Warum? Warum? Warum? Polizisten, Detektive, Agenten – Ermittler aller Art sind immer auf der Jagd nach dem Motiv, dem Beweggrund für eine Tat, welcher Natur sie auch immer sein mag. Autoren von Romanen mit kriminalistischem Kern brauchen also eine Quelle, aus der sie Motive schöpfen können; Tatmotive für ihre Täter und Handlungsmotive für ihre Figuren.
Tony Hillermans Quelle für Tanzplatz der Toten ist die Mythologie der Zuñi, einer indianischen Gemeinschaft in den USA. Der Ermittler, Joe Leaphorn, gehört aber den Navajo an, wie schon der Klappentext informiert, hält er sich gewöhnlich aus den Angelegenheiten der Zuñi heraus. Im Handlungsverlauf klingt die Kluft zwischen beiden Gemeinschaften immer wieder an, es gibt eine überraschend klare Abgrenzung in „wir“ und „sie“.
Sollte sich die Zuñi-Fliege tatsächlich dazu herablassen, über die Hand eines Navajo zu spazieren?
Tony Hillerman: Tanzplatz der Toten
Es liegt einige Bitterkeit in diesen Worten, aber auch eine gehörige Portion Ironie. Leaphorn macht von ironischen Betrachtungen und Äußerungen dosiert Gebrauch. Dosiert beschreibt auch treffend die Figurengestaltung: Hillerman lässt bemerkenswert viel von seinem Charakter unerklärt, eine Reihe von Facetten der Persönlichkeit des Navajo kann der Leser aus seinen Worten und Handlungen erschließen.
Das ist eine sehr schöne Herangehensweise, denn so wird der Leser immer wieder überrascht, während sich das Bild von Lieutenant Joe Leaphorn weiter zusammensetzt. Da es sich um den Auftakt einer Buchreihe handelt, hat sich der Autor für die folgenden Bände jede Menge Spielraum für die Entwicklung dieser Romanfigur belassen, was sehr zu begrüßen ist.
Trotz des Trennenden sind die beiden Jungen George und Ernesto miteinander befreundet, ja, der Navajo George möchte gern Zuñi sein, von der einen in die andere Gemeinschaft wechseln. Das ist faktisch unmöglich und zugleich der Ausgangspunkt eines Dramas, an dessen Anfang das Verschwinden beider Jungen steht, und das immer weitere Kreise zieht.
Leaphorn ist durch die unterschiedliche Zugehörigkeit der Jungen gezwungen, bei seiner Ermittlung mit den den Kollegen der Zuñi zusammenzuarbeiten. Nolens, volens, versteht sich. Die Spurensuche entfaltet vor den Augen des Lesers viele interessante Details der Lebenswirklichkeit der indianischen Gemeinschaften, ohne je in anthropologischen Info-Dump zu verfallen.
In die Kultur der Navajo will ich die Leser und Leserinnen hineinziehen.
Tony Hillerman: Tanzplatz der Toten
Die Umstände sind allesamt eng mit der Auflösung des Falles verbunden, gleichgültig, ob es sich um soziale Faktoren wie Trunksucht, Armut, bürokratische Aspekte wie die Zuständigkeiten oder Grenzverläufe oder eben die Mythologie handelt. Zu den ganz besonderen Momenten gehört das Gespräch Leaphorns mit einem katholischen Geistlichen (ausgerechnet!) über die beiden Jungen und die Mythen der Zuñi – ein Schlüssel für die Handlungsmotivation von George.
Zuhören und Geduld sind zwei der wichtigsten Ermittlungsmethoden des Navajo-Polizisten, Leaphorn bringt oft durch aufmerksames Schweigen seine Gegenüber zum Reden. Außerdem ist er ein brillanter Spurenleser, ein Motiv, das clichéhaft in Western aller Art vorkommt und von Hillerman geschickt adaptiert, aufgewertet und in seine Geschichte eingeflochten wurde.
Dort hatte er sich umgedreht, sich niedergehockt, wie seine Fußabdrücke mit dem stärker belasteten Ballen verrieten, und hatte mit dem Gesicht zur Lichtung gewartet.
Tony Hillerman: Tanzplatz der Toten
Leaphorn ist in der Lage, Geschehnisse aus Spuren durch seine genaue Beobachtungsgabe zu rekonstruieren. Dabei greift er auch auf andere für den mitteleuropäisch sozialisierten Leser ungewöhnliche Kenntnisse zurück, etwa Aspekte der rituellen Jagd: Sie weisen ihn auf Abweichungen von der Norm hin, aus denen er bestimmte Rückschlüsse über das Verhalten des Jägers ziehen kann.
Das wirkt alles sehr authentisch und erhöht die Spannung immens. Dazu trägt auch bei, dass der Ermittler dem Pfad der Rationalität folgt, Unlogik ist ihm verhasst. Er extrahiert die wichtigen Fakten aus den zum Teil surreal wirkenden mythologisch geprägten Erzählungen, wodurch diese (wie auch die Ermittlungen) nicht zu esoterischem Gedöns verkommen.
Er hatte plötzlich das Gefühl, von der Wirklichkeit ins Surreale zu wechseln.
Tony Hillerman: Tanzplatz der Toten
Die indianischen Gemeinschaften sind dabei nicht nur unter sich. Auch der »Weiße Mann« ist in der Gegend, in Gestalt von Forschern, die auf der Suche nach bahnbrechenden Erkenntnissen über den Folsom-Menschen graben, oder einer Schar Hippies, die Hippie-Dinge tun. Auch das FBI gibt sich die Ehre und wird – geradezu klassisch – mit einigem verächtlichen Spott überzogen.
Der in seinem Äußeren wie Denken fast geklont wirkende Agent O´Malley, „zackiger Haarschnitt, sauber gewaschen, geschniegelt und unbelastet von übermäßiger Intelligenz“, tappt bei seinem Auftreten zielsicher in einer Reihe von Fettnäpfchen, die von den Navajo und Zuñi einträchtig mit sarkastischen Kommentaren quittiert werden.
Mein Daddy hatte eben doch recht, sagte Pasquaanti. Trau keiner verdammten Rothaut, hat er immer gesagt.
Tony Hillerman: Tanzplatz der Toten
Pasquaanti vertritt die Zuñi-Police, er ist derjenige, mit dem Leaphorn im Fall der beiden vermissten Jungen kooperiert. Die aus vielen anderen Büchern und Filmen sattsam bekannte Zugeknöpftheit des FBI bekommt hier eine rassistische Note. Die Perspektive des Romans bringt umgekehrt einige – für mich sehr schöne und auch komische – Sichtweisen mit sich.
Das Auftreten des FBI ist keineswegs nur eine Art Gimmick. Es zeigt die Eskalation des Falles und der Ermittlungen, die Suche nach Vermissten wird zur Jagd nach einem Mörder und berührt ganz andere Bereiche, wie Drogenhandel. So zeitlos der Roman wirkt, an einigen Stellen schimmert durch, dass er Anfang der 1970er Jahre verfasst wurde. In Vietnam kämpfen die USA noch immer ihren verlorenen Krieg, ein Nebeneffekt ist der steigende Drogenkonsum.
Die indianischen Gemeinschaften leben nicht isoliert von der übrigen Welt, auch der Ermittler Leaphorn nicht. Ganz am Ende des Romans wird seine Neugier deutlich, die vorher schon mehrfach angedeutet wird. Der „Weiße Mann“ gehe an die Dinge völlig anders heran, als „wir Indianer“; so verabschiedet er sich aus dem Roman mit der Ankündigung, er wolle „noch mehr darüber herausfinden, was in den Weißen vor sich geht.“ Angesichts des verheißungsvollen Auftakts eine Einladung für die ausstehenden Teile, der ich gern Folge leisten werden.
Weitere Bücher der Reihe um die Navajo-Police:
Blinde Augen
Zeugen der Nacht
Dunkle Winde
[Rezensionsexemplar]
Tony Hillerman: Tanzplatz der Toten
aus dem Englischen von Helmut Eilers
Unionsverlag 2023
TB 224 Seiten
ISBN 978-3-293-20953-4
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