Schriftsteller - Buchblogger

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Lesemonat Februar 2023

Neun Bücher, darunter vier Sachbücher. Cover beim Verlag, Bild mit Canva erstellt.

Für 2023 habe ich mir vorgenommen, mehr Sachbücher zu lesen und auf meinem Blog vorzustellen. Im Februar sind es vier gewesen, alle mit ganz unterschiedlichen Themen, außerdem bedienen sie verschiedene Formen: Historiographie, Tagebuch und Essay. Gemeinsam ist ihnen, dass sie mir ausnehmend gut gefallen haben.

Anlässlich des Jahrestages von Putins Angriffs- und Vernichtungskrieg wollte ich gern etwas lesen, das von den Betroffenen selbst kommt. Die Essays von Tanja Maljartschuk, Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus, reichen weiter zurück und machen deutlich, dass seit 2014 ein nur mühsam verdeckter Eroberungskrieg Russlands im Osten der Ukraine herrschte. Dagegen setzt Als ich im Krieg erwachte von Julia Solska am Tag vor dem Angriff ein und lässt den Leser hautnah miterleben, wie eine ohnehin fragile, aber friedlich empfundene Welt aus den Fugen gerät. 

Wer der Meinung ist, wir in Deutschland hätten Krise, kann dies auch historisch auf den Prüfstand stellen. Vor einhundert Jahren donnerte ein perfekter Sturm über Deutschland, wie man anhand des wunderbaren Buches von Volker Ullrich, Deutschland 1923, nachvollziehen kann. Noch weiter zurück reicht Die Flamme der Freiheit* von Jörg Bong, das die missratene Revolution in Deutschland im Jahr 1848 mit großem demokratischen Engagement beleuchtet. Beide Bücher sind im Stil sehr unterschiedlich, aber jedes auf seine Weise toll geschrieben und eine klare Leseempfehlung.

Romane

Unter den Romanen ist Der Magier im Kreml* von Giuliano da Empoli mein erklärter Favorit. Der Leser blickt hinter die Kulissen, aber nicht auf eine reißerische Weise, sondern in Gestalt einer schillernden Figur namens Baranow, der als »Putins Rasputin« oder eben jener Magiebegabte mit Zugang zum Ohr des Zaren gilt. Eine hochklassige Lektüre, so zeitgemäß, wie es kaum besser geht. 

Der Kriminalroman Tanzplatz der Toten* von Tony Hillerman hat mich auf den ersten Blick neugierig gemacht. Die Navajo-Police in Gestalt von Ermittler Joe Leaphorn – was für ein vielversprechendes Setting, das die Erwartungen rundum erfüllt hat. Ich freue mich sehr auf die weiteren Bände der Reihe.

Eine ganz andere Form der Neugier hat mich auf Ein simpler Eingriff von Yael Inokai gebracht, das es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 geschafft hatte. Mir haben der Stil und die Herangehensweise gefallen, insbesondere das vielfach kritisierte Abweichen von dem eigentlichen Thema – was meines Erachtens eine gute Entscheidung gewesen ist.

Dagegen hat mich eine dringende Empfehlung auf Das Labyrinth von London von Benedict Jacka aufmerksam gemacht, der ich gern gefolgt bin. Urban Fantasy ist eine wunderbare Methode des Eskapismus, auch wenn mehr oder weniger alle Romane, die ich aus diesem Segment bislang gelesen habe, in London spielen. So auch dieser, mit einer originell gestalteten Hauptfigur.

Ganz und gar ungewöhnlich ist der Roman Der Mann im roten Rock von Julian Barnes. Eine Besprechung habe ich mir verkniffen, nicht etwa, weil ich das Hör-Buch nicht gemocht hätte; mir hat es außergewöhnlich gut gefallen, inbesondere der Vortrag durch Frank Arnold. Allein das Nachwort … dieser Roman mäandert durch das ausgehende 19. Jahrhundert und ist weitgehend handlungsfrei. Dafür ungeheuer atmosphärisch und sprachlich brillant.

Was kommt?

Der Monat März ist noch jung, doch schon habe ich das erste Buch gelesen: Der Übermensch* von John Buchan. Ein Klassiker des Spionage- und Polit-Thrillers, der mir sehr gut gefallen hat. Er ist in der gleichen Reihe erschienen, wie Die große Uhr* von Kenneth Fearing, das Buch, das in diesem Jahr mit großem Abstand das meiste Interesse auf meinem Blog hervorgerufen hat. Den dritten Band der Reihe habe ich mir mittlerweile selbst gekauft, den lese ich im Sommer. Ich mag Klassiker dieser Art und hoffe, es folgen weitere Bände.

Der März 1933 markiert das Ende der Weimarer Republik; was läge näher, als neunzig Jahre später den Roman Märzgefallene von Volker Kutscher zu lesen? Der fünfte Band der Reihe um Gereon Rath beginnt noch düsterer als etwa Die Akte Vaterland, was angesichts der Ereignisse um den Reichstagsbrand und Hitlers Ernennung zum Reichskanzler kein Wunder ist. Die Schlägertrupps der SA sind Hilfspolizei und nutzen das zum Quälen politischer Gegner.

Das nächste Thema, mit dem ich mich beschäftigen werde, ist der politische Mord. Das ist und bleibt ein aktuelles Thema, wie die schändliche Mordtat im Tiergarten beweist, doch geht es um zwei historische Attentate: Zunächst das von Georg Elser 1939 auf Adolf Hitler und das auf Walther Rathenau 1922. Das eine hätte welthistorische Bedeutung gehabt und alles verändert; das andere hatte eine verheerende Wirkung auf Deutschland, denn Rathenaus Tod leitete das Krisenjahr 1923 ein.

Dein Gesicht morgen – ein dickes Brett

Seit Jahresanfang lese ich den Roman Dein Gesicht morgen von Javier Marías. Voraussichtlich werde ich noch einige Wochen mit dem Buch beschäftigt sein, denn es kommt auf stolze 1.600 Seiten. Die Taschenbuchausgabe umfasst nämlich alle drei Teile, in denen der Roman ursprünglich veröffentlicht wurde. Es gilt als das Opus Magnum des im Vorjahr verstorbenen Autors.

Dein Gesicht morgen ist ein dickes Brett. Das bezieht sich keineswegs nur auf den Umfang, obwohl der schon ausreichen würde für diese Zuschreibung. Der Inhalt ist äußerst ungewöhnlich. Auf den mehr als eintausend Seiten, die ich bisher gelesen habe, geschieht nicht allzu viel – im Sinne einer wirklichen Handlung; dafür nimmt der Leser an einer unglaublichen Vielfalt an Gedanken und Assoziationen teil.

Ich habe mich schon gewundert, wie vage und luftig der Klappentext gehalten ist. Das ist kein Wunder, denn das, was geschieht, ließe sich in wenigen Sätzen zusammenfassen; doch um eine Handlung geht es Marías nicht, eher um das Handeln und seine Wurzeln, seine Verflechtungen in der Zeit, sowohl der Vergangenheit als auch Gegenwart. Marías verknüpft auf manchmal atemberaubende Weise Motive.

An einer Stelle im Roman verschlägt es den Ich-Erzähler auf eine Damentoilette, er sucht jemanden, den er nicht findet. Das ist die Handlung von mehr als einhundert Seiten. Beim Untersuchen der – besetzten – Damentoilette wandern die Gedanken des Erzählers von dem möglicherweise aufgehübschten Gesicht einer Frau zu Reinhold Heydrich und dem tödlichen Attentat auf diesen im Jahr 1942. Das Bindeglied: Botox. Botulinum Toxin. Tödliches Gift und Faltenhemmer.

Schon auf den ersten Seiten ist klar, dass man hier keinen luftig leichten Pageturner zur Hand nimmt. Der Roman ist ein komplexes Gebilde, am ehesten erinnert er mich an einen breiten Strom, der sich gemächlich dem Meer entgegenwälzt, während ihm aus unzähligen größeren, kleineren und unsichtbaren Zuflüssen neues Wasser zugeführt wird.

Ich lese den Roman, als würde ich in der Mitte auf dem Rücken liegend mich mit der Strömung treiben lassen und voller Staunen beobachten, was vorüberzieht. Die Entscheidung, Dein Gesicht morgen ganz behutsam zu schmökern, mal zehn, mal zwanzig Seiten, immer sehr aufmerksam und ganz langsam, war die richtige. Alles andere wäre Verschwendung. Und so ist dieses dicke Brett tatsächlich ein Genuss.

Bloggestöber

Heute nur ein kleiner Tipp: Der Blog des in der Ukraine lebenden Schriftstellers Christoph Brumme, der die ukrainische und damit die richtige Seite des Krieges zur Wort kommen lässt. Es ist aus meiner Sicht absolut notwendig, sich die Perspektive der Betroffenen anzueignen und nicht der bequemen Sofapazifisten in Deutschland, denen es bestenfalls um ihren Seelenfrieden, zumeist aber um antidemokratische, proputinistische und antiamerikanische Präferenzen geht.

*[Rezensionsexemplar, daher Werbung]

Lesemonat Januar 2023

Der Januar hat sechs sehr gute und interessante Lektüren gebracht, dazu noch drei brauchbare.

Auf meinem Blog habe ich mehrfach Romane vorgestellt, die mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurden. Aufmerksam geworden bin ich auf diesen Literaturpreis durch Alexis Jennis Die französische Kunst des Krieges, ein paar Jahre später hat Pierre Lemaitre mit seinem Wir sehen uns dort oben das Interesse richtig geweckt.

Seitdem lese ich mich Stück für Stück in die Vergangenheit des Prix Goncourt und verfolge die neuen ausgezeichneten Romane. Ein wenig hat mich die Sammelleidenschaft gepackt. Dabei habe ich festgestellt, dass ich mit Rimbauds Die Schlacht und Maguerite Duras Der Liebhaber zwei Preisträger gelesen habe, ohne mir darüber bewusst zu sein. Vor mir liegen noch sehr interessante Bücher, etwa Die Wohlgesinnten von Jonathan Littell.

Eine Zeitlang konnte ich ohne Einschränkung sagen, dass der Prix Goncourt eine literarische Bank sei. Jeder Roman, der damit ausgezeichnet wurde, hat mir ausgezeichnet gefallen. Leila Slimanis Nun schlaf auch du war die erste Enttäuschung, sprachlich und inhaltlich fällt dieser Roman gegenüber den anderen ab. Trotzdem ist er lesenswert, weil er eine bedeutende gesellschaftliche Schieflage nicht nur in Frankreich thematisiert. Kein Grund also, mit dem Sammeln aufzuhören.

Die Linie bricht

Das Jahr 2022 wird allerdings die Linie brechen, denn den Roman, der mit den Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, werde ich ignorieren. Die Umstände, die zur Kür des Werkes führten, sind ohnehin kurios. Wie zu lesen war, konnte sich die Jury nicht einigen, erst die Doppelstimme des Vorsitzenden gab schließlich den Ausschlag. Den erwählten Roman werde ich nicht lesen – ein autobiographisches Thema ist mir wegen der aktuellen Geschehnisse gleichgültig.

Den Prix Goncourt bekommt Brigitte Giraud, ihr Roman Vivre Vite bedient das autofiktionale Genre. 2022! Wie man das angesichts des Ukraine-Krieges eine Bauchnabelschau auch nur in Erwägung ziehen konnte, ist mir schleierhaft, weil eben auch einen Roman namens Der Magier im Kreml* von Guliano Da Empoli zur Wahl stand, der allein vom Titel eine Nähe zum zentralen Thema des Jahres verrät. Den werde ich lesen und bei Gelegenheit vorstellen.

Leider hat mir der Siegerroman von 2021, Die geheimste Erinnerung der Menschen von Mohamed Mbougar Sarr, die zweite Enttäuschung gebracht. Vielfach gerühmt und gelobt, hat er mich in seiner Gesamtheit nicht überzeugen können. Zweifelsfrei hat er Qualitäten und ist daher durchaus lesenswert, über lange Passagen hinweg sogar ein Roman, den man ungern aus der Hand legt, und doch …

Bloggestöber

Wie immer in solchen Fällen, stöbere ich gern in anderen Blogs, um meine eigene durch weitere Sichtweisen zu ergänzen. Eigentlich ist das der größte Vorteil der Literaturbloggerei: Dem Leser erlaubt das einen schnellen Zugriff auf neue Perspektiven, die das eigene Lesen mit neuen Sichtweisen erweitern.

Petra Reichs Besprechung (Literaturreich) ist tendenziell auch negativ ausgefallen, ihr sind andere Dinge aufgestoßen als mir. Einen deutlich positiveren Eindruck hat der Roman bei Barbara Busch (Mit Büchern um die Welt) hinterlassen, auch kann ich einige Vorzüge, die Thomas Hummitzsch (intellectures) nennt, nachvollziehen. Wie gesagt: Sarrs Roman hat Qualitäten.

Lese-Vorfreude 

Neben dem wunderbaren Berg an ungelesenen Büchern trudeln peu á peu Neuerscheinungen ein, auf die ich mich sehr freue. Zwei davon kommen aus Frankreich, neben dem bereits erwähnten Kremlmagier ein Büchlein von Eric Vuillard, der sich in Ein ehrenvoller Abgang* mit den Vietnam-Kriegen befasst. Das ist ein Thema, das mich sofort angesprochen hat, es ist kein Wunder, dass diese Kriege in der Literatur, die ich lese, immer wieder eine Rolle spielen.

Mitte des Monats nimmt die Navajo-Police ihre Arbeit (wieder) auf. Der Roman Tanzplatz der Toten* von Tony Hillerman eröffnet eine mehrteilige Buchreihe um zwei Navajos und ihre Ermittlungsarbeit – ein Thema, das mein Interesse auf den ersten Blick geweckt hat.

Aktuell lese ich den Auftaktband einer Geschichte über die Revolution von 1848: Die Flamme der Freiheit* von Jörg Bong führt stimmungsvoll, gut informiert und – ja – spannend in die Ereignisse nach der Pariser Februarrevolution 1848 ein, die Deutschland hätten eine Republik bringen können. Die Feinde der Demokraten, Fürsten, Nationalisten, Konstitutionelle und Kommunisten waren zahlreich – da man das Ende und seine Folgen kennt, eine tragische Geschichte.

Der Februar 2023 ist nicht nur das 175. Jahr nach der Revolution von 1848, sondern auch das Jahr eins nach Beginn des erweiterten Angriffs- und Vernichtungskrieges von Putins Russland gegen die Ukraine. Zu diesem Anlass habe ich mir Essays von Tanja Maljartschuk und ein Kriegs- bzw. Fluchttagebuch von Julia Solska als Lektüre ausgewählt. Für den nötigen Eskapismus sorgt Urban Fantasy aus der Feder von Benedict Jacka und ein modernes Märchen von John Ironmonger.

Und der Januar?

Gemischt. Sehr gut gefallen haben mir Herkunft von Saša Stanišić und Srebrenica überleben von Hasan Hasanović, weniger gelungen fand ich Totentanz – 1923 und die Folgen von Jutta Hoffritz und Die Stunde der Hyänen von Johannes Groschupf. Die Folgerungen, die Hoffritz aus den Ereignissen des Katastrophenjahres 1923 zieht, sind m.E. zu weitreichend; die Weimarer Republik war zu diesem Zeitpunkt eben nicht eine auf Abruf.

Einen Favoriten weiß ich nicht zu benennen. Internat von Serihy Zhadan und Hausers Ausflug* von Steffen Mensching sind wohl die gehaltvollsten und besten Romane, die ich im Januar gelesen habe. Der Noir-Thriller-Klassiker Die große Uhr* von Kenneth Fearing hat ebenfalls Qualitäten – und zieht Interesse auf sich: Die Buchvorstellung wurde am häufigsten gelesen.

Ein echter Höhepunkt war Volker Kutscher Die Akte Vaterland. Der vierte Teil der Reihe um Gereon Rath ist erheblich besser als die guten Vorgänger, spannend, vielschichtig, politisch und stimmungsvoll. Zu diesem Zeitpunkt war die Weimarer Republik dann tatsächlich eine auf Abruf. Der fünfte Teil trägt den Titel Märzgefallene – er spielt im März 1933. Das passt doch gut für eine Lektüre im März 2023.

[*Rezensionsexemplar, daher Werbung]

Lesemonat Dezember 2022

Der Lesemonat Dezember hat drei ganz herausragende Bücher gebracht, darunter eines, das zu dem Top-Trio unter den Romanen gehört, die ich gelesen habe.

Das Dezember-Lesen ist immer von Weihnachten geprägt. Unter dem festlich geschmückten Baum liegen Bücher, vor allem richtig dicke, die dann sofort gelesen werden können. In den Tagen zwischen dem Fest und dem Jahreswechsel habe ich normalerweise Zeit, ohne Ablenkung und Verpflichtung täglich stundenlang in einem Buch zu versinken. Normalerweise. Doch der Dezember 2022 hat eine Abweichung vom gewohnten Gang der Dinge gebracht.

Ich bin nicht fertiggeworden. Mein Buch, das ich eigentlich bis zum Freitag den 23. Dezember gelesen haben wollte, war noch längst nicht ausgelesen, aus Zeitknappheit hatte ich gerade einmal ein Viertel geschafft. Was tun? Unter dem Baum lag ja tatsächlich neue Lektüre und zwar ein 1.600 Seiten starker Roman namens Dein Gesicht morgen von Javier Marías, der mich sehr interessiert. Sofort damit anfangen oder erst einmal das begonnene Buch beenden?

Keine Frage! Das neue Buch beginnen, das andere zurückstellen. Für gewöhnlich hätte ich das auch so gehandhabt, doch handelte es sich bei dem bereits in Arbeit befindlichen Roman um einen ganz besonderen: Alexis Jenni, Die französische Kunst des Krieges. Es ist ein Wiederlesen gewesen, denn dieses ganz außergewöhnliche Buch hatte ich bereits kurz nach der Veröffentlichung gelesen.

Ein Buch ein zweites Mal zu lesen birgt ein gewisses Risiko. Man kann enttäuscht werden. Über Enttäuschungen habe ich mich in einem Blogbeitrag ausgelassen, sie sind einfach nicht zu vermeiden. Bücher haben ihre (Halbwert-)Zeit. Doch Jennis Roman ist auch beim Wiederlesen ein Genuss gewesen und eine Überraschung. Viele wichtige Motive habe ich beim ersten Mal gar nicht wahrgenommen.

Der Roman gehört zum Top-Trio meines Leselebens, neben Hilary Mantels Spiegel und Licht und natürlich Leonardo Paduras Der Mann, der Hunde liebte. Die französische Kunst des Krieges dreht sich nicht nur um Krieg, sondern vor allem um das Frankreich der Gegenwart und den Einfluss der verheerenden Kolonialkriege bis in unsere Tage. Rassismus. Identitäres Denken. Die »koloniale Fäulnis«, die Unterscheidung in Wir und Sie.

Komplex, unbequem und tiefschürfend, dabei auch noch auf zwei Zeitebenen erzählend – ein Roman, wie ich ihn schätze. Daher konnte ich auch nicht einfach aufhören und mich dem neuen zuwenden. Dein Gesicht morgen musste ein paar Tage warten, ehe ich die Zeit gefunden hatte, Die französische Kunst des Krieges zu beenden und eine Buchvorstellung zu verfassen.

Im Dezember habe ich fünf Bücher gelesen, darunter drei ganz herausragende und zwei gute. Der schmale Pfad durchs Hinterland führt den Leser auf die andere Seite der Weltkugel und mitten hinein in ein Leben, das geprägt ist durch die schrecklichen Erlebnisse in einem japanischen Kriegsgefangenenlager. Hoch komplex, schonungslos und brillant eröffnet sich hier dem europäischen Leser eine ganz neue Perspektive.

Das gilt auch für das Sachbuch von Christopher Clark. Die Schlafwandler ist ein epochemachendes Werk, denn es zeichnet den Weg Europas in den Ersten Weltkrieg nach und löst sich dabei von der elendiglichen Schuldfrage. Im Fokus steht Frage nach dem Wie und das eröffnet neue Sichtweisen, die wesentlich ergiebiger sind, als die bisherigen Ansätze. Auch gut ein Jahrzehnt nach dem Erscheinen für jeden historisch-politisch Interessierten eine klare Leseempfehlung.

Lesenswert sind auch die Romane von James Baldwin, Von dieser Welt, und Benedict Wells, Vom Ende der Einsamkeit.

Die Besucher meines Blogs haben im Dezember besonders zwei Beiträge angesteuert: Café Berlin von Harold Nebenzahl und Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde von Friedrich Christian Delius. Beide Buchvorstellungen liegen gleichauf, ich wünsche beiden Büchern viele Leser.

Für das neue Jahr 2023 bin ich gut gerüstet, was das Lesen anbelangt. Um die Weihnachtszeit sind einige Rezensionsexemplare eingetroffen, die sehr spannend klingen, außerdem lagen natürlich Bücher unter dem Weihnachtsbaum. Vom nie schwindenden Berg noch nicht gelesener Bücher gar nicht zu reden.

Viele Bücher, die darauf warten gelesen zu werden; mehr sind im Anmarsch.

Lesemonat November

Ein paar schöne Lese- und Hörerlebnisse gab es im November, zwei weitere habe ich nicht ganz bis Monatsende ausgelesen bzw. -gehört. Von denen wird dann im Dezember die Rede sein. Bild mit Canva erstellt, Cover vom jeweiligen Verlag.

Kann man eine Romanreihe mit mehr als zwanzig Teilen lesen? Ja, das geht, auch wenn der Stoff eher im Bereich der trivialen Unterhaltung anzusiedeln ist. In meinem Fall ist das die Eagle-Reihe von Simon Scarrow, von der ich im November den einundzwanzigsten Teil gelesen habe. Ab und zu fange ich mir in meinem Umfeld ein wenig Spott dafür ein, weil ich gewöhnlich etwas andere Literatur bevorzuge.

Wieso also ein derart lang gezogenes (Mach-)Werk? Die Bücher des Eagle of the Empire spielen im Römischen Reich des ersten Jahrhunderts nach Christus. Der erste Roman setzt zu einer Zeit ein, als ein gewisser Claudius Princeps ist und sein Heer gen Britannien schickt. Auf dem Eiland ist bekanntlich Julius Caesar schon einmal probehalber gelandet – Unfinished-business-of-the-Empire gewissermaßen.

Der Leser folgt einem Duo: Macro und Cato. Die Götter haben die Fähigkeiten des Buddy-Gespanns klar verteilt, couragierte Kampfkraft hie, nicht minder couragierter Intellekt dort. Beide lernen voneinander, bleiben sich im Kern  treu, während sie auf unterschiedlichsten Schlachtfeldern des riesigen Reichs fechten. Das ist eine der großen Stärken der Reihe – von Britannien geht es nach Spanien, in die Adria, in den Osten, Syrien, Ägypten, aber auch nach Sardinien usw. Man kommt im Gefolge der Legionen herum.

Die Reihe fängt die ungeheure Größe und Vielfalt des Imperiums gut ein, sie ist trotz der vielen unvermeidlichen strukturellen, inhaltlichen und charakterlichen Redundanzen abwechslungsreich genug, um die Lust am Lesen zu erhalten. Dabei gehören die anfänglichen Romane nicht unbedingt zu den stärksten, wäre es nicht ab Band fünf zu einem deutlichen (Orts-)Wechsel gekommen, hätte ich abgebrochen.

So bleibe ich also dabei – und freue mich auf Band XXII, der im Frühjahr 2023 erscheint.

Leseecke

Apropos unerledigt: Ich habe noch nie etwas von Tschechow gelesen und das im November nachgeholt. Der Kirschgarten hat mit allerdings nicht wirklich erreicht, ein munteres Bühnenstück, das ich als einigermaßen belanglos empfunden habe. Warum also so ein Stück überhaupt lesen? Zum einen gibt es Interpretationen, die mir im Nachhinein einige interessante Bedeutungsebenen eröffnen, zum anderen wird Tschechow relativ häufig in anderen Romanen genannt, zitiert oder von den Handelnden gelesen. Ich freue mich immer, wenn ich in solchen Fällen vom Autor etwas gelesen habe.

Ganz und gar nicht belanglos sind die anderen Bücher, die ich im November gelesen habe. Höhenrausch von Harald Jähner ist ein tolles Sachbuch über die Zeit der Weimarer Republik, Café Berlin ein Roman, der zumindest teilweise in dieser Zeit spielt; es war ein schönes Leseerlebnis, beides parallel zu lesen / hören. Die Vielfalt dieser Zeit ist und bleibt überwältigend, die Erkenntnis, dass das alles nichts genutzt, den Zivilisationsbruch nicht hat abwenden können, zutiefst beunruhigend.

Nach dem Zivilisationsbruch ist es ausgerechnet ein Fußballspiel gewesen, das Deutschland mental ein Stück wiederhergestellt hat. Das als »Wunder von Bern« verklärte Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft 1954 ist von Friedrich Christian Delius in seiner Erzählung Der Tag, an dem ich Weltmeister wurde verarbeitet worden. Um Fußball geht es auch, aber vor allem um Emanzipation. Ein gutes Stichwort, wenn man sich vor Augen führt, was aus dem Sport in der Gegenwart geworden ist.

Ein gutes Stück weiter ist der Roman Monschau von Steffen Kopetzky, in dem zwar eine Epidemie die Hauptrolle spielt, aber der Schatten des Zweiten Weltkrieges liegt noch über den beginnenden 1960er Jahren. An Propaganda kommt Monschau nicht heran, lesenswert ist es allemale.

Bloggestöber

Zwei Bücher habe ich mir im zurückliegenden Monat angeregt durch Blogbeiträge gekauft. Einmal Athos 2643 von Nils Westerboer, das auf Horatio-Bücher vorgestellt wird; zum zweiten Schatten über dem Hudson, auf das Sören Heim auf seinem Blog aufmerksam macht. Eine nette literarische Schnitzeljagd um den Prix Goncourt Gewinner 2021 Mohamed Mbougar Sarr nimmt ihren Anfang auf dem Blog von Kaffeehaussitzer.  Gute Jagd, allen, die teilnehmen.

Lesemonat Oktober 2022

Nur vier Bücher habe ich im Oktober gelesen, darunter drei wirklich gute. Erstmals habe ich auch ein Rezensionsexemplar angenommen, von einem Roman, den ich ohnehin gelesen und besprochen hätte.

Der Monat Oktober war ein Viellese-Monat, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. In den zurückliegenden Wochen war ich vor allem mit meinen Manuskripten beschäftigt, ein gewaltiger, unsichtbarer Leseberg liegt hinter mir. Außerdem habe ich ein ganz seltenes Vergnügen gehabt und meinen Anfang Oktober erschienen Erstling vorgelesen – ein tolles Erlebnis.

Nur vier Büchlein habe ich diesmal durchgeschmökert, darunter drei richtig gute und eine Enttäuschung. Anders als bislang werde ich in meinem kleinen Monatsrückblick nicht mehr jedes einzelne Buch mit einem kleinen Text vorstellen und meine Meinung dazu äußern. Das hat in der Vergangenheit den Beitrag mehr und mehr aufgebläht.

Stattdessen habe ich angefangen, Kurzrezensionen zu verfassen. Die langen Buchvorstellungen bleiben jenen Werken vorbehalten, die ich als unbedingt lesenswert empfinde, die kürzeren werden auch kritische Rückmeldungen beinhalten. Den Anfang macht das hochgelobte Treue von Hernan Diaz, das mich überhaupt nicht erreicht hat.

Ganz anders Vergeltung von Gerd Ledig, das eine lange Buchvorstellung erhalten wird. Ledigs Roman ist eine gnadenlose Schilderung des Bombenkriegs während des Zweiten Weltkriegs (sein zweites Buch, Stalinorgel, führt den Leser an die Ostfront). Kein anderes Buch hat auf mich eine derartige Wirkung erzielt, auch Jahrzehnte nach der ersten Lektüre, spukten noch Bilder in meinem Gedächtnis herum.

Erstmals habe ich auch ein Buch gelesen, bei dem es sich um ein Rezensionsexemplar handelt. Grundsätzlich mache ich das nicht, vor allem, weil mir die Zeit fehlt. Es warten noch hunderte Bücher, die ich längst gelesen habe und vorstellen möchte. Doch bei Wie Staub im Wind von Leonardo Padura konnte ich eine Ausnahme machen, denn diesen Roman hätte ich ohnehin baldmöglichst gelesen.

Paduras Der Mann, der Hunde liebte, gehört zu den drei besten Romanen, die ich überhaupt je gelesen habe; Wie Staub im Wind kommt da nicht ganz heran, ist aber ein wirklich guter Roman, der eines der ganz großen Themen unserer Zeit – eigentlich aller Zeiten berührt: Migration. 

Bleibt noch Sisi von Karen Duve. Ich mag keine Pferde, mir ist die Kaiserin Elisabeth von Österreich herzlich egal – aber Karen Duve ist eine Schriftstellerin, deren Bücher ich bislang sehr gern gelesen habe. Vor allem Fräulein Nettes kurzer Sommer war ein tolles Leseerlebnis. Ein Grund dafür liegt in Duves Stil, der von überemotionalem Romance-Gedöns sehr weit entfernt ist, und wie geschaffen für einen Stoff namens Sisi.

Am Ende noch eine Leseempfehlung anderer Art: Nach zehn Jahren Buchbloggerei zieht Marius Müller von Buchhaltung Bilanz und gibt einen schönen Einblick in Hoffnungen und Enttäuschungen auf diesem Weg.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um unbezahlte Werbung, da ich vom Unionsverlag ein Exemplar des Romans Wie Staub im Wind dankenswerterweise zur Verfügung gestellt bekommen habe.

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