weimarer Republik eine ganz besondere Bedeutung, wie Thomas Medicus in seiner vorzüglichen Biographie über Klaus Mann dargelegt hat. Dessen Erstling hieß nicht umsonst Der fromme Tanz. Mit diesem Wissen habe ich den Roman Der ewige Tanz von Steffen Schroeder gehört, dessen Planck oder als das Licht seine Leichtigkeit verlor mir ausgesprochen gut gefallen hat. Mit dem neuen Roman nähert sich Schroeder der berühmten und tragisch früh verstorbenen Tänzerin und Schauspielerin Anita Berber an. Die Handlung folgt ihrem Lebensweg, dessen Ende durch die geschickte Struktur der Erzählung vorweggenommen ist. Früh wird klar, wie verhängnisvoll die Mutter Anita Berbers ihrer Tochter gegenübergestanden hat, ein kleines Postkärtchen ans Sterbebett lässt in einen schwarzen Abgrund aus egozentrischer Missgunst blicken. Angenehm ist der Stil Schroeders, der Distanz hält und keine Nähe vorgaukelt, dabei aber einen unverstellten Blick hinter die Kulissen wirft. Ebenso wunderbar sind die vielen Begegnungen, die Anita Berber macht, wie immer bleibt das Bedauern, dass alles für die Katz war, als die Nazis kamen. 

Gleich zwei Bücher aus der von mir sehr geschätzten Historischen Bibliothek der Gerda Henkel-Stiftung habe ich im Juli ausgelesen. Der Historiker Pedro Barceló beschäftigt sich mit Spanien oder Hispania in der Antike, er spannt einen weiten Bogen von den Ursprüngen bis zum Beginn des Kalifats. Geschichte Spaniens in der Antike* bietet eine neue Perspektive auf bereits Bekanntes aus der Römischen Geschichte, mit überraschenden Einsichten. So wird der dramatische wie für den Aufstieg Roms zur Weltmacht entscheidende Krieg gegen Karthago nicht auf den italischen Boden fokussiert, sondern auf Hispania. Hannibals Scheitern in Italien hing einmal mit den Erfolgen Roms auf der iberischen Halbinsel zusammen, zum zweiten wurde dort die Grundlage für den Sieg gelegt und zwar auf wirtschaftlicher Basis. Die nachfolgende, schier endlose Eroberung der Halbinsel wirkte sich wiederum direkt auf die römische Innenpolitik aus, mit tiefgreifenden Folgen. Insgesamt ist der Band sehr gut lesbar, von einzelnen Passagen abgesehen, wie dem Anfang, wenn die in Hispania lebenden Stammesgruppen aufgelistet werden. Darüber sieht man jedoch gern hinweg.

Die Handlung des wohl berühmtesten Films von Fritz Lang, Metropolis, spielt 2026, also kommendes Jahr. Was für eine perfekte Gelegenheit, sich diesen Film (und vielleicht noch andere) einmal anzuschauen. Wer Fritz Lang eigentlich war, wie sein Lebensweg von der Malerei zur Regie führte, wie sich sein Schaffen in der Zeit der Weimarer Republik parallel zum Aufstieg des Nationalsozialismus entwickelte, erfährt man in der Graphic Novel von Arnaud Delalande / Éric Liberge.  Die Bilder sind grandios und ausdrucksstark. Die Rolle, die Thea von Harbou für Fritz Lang gespielt hat, wird ebenfalls deutliche, sie hat die Drehbücher für die großen Filme geschrieben und war einige Jahre Langs Geliebte und Ehefrau. In der Graphic-Novel leben sich beide unter anderem durch ihr unterschiedliches Verhältnis zum Nationalsozialismus auseinander, folgerichtig verlässt Land 1934 das Reich, während Thea dort bleibt. Thema ist auch der Tod von Langs erster Frau, offiziell ein Unfall, inoffiziell Mord. Die Graphic Novel lässt das letztlich offen, während die Hauptperson in Steffen Schroeders Der ewige Tanz, Anita Berber, von Mord ausgeht.

Arnaud Delalande / Éric Liberge: Fritz Lang

Den berühmtesten Film von Fritz Lang, Metropolis, habe ich noch nicht gesehen. Nach der Lektüre der Graphic Novel, die auch von der Entstehung des Werks erzählt, wäre die Gelegenheit wohl günstig. Cover Knesebeck, Bild mit Canva erstellt.

Am Ende überquert der berühmte Film-Regisseur Fritz Lang per Schiff den Atlantik und übersiedelt in die USA. Er lässt das nationalsozialistische Deutschland hinter sich, das sich 1934 so weit etabliert hat, dass ein schnelles Ende außer Sicht geraten ist. Lang folgt einem breiten Strom deutscher Emigranten, die seit der Machtübertragung an Adolf Hitler im Januar 1933 das Reich hinter sich gelassen haben. Wäre dieser Weg heute noch offen?

Mit dieser Frage habe ich die Graphic Novel von Arnaud Delalande und Éric Liberge verlassen. Historische Analogien sind ebenso brüchig wie verlockend, so führte der Weg über den Atlantik in eine USA, die von Charles Lindbergh regiert würden, wie es Philip Roth in seinem Roman Verschwörung gegen Amerika ausgemalt hat. Eine Dystopie, die jedoch recht schwachbrüstig gegenüber der harschen Realität wirkt. Nowhere to run. Diesmal.

Das Deutschland, das Lang hinter sich lässt, malt Delalande in kitschig-gruselige Bilder eines klösterlich-reinen Nazi-Deutschlands. Die Realität sah zu diesem Zeitpunkt schon anders aus, KZs, der Boykott jüdischer Geschäfte, Gleichschaltung von Presse und Kunst, brutale Gewalt, Uniformierung der Zeitgenossen und Massenaufmärsche. Der Film-Regisseur wird von alptraumhaften Visionen verfolgt, bei denen seine eigenen Film-Figuren fleißig mitwirken.

Wissen Sie, Herr Lang, wir entscheiden, wer Jude ist und wer nicht.

Arnaud Delalande / Éric Liberge: Fritz Lang

Fritz Lang braucht einige Zeit, bis er sich dazu durchringen kann, das Land zu verlassen. Auslöser ist Joseph Goebbels. Der Propaganda-Minister sieht in Lang einen Regisseur, der zur Ideologie des Regimes passen würde, obwohl dieser gemäß der Ideologie dank jüdischer Herkunft zu den Feinden des Reichs gehört. Doch wäre das für ein nützliches Instrument wie den Filmemacher kein Problem, die Nazi-Größen selbst entscheiden eigenmächtig, wer Jude sei und wer nicht.

Für Lang würde diese Form der Arbeit, das Abdrehen konformer Filmchen, die Selbstaufgabe bedeuten. Dessen Arbeitsweise ist von einer brutalen Kompromisslosigkeit gegenüber allen einschränkenden Rahmenbedingungen geprägt. Geld, der Umgang von Schauspielern und Statisten, Anpassung des Erzählten an das Kino und die Zuschauer – für Fritz Lang ist das alles zweitrangig hinter der Verwirklichung seiner filmischen Visionen.

Gerade die Arbeit am vielleicht berühmtesten Film, Metropolis, wird ausführlich geschildert. Ein Alptraum, in dem Lang selbst zu einer Art Regie-Diktator wird und das Projekt gegen alle Widerstände durchpeitscht, ohne auf irgendjemanden Rücksicht zu nehmen. Rücksichtsloses Vorgehen steht jedoch auch bei den Nationalsozialisten auf der Agenda, Goebbels sieht in Lang einen passenden Mann für die eigene Sache.

Wir haben unseren eigenen Fluch geschaffen und den Deutschlands.

Arnaud Delalande / Éric Liberge: Fritz Lang

Gewissensbisse plagen den Regisseur, der sich selbst und seiner kongenialen Drehbuchautorin und Frau Thea von Harbou eine Mitschuld am Aufkommen des Nationalsozialismus gibt. Kann Kunst das? Noch eine Frage, die nach der Lektüre der Graphic Novel nachwirkt. Thea von Harbou und Fritz Lang, das Liebes- und Arbeitspaar, entfremden und trennen sich, denn Thea ist dem Regime durchaus zugetan. Sie bleibt im Reich und setzt ihre Karriere dort fort.

Bei Wikipedia klingt das dann in der typisch verschwurbelten Erinnerungskultur-Sprache dann so: Sie sei neben Leni Rieffenstahl eine der »prägenden« aber »umstrittenen Frauen« des frühen deutschen Films. Zumindest prägend war sie, wie die lange Liste der von ihr verfassten Drehbücher zeigt. Sie teilt damit das Schicksal aller Drehbuchautoren, trotz ihrer immensen Bedeutung für den Film im Schatten zu stehen. Zu den Vorzügen der Graphic Novel gehört, sie ins Licht zu führen.

Besonders interessant ist auch der lange Weg Fritz Langs zum Film, der ihn durch die Blutmühle des Ersten Weltkrieges führte, in dem sich Lang durch große Tapferkeit mehrfach auszeichnete. Ein wiederkehrendes Motiv vieler Künstlerbiographien ist die Mischung aus Durchhaltewillen, Glück und hilfreicher Bekanntschaften, die für den Lebensweg bestimmend sind.

Mein Lieber Fritz, und warum nicht Malerei in bewegten Bildern? Der Film!

Arnaud Delalande / Éric Liberge: Fritz Lang

Am Ende hält die Graphic Novel, was das großartige Cover verspricht. Die parallele Montage von Politik und Film ist wunderbar gelungen, die Bilder von großer Wucht. Nicht zuletzt dadurch dürfte der Leser neugierig sein auf die Filme, die schon ein ganzes Jahrhundert alt sind. Metropolis spielt in einem fiktiven 2026. Nächstes Jahr also und einige Motive kommen merkwürdig vertraut vor.

Begegnungen mit Fritz Lang: Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich zumindest den Film Die Nibelungen im Fernsehen angeschaut. Der Regisseur ist mir zudem in zwei Büchern begegnet, einmal in Daniel Kehlmanns Lichtspiel und gerade erst bei Steffen Schroeder Der ewige Tanz.

Arnaud Delalande / Éric Liberge: Fritz Lang
Die Comic-Biographie
aus dem Französischen von Anja Kootz
Knesebeck 2023
Gebunden 112 Seiten
ISBN: 978-3-95728-700-7

T.C. Boyle: Blue Skies

Am besten hat mir der Umgang mit den Figuren im Roman gefallen, die ausnahmslos nicht für identifikatorisches Lesen taugen. Cover Hanser Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Zu den großen Stärken des Romans Blue Skies von T.C. Boyle gehört sein kommentarloser Stil, mit dem der Autor die Figuren in einer Welt agieren lässt, die von der Erderhitzung heimgesucht wird. Nur wenige Personen handeln an wenigen Orten, beim Lesen habe ich mir die Frage gestellt, ob die Handlung nicht recht einfach als Theaterstück umzusetzen wäre.

Wer identifikatorisch liest, gerät bei Blue Skies an eine fast undurchlässige Grenze, denn alle Personen sind makelbehaftet. Boyle lotet einen Teil der menschlichen Abgründe aus, nicht zuletzt den verheerenden Missbrauch von Alkohol. Das hat mir außerordentlich gut gefallen, es schafft eine begrüßenswerte Distanz zu den Figuren. In Blue Skies gibt es keine klassische Retter-Figur wie in Hollywood-Katastrophenfilmen.

Als europäischer Leser muss man mit direkten Übertragungen vorsichtig sein, zumal ich den Verdacht hege, amerikanische Literatur sei gezielt auf die Lesebedürfnisse amerikanische Leser getrimmt. Gesellschaftliche Konventionen, gegenseitiger Umgang und der Life-Style der US-Gesellschaft stehen im Fokus, die Klima-Katastrophe ist eher eine aktive Kulisse. Diese wirkt auf das Leben der Romanpersonen ein, von einer konsequenten Dystopie im Stile von Cormac McCarthys Die Straße ist Blue Skies weit entfernt.

Kurios, dass alle einfach weitermachen, sich in kleinstmöglichen Teilen anpassen, ohne eine grundsätzliche Änderung der Lebensweise vorzunehmen. Man fährt mit seinem Auto durch kniehohes Meerwasser, überflutete Straßen gehören zur Normalität, ein Boot wird zum alltäglichen Mobilitätsvehikel. Und doch werden Schlangen verkauft, wird Barcadi promotet, gestritten, betrogen, gelogen als gäbe es noch abertausend Morgen. Der Topos, dass sich alle zusammenreißen und – noch märchenhafter – ein gesamtgesellschaftlicher Umschwung erfolgt, wird hier konsequent negiert. Die Menschen stecken in ihren Mustern fest.

Manche Dinge in diesem Roman wirken unausgegoren: Inmitten harscher Trockenheit und Wasserknappheit ist der Pool noch gefüllt, als gäbe es keine Verdunstung. Die Spülmaschine läuft ununterbrochen, merkwürdig bei knappem Wasser und langen Stromausfällen. Ungereimtheiten, die übertroffen werden vom Romanende, mit dem ich hadere. Ein Natur-Elysium (als Hoffnungsschimmer?), wie es kitschiger kaum sein könnte. Ausgerechnet ein Milliardär unternimmt etwas gegen die Erderhitzung, was in der garstigen Gegenwart unserer Tage wenigstens für Naserümpfen sorgt.

Trotz einiger Kritikpunkte überwiegt bei mir der positive Eindruck. Ich habe das Buch teilweise gehört und auf Deutsch sowie im Original gelesen. Der Hörbuch-Vortrag war mir zu schnodderig, die Ironie und Komik, die Boyle in sein Erzählen eingeflochten hat, wurden so übergebügelt. Ob ich die im Original ausreichend wahrgenommen hätte, sei einmal dahingestellt.

T.C. Boyle: Blue Skies
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
Hanser Verlag 2023
Gebunden 400 Seiten
ISBN 978-3-446-27689-5

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Die Römer haben überall in Spanien Spuren hinterlassen. Ihrer Herrschaft widmet das Buch den größten Raum, doch erfährt der Leser auch, wer vor und nach ihnen auf der iberischen Halbinsel das Szepter schwang. Cover C.H.Beck, Bild mit Canva erstellt.

Als Kind bekam ich ein Hörspiel geschenkt: Hannibal. Erzählt wurde von einem der spektakulärsten Feldzüge der Geschichte, der Zug eines karthagischen Heeres einschließlich einiger Kriegselefanten über die Alpen, um Rom zu besiegen. Viele Aspekte, die das Hörspiel vermittelte, werden in der historischen Forschung längst nicht mehr vertreten, einige sind bis in die Gegenwart umstritten. Für mich war es der Beginn des Interesses an Geschichte, einschließlich dem, was man Antike nennt.

Der Ausgangsort von Hannibals Unternehmen war Hispanien, wie das Land in Geschichte Spaniens in der Antike von Pedro Barceló genannt wird. Die Antike endet in diesen Buch erst mit der Errichtung des Kalifats von Cordoba. Lange Zeit galt das formale Ende des (West-)Römischen Reichs 475 n. Chr. als Schlusspunkt antiker Geschichte, was in vielerlei Hinsicht problematisch ist.

Diese eher schlichte und willkürliche Datierung kappt Kontinuitäten wie die Goten-Herrschaft in Spanien, von der fast ein Jahrtausend fortgeschriebenen römischen Geschichte in Gestalt von „Byzanz“ ganz zu schweigen. Allein aus diesem Grund ist das Buch sehr zu begrüßen, es eröffnet in vielerlei Hinsicht eine neue Perspektive auf ein Hispanien, das später zur weltumspannenden Großmacht und noch später beliebtem Reiseland wurde.

So brauchte das übermächtige Rom, die größte Militärmacht des Altertums, schließlich zwei Jahrhunderte, um die Gesamtheit des flächenmäßig beträchtlichen, widerborstigen Landes zu erobern.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Die Karthager haben Hispanien nach ihrer ersten Niederlage gegen Rom aus dem Halbschatten ins geopolitische Rampenlicht geholt. Bemerkenswert, wie stark verflochten die Mittelmeerwelt bereits war, während die ansässigen Stammesverbände ganz unterschiedlicher Herkunft (Iberer, Kelten, Tartessaner etc.)  gleichzeitig recht abgeschlossen lebten.

Ausgerechnet diese Zersplitterung machte es später den Römern so schwer, Hispanien gänzlich zu erobern, da es keine Möglichkeit  für umfassende Vereinbarungen mit den Besiegten gab. Dem Sieg über die Karthager folgten schier endlose Kriege, die massive Rückwirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Rom hatten und mit dazu beitrugen, die Republik zu destabilisieren.

Naturgemäß sind die Möglichkeiten, etwas über die Einwohner Hispaniens vor der römischen Zeit mangels aussagekräftiger Quellen begrenzt. So gibt es zwar ein iberisches Alphabet, das immer noch Rätsel aufgibt, was die Bedeutung der entschlüsselten Worte anbelangt. Hinter dem Schleier des Unwissens liegen zumindest keine „Völker“, sondern – wie in Germanien – locker gefügte Stammesverbände mit einer dynamischen Zusammensetzung.

Die Saguntaffäre war zunächst eine binneniberische Angelegenheit.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Die schriftlichen Quellen aus römischer Zeit (karthagische gibt es dank der vernichtenden Niederlage nicht) nehmen eine entsprechende Sicht von außen auf Hispanien ein. Es ist ein Schauplatz und die dort Lebenden sind oft auf eine Statisten– oder Zuschauerrolle reduziert, während sich der karthagisch-römische Konflikt, die Eroberung und Romanisierung des Landes entfaltet.

Das kann den Blick auf wichtige Aspekte verstellen, etwa die Wurzeln des Kampfes um Sagunt. Barceló legt die Ereignisse so aus, dass Sagunt, eine mit Rom verbündete Stadt, ihre hispanischen Nachbarn mit Krieg überzog. Die angegriffenen Turboleten waren jedoch mit den Karthagern verbunden, die vor der Wahl standen, zugunsten ihrer Klientel einzugreifen oder zurückzustecken und Rom das Feld zu überlassen. Eine geradezu klassische geostrategische Zwickmühle.

Nicht nur im Hinblick auf die Kriegsursache, die von vielen modernen Historikern und allen römischen Quellen verzerrt dargestellt und ausgewertet wurde, erzählt Geschichte Spaniens in der Antike die Ereignisse auf eine andere Weise. Der gesamte Kriegsverlauf wird nicht – wie üblich – vor allem auf den italischen Schauplatz fokussiert, sondern auf den spanischen. Hier sei die Entscheidung gefallen, meint Barceló und nennt bedenkenswerte Gründe, unter anderem hinsichtlich der Kriegsfinanzierung durch die hispanischen Bodenschätze.

Nach der Niederlage im Teutoburger Wald 9 n. Chr. wurden die Expansionspläne unter Tiberius seit 14 n. Chr. bald aufgegeben nicht nur weil die militärischen Abenteuer des Oberbefehlshabers Germanicus zu riskant sondern wohl vor allem in der Bilanz zu wenig ertragreich waren das Land war schlicht zu arm an Ressourcen um mit der Beute die aufwendigen Militärausgaben zu kompensieren die ihre Eroberung erfordert hätte.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike

Besonders gelungen ist die Einordnung der Ereignisse und ihrer Folgen, etwa durch Vergleiche. In Spanien führten die Römer viele Jahrzehnte Krieg bis zur Unterwerfung, in Gallien brauchte Caesar nur weniger Jahre, während Germanien nach der ersten großen Niederlage aufgegeben wurde. Vor allem aber bildete Hispanien Hand in Hand mit dem römischen Krieg gegen Karthago den Anfang eines tiefgreifenden innerrömischen Wandels, an dessen Ende die Republik blutige Bürgerkriege und schließlich ins Prinzipat unter Augustus mündete.

Wie so oft bei der Beschäftigung mit antiker Geschichte berührt die Darstellung grundlegende Fragen. Die innerrömischen Veränderungen zementierten eine kleine Oberschicht, die sich mittels militärischer Unternehmungen und Expansion des Herrschaftsgebietes profilierte und in Form gnadenloser Auspressung der erworbenen Gebiete schamlos bereicherte. Zum Preis tausender Toter Legionäre wurden immer neue Kriege vom Zaun gebrochen, Verträge geschlossen und ignoriert sowie gewaltige Vermögen angehäuft.

Das Verhängnis nahte – verkürzt gesagt – in Gestalt zu großer Vermögen, daraus resultierender militärischer und politischer Macht und einer Gesetzgebung, die sozialen Aufstieg erschwerte. Nun ist Geschichte trotz aller Pfadabhängigkeit immer offen, die römische Gesellschaft musste nicht zwangsläufig untergehen, was sie trotz aller Krisen auch über Jahrhunderte nicht tat. Auch verbieten sich direkte Rückschlüsse oder gar Gleichsetzungen für die Gegenwart. Es sind vielmehr die Fragen, die sich aus der Beschäftigung mit der überlieferten Geschichte ergeben, die einen großen Wert darstellen.

Geschichte Spaniens in der Antike von Pedro Barceló ist in der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stifung bei C.H. Beck erschienen. Für das Rezensionsexemplar bedanke ich mich herzlich.

Pedro Barceló: Geschichte Spaniens in der Antike
C.H.Beck 2025
Gebunden 492 Seiten
ISBN: 978-3-406-82898-0

Blogmonat Juni 2025

Ein sehr informativer Lesemonat liegt hinter mir, drei Sachbücher aus sehr unterschiedlichen Bereichen sind dafür verantwortlich. Erzählerisch gab es ein fantastische Highlight und zwei gute Werke, ergänzt wird alles durch eine fabelhafte Graphic Novel. Cover-Rechte beim jeweiligen Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Die erste Hälfte des Jahres 2025 ist überstanden, nicht viel, gemessen daran, was uns noch bevorsteht. Doch richte ich meinen Blick erst einmal zurück auf meine Lektüre und Schreiberei in diesem Jahr. Gibt es schon Kandidaten für die Bestenliste im Dezember? Ja, da sind einige unter den bislang gelesenen Büchern. Nicht alle habe ich besprochen, dafür fehlen mir aktuell Zeit und Lust.

Romane
Leo Perutz: Nachts unter der steinernen Brücke
Walter Kempowski: Alles umsonst
Steffen Kopetzky: Grand Tour
Philipp K. Dick: Das Orakel vom Berge

Erzählungen
Warlan Schalamow: Kolyma

Sachbuch
Thomas Medicus: Klaus Mann

Es ist nicht gesagt, dass diese sechs Bücher am Jahresende zu meinen Lesefavoriten zählen werden.

Bis Jahresende werden noch einige Titel hinzukommen, ganz sicher der brillante historische Roman Der Gott der Barbaren von Stephan Thome, den ich gerade beende. Er gehört mit zu den besten Büchern des Genres, die ich kenne. Die wechselnden Perspektiven gehen mit den Stilvariationen Hand in Hand, eine ganz wunderbare Möglichkeit, sich dem historischen Gegenstand anzunähern. Der hat es in sich: Ein War on Drugs ganz anderer Art, denn die Briten wollen die Chinesen zwingen, Opium einzuführen.

Im zweiten Halbjahr erscheinen zudem noch viele sehr interessante neue Bücher, meine Liste potenzieller Rezensionexemplare umfasst mehr als fünfzig. Aus Zeitmangel werde ich aber maximal zehn davon wahrnehmen, der Fokus im zweiten Halbjahr steht auf dem Schreiben. Der Schlussband Opfergang meiner Piratenbrüder muss beendet werden, der Spin-Off-Band mit der Fortsetzung der Geschichte der Vinland-Fahrer um Stígandr, Eillir und Ryldr will vorbereitet sein.

Obendrein werde ich noch einige Bücher im Rahmen des Buchclubs auf Bluesky lesen. Aktuell beschäftigen wir uns mit T.C. Boyle, BlueSkies (wie passend), die Lektüre macht Spaß. Mit anderen gemeinsam lesen und sich austauschen, ist eine schöne Abwechslung. Jeder liest anders, nimmt andere Dinge wahr und wertet sie auf eine eigene Weise.

Kurzbesprechung der Juni-Bücher

Die Frage, welche Farbe die Haut Kleopatras, der ptolemäischen Königin Ägyptens hatte, ist »schlicht nicht zu beantworten«. Nach der Lektüre von Ann-Cathrin Harders’ Buch über Kleopatra* ist klar, dass diese Frage bedeutungslos ist. Sie verschwindet hinter einem komplexen, durch die vor allem römische Überlieferung stark verzerrten Bild, durch das eine intelligente, machtbewusst agierende, strategisch und taktisch kluge Herrscherin schimmert. Kleopatra hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten agiert und bestaunenswerte Erfolge erzielt. Man denke nur an das Schicksal der vielen Königreiche, Herrschaften und Machthaber nach dem Sieg Roms über Hannibal. Besonders gut hat mir die Deutung ihrer Beziehungen zu Caesar und Antonius als »Arbeitspaar« gefallen, was sexuelle oder von Liebe gespeiste Bindungen keineswegs ausschließt. Leider ruht dieses lückenhafte Bild unter einem Gebirge an Fantasie-Erzählungen in der Rezeption, grotesken Zerrbildern mit unhistorischen Absichten. Dazu gehört auch der Streit um die Hautfarbe.

Jener Frühling, in dem gestorben wird, liegt nun gut 80 Jahre in der Vergangenheit. Ralf Rothmanns Roman führt den Leser mitten hinein in die letzten Monate des »Dritten Reichs«, jene aberwitzige, apokalyptische Selbstvernichtung im Angesicht der unabwendbaren Niederlage. Im Frühling sterben erzählt auf nüchterne, distanzierte Weise von zwei befreundeten jungen Männern, Walter und Friedrich, die in den Strudel des Untergangs hineingezogen werden. Kaum ausgebildet und an die Front in Ungarn geworfen, hinein in jene gnadenlose Menschenmühle, werden sie Zeugen von barbarischen Grausamkeiten der Kriegshandlung, von der die Zivilbevölkerung nicht verschont bleibt. Es ist nicht die dramatische Zuspitzung des Romans, bei der einer der beiden nach einem Desertionsversuch einer standgerichtlichen Erschießung entgegensieht und im Peloton sein Freund steht, die dessen Qualität ausmacht. Beeindruckend ist vor allem das Gefühl, wie sehr der Einzelne in einem totalitären System schutz- und rechtlos enthemmter Gewalt ausgesetzt ist, ohne etwas ändern zu können.

Mehr als zehn voluminöse Bände stehen in meinem Regal, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg befassen. Bislang kenne ich nur den zweiten Band, jetzt habe ich mich mit dem vorletzten befasst: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg – Band 10/1: Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 – Die militärische Niederwerfung der Wehrmacht. Es passt zeitlich zum achtzigsten Jahrestag des Untergangs, obendrein ist der umfassende Landkrieg durch Putins Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine in die Gegenwart zurückgekehrt. Die letzten Kriegsmonate waren eine apokalyptische und gespenstisch irreale Zeit, die Wehrmacht führte einen Krieg »fünf nach zwölf«, wie es treffend heißt. Unvorstellbaren Verlusten stand eine irrwitzige Scheinwelt gegenüber, die keineswegs auf Hitler in seinem Bunker beschränkte, sondern für weite Kreise festzustellen ist. Die Darstellung ist umfassend und ausgewogen, manchmal ein wenig trocken, wenn es um schwierige, faktisch nicht vollständig zu beantwortende Fragen wie die Zahl der in die Sowjetunion deportierten deutschen Zivilisten geht. Keine leichte Kost, aber hilfreich.

Was, wenn Hitlers Reich den Zweiten Weltkrieg nicht verloren hätte, sondern mit Japan die gesamte Welt beherrschte? Diesen ebenso faszinierenden wie erschreckenden Gedanken haben schon einige Romanciers aufgegriffen, keiner von den mir bekannten ist dabei so weit gegangen wie Philip K. Dick. Das Orakel vom Berge heißt im Original The man in the High Castle, ein martialischerer Titel, weshalb er wohl auch die Verfilmung des Romans betitelt. Das Buch setzt weniger auf Action, ist auf eine untergründige Weise spannend, die wenig mit einem Thriller á la Vaterland (Harris) oder Feindesland (Sansom) gemein hat. Es geht um tiefgreifende Fragen, etwa die nach dem Bösen und wie man damit umgeht, wenn vielleicht das Böse eher geeignet erscheint, das eigene Überleben zu gewährleisten. Wie steht es mit dem Einzelnen in einem totalitären Regime, das der Inbegriff des Lebensverachtenden ist und bewiesen hat, Massenmorde in unvorstellbarem Ausmaß durchzuführen? Mich hat das alles geradezu begeistert. Ein ganz wunderbarer Roman, der nicht mein letzter von Philip K. Dick gewesen sein wird.

Wieder einmal habe ich das Vergnügen gehabt, eine großartige Graphic Novel zu lesen. Die letzte Einstellung* von Isabel Kreitz führt mitten hinein in die so genannte »Innere Emigration« während des »Dritten Reichs«. Heinz Hoffmann, Schriftsteller und Journalist der Weimarer Zeit, bleibt nach 1933 in Hitlerdeutschland, erhält Berufs- und Publikationsverbot. Bis 1944 sitzt er im Goldenen Käfig, dann zerstört eine Bombe seine Wohnung und vernichtet seinen Besitz. Er kriecht bei seiner ehemaligen Geliebten Erika Harms unter, die bei der UfA tätig ist. Im Irrsinn des untergehenden Reichs wird nicht nur bis fünf nach zwölf gekämpft, sondern auch gedreht. Filmen ist auch ein Versuch, sich durch die Apokalypse der Vernichtung hindurchzumogeln. Der innerlich emigrierte Hoffmann gerät in Gewissensnöte, als sich durch die zupackende und realistisch agierende Erika die Möglichkeit ergibt, an einem »kriegswichtigen« Durchhaltefilm mitzuwirken. Schön, dass die Graphic Novel über das Kriegsende hinaus erzählt und ganz richtig die »Stunde Null« auch im Film als Märchen entlarvt. Das Nachwort ist sehr informativ, ebenso das Glossar, denn außer den beiden Hauptfiguren sind viele andere reale Personen in der Handlung verwoben.

Wie die Zukunft aussehen wird, weiß niemand. Sie ist offen, glaubt man manchen Wissenschaftlern, aber an bestimmte Pfade gebunden, deren Grenzen die Entwicklung wenig wahrscheinlich überschreiten würde. Trotzdem gibt es eine Menge Literatur, die sich der Zeit widmet, die noch bevorsteht. Mal im Stile einer Utopie, mal einer Dystopie, oft auch als (technologische) Space Opera. Assaf Gavron beschäftigt sich in den zwei Erzählungen des Bandes Everybody be Cool* mit einer Welt, die mehrere Jahrzehnte in der Zukunft liegt. Eine Reihe von heute drängenden Problemen sind gelöst, utopische Ideen im Stile eines Grundeinkommens realisiert. Doch erleben die Protagonisten der Erzählungen kein utopisches Bullerbü, sondern müssen feststellen, dass der Mensch allem sozialen, technologischem und politischem Fortschritt zum Trotz im Kern der gleiche geblieben ist. Autor Gavron legt den Finger in offene Wunden, denn bei jeder Entwicklung gibt es Verlierer, die sich wehren, Unzufriedene oder auch einfach Unglückliche. Die beiden Erzählungen sind daher lesenswert, wobei die titelgebende aus meiner Sicht literarisch hochwertiger ist als die längere mit dem Titel Zement.

Der Begriff »Vietnamkrieg« dürfte vertraut sein und vor allem mit dem US-amerikanischen Engagement im fernöstlichen Land verbunden werden. Doch ist das nur der zweite oder dritte Vietnam-Krieg, nach dem Ende der japanischen Besatzung versuchte Frankreich, seine Kolonie »Indochina« wiederherzustellen. Zu diesem kolonialen Gebilde gehörte auch Vietnam. In diesem Krieg, der 1954 nach der verheerenden Niederlage der Franzosen bei Dien Bien Phu endete, starben mehr als zweieinhalbtausend Deutsche. Sie kämpften in den Reihen der französischen Fremdenlegion, die traditionell immer viele Deutsche in ihren Reihen hatte. In Indochina waren es wenigstens 40 Prozent der Legionäre, eher wesentlich mehr. Das Buch L´ennemi util von Pierre Thoumelin beleuchtet auf umfassende und ausgewogene Weise den Indochina-Einsatz der Deutschen, die zum Teil aus den Reihen von Wehrmacht, Luftwaffe, Marine und in sehr geringem Umfang Waffen-SS stammten. Hierzulande ein Nischenthema, ist ein ehemaliger Wehrmachtssoldat im preisgekrönten Roman Die französische Kunst des Krieges von Alexis Jenni präsent.

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